Trauerpsychologie Avatare: Hilfreich bei Trauerbewältigung?
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29. Februar 2020, 00:00 Uhr
Stirbt ein geliebter Mensch, fällt das Loslassen schwer. Man möchte ihn festhalten oder zumindest an dem, was von ihm geblieben ist. Inzwischen gehört dazu auch ein digitales Erbe. Fotos, Videos, Sprachmemos. Hilft das, den Verlust zu verschmerzen? Oder reißt das die Wunden immer wieder neu auf?
Das bislang wohl extremste Beispiel für den Versuch einer digitalen Trauerbewältigung kommt aus Südkorea. IT-Experten haben dort ein Mädchen virtuell zu neuem Leben erweckt, das im Alter von sieben Jahren an einer unheilbaren Krankheit gestorben war. Vier Jahre später konnte die Mutter ihrem Kind wieder begegnen, mit ihm sprechen, interagieren - dank einer VR-Brille.
"Wo warst Du, Mami? Hast Du an mich gedacht?"
Das sind die Worte der virtuellen Tochter an ihre Mutter in einem Experiment, das nun auf Youtube weltweit zu sehen ist:
Die Mutter hätte so besser Abschied nehmen können, sagen die Initiatoren des Experiments. Sie sehen darin nur den Anfang einer neuen Trauerkultur. Vieles hat sich in dieser Hinsicht auch bei uns in Deutschland schon gewandelt. Facebook-Accounts werden zu Denkmal-Seiten. Sprüche auf dem Anrufbeantworter werden aufbewahrt und immer wieder abgehört, Videos angeschaut, der Verstorbene damit immer wieder in gewisser Weise in das eigene Leben zurückgeholt.
Trost oder Grausamkeit: Die Konfrontation mit dem verstorbenen "digitalen Zwilling"
Es kommt auf den Zeitpunkt an, sagen Psychologen. Denn unsere Trauer verläuft in verschiedenen Phasen. Und je nachdem, in welcher Phase wir uns mit dem "digitalen Zwilling" des Verstorbenen konfrontieren, kann es uns helfen oder den gesunden Trauerprozess behindern. In den ersten Tagen und Wochen wollen wir nicht wahrhaben, was geschehen ist. Wir hoffen, alles sei nur ein Traum und wir würden wieder aufwachen. Später merken wir, dass wir mit unserem Verlust in der Realität angekommen sind. Wir spüren Wut, Verzweiflung, Ohnmacht, Schuld. In der dritten Phase dann suchen wir die Nähe zu demjenigen, den wir verloren haben. An Orten, wo er gewöhnlich war, an Orten, wo man gemeinsam war. So lernen wir Stück für Stück zu begreifen, dass er nicht mehr da ist. Bis dahin kann uns die Zwiesprache mit dem "digitalen Zwilling" des Verstorbenen helfen, uns unserer neuen Lebenssituation anzunähern. Sind wir jedoch in Phase vier ankommen, in der wir den Abschied angenommen haben, und uns dem Leben wieder zuwenden können, kann ein Erlebnis wie das der Mutter aus Südkorea zu einem erneuten Trauma führen. In dem Fall kommen die Betroffenen nicht voran in ihrer Trauerarbeit, sondern sie bleiben stecken.
Verblassende Erinnerungen sind heilsam
Es hilft uns also langfristig in unserem Trauerprozess, wenn konkrete Erinnerungen an gemeinsam Erlebtes nach und nach doch verblassen und lediglich ein inneres Bild zurückbleibt. Dennoch gibt es immer mehr digitale Möglichkeiten, diese Erinnerungen vor allem in der ersten Zeit möglichst wach zu halten: Indem wir eine virtuelle Kerze entzünden, uns im Online-Kondolenzbuch eintragen. Oder über einen QR-Code auf Grabsteinen übers Handy Zugang bekommen zu Bildern, Videos und der Lebensgeschichte des Verstorbenen. Diesen Code kann man auch teilen. Wohnt jemand weit weg oder kann nicht zur Beerdigung kommen, schickt man ihm ein Fotos vom QR-Code und kann damit die Trauer in einem virtuellen Raum teilen.
Reale Erfahrungen bleiben wichtig
Auch wenn es immer mehr digitale Möglichkeiten gibt, der Trauer zu begegnen, sterben traditionelle Rituale noch lange nicht aus. Im Gegenteil: Einen geliebten Menschen beim Sterben zu begleiten, an seiner Seite zu bleiben, auch wenn das Herz schon aufgehört hat zu schlagen, sind wichtige Erfahrungen. Sie helfen, den Tod im wahrsten Sinne zu begreifen, das Unfassbare fassbar zu machen. Etwas, das eine virtuelle Realität nicht ersetzen kann. Genauso wenig, wie über den Verlust zu sprechen.