Das Cover zeigt vier Frauen aus verschiedenen Epochen, mit Unterschieden in Kleidung, Frisur, Hautfarbe und wissenschaftlicher Ausstattung. In der Mitte, auf einem kreisförmigen weißen Untergrund, der Titel und die Namen der Autorinnen und des Verlags.
Unsere Buchempfehlung. Zu Unrecht haben Wissenschaftlerinnen lange im Schatten ihrer männlichen Kollegen gestanden. Bildrechte: Haupt Verlag

Buchtipp der Woche Frauen, die die Wissenschaft veränderten

28. März 2022, 10:43 Uhr

Nennen Sie doch mal fünf Forscherinnen aus der Zeit vor dem 20. Jahrhundert. Na, Fehlanzeige? Warum es kein Wunder ist, dass Ihnen wahrscheinlich nicht mehr einfällt als Hildegard von Bingen oder Marie Curie, wie Frauen in der Wissenschaft unsichtbar wurden, und wen sie leider alles noch nicht kennen, lesen Sie in diesem Buch. Eines, das Sie für Diskussionen wappnet, sagt Rezensentin Liane Watzel.

Liane Watzel
Bildrechte: Tobias Thiergen

Warum mich Suchmaschinen demnächst nicht mehr korrigieren

"Nennen Sie fünf Wissenschaftlerinnen oder Erfinderinnen aus der Zeit vor dem 19. Jahrhundert!" Und: "Nennen Sie fünf Wissenschaftlerinnen oder Erfinderinnen aus dem 20./21. Jahrhundert!" Fragte der Sohn in einer Online-Umfrage im Rahmen seiner komplexen Lernleistung im Herbst 2021. Und analog dazu dieselben Fragen, nur eben nach Forschern und Erfindern. Die Antworten haben ihn selbst verblüfft, so eindeutig waren sie: Wissenschaftlerinnen? Forscherinnen? Erfinderinnen? Da ging es den Menschen wie der Suchmaschine. Letztere korrigiert höflich-hilfreich, wenn man beispielsweise nach "berühmte Anthropologin" sucht: "Sie meinten berühmte Anthropologen?"

Wer das Buch "Frauen, die die Wissenschaft veränderten" gelesen hat, lernt jede Menge Frauen aus verschiedensten Epochen kennen, die zu Astronomie, Botanik, Physik, Medizin, Mathematik etc. geforscht haben und noch forschen. Die beiden Autorinnen Anna Reser und Leila McNeill beschreiben aber nicht nur Frauen und ihre Forschungen. Sie zeigen systematisch, wie die Spuren wissenschaftlichen Wirkens von Frauen verwischt, sprachlich entwertet, oder Männern zugeordnet wurden: Als namenlose Assistentinnen, als Ehefrauen von Forschern, als Frauen, die sich mit für sie "unschicklichen" Themenfeldern befassten.

Das Vorwort reißt die Mechanismen an, die dafür gesorgt haben, dass Erfindungen und Forschungsergebnisse von Frauen nicht ihnen, sondern anderen zugeschrieben wurden. Danach stellt das Buch Wissenschaftlerinnen vor, systematisiert nach Epochen: Altertum bis Mittelalter, Renaissance & Aufklärung, das lange 19. Jahrhundert, das 20. Jahrhundert vor dem 2. Weltkrieg/nach dem 2. Weltkrieg.

Zeitgenössische Illustration: Frauen stemmen sich gegen eine Tür, die von einem Mann vehement verschlossen gehalten wird
Mai 1870. Eine Karikatur zeigt Lydia Becker, die mit anderen Frauen ums Wahlrecht für Frauen kämpft, gegen eine fiktive Person namens John Bull, einer Personifikation Englands. Bildrechte: Haupt Verlag / World History Archive, Alamy Stock Photo

Wie sich das Buch am besten liest

Das ist eine gute Frage. Man weiß ja gar nicht, nach wem man suchen könnte, weil man Frauen aus der Wissenschaft kaum kennt oder nicht weiß, in welchen Forschungsgebieten sie tätig waren. Wo also anfangen in diesem dicken Buch voller Wissenschaftlerinnen? Es ist kein Schmöker, der sich in einem Rutsch von hinten nach vorne liest. Andererseits aber ein Schmöker, in dem ich mich stundenlang herumtreiben möchte, weil ich hier so vielen Frauen begegne, von denen ich gern schon als Kind gehört hätte. Frauen, die die Welt erforscht, beschrieben und systematisiert und mit ihren Erkenntnissen vorangetrieben haben.

Beispiele gefällig? Caroline Lucretia Herschel aus Hannover, die im 18. Jahrhundert am "Catalogue of Nebula and Clusters of Stars" mitarbeitete, aber als namenlose Assistentin ihres Bruder Wilhelm nicht erwähnt wurde. Sie entdeckte zudem acht neue Kometen, drei neue Nebel und identifizierte 560 Sterne, die im damals maßgeblichen Sternenkatalog von John Flamsteed übersehen worden waren. Priscilla Wakefield, die im 18. Jahrhundert die Wissenschaft der Botanik systematisch beschrieb, die sich damit allerdings in den gesellschaftlich gesteckten Grenzen bewegte: Botanik galt als "Wissenschaft für Damen", das Sammeln, Zeichnen, Analysieren und Sortieren von Pflanzen galt, wie die Buchautorinnen aufzeigen, bald als "Manie", als "Obsession". gleichwohl eine Entwertung der Arbeit, die Frauen wie Wakefield für die Erforschung der Botanik leisteten.

Eine, die im 17. Jahrhundert diese gesellschaftlichen Ketten sprengte bzw. umging, war die Französin Jeanne Baret. Baret war die Assistentin von Philibert Commerson, der mit dem Schiff "Etoile" 1766 von Nantes aus in See stach, um den Pazifik und anliegende Länder zu erkunden. Als Frau hätte Baret nicht an Bord eines Schiffes gehen dürfen, da die französische Marineordnung von 1689 Frauen per Gesetz den Aufenthalt auf Schiffen verbot. Auch ein Mechanismus, der dafür sorgte, dass Frauen das Feld der Welt-Erkundung verschlossen blieb. Barets Entdeckungen und Aufzeichnungen von Pflanzen in Übersee wurden nicht unter ihrem Namen, sondern unter dem ihres Arbeitgebers Commerson veröffentlicht. Sie nahm als Jean Baret auch an einer dreijährigen Weltumseglung teil, wobei ihre Tarnung offenbar an Bord aufflog. Bei ihrer Rückkehr drohte der Wissenschaftlerin zunächst ein Bußgeld wegen Verstoßes gegen das Marinegesetz. Allerdings wurde sie dann zur "Femme extraordinaire" ernannt und mit einer jährlichen Pension von 200 Livres pro Jahr von der königlichen Marine ausgestattet.

Auch die Frankfurter Insektenforscherin Maria Sybilla Merian (1647-1717) hatte schon gegen Windmühlen gekämpft. Reisen in Länder südlich des Äquators gefährdeten die weibliche Fruchtbarkeit, verstärkten die Menstruation, behaupteten Ärzte damals. Trotzdem reiste Merian nach Übersee und war schließlich die Erste, die die Metamorphose der Seidenraupen dokumentierte, fast ein Jahrzehnt vor dem italienischen Biologen Marcello Malphigi, der in der Insektenforschungs-Geschichte für die vermeintlich erste Dokumentation dieses Prozesses bekannt ist. Marian reiste 1699 nach Surinam, klassifizierte dort Insekten, illustrierte Lebenszyklen von Insekten. Ihr Werk "Metamorphosis Insectorum Surinamensium" gilt als Meisterwerk der Naturgeschichte und als beispiellose Studie der vernetzten Ökologie in der Natur.

Priscilla Wakefield aus dem Buch "Frauen, die die Wissenschaft veränderten"
Priscilla Wakefield, Botanikerin . Lebte von 1751 bis 1832 und war die erste Verfasserin einer systematischen Einführung in die Botanik. Bildrechte: Haupt Verlag / Chronicle Alamy Stock Photo

Warum das Buch ein Besen ist

Das Buch steckt voll ähnlicher Geschichten über Frauen, die sich ihren Weg in der Wissenschaft, der Mathematik, der Physik, der Raumfahrt, der Medizin oder der Chemie erkämpfen mussten – deren Leistungen aber unter den Tisch gekehrt, anderen zugeschrieben, marginalisiert oder entwertet wurden. Hier wird ausgekehrt in der staubigen Schmuddel-Ecke, wie Wissenschaftsgeschichte geschrieben wurde. Das Buch schiebt den Filter beiseite, der uns eine Welt zeigt, in der Männer die Welt erforschen und erklären, und es scheinbar eben kaum Expertinnen für dies oder jenes gibt, und das sei schon immer so gewesen. War es aber gar nicht. Und ist es auch heute nicht. Es gab sie und es gibt sie, Frauen, die die Welt wissenschaftlich erklären, erforschen, voranbringen. "Nennen Sie doch mal fünf Forscherinnen von vor dem 19. Jahrhundert." Wer sich durch dieses Buch ackert, hat auf solche Fragen Namen parat und kann dann selbst einen ungefilterten Blick auf die Geschichte der Wissenschaften prägen.

Das Cover zeigt vier Frauen aus verschiedenen Epochen, mit Unterschieden in Kleidung, Frisur, Hautfarbe und wissenschaftlicher Ausstattung. In der Mitte, auf einem kreisförmigen weißen Untergrund, der Titel und die Namen der Autorinnen und des Verlags.
Unsere Buchempfehlung. Zu Unrecht haben Wissenschaftlerinnen lange im Schatten ihrer männlichen Kollegen gestanden. Bildrechte: Haupt Verlag

Die Daten zum Buch Anna Reser und Leila McNeill: Frauen, die die Wissenschaft veränderten, aus dem Englischen übersetzt von Wiebke Krabbe, Haupt Verlag 2022, 272 Seiten, 36 Euro, ISBN 978-3-258-08258-5

PS für alle, denen es sauer aufstößt, dass hier konsequent nur von Männern und Frauen, geschrieben wird: Die aktuelle Debatte um Gerechtigkeit in der Sprache, wie Menschen und ihr Geschlecht un/sichtbar gemacht werden, führen wir auch in der Redaktion. Hätte ich von "männlich gelesenen", "weiblich gelesenen" Personen schreiben müssen, weil wir natürlich nicht wissen, welchem Geschlecht sich die einzelnen Personen damals zugeordnet haben? Ich habe mich entschieden, sprachlich in der Form der Buch-Autorinnen zu bleiben.

Liane Watzel
Bildrechte: Tobias Thiergen

Die Rezensentin Liane Watzel ist Online- und Radioautorin. In der Redaktion Wissen & Bildung, weil sie Neues aus der Forschung gern so übersetzt, dass jede/r sie beim ersten Lesen oder Hören versteht und anschließend sagt: "Ach so! Wie spannend! Jetzt versteh ich das! Das hab' ich nicht gewusst!"

0 Kommentare