Wissen, was wir lesen Griff nach den Sternen. Nebra, Stonehenge, Babylon: Reise ins Universum der Himmelsscheibe
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06. Juni 2021, 15:00 Uhr
Ein spannender und packender Ausflug in unsere bewegte Vorgeschichte, von der die wenigsten Mitteleuropäer wohl wissen. Vor 4.000 Jahren entstand rund um Mitteldeutschland eine schriftlose Hochkultur, die eng mit ihren Nachbarn verknüpft war: die Aunjetitzer. Über sie, ihre berühmte Himmelsscheibe und das Global Village der Bronzezeit gibt es jetzt eine Landesausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale). Und ein neues Buch, das Patrick Klapetz gelesen hat.
Worum geht es?
Das Buch unternimmt eine abenteuerliche Reise durch unsere Vergangenheit, deren Ausgangspunkt die Himmelsscheibe von Nebra ist. Es erzählt ihre Geheimnisse und präsentiert den neuen Forschungsstand, der sich in den letzten Jahren rasant verändert hat. Doch das ist nur ein kleiner Teil der Geschichte. Die Autoren entführen die Leserinnen und Leser in die Welt der Himmelsscheibe, zeigen, wie die Menschen in der Bronzezeit lebten, wie die Herrschaftsstrukturen waren und wie die Menschen mit ihren Nachbarn in einem regen Austausch standen. Ebenso wird deutlich, welche Völker damals überhaupt regierten und wie sie miteinander verknüpft waren.
Die Reise geht von Stonehenge über Mitteldeutschland und Spanien hin nach Ägypten und in den Vorderen Orient mit seiner Wiege der Hochkulturen: Babylon.
Wie schafft es das Buch, mich zu fesseln?
Es ist eine bezaubernde Reise in eine Zeit, die wir nicht wirklich kennen. Zumindest haben die meisten von uns keine positive Vorstellung von der mitteleuropäischen Bronzezeit. Barbaren, Unmenschen, Wilde in heruntergekommenen Waldhütten? Fehlanzeige! Mitteldeutschland kontrollierte den Handel und hatte seine eigenen großen Herrscher. Die weißen Flecke (oder "Puzzleteile", wie die Autoren es nennen) lassen das verschwommene Bild Stück für Stück klarer erscheinen. Das Buch schafft es, dass man mehr über seine eigene frühzeitliche Vorgeschichte erfahren will und illustriert dies mit einer enormen Menge von Grafiken und Fotografien von Fundstücken.
Wer hat's geschrieben?
Das Buch wurde von Prof. Dr. Harald Meller, dem Direktor des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle (Saale) und dem Historiker und Literaturwissenschaftler Kai Michel verfasst. Dank Meller befindet sich das Original der Himmelsscheibe von Nebra in Halle, ebenso wie viele Ausstellungsstücke zum Volk der Aunjetitzer. Gemeinsam mit einem internationalen Team erforscht(e) Meller die Geheimnisse der Himmelsscheibe und hatte diese bereits in einem ersten Buch mit Michel zusammen festgehalten. Michel schreibt zudem für verschiedene Medien und lebt als Buchautor in Zürich und dem Schwarzwald.
Wie ist es geschrieben?
Mitreißend, leicht verständlich – an den meisten Stellen. Die Autoren arbeiten sehr bildhaft, nicht nur durch die beigefügten Illustrationen, sondern auch durch ihre Sprache. Wer sich ein wenig mit der Materie auskennt, versteht sofort, was Meller und Michel einem erzählen wollen. Für diejenigen, die mit der Bronzezeit nichts anfangen können, muss wahrscheinlich hin und wieder eine kurze Anfrage an Onkel Google gestellt werden. Grundsätzlich lässt sich alles aber sehr gut verstehen.
An der ein oder anderen Stelle ploppt vielleicht die Frage auf: "Und warum erzählen die mir das jetzt?" Doch nach ein paar Seiten versteht man das Warum und alles wirkt schlüssig. Mit all seinen neuen Informationen schafft es das Buch, die Leserin oder den Leser in seinen Bann zu ziehen. Geschmacksache mögen wohl die kurzen Zwischenkapitelchen sein. Mir persönlich hat das sehr gut gefallen, da man das Buch zwischendurch auch zur Seite legen und die entstandenen Bilder noch einmal für sich Revue passieren lassen kann.
Was bleibt hängen?
Vieles. Enorm vieles. Eine Himmelsscheibe, die den Menschen vor 3.800 Jahren den Himmel erklärte und auch Auskunft darüber gab, wann der beste Zeitpunkt für die Saat und die Ernte ist. Dann die schriftlose Hochkultur in Mitteldeutschland, die den Handel von Nord nach Süd und Ost nach West steuerte. Und noch mehr: Die Aunjetitzer haben riesige Grabhügel für ihre Herren errichtet – von denen heute durch die Landwirtschaft nicht mehr viele übrig sind. Dann war Europa, das damals bereits von Stonehenge bis nach Ägypten und Babylon verknüpft war, vor allem Mitteldeutschland schon immer ein Gebiet der Völkerwanderung. Aunjetitz war eines der Global Villages der Bronzezeit und bestand über 400 Jahre.
Aus heutiger Sicht vielleicht nicht gerade lang, aber sehr viel länger als der Staat, in dem wir heute leben. Eines zeigt das Buch definitiv: Wir sollten die Menschen zwischen 2500 und 1600 v. Chr. nicht unterschätzen.
Der Rezensent … liebt es, in Themen einzutauchen und sie greifbar zumachen. Seine Leidenschaft gilt dem Weltraum und der Raumfahrt. Und falls sich die Möglichkeit für einen Flug ins All ergibt, wäre er sofort dabei – auch wenn er bereits beim sich-treiben-Lassen auf dem Wasser seekrank wird. Für die multimediale Aufbereitung von Wissenscontent kann man ihn immer gewinnen.