Wissen, was wir lesen Licht im Dunkeln. Schwarze Löcher, das Universum und wir
Hauptinhalt
21. November 2021, 15:00 Uhr
Schwarz, haben wir gelernt, absorbiert das Licht. Wie fotografiert man dann etwas komplett Schwarzes, etwa ein Schwarzes Loch? Heino Falcke ist das 2019 gelungen, mit dem Schwarzen Loch M87. Das Bild ging um die Welt. Und jetzt hat Falcke ein Buch darüber geschrieben. MDR WISSEN-Autor Patrick Klapetz hat es gelesen und kann es nur empfehlen. Sein Fazit: Einfachheit in ihrer schönsten Form – und viele erleuchtende Aha-Momente in einem Buch vereint.
Wissen Sie noch, was Sie am 10. April 2019 gemacht haben? Nicht? Keine Sorge, ich bin auch nicht gut darin, mir Daten zu merken. Dafür kann ich mich aber an Ereignisse selbst erinnern und die einigermaßen zeitlich einordnen. Und ich wette darum, dass auch Sie dieses Ereignis miterlebt haben. Vielleicht nicht an dem Tag selbst, aber wenige Tage darauf: Die Veröffentlichung des ersten Bildes eines Schwarzen Lochs! Warum ich mir so sicher bin, dass auch Sie dieses Bild gesehen haben? Innerhalb von wenigen Stunden haben es sich vier Milliarden Menschen angeschaut – richtig gelesen: Vier Milliarden! Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung!
Es geht um mehr als „nur“ Schwarze Löcher
Genau um dieses Schwarze Loch und sein Bild geht es in dem Buch. Von dem langen Weg der Aufnahme über die Veröffentlichung und die Zeit danach. Aber auch über die Grundlagen von Schwarzen Löchern, von einem Quasar (dem aktiven Kern einer Galaxie) und dem Ablauf des Urknalls bis hin zu Dunkler Materie und Supernoven (helle Explosion am Lebensende eines Sterns). Man erfährt auch, wie Albert Einstein seine berühmten Theorien aufstellte, warum es so schwer ist, ein Schwarzes Loch zu fotografieren und warum das erste Bild eines Schwarzen Loches gar kein Schwarzes Loch zeigt.
Denn kein Schwarzes Loch können wir unmittelbar sehen, sondern immer nur seinen Schatten, das fehlende Licht. Das Schwarze Loch versteckt sich hinter diesem Schatten und gibt nicht alle seine Geheimnisse preis.
Fesselnd von der ersten Seite an
Es gibt schlechte Bücher, es gibt gute Bücher und es gibt Bücher, die einen fesseln. Letzteres ist bei einem Sachbuch gar nicht so einfach – der Autor Heino Falcke schafft es, indem er die Geschichte des Fotos mit der Erfoschung des Universums und mit seiner eigenen persönlichen Geschichte verbindet – aus seiner Kindheit erzählt, von einer Beinahe-Entführung seiner Kolleg:innen auf dem Weg zur Aufnahme und darüber, welche Spuren die lange Reise zum ersten Bild beim Autor hinterlassen haben.
So beschreibt er z.B., wie ihm der ganze Stress aufs Herz schlug und er einen Schritt langsamer machen musste. An anderen Stellen zeigt er demütige Dankbarkeit gegenüber allen Menschen, die letztlich mit ihren Steuern, aber auch durch ihre Arbeit fürs Gemeinwohl – seien es Bäcker, Raumpflegekräfte, Techniker – dieses Foto erst ermöglicht haben.
Als Kind hegte Falcke übrigens selbst eine große Begeisterung für die Arbeit der Müllabfuhr, die mit nur einem Knopfdruck die großen Tonnen bewegte. Sein Wunsch, später einmal große Maschinen zu bedienen, ging mit der Steuerung der Teleskope, die das Schwarze Loch beobachtet haben, in Erfüllung.
Gemeinschaftswerk eines Astrophysikers und eines Journalisten
Heino Falcke ist ein hochdekorierter Astrophysiker, der in Köln geboren und aufgewachsen ist. Auf diese Stadt nimmt er an ein paar Stellen Bezug – wie die obige Geschichte mit der Müllabfuhr – und in dieser Stadt und im benachbarten Bonn hat er auch studiert. Heute ist er Professor an der Radboud-Universität im holländischen Nijmegen. In den Niederlanden wurde ihm auch der Spinoza Preis verliehen, das Pendant zum Nobelpreis – wobei die höchste wissenschaftliche Auszeichnung der Niederlande höher datiert ist als der schwedische Preis. Dieses Geld wurde quasi vom gefräßigen Schwarzen Loch verschluckt.
Falcke, Jahrgang 1966, wurde beim Verfassen des Buchs von Spiegel-Redakteur Jörg Römer unterstützt. Römer wurde 1974 geboren und studierte in Hamburg Mesoamerikanistik, Lateinamerikastudien sowie Vor- und Frühgeschichte. Wenn er mal nicht als freier Journalist arbeitet, ist er als freiberuflicher Altenpfleger im Einsatz.
Die Einfachheit in ihrer schönsten Form
Falcke und Römer haben es geschafft, ein Buch zu schreiben, dass die komplexesten Dinge in unserem Universum so beschreibt, als wären sie das Alltäglichste der Welt. Man bekommt das Gefühl, als würden zwei wildfremde Menschen auf der Straße einfach über Einsteins Theorien sprechen oder über Quantenphysik diskutieren.
Einfachheit in ihrer schönsten Form – und viele erleuchtende Aha-Momente in einem Buch vereint.
Es wird auf komplizierte Formulierungen verzichtet und man merkt, dass dieses Buch für jedermann oder jederfrau geschrieben ist. Besonders schön ist auch, dass man beim Lesen anfängt, sich selbst Fragen zu stellen. Und als hätte das Buch diese gehört, beantwortet es genau jene nach ein paar Seiten selbst.
Die vorliegende "Illustrierte Ausgabe" enthält darüber hinaus über 240 farbige und sehr anschauliche Abbildungen und verbessert damit nochmals die erste Version des Buches.
Bereits die erste Hardcover-Fassung von letztem Jahr hatte mir sehr gut gefallen. Sie ist inhaltlich brillant und macht Spaß zu lesen. Die neue illustrierte Fassung hat all dies und ist zudem visuell extrem ansprechend. Man will das Buch in die Hand nehmen, es durchblättern und von irgendeinem Bild eingefangen werden. Dabei sieht man mehr als nur Schwarzes Löcher. Es sind Illustrationen von Einstein, Newton, Leibniz, unserem Sonnensystem, den alten Ägyptern, beeindruckenden Teleskopen in Wüsten und im Schnee der Alpen, von fernen Galaxien und viel mehr. Ein rundum gelungenes Werk.
Was bleibt hängen?
Wer dieses Buch liest, ist hinterher definitiv um einiges schlauer. Sehr interessant fand ich z.B., dass dieser rötlich-orange-gelb leuchtende Feuerkreis um das Schwarze Loch eigentlich gar nicht diese Farbe hat. Falcke musste das Bild nachträglich einfärben und hat sich für genau diese Farbpalette entschieden – die später auch die amerikanische Raumfahrtbehörde NASA beflügelt hat. Seit diesem Bild leuchten Schwarze Löcher in feurigen Farben.
Ebenfalls interessant: Das Schwarze Loch befindet sich in der Galaxie Messier 87 (M87) und dessen Ring hat einen Durchmesser von 42 Mikrobogensekunden. 42! Science-Fiction-Fans wissen genau, was es mit dieser Zahl auf sich hat. Die Antwort auf alles ist 42 – zumindest schrieb dies Douglas Adams, der Autor von "Per Anhalter durch die Galaxis". Das Schwarze Loch M87* ist circa 55 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt und befindet sich nahe des Zentrums des Virgo-Galaxienhaufens.
Übrigens: Das Schwarze Loch in der Mitte der Milchstraße aufzunehmen, wird um einiges schwerer werden. Denn all die Galaxien und der galaktische Staub zwischen uns (wir befinden uns am äußeren Rand unserer Milchstraße) liegen wie ein nebliger Schleier im Dickicht zwischen uns und Sagittarius A*. Vermutlich kann Falcke bald auch Licht ins dunkle Dickicht bringen.
Der Rezensent … liebt es, in Themen einzutauchen und sie greifbar zumachen. Seine Leidenschaft gilt dem Weltraum und der Raumfahrt. Und falls sich die Möglichkeit für einen Flug ins All ergibt, wäre er sofort dabei – auch wenn er bereits beim sich-treiben-Lassen auf dem Wasser seekrank wird. Für die multimediale Aufbereitung von Wissenscontent kann man ihn immer gewinnen.