LexiTV Die Bundeswehr

Entstanden im Kalten Krieg

12. November 2015, 17:15 Uhr

Keine andere westliche Armee hat so eine spannungsgeladene Identität wie die Bundeswehr. Die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs stellte an Deutschland den Anspruch einer pazifistischen Außenpolitik. Realpolitisch jedoch drängten die westlichen Bündnispartner auf eine militärische Einbindung der BRD in den Kalten Krieg.

Nach dem Zweiten Weltkrieg

1945 sah es nicht so aus, als würde es jemals wieder eine deutsche Armee geben. Zwei Weltkriege waren von Deutschland ausgegangen. Die Wehrmacht hatte in beispielloser Grausamkeit Millionen Tote, Zerstörung und Vertreibung über Europa gebracht. Obwohl es somit nahe lag, Deutschland zu einer entmilitarisierten Zone zu machen, gab es auch schon früh gegenteilige Überlegungen. Bereits in den Kriegskonferenzen von Teheran, Jalta und Potsdam wurden die Spannungen zwischen den USA, Großbritannien und Frankreich auf der einen und der Sowjetunion auf der anderen Seite immer deutlicher. Beide Seiten wollten ihre Einflussbereiche in Europa ausdehnen.

Demilitarisierung oder Wiederbewaffnung?

Auf der Potsdamer Konferenz beschließen sie eine komplette Demilitarisierung Deutschlands, was einerseits die Auflösung der Wehrmacht und aller NS-Kampfverbände und andererseits die Beseitigung des Waffenarsenals, sowie die Demontage der Rüstungsindustrie bedeutete.

Doch im Oktober 1955 ernannte Bundespräsident Theodor Heuss die ersten Soldaten der neuen Streitkräfte. Einen Monat später wurden die ersten Freiwilligen vom damaligen Verteidigungsminister Theodor Blank als Soldaten vereidigt. Das Datum gilt allgemein als die Geburtsstunde der neuen deutschen Armee, der Bundeswehr. In nur neun Jahren hat sich die Position von der Forderung zur totalen Entmilitarisierung hin zu einer Wiederbewaffnung verändert – besonders auf amerikanischer Seite. Wie es dazu kam, wird durch die weltpolitischen Entwicklungen verständlich.

Die USA engagierten sich nach 1945 nicht nur in Europa, sondern auch im pazifischen Raum. Zugleich zeichnete sich ab, dass die westlichen Alliierten keine einheitliche Lösung mit der Sowjetunion für das besetzte Deutschland finden würden. Während diese politische Entwicklung im Mai 1949 zur Gründung der BRD führte, wiesen amerikanische Generäle schon früh auf die Notwendigkeit hin, dass dieser westdeutsche Staat auch mittels eigener militärischer Kräfte in der Lage sein sollte, sich einem Ausbreiten der Sowjetunion in Europa entgegen zu stellen.

„Staatsbürger in Uniform“

Im Jahr 1956 wurde im Grundgesetz mit dem Paragraf 87a der Grundstein für eine Wiederbewaffnung der BRD gelegt. Hier heißt es: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf“. Nicht nur bei der Wahl des Namens bemühte man sich mit der Tradition der alten Wehrmacht gründlich zu brechen. Die „Bundeswehr“ soll eine „Parlamentsarmee“ sein, ausschließlich der Bundestag über Art und Umfang eines Einsatzes der Streitkräfte beschließen können. Es gilt das sogenannte „Primat der Politik“.

Die Bundeswehr ist eine reine Verteidigungsarmee - Artikel 26 des Grundgesetzes verbietet ausdrücklich die Vorbereitung eines Angriffskrieges. Und auch das Bild des Soldaten soll sich wandeln, weg vom kalten Befehlsempfänger, hin zum „Staatsbürger in Uniform“. Beim Aufbau der Bundeswehr setzt man daher auf ein Konzept, das später unter dem Begriff der „Inneren Führung“ bekannt wird. Es soll die Spannungen mindern, die aus den individuellen Rechten des Bürgers und den militärischen Pflichten des Soldaten entstehen. So behalten die Soldaten der Bundeswehr, anders als die der Reichswehr oder der Wehrmacht, das volle Wahlrecht. Viele NS-Kriegsverbrecher wollten sich ihrer Verantwortung entziehen, mit dem Verweis darauf, sie seien nur Befehlsempfänger gewesen. Deshalb wurde den Soldaten der Bundeswehr hinsichtlich ihrer Gewissensentscheidungen ein Freiraum geschaffen.

Das „Amt Blank“

Konrad Adenauer nannte schon im März 1949 den vollen Beitritt zur NATO eines der wichtigsten Ziele der ersten westdeutschen Regierung. Das bedeutete Wiederbewaffnung. Der Ausbruch des Korea-Kriegs 1950 löste auch unter den westlichen Alliierten ein Umdenken über einen westdeutschen Beitrag zur Verteidigung Europas aus. Adenauer beauftragte einen Kreis ehemaliger Wehrmachtoffiziere damit, ein Konzept zum Aufbau einer Verteidigungstruppe zu erarbeiten. Dabei ging es sowohl um ganz praktische Fragen, wie eine Wiederbewaffnung durchgeführt werden sollte, als auch um die Legitimation der Truppe. Sie durfte keinen „Staat im Staate” bilden, wie es die Reichswehr gewesen war. Die Bundeswehr sollte eine Parlamentsarmee sein und ihre Soldaten unter dem Prinzip der Inneren Führung als Staatsbürger in Uniform gelten. Doch zu Beginn der Bundeswehr war gerade das Prinzip der Inneren Führung eher von theoretischer Bedeutung. Es fehlte schlicht das Personal und so griff man auch hier auf ehemalige Wehrmacht-Soldaten zurück.

Im Oktober 1950 berief Adenauer Theodor Blank zum „Beauftragten des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen“. Aus dem sogenannten „Amt Blank“ sollte später das Bundesministerium der Verteidigung hervorgehen. Seine vorrangige Aufgabe war die Vorbereitung der Wiederbewaffnung. Dazu wurde 1951 zunächst der paramilitärisch organisierte Bundesgrenzschutz aufgestellt, aus dem die heutige Bundespolizei hervorgegangen ist. Die Grenzschutztruppe war das Gegenstück zu den kasernierten Einheiten der Volkspolizei der DDR.

Sowohl Eisenhower als auch Adenauer erkennen schnell, dass man angesichts des Personalmangelns „pragmatisch“ vorgehen muss: Zu diesem frühen Zeitpunkt sind kaum Nachkriegsjahrgänge verfügbar und so waren die ersten Angehörigen von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz auch Offiziere und Unteroffiziere, die in der Wehrmacht gedient hatten. Erster Generalinspekteur der Bundeswehr wird General Adolf Heusinger, der bis 1944 in der Wehrmacht die Operationsabteilung des Generalstabes im Oberkommando des Heeres geführt hatte. Zumindest personell ist es schwierig von einem „Neuanfang“ zu sprechen. Erst das Eintreten jüngerer Jahrgänge in den 1960er Jahren stärkt das neue Bild des Soldaten.

Beitritt zur Nato

Von Beginn an war die neue deutsche Armee als Beitrag zur Verteidigung Europas im Umfeld der NATO und im Rahmen eines westeuropäischen Verteidigungskonzepts geplant. Im Oktober 1950 hatte der französische Ministerpräsident René Pleven den nach ihm benannten Pleven-Plan vorgelegt, wonach die Armee eines wiederbewaffneten Deutschland vollständig in einer neu zu gründenden europäischen Armee aufgehen sollte. Die Verträge zur Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) wurden 1952 von Frankreich, Deutschland, Italien und den Benelux-Staaten unterzeichnet. Ihre Umsetzung scheiterte jedoch, da die französische Nationalversammlung die Ratifizierung verweigerte. Nicht zuletzt auf Drängen der USA traten Deutschland und Italien schließlich 1954 dem zur Westeuropäischen Union (WEU) erweiterten Brüsseler Pakt bei. Dieser war 1948 von Frankreich, Großbritannien und den Benelux-Staaten zum Zweck der gemeinsamen Verteidigung geschlossen worden.

Bereits im Mai 1952 wurde der so genannte „Deutschlandvertrag“ zwischen der BRD und den Westalliierten beschlossen. Er trat 1955 gleichzeitig mit dem Beitritt zur NATO in Kraft und regelte das Ende der Besatzung. Die BRD bekam die Rechte eines souveränen Staates. Zugleich verpflichtete sie sich zur gemeinsamen Verteidigung mit den Westmächten. Ohne einen Beitritt zur Nato und WEU hätte es also keine Wiederbewaffnung geben können.

Der Aufbau

Der eigentliche Aufbau der Bundeswehr begann 1955 nach der Unterzeichnung eines Abkommens über gegenseitige Verteidigungshilfe zwischen den USA und der BRD. Darin sichern die USA den zukünftigen westdeutschen Streitkräften umfangreiche Rüstungslieferungen zu. Zwei Wochen später verabschiedet der Bundestag das so genannte „Freiwilligengesetz“. Es gestattet die Rekrutierung von 6.000 Freiwilligen in die Bundeswehr. Ein Großteil dieser Freiwilligen wurde aus Mitgliedern des Bundesgrenzschutzes rekrutiert.

Im September 1955 legte die Bundesregierung einen Aufstellungsplan vor. Bis 1959 sollte der Aufbau des Heeres, bis 1960 der von Luftwaffe und Marine abgeschlossen sein. Die Gesamtkosten dieses Planes wurden mit 51 Milliarden D-Mark beziffert. Gut 27.0000 Soldaten zählt die Truppe bis 1960.

In der öffentlichen Diskussion spielt von Beginn an die Bewaffnung und Ausrichtung der Bundeswehr eine große Rolle. Während die Westmächte der nuklearen Aufrüstung im Osten mit einem Ausbau ihres Atomarsenals begegneten, hatte Adenauer schon im Oktober 1954 eine Erklärung zur Rüstungsbeschränkung abgegeben. Zwar verzichtete die BRD damit auf die Herstellung von atomaren, chemischen und biologischen Waffen, auf Drängen der NATO unterstützt Adenauer aber die Ausrüstung der Bundeswehr mit Trägersystemen, während die Amerikaner die dazugehörigen Atomsprengköpfe verwalteten.

Die Widerstände innerhalb der Parteien und der Bevölkerung gegen waren von Beginn an enorm. Die Frage, ob Deutschland nach den Erfahrungen des Dritten Reiches überhaupt über eine Armee verfügen soll, spaltete die Parteien und führte schließlich zur Gründung der Friedensbewegungen. Mit den Plänen zur Anschaffung der Trägersysteme stieß der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß bei großen Teilen der Bevölkerung auf Ablehnung. Über eine Million Deutsche gingen auf die Straße, doch am Ende beschloss der Bundestag 1958 die Ausrüstung der Bundeswehr mit Trägersystemen für Nuklearwaffen. Deutsche Piloten trainierten fortan über Deutschland den Abwurf von Atombomben.

Der Nato-Doppelbeschluss

In den 1980er-Jahren sorgte der NATO-Doppelbeschluss für große Aufregung und heftige Debatten. Der Beschluss vom 12. Dezember 1979 bestand aus zwei Teilen. Zunächst bot er dem Warschauer Pakt Verhandlungen über eine beidseitige Begrenzung sowjetischer und amerikanischer atomarer Mittelstreckenraketen an (ausgenommen waren allerdings die französischen und ein Teil der britischen Atomraketen).

Sollten die Verhandlungen zu keinem Erfolg führen, kündigte er allerdings auch gleich die Aufstellung einer neuen Generation amerikanischer Raketen vom Typ »Pershing II« und »Cruise Missiles« in Westeuropa an. Die Verhandlungen scheiterten, die BRD setzte gegen großen Widerstand in der Bevölkerung die atomare Nachrüstung im NATO-Doppelbeschluss durch und die Raketen wurden schließlich 1983 aufgestellt. Erst vier Jahre später einigten sich die USA und die Sowjetunion im INF-Vertrag auf den Rückzug und die Vernichtung aller Raketen mit mittlerer und kürzerer Reichweite in Europa.