Ersatz für Kohle Algen für die Energie der Zukunft

26. August 2019, 10:08 Uhr

Leipziger Forschern ist es gelungen, Algen so zu manipulieren, dass sie nicht mehr wachsen. Stattdessen produzieren sie einen energiereichen Stoff. Lebende Pflanzen können so Energieträger der Zukunft werden.

Der Leipziger Pflanzenwissenschaftler Prof. Christian Wilhelm fängt erst einmal beim grundsätzlichen Problem an: Die Kohlezeit geht zu Ende. Wir brauchen also einen Ersatz. Jetzt würden viele Menschen Fotosynthese und Kohle nicht beim ersten Gedankengang miteinander in Verbindung bringen. Beim zweiten aber schon, glaubt Wilhelm. Denn Kohlenstoff aus Pflanzen sei eine Alternative zur Kohle: "Bio-Ökonomie läuft auf der Grundlage von Biomasse, die man in der Regel auf landwirtschaftlichen Nutzflächen herstellt. Und die hat den Haken, das sie relativ wenig effizient ist. Das heißt, die Menge an Kohlenstoff, die man pro Fläche und Jahr gewinnt, ist relativ klein."

Biomasse-Produktion verbessern

Beispiel Kartoffelacker: Wenn alles gut geht, erntet der Bauer 30 Tonnen Kartoffeln. Daraus kann man knapp sechs bis sieben Tonnen Stärke gewinnen. Die Stärke könnte anschließend in Bioreaktoren in Methan umgewandelt werden. Was da am Ende rauskäme sei aber nichts im Vergleich zu der Energie, die man über Kohle gewinne, betont Wilhelm: "Und da ist die Frage, wie man die Biomasse-Produktion verbessern könnte."

Neue Energie aus neuen Pflanzen

Fossile Energie adé, guten Tag neue Energie. Und die kommt nun mal aus neuen, also jungen Pflanzen und nicht aus solchen, die schon Millionen Jahre unter der Erde vor sich hin gammelten und zu Kohle, Erdöl oder Erdgas wurden. Doch junge Pflanzen haben es in sich. Oder besser gesagt: Sie haben zu wenig in sich, zu wenig Energie.

Dazu Wilhelm: "Und da wissen wir aus umfangreichen Forschungsarbeiten, dass der limitierende Schritt bei Pflanzen in der Fotosynthese nicht die Fotosynthese ist, sondern die Umwandlung des von der Fotosynthese gelieferten Zuckers in die Biomasse, also in Blätter, Wurzeln usw. Dabei verliert man den größten Teil der Energie."

Pflanzen als Durchlauferhitzer

Glasröhren mit Algen im Institut für Getreideverarbeitung in Nuthetal/Bergholz-Rehbrücke in Brandenburg
Glasröhren mit Algen im Institut für Getreideverarbeitung in Nuthetal/Bergholz-Rehbrücke in Brandenburg. Dort wird schon länger an der Algenzucht für die Biosprit-Herstellung geforscht. Bildrechte: imago/Bernd Friedel

Blätter, Stängel, Wurzeln, Blüten - alles Energieverschwendung. Wir brauchen also keine wogenden Felder, keine stramm stehenden Maisstängel, keine schnell wachsenden Bäume, sondern die Pflanze als eine Art Durchlauferhitzer. Oben kommt was rein, unten kommt was raus. In dem Fall Glykolat, man könnte es auch als Stärke bezeichnen. Diesen energiereichen Stoff will Pflanzenphysiologe Wilhelm aus Algen gewinnen. Und das geht so: "Wir nehmen Algen auf einem Biofilmreaktor. Die sehen später mal aus wie ein ganz normales Photovoltaik-Paneel. Nur sind da lebende Zellen auf einem Trägermaterial drauf."

Mit CO2 Wachstum stoppen

Diese Paneele werden hochkant nebeneinander auf ein Feld gestellt und sind geschützt durch ein Gewächshaus. In den Paneelen sind die Algen, die nicht wachsen, sondern nur Stärke produzieren. Doch wie soll das gehen, Algen die nicht wachsen? Um das zu verstehen, erklärt Wilhelm die Fotosynthese. Entscheidend sei das Verhältnis von Sauerstoff zu CO2.

Wilhelm versorgt die Algen mit Wasser, Sauerstoff und etwas mehr CO2, als sie bräuchten. Und damit stoppt er ihr Wachstum: "Die Zelle wird sozusagen zu einer Glykolat-Produktionsmaschine. Wir haben hingekriegt, dass über Wochen diese Zellen nicht wachsen, ohne Aktivität zu verlieren. Das heißt, sie sind permanent aktiv. Sie zeigen eine extrem hohe Fotosynthese-Leistung."   

Und so produzieren sie jede Menge Glykolat. Das fließt dann direkt in ein Silo hinein. Oder gleich in einen Fermenter, wo es zu Methan vergärt. Silo oder Fermenter stehen gleich neben dem Gewächshaus. Der Ertrag, so Wilhelm, sei doppelt so hoch wie auf einem Maisacker und er sei auch noch wetterunabhängig.

Mehr als nur Energie

Prof. Andreas Schmidt
Prof. Dr. rer. nat. Andreas Schmidt Bildrechte: UFZ/ Sebastian Wiedling

Prof. Andreas Schmid leitet am Helmholtz Zentrum für Umweltforschung die Abteilung für Umwelttechnik und Biotechnologie, die sich auch mit solaren Materialien befasst. Er möchte aus dem Glykolat mehr machen als nur Energie: "Kollege Wilhelm nimmt Algen, macht aus Sonne und Wasser und CO2 sein Glykolat, also eine Chemikalie. Und das ist der Grundstoff für viele weitere Dinge. Und da ist unser erstes Beispiel Limonen, als Geruchs- und Geschmacksstoff. Oder vielleicht in abgewandelter Form irgendwann als Kerosin-Ersatz."

Aus Glykolat könnten also Geruchs- und Geschmacksstoffe hergestellt werden. Vor allem aber auch Treibstoffe der neueren Generation, ebenso Bioplastik. Das alles aus Gewächshäusern, statt von wogenden Feldern.

Pläne für Tagebau-Gebiete

Aber wo sollen die Gewächshäuser stehen? Und bedeutet das, dass noch mehr Boden zugebaut wird und noch weniger Platz für blühende Wiesen oder Wälder bleibt? Dazu Schmid: "Die Ausbaustufe ist, dass wir tatsächlich reingehen wollen in den Tagebau."

Tagebau
Alte Tagebauflächen könnten künftig Algenreaktoren Platz machen. Bildrechte: MDR Wissen

In ehemaligen Tagebau-Gebieten gebe es noch keine Muttererde. Sie müsse erst neu entstehen und das dauere bis zu zehn Jahre. Dort sei deshalb ein idealer Platz, so der Helmholtz-Wissenschaftler: "Dass man im Tagebau eine Anlage hat, dass man über die Algen das Glykolat herstellt und dort vor Ort Werkstoffe macht, das ist also - man kann sagen - eine Chemiefabrik. Ist aber neue Chemie. Deswegen nennt sie der Kollege Wilhelm neue, grüne Chemie."

Gewächshäuser und Wiesen für Insekten

Und als Ausgleich, damit der Boden nicht zugebaut wird, kommen Wiesen mit Blühpflanzen für Insekten daneben, so die Pläne. Denn die Algen von Wilhelm leben in geschlossenen Kreisläufen und bräuchten kaum Wasser. Das Regenwasser könnte man unter den Gewächshäusern sammeln und für benachbarte Flächen nutzen. Da sollen blühende Wiesen entstehen, Weideland für Insekten, die in trockenen Wochen bewässert werden können. Dass das geht, ist jetzt klar, sagen die Forscher. Gelder für die Umsetzung sind beantragt. Sobald sie fließen, soll es losgehen.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 18. August 2019 | 09:20 Uhr