Evolution Experiment der Evolution: Adlerhai ist Mischung aus Hai und Rochen

21. März 2021, 10:00 Uhr

Wissenschaftler entdeckten vor zehn Jahren auf einer Kalkplatte das riesige Fossil eines unbekannten Mischwesens. Wie Forschende herausfanden, handelt es sich dabei um eine Mischung aus Hai und Rochen. Guido Meyer stellt dieses Experiment der Evolution vor.

Rekonstruktion eines Aquilolamna milarcae 5 min
Bildrechte: Vullo et al., Science (2021)

Ein Hai ist ein Hai, und ein Rochen ist ein Rochen. Das eine ist ein Räuber der Meere, blitzschnell und mit spitzen Zähnen; das andere sind harmlose Planktonfresser, die mit ihren riesigen Schwingen sanft durch den Ozean gleiten. Ein Weißer Hai und ein Mantarochen – unterschiedlicher geht es kaum. Doch die Evolution geht manchmal merkwürdige Wege. In Mexiko haben Forscher ein Tier ausgegraben, das aussieht wie eine Kreuzung aus Hai und Rochen. Es ist das bislang einzige Exemplar solch eines Zwitters, das jemals gefunden wurde. Und es ist so gut erhalten, dass die Wissenschaftler nicht glauben konnten, was für ein Mischwesen sie dort vor sich hatten.

Rückblick nach Mexiko

Herbst 2011 im Nordosten von Mexiko: Einwohner haben eine Kalkplatte aus dem Boden gelöst, in der sie glaubten, die Umrisse eines Fossils zu entdecken. Ein Team von Wissenschaftlern eilte herbei, um den Fund abzutransportieren. "Ich war dabei, wie er abgeholt worden ist", erinnert sich der Paläobiologe Eberhard Frey vom Staatlichen Museum für Naturkunde in Karlsruhe. "Was wir gesehen haben, war einfach die gesamte Platte auf einem Pick-Up-Truck."

Riesenfossil auf dem Pick-Up

Fossiles Exemplar von Aquilolamna milarcae aus der Kreidezeit von Mexiko
Riesiges Fossil eines Adlerhais auf der Kalplatte aus Mexiko Bildrechte: Vullo et al., Science (2021)

Frey kann sich noch genau erinnern, wie einer der Finder die Ladeluke öffnete und seinen Fund präsentierte. "Der klappte den Deckel hinten runter, und ich habe gedacht, mir fällt der Unterkiefer ab, so was hatte ich vorher nie gesehen", erklärt er. Frey und seine Kollegen erkannten sofort das Fossil in der Kalkplatte. "Man sah sofort die gesamte Wirbelsäure, die Schwanzflosse war schön erhalten mit allen Flossenstrahlen drin", erinnerte er sich weiter. "Man erkannte den gesamten Körperumriss und konnte sich die Körperform wirklich toll vorstellen. Das Fossil ist wunderschön erhalten, nur die Spitze der linken Flosse fehlt."

Haie haben kein Knochenskelett

Delfine, Haie und Sardinen
Haie haben kein Skelett aus Knochen, sondern aus Knorpel. Bildrechte: MDR/WDR/BBC/Alexander Safonov

Als Christina Ifrim, wissenschaftliche Museumsleiterin des Jura-Museums im bayerischen Eichstätt das Fossil sah, vermutete sie erst, dass es sich bei diesem Tier im Kalk mit all seinen Flossen um den Abdruck eines Hais handeln müsste. "Doch Haie haben kein Knochenskelett, sondern eines aus Knorpel", erklärt Ifrim. "Knorpel sind jedoch ebenso wie Hautumrisse praktisch nicht erhaltbar."

Das sind wirklich ganz seltene Ausnahmen. Und so ein großes Tier so vollständig zu sehen und dann auch noch so ein außergewöhnliches Tier – das ist auch für uns Wissenschaftler immer ein besonderer Moment.

Dr. Christina Ifrim Leiterin des Jura-Museums Eichstätt

Nordosten Mexikos früher von Meerwasser bedeckt

Diese Gegend im Nordosten Mexikos war früher von Meerwasser bedeckt. Aus irgendeinem Grund ist das Knorpelskelett dieses Fisches mineralisiert – es haben sich also Kalkkristalle in der Knorpelsubstanz gebildet. Das erweist sich als unglaublicher Glücksfall für die Wissenschaftler. "'Engel des Meeres' haben wir ihn genannt", erklärt Frey. "Bis jetzt der Name 'Aquilolamna milarcae' geprägt wurde. Wir haben ihn einfach übersetzt mit 'der Adlerhai'."

Spannweite der Brustflossen beträgt 1,70 Meter

Ob Engel oder Adler – seinen Namen verdankt Aquilolamna seinen Schwingen. Denn seine Vorderflossen hatten sich bis auf eine Länge entwickelt, die den Fisch breiter machte als lang. Das Fossil kommt auf eine Länge von ein Meter sechzig. Die Spannweite seiner Brustflossen beträgt ein Meter siebzig.

Art noch niemals zuvor beschrieben

"Aquilolamna  ist ein ganz neu entdeckter Hai aus der Kreidezeit. Er sieht aus wie eine Mischung aus einem Mantarochen und einem typischen Hai", erklärt Romain Vullo von den Geowissenschaften der Universität von Rennes. "Solche Formen finden wir bei modernen Haien nicht. So eine Art war noch niemals zuvor beschrieben worden. Und bislang haben wir nur dieses eine Exemplar dieser Spezies gefunden."

Stegosaurus
Als die Dinosaurier lebten, schwamm auch der Adlerhai durch die Ozeane. Bildrechte: imago images / agefotostock

Ohne Nachfahren

Zehn Jahre lang, seit dem Fund der Kalkplatte in Mexiko, hat der Wirbeltierpaläontologe Vullo das Mischwesen und seine hundertfünfzig Knochen untersucht. Dabei stellte er sich immer wieder die Frage, welchen Spaß die Evolution sich damit getrieben haben mag. "Der Adlerhai ist einzigartig in der Geschichte der Haifische. Und es gab ihn nur gegen Ende der Kreidezeit. Er ist ausgestorben, ohne irgendwelchen modernen Nachfahren zu hinterlassen."

Adlerhai flog in der Kreidezeit über die Ozeane

In der Kreidezeit, als der Adlerhai mit seinen Schwingen durch die Ozeane flog, herrschten an Land noch die Dinosaurier. Am Ende der Kreidezeit starben sie aus – alle miteinander: die Dinos an Land, die Flugsaurier in der Luft, die Haie im Wasser. Und dann geschah das Bemerkenswerte: "Diese Formen in der Evolution wiederholen sich mitunter", erklärt Wirbeltierpaläontologe Vullo. "Die Evolution experimentiert gerne. Fische, die mit großen Flossen durch das Wasser fliegen, sind ja dann noch einmal entstanden. Zu einem späteren Zeitpunkt innerhalb der Rochen."

Evolution setzt sich bei den Rochen fort

Die Rochen machten laut Vullo also da weiter, wo der Adlerhai aufgeben musste. Bis heute gibt es  Rochen – von kleinen, aggressiven Nagelrochen bis hin zu den riesigen, harmlosen, planktonfressenden Mantas. Aquilolamna jedoch, der Hai mit den Rochenschwingen – den brachte die Evolution nicht zurück. "Es ist nur ein einziges Exemplar von diesem Tier gefunden worden", erklärt Vullo.

Rekonstruktion eines Aquilolamna milarcae
Der Adlerhai (Aquilolamna milarcae) schwamm zu der Zeit als auch die Saurier lebten durch die Ozeane. Bildrechte: Vullo et al., Science (2021)

Überreste deuten auf mehr als ein Tier hin

Bislang nicht zuordenbare Überreste deuten jedoch darauf hin, dass es mehr als ein Tier gegeben hat. "Man hat aber Zähne und Überreste gefunden von Tieren, die möglicherweise in die gleiche Gruppe gehören, von denen man vorher gar nicht wusste, wie man sie zuordnen sollte." Die Zähne des Adlerhais waren extrem klein. Er fraß wahrscheinlich Plankton, so wie seine heutigen Verwandten, der Riesenhai, der Walhai und der Riesenmaulhai. "In Nordamerika kennt man eben Zähne, Schuppen oder andere Überreste von Haien, die möglicherweise in die gleiche Gruppe der Adlerhaie gehören", sagt der Paläontologe.

Es scheint also mehr als einen Adlerhai im Laufe der Evolution gegeben zu haben – ein Mischwesen, dessen Existenz selbst Experten überrascht hat. "Die beste Fantasie reicht nicht aus, wenn man bestimme Tiere findet, die diese Fantasie sprengt", erklärt Vullo.

Bearbeitung: Katrin Tominski

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