Grüner wird's nicht? Europa und das kritische Metall Lithium: Zwischen Bedarfsexplosion und Recycling-Realität
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12. Juni 2023, 12:39 Uhr
Der globale Bedarf an Lithium steigt aktuell explosionsartig – und das auch, weil die EU sich ambitionierte Ziele für Elektromobilität gesetzt hat. Angesichts der steigenden Preise für Lithium wird auch das Recycling des Stoffes, beispielsweise aus Batterien, immer wichtiger. Hier fehlt es aber noch an Konzepten.
Mit dem "Europäischen Grünen Deal" hat die Europäische Kommission im Dezember 2019 ein Konzept vorgestellt, das große klimapolitische Veränderungen bringen und Europa bis zum Jahr 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent machen soll. Mit den Plänen soll das 2015 beschlossene Pariser Klimaabkommen umgesetzt werden. Das EU-Konzept sieht eine Senkung der Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent vor, bis 2050 sollen in Europa keine Emissionen mehr ausgestoßen werden. Von Seiten Brüssels wird das Programm mit einem Drittel der 1,8 Billionen Euro schweren Investition aus dem Aufbauplan NextGenerationEU und dem siebenjährigen EU-Haushalt finanziert werden. Daneben setzt die Kommission auf den Einsatz von öffentlichen und privaten Investitionen.
Der Grüne Deal umfasst eine Reihe von Maßnahmen, die eigentlich alle wirtschaftlichen Sektoren der EU betreffen, wie etwa die Finanzmarktregulierung, die Energieversorgung, den Handel, die Industrie, die Land- und Forstwirtschaft sowie den Verkehr. Bei der Mobilität spielt vor allem der Umbau des Straßenverkehrs eine Rolle. Denn derzeit macht der Autoverkehr rund ein Fünftel aller Treibhausgasemissionen in der EU aus. Seit 1990 ist dieser Anteil um elf Prozent gestiegen. 2020 kam 90 Prozent der Energie, die im Straßenverkehr verbraucht wurde, aus fossilen Energieträgern. Das Verbot des Verbrennermotors bei Pkw ist in Europa ab 2035 beschlossene Sache.
Bis 2030: 30 Millionen E-Autos in der EU
Doch was kommt nach dem Verbrenner? Die EU setzt im Bereich Verkehr vor allem auf E-Mobilität. Um ihre Klimaziele zu erreichen, müssen bis 2030 mindestens 30 Millionen E-Autos auf den europäischen Straßen unterwegs sein, 15 Millionen davon allein in Deutschland. Laut Eurostat waren 2021 knapp zwei Millionen E-Autos unterwegs, rund 600.000 davon in Deutschland. Für die Klimaziele der EU bedeutet das, dass noch 28 Millionen E-Autos auf die Straßen gebracht werden müssen, und (Stand 2023) noch 14 Millionen in Deutschland.
Damit einher geht eine extrem wachsende Nachfrage nach relevanten Rohstoffen, die vor allem in den Akkus der Autos gebraucht werden. Derzeit sind das Nickel, Mangan, Graphit und besonders Kobalt und Lithium. Laut den Daten des United States Geological Survey ist der globale Lithiumbedarf von 40.000 Tonnen im Jahr 2015 auf 134.000 Tonnen im Jahr 2022 gestiegen.
Laut Forschenden der KU Leuven in Belgien soll der Anstieg des Bedarfs bis 2050 noch weiter explodieren. Allein für die EU prognostizieren sie zwischen den Jahren 2020 und 2050 einen Sprung von 23.000 auf 861.000 Tonnen – eine Steigerung von rund 3.500 Prozent. Expertinnen und Experten sprechen deshalb auch von einem Goldrausch auf das wichtige Edelmetall oder bezeichnen den Stoff als "weißes Gold". "Lithium und seltene Erden werden bald wichtiger sein als Öl und Gas", sagt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Zu hundert Prozent von Importen abhängig
Doch bereits in naher Zukunft könnte Lithium ein kritisches Thema sein, so Michael Schmidt von der Deutschen Rohstoffagentur (DERA). "Wir werden 2030 zwischen Angebot und Nachfrage von Lithium vermutlich eine Lücke sehen." Das Problem: Europa ist bei Lithium zu 100 Prozent von Importen abhängig. Laut einer Studie der DERA sind die Top-Player beim Abbau Australien, China, Chile und Argentinien. Die Weiterverarbeitung des Rohstoffs findet zu 60 Prozent in China statt.
Um dem entgegenzuwirken, hat die EU im Zuge des Grünen Deals im März 2023 den "Critical Raw Materials Act" (CRMA) vorgestellt. Mit dem Gesetzespaket sollen alle Teile des Wertschöpfungsprozesses von kritischen Rohstoffen in der EU gestärkt werden – auch bei Lithium. Die starke Abhängigkeit vom Weltmarkt soll so gebrochen werden. Gerade in Zeiten von Kriegen wie in der Ukraine oder der unsicheren Situation zwischen China und Taiwan soll mehr aus dem europäischen Binnenmarkt heraus entstehen.
Lithium aus dem Erzgebirge für die europäische Versorgung
Dafür hat EU-weit die Suche nach Lithiumvorkommen begonnen. In Deutschland sind diese vor allem im Oberrheingraben und im sächsischen Zinnwald an der Grenze zu Tschechien. Im Erzgebirge soll ab dem Jahr 2025 erstes Erz abgebaut werden. Diese und andere europäische Projekte könnten einen substanziellen Beitrag zum wachsenden Bedarf von Lithium in der EU leisten, so Michael Schmidt von der DERA. "Ich halte es für realistisch, dass wir bis 2030 25-40 Prozent des EU-Bedarfs an Lithium selbst decken können. Eine komplette Eigenversorgung werden wir in Europa aber nicht hinbekommen." Bis 2030 wird es laut dem Experten der DERA in der EU nicht möglich sein, selbst genug Lithium für den Eigenbedarf zu fördern, um die explodierende Nachfrage zu decken: "Es gibt bis 2030 nicht genug neue Projekte, die rechtzeitig umgesetzt werden können." Ein weiteres Problem sieht Schmidt in der Finanzierung dieser potentiellen Projekte sowie im Aufbau einer entsprechenden Wertschöpfungskette.
Deshalb spielt im CRMA neben dem Abbau von Lithium auch das Recycling von Altbatterien eine wichtige Rolle. Für die EU ist das eine Methode, um den Lithiumbedarf neben dem Abbau zu decken. Gerade in einer Zeit, in der der Preis für den Rohstoff ebenso rasant steigt wie der Bedarf. Allein zwischen 2019 und 2023 ist der durchschnittliche Preis für eine Tonne Lithium von knapp 10.000 Dollar auf rund 50.000 Dollar gestiegen – eine Verfünffachung in nur vier Jahren.
Lithiumprodukte "Battery grade" Lithiumcarbonat hat einen Reinheitsgrad von mehr als 99,5 Prozent und wird zur Herstellung von Batterien benötigt. "Technical grade" Lithiumcarbonat hat einen Reinheitsgrad zwischen 99,3 und 99,5 Prozent und wird in der Glas- und Keramikherstellung verwendet. Spodumen ist ein Lithiummineral und dient unter anderem zur Weiterverarbeitung in andere Lithiumprodukte. Da das Erreichen der Reinheitsgrade ein aufwändiger Prozess ist, fällt der Preis für Lithiumcarbonat höher aus als der von Spodumen.
Lithiumrecycling und seine Probleme
Was liegt da näher, als bereits verbautes Lithium wiederzuverwenden? Das sehen die Forschenden der KU Leuven ähnlich: Sie gehen davon aus, dass Europa den Rohstoffbedarf dieser Metalle im Jahr 2050 zu 45 bis 77 Prozent aus recycelten Materialien decken kann. Vor allem ab dem Jahr 2035 wird mit stark steigenden Recyclingquoten gerechnet, da dann die ersten Elektroauto-Batterien, die jetzt auf dem Markt sind, das Ende ihres Lebenszyklus erreichen. Auch die EU-Kommission scheint auf Recycling zu setzen. Neben der Erwähnung der Recyclingquoten im CRMA, ist das verstärkte Wiederverwenden der verbauten Metalle auch in der Ende 2022 in Kraft getretenen EU-Batterieverordnung festgeschrieben. 35 Prozent des in Batterien verwendeten Lithiums soll ab 2026 recycelt werden, ab 2030 steigt diese Zahl auf 70 Prozent. Das sind ehrgeizige Ziele und wenn man, wie die EU auf eine Kreislaufwirtschaft setzt, wohl auch die richtigen.
Allerdings spiegeln sich die Quoten und Wünsche der EU zum Recycling bisher nicht in der Praxis wider. "Die Praxis ist bis heute noch, zumindest in der EU, dass Lithium kaum zurückgewonnen und dementsprechend auch noch nicht in neuen Produkten eingesetzt wird. Dies wird sich in den nächsten Jahren jedoch deutlich verbessern", sagt Johannes Betz, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Öko-Institut in Darmstadt. Derzeit wird also fast nichts vom recycelten Lithium in neuen Batterien verwendet. Der Grund dafür ist einfach: Es ist aufwändig und hat sich bisher nicht gelohnt. Batterien werden geschreddert oder eingeschmolzen. Damit lassen sich Nickel, Kobalt und Kupfer separieren und wiederverwenden, aber Lithium geht für den erneuten Einsatz in Batterien fast komplett verloren. Das liegt daran, dass der technische Prozess noch nicht wirtschaftlich ist. Denn damit Lithium für Batterien verwendet werden kann, muss es eine Reinheit von mehr als 99,5 Prozent aufweisen, so Michael Schmidt von der DERA. Das bedeutet, dass der Anteil an Spurenelementen im Lithiumprodukt, wie etwa Eisen sehr gering sein muss. Lithium mit diesem Reinheitsgrad nennt sich "battery-grade". Alle anderen Lithiumprodukte mit weniger Reinheit können meist nicht für die Batterieherstellung verwendet werden, wie auch das Lithium, welches durch Recycling gewonnen wird. Dieses landet also nicht in neuen Batterien, sondern in Schlacke, die unter anderem zum Straßenbau genutzt wird.
Ein weiteres Problem für Johannes Betz vom Öko-Institut ist die Logistik hinter dem Recycling. Das Auseinanderbauen der Batterien, das Entfernen aus Autos und die Aufbewahrung seien mit Risiken und teils hohen Kosten verbunden. Es gebe Recycler, die von Bränden in ihren Anlagen berichtet haben. Vor allem der Transport ist derzeit noch eine Herausforderung. Laut Betz wird im Moment aufgrund der geringen Mengen von ausrangierten E-Autobatterien in einem LKW häufig nur eine Batterie transportiert. Das erhöht die Logistikkosten stark. Neben den technischen Problemen sieht Betz darin Schwierigkeiten, ob ausrangierte Batterien aus Autos oder Elektrogeräten die Recycler überhaupt erreichen. Häufig landen kleinere Batterien im Hausmüll, was beim Transport und der Aufbereitung zu Bränden führen kann. Er fordert mehr Öffentlichkeitsarbeit der verantwortlichen Behörden und Unternehmen. All diese Bereiche müssen in Zukunft verbessert werden, sagt Betz.
Perspektiven für den nachhaltigen Umgang mit Lithium
In Deutschland gibt es bereits einige Projekte, die die Batterie-Infrastruktur effizienter gestalten wollen. Zum Beispiel forscht die Firma Duesenfeld aus dem niedersächsischen Wendeburg bereits an einem Verfahren, um unter anderem Lithium aus Batterien zu recyceln. Im Labormaßstab konnten sie schon Lithium gewinnen, welches für die Batterieherstellung weiterverwendet werden kann. Auch an der TU Dresden wird an der Wiederverwendung von Teilen aus Lithium-Ionen-Batterien geforscht. Ein Kooperationsprojekt befasst sich unter anderem mit der Rückgewinnung von Lithiumsalzen aus ausrangierten Batterien.
Trotz dieser Projekte braucht es in Europa dennoch energischere Pläne bei den Themen Lithium und einer nachhaltigen Verkehrswende. Das wird auch nötig sein, denn bislang sieht es noch nicht danach aus, als würde die EU die ehrgeizigen Ziele ihres Grünen Deals erreichen können.
Methodik und Daten
Die Daten, die den Visualisierungen zugrunde liegen wurden aus den Mineral Commodity Summaries für Lithium des United States Geological Survey (USGS), der Rohstoffrisikobewertung Lithium und dem Preismonitor der Deutschen Rohstoffagentur (DERA) zusammengetragen. Dabei wurde der Bedarf von Lithium aus mehreren Berichten des USGS für die Jahre 2015 bis 2022 zusammengetragen, wobei es sich bei den Daten von 2022 um eine Schätzung der Behörde handelt. Die Preisdaten zu den Lithiumprodukten wurden vom März und September des jeweiligen Jahres erhoben, um einen feineren Verlauf der Preise darstellen zu können. Der Zeitraum der Daten bezieht sich auf die verfügbaren Daten des Preismonitors der DERA und reichen von September 2018 bis März 2023. Falls die Preise in chinesischen Renminbi angegeben wurden, wurden diese nach aktuellem Wechselkurs (Stand: 03.05.2023) in US-Dollar umgerechnet.
Crossborder Journalism Campus Dieser Beitrag entstand im Rahmen von "Crossborder Journalism Campus", einem Erasmus+-Projekt der Universität Leipzig, der Universität Göteborg und des Centre de Formation des Journalistes in Paris. Unter Mitarbeit von: Yunnes Abzouz, Arthur Dumas und Annie den Hertog.