Schoko-Experiment Falsche Wahrnehmung: Darum essen adipöse Menschen mehr

03. September 2019, 11:36 Uhr

Warum kriegen manche beim Essen nicht genug, obwohl sie die Folgen kennen? Eine neue Studie sagt: Adipöse Menschen bewerten den Geschmack anders – und bekommen deshalb nicht genug.

Symbolbild Übergewicht durch Süßigkeiten - Figur eines Dicken Mannes steht auf Schokolade. 3 min
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Wir Deutschen werden immer dicker! Mehr als die Hälfte der Erwachsenen war 2017 übergewichtig, 16 Prozent sogar adipös. Die Weltgesundheitsorganisation stuft Erwachsene mit einem Body-Mass-Index (BMI) über 25 als übergewichtig ein - mit über 30 spricht man von Adipositas. Aber warum essen einige von uns eigentlich viel mehr als andere Menschen? Einige werden dick, andere bleiben einfach schlank. Eine der Antworten auf diese Frage liefert eine Studie aus den USA. Die sagt nämlich: Adipöse – also fettleibige Menschen – bewerten den Geschmack anders als Normal- und Übergewichtige – zumindest, wenn es um Schokolade geht!

Was hat Volkswirtschaftslehre mit Diabetes-Forschung zu tun?

Eigentlich ist es eine Theorie aus der Volkswirtschaftslehre, die Diabetes-Forscherin Linnea Polgreen und ihr Team auf die Idee zur Studie brachte. Das "Gesetz des abnehmenden Grenznutzens" besagt, dass die Befriedigung unserer Bedürfnisse durch ein bestimmtes Gut mit jeder weiteren konsumierten Einheit dieses Guts weniger wird – wir sind also irgendwann gesättigt.

Dieses Konzept wird den Studierenden der Wirtschaftswissenschaften in jedem Einführungslehrbuch vorgestellt.

Linnea A. Polgreen, University of Iowa

Und bei diesen Lehrbuchbeispielen handelt es sich sehr oft um Lebensmittel, so Polgreen. "Zum Beispiel: Ihr erstes Stück Pizza gibt Ihnen viel Befriedigung, aber durch Ihr drittes oder viertes Stück verringert sich Ihre Zufriedenheit. Obwohl wir häufig Lebensmittel als Beispiele verwenden, um das Konzept der Verringerung des Grenznutzens zu erklären, wurde dieses Phänomen nicht empirisch getestet."

Das erste Stück Schokolade ist am leckersten

Bei Nahrungsmitteln spricht man auch von der "spezifischen sensorischen Sättigung". Das heißt: Je mehr man von einem Lebensmittel isst, desto weniger Verlangen hat man, noch mehr davon zu essen. Das erste Stück Schokolade ist eben viel leckerer als das zehnte. Die Forscher aus dem US-Bundesstaat Iowa wollten nun herausfinden, welche Rolle das Körpergewicht bei dieser Geschmackswahrnehmung spielt. Deshalb haben sie ein Experiment mit 290 Probanden gemacht. Die waren entweder normalgewichtig, übergewichtig oder fettleibig. Würden die drei Gruppen sich in ihrer Geschmackswahrnehmung unterscheiden? Um das herauszufinden, gab es Schokolade, erzählt Aaron Miller von der Abteilung für Epidemiologie an der Universität von Iowa:

Die Teilnehmer konnten so viel oder so wenig essen, wie sie wollten.

Linnea A. Polgreen

Um hinterher vergleichen zu können, erhielten die Probanden vorab einen Gesundheitsfragebogen, wurden gemessen und gewogen. In einer Kabine durften sie dann die Schokolade essen und danach bewerteten die Probanden ihre Geschmackswahrnehmung auf einer Skala von eins bis zehn.

Es gibt einen Zusammenhang zwischen Geschmack und Übergewicht

Zusätzlich wurde getestet, ob es einen Unterschied macht, wenn die Probanden vorher über die Nährwerte der Schokolade aufgeklärt werden und ob sie gerade hungrig sind oder nicht. Diabetes-Forscherin Polgreen fasst das Ergebnis zusammen: "Die Geschmackswahrnehmungen bei normalen und übergewichtigen Personen waren gleich. Wir fanden keine statistischen Unterschiede zwischen diesen beiden BMI-Kategorien."

Bei fettleibigen Personen war die Geschmackswahrnehmung jedoch bei jedem konsumierten Stück größer. Mit anderen Worten: Bei jeder verzehrten Menge bewerteten die übergewichtigen Teilnehmer ihre Zufriedenheit mit diesen Schokoladenproben höher als die nicht übergewichtigen Teilnehmer.

Linnea A. Polgreen

Das heißt also: Egal wie viel sie essen, es schmeckt ihnen immer besser. Menschen mit Adipositas mussten also mehr Schokolade essen, um einen ähnlichen Geschmacksrückgang zu haben. Adipöse Frauen hätten zweieinhalb Stücke mehr essen müssen, um auf die gleiche Geschmacksstufe zu fallen wie die anderen. Insgesamt haben die Probanden zwischen zwei und mehr als 50 Stück Schokolade gegessen.

Unser Ergebnis, dass Probanden mit Adipositas im Durchschnitt tendenziell von einem höheren Grad an Geschmackswahrnehmung berichten als die anderen, könnte erklären, warum Menschen mit Adipositas möglicherweise mehr konsumieren als Normalgewichtige.

Linnea A. Polgreen

Und es könnte dabei helfen, effektivere Therapien gegen Adipositas zu entwickeln. Dass die Probanden die Nährwerte kannten, hatte übrigens keinen Einfluss auf die Geschmackswahrnehmung – der Hunger dagegen schon: Wer hungrig ist, dem schmeckt es offenbar ebenfalls besser.

Die Ergebnisse der Studie sind im Journal of the Academy of Nutrition and Dietetics erschienen.

(gp)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 03. September 2019 | 06:05 Uhr

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