Medizin Kann Hypnose die Vollnarkose ersetzen?

09. September 2019, 16:24 Uhr

Vollnarkosen sind ein Risiko und eine extreme Belastung für den Organismus. Vor allem alte Menschen haben Probleme. Deshalb suchen Ärzte nach Alternativen und sanfteren Methoden. Eine könnte die Hypnose sein. In Frankreich ist Hypnose im OP-Saal schon weit verbreitet. Deutsche Chirurgen hingegen sind weniger aufgeschlossen. Was geschieht unter Vollnarkose und warum kann Hypnose eine gute Alternative sein.

Eine Narkose wird eingeleitet 6 min
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Stellen Sie sich Folgendes vor. Sie werden in den OP-Saal geschoben. Statt einer Beatmungsmaschine steht da ein freundlicher Hypnotherapeut. Den kennen sie schon, weil er vor der OP öfter mit Ihnen gesprochen hat. Er nimmt Ihre Hand, oder legt seine Hand auf Ihren Bauch und spricht ruhig auf Sie ein. So lange, bis Ihr Bewusstsein auf eine andere Ebene gelangt, und zwar dahin, wo es keinen Schmerz und keine Angst gibt. Dann beginnt der Chirurg seine Arbeit.

Hypnose legt Empfindungen beiseite

Können Hypnosen Vollnarkosen ersetzen?
Auch in der Psychotherapie wird mit Hypnose gearbeitet. Bildrechte: imago/Panthermedia

"Im Zustand der Hypnose legt das Gehirn die Empfindungen beiseite", erklärt Dr. Aurore Marcou. "Während einer chirurgischen Operation setzen wir alle Methoden ein, um die schmerzhaften Signale zu löschen." Die französische Anästhesistin und Hypnotherapeutin Dr. Aurore Marcou nutzt Hypnose so oft wie möglich. Komplett auf Schmerzmittel verzichten kann sie allerdings nicht. "Mit der Hypnose ist immer eine sehr geringe Dosis an Schmerzmitteln verbunden und eine Lokalanästhesie, um die eigentliche Operationen möglich zu machen", sagt Marcou. "Das heißt, dass die Patienten bei der Operation wach sind."

Ärztin: Fast jede OP ohne Vollnarkose möglich

Hypnose werde laut der Ärztin vor allem genutzt, um Angst zu nehmen. Gekoppelt mit einer Lokalanästhesie sei beinahe jede Operation ohne Vollnarkose und ohne lästige Nebenwirkungen möglich. In Deutschland setze sich dies aber nur schwer durch, sagt Hypnotherapeut Olf Steuber. Als einen der Gründe nennt er: Zeitmangel. "Eine Narkose kann der Anästhesist relativ leicht und geübt durchführen", erklärt Steuber. "Bei einer Hypnose hingegen ist sehr schlecht prognostizierbar, wo der Zeitrahmen liegt, bis eine Wirkung da ist." Das könne in bei einer halben Stunde bis zu einer Stunde liegen.

Kein Zeitproblem bei der Vollnarkose

Auch vor der Operation muss der Patient begleitet und vorbereitet werden. "Bei einer Vollnarkose gibt es dieses Zeitproblem nicht", erklärt Professor Rolf Rossaint, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin. Denn da werde zunächst das Bewusstsein und auch das Schmerzempfinden des Patienten ausgeschaltet. Zudem könne auch - wenn der Chirurg es braucht - mit Medikamenten verhindert werden, dass sich der Patient während der OP bewegen kann.

"Eine Vollnarkose schafft also gute Bedingungen für die Chirurgen", erklärt Rossaint. "Junge Menschen haben beste Voraussetzungen, die Vollnarkose unbeschadet zu überstehen, ältere Menschen hingegen nicht." Deren Körper sei viel schwächer, die Arterien verkalkt, das Herz schwach. "Vielleicht hat der Patient sogar schon einen Infarkt hinter sich. Diese Menschen zählen zur so genannten Risikogruppe", sagt Rossaint.

Sieben Todesfälle pro eine Millionen Narkose-Fälle

Den Ärzten zufolge gibt es etwa sieben Todesfällen pro eine Millionen Narkosen. Laut einer Studie aus dem Jahr 2011 sterben Menschen jedoch auch noch Jahre nach der Vollnarkose an deren Folgen. Bei Patienten im Alter von über 65 Jahren soll sogar  jeder Zehnte im Folgejahr sterben. Das häufigste Problem sei aber nicht der Tod, sondern Gedächtnisprobleme nach der OP, erklärt die Ärztin Simone Gurlit vom Kompetenzzentrum Demenzsensibles Krankenhaus und Delirmanagement in Münster. "Wenn die Beweglichkeit mit einem neuen Gelenk wiederhergestellt ist, der Patient aber nicht mehr weiß, wo er wohnt und sich nicht mehr allein versorgen kann, dann muss man sich kritisch fragen: Ist das eine erfolgreiche Operation, ja oder nein?“, gibt Gurlit zu bedenken.

Hypnose vor der Brust-OP

Um diese Risiken zu umgehen setzt Simone Gurlit auf Teilnarkose und Gespräche im Vorfeld. So weiß sie genau weiß, was der Patient braucht, um so wenig Schaden wie möglich zu verursachen. Hypnose nutzt die Ärztin selbst nicht, aber Kollegen in Ihrem Haus. Frauen mit Brustkrebs werden in Münster während der OP hypnotisiert. "In der  Brustchirurgie arbeiten viele damit und haben sehr gute Erfahrungen gemacht", sagte Gurlit, schränkt aber ein. "Wie benutzen Hypnose unterstützend zur eigentlichen Regional-Anästhesie."

Hypnose soll Angst nehmen und Schmerzmittel ersetzen

Genau das sei auch das Prinzip der Hypnose im OP-Saal, sagt die französische Ärztin Aurore Marcou. Sie soll Schmerzmittel ersetzen und die Angst nehmen. Denn vor allem angstlösende und Narkosemittel hätten ungünstige Nebenwirkungen auf Herz und Gehirnfunktion. In Frankreich habe sich das schon lange rumgesprochen und es gebe immer mehr Patienten, die nach Hypnose fragen. "Auf diese Weise erhält er wirklich eine minimale Dosis an Medikamenten, die es ihm wirklich erlaubt, sofort nach der Intervention zu essen, sofort zu gehen, aufzustehen, er hat keinen Schwindel und keine Übelkeit", sagt Marcou. In Deutschland hingegen würde Hypnose kaum nachgefragt.

Deutsche Ärzte sehen Hypnose kritisch

Deutsche Ärzte sehen Hypnose kritisch. So wie der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin. “Hypnose ist für die Narkose überhaupt nicht verbreitet. Es ist kein wissenschaftliches Arbeitsfeld in unserem Anästhesie-Kreis." Rolf Rossaint setzt auf Ausschalten, also Vollnarkose, trotz vieler Risiken.

Operationen retten Leben. Ohne sie würden noch viel mehr Menschen sterben. Mittlerweile sind Chirurgen aber so erfahren und routiniert, dass einige es sich leisten, auch die Restrisiken zu umgehen. Und zwar indem sie weniger Medikamente geben und den Patienten weitestgehend bei Bewusstsein lassen. Das braucht nicht nur Zeit, sondern auch Mut. Sowohl vom Patienten als auch vom Ärzteteam.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 07. September 2019 | 07:20 Uhr

2 Kommentare

MDR-Team am 10.09.2019

Lieber strike65,
prinzipiell widersprechen wir uns doch gar nicht. Natürlich ist das Thema in Gänze komplexer als hier dargestellt. Es geht aber auch nicht darum, eine wissenschaftliche Abhandlung dazu zu verfassen, sondern sich mit der Frage zu beschäftigen: Kann Hypnose die Narkose ersetzen? Es werden mehrere positive sowie negative Aspekte der Narkose, als auch der Hypnose angesprochen. Natürlich nicht alle. Aber es sind durchaus fundierte Fakten. Dass, wie Sie kritisieren, Chirurgen Schmerzmittel geben, sagen weder wir, noch die Ärztin Aurore Marcou, die übrigens Anästhesistin und Hypnotherapeutin ist. Das Resümee des Artikels ist: Hypnose kann eine Narkose nicht gänzlich ersetzen, bietet in vielen Fällen allerdings eine gute Alternative. Natürlich muss man immer den jeweiligen Einzelfall betrachten. Und eine These bestätigen Sie sogar: "Deutsche Ärzte sehen Hypnose kritisch."
Beste Grüße aus der MDR-Wissen-Redaktion

strike65 am 09.09.2019

Hallo! ich bin Anästhesist an einem Uniklinikum. Natürlich kann eine Hypnose die Allgemeinanästhesie NICHT ersetzen. Unterstützen sicherlich. Leider vermitteln Sie hier nur Halbwissen. Ein Großteil der Operationen in Krankenhäusern ist erst durch die Anästhesie möglich geworden. Hinzu kommt, dass Patienten, für die eine Regionalanästhesie höhere Risiken hat (sog. Blutverdünner, Herzerkrankungen etc.), immer mehr zunehmen. In Zeiten der Impfgegnerschaft stehen esoterischere Verfahren hoch im Kurs. Aber sie sollten Ihren Lesern/Zuhörern/Zusehern schon fundierte Fakten vermitteln. Und nicht Chirurgen geben Medikamente gegen die Schmerzen bei einer Operation, sondern der Anästhesist. Wenn er es doch tut, tut er es außerhalb seiner Fachkompetenz. Ich wäre bei solchen Chirurgen SEHR skeptisch.
Ich bestreite nicht die positiven Effekte einer Hypnose im OP-Saal. aber von Ersatz kann keine Rede sein. Fazit: Erst informieren und richtige Experten fragen, dann schreiben.