Profil-Porträts eines männlichen Neandertalers (Modell) und einer modernen Frau: Neandertaler mit breitem Kopf, Stirnwulst, großer Nase und hervorstehendem Mund; Frau mit zarteren Gesichtszpgen und dunkelblonde Haare zum Pferdeschwanz zusammengebunden. Neandertaler stützt Kopf auf Faust, Frau blickt leicht nach vorn-unten.
Bildrechte: IMAGO (Steffen Schellhorn/Westend61; M), Montage: MDR

Evolutionsbiologie Mensch hat sich selbst zum Haustier gemacht

06. Dezember 2019, 12:12 Uhr

Tiere wurden irgendwann zu Haustieren, weil sie der Mensch domestiziert hat. Und Menschen? Auch die wurden irgendwann einmal zu Hausmenschen – mit neuen Gesichtern. Forschende aus Mailand haben eine Erklärung dafür.

Haben Sie nach einem Nachmittag im Naturkundemuseum schon einmal in den Spiegel gesehen und sich gefragt: Wie konnte das eigentlich passieren? Dicke Augenwülste und einen vorstehenden Mund wie bei unseren Artgenossen aus Urzeiten suchen Sie an sich vergebens. Ihr Kopf, den sie da im Spiegel sehen, ist kleiner, flacher, vielleicht mit zarteren Bäckchen versehen und etwas freundlicher.

Möglicherweise besitzen Sie auch einen Hund und haben ihn schon mal neben einen Wolf gehalten (zumindest neben das Bild eines Wolfs): Auch da tun sich, je nach Hunderasse, deutliche Unterschiede auf. Der Grund: Irgendwann einmal haben Menschen damit begonnen, Hunde auszuwählen, die sich besonders gut für eine Haltung im und am Haus eigneten. Sie haben die Vierbeiner domestiziert. Und diese Vierbeiner brachten nicht nur ein gewünschtes Verhalten sondern auch ein spezielles Aussehen mit.

Unser Äußeres ist Teil des Häuslichwerdens

Vanessa Hayes diskutiert mit San-Häupttling ǀkun ǀkunta
Bildrechte: Chris Bennett, Evolving Picture, Sydney, Australia

Bei uns Menschen ist das auch ein bisschen so: Irgendjemand muss uns irgendwann einmal domestiziert haben. Ein langer Prozess, bei dem schließlich das rauskam, was Sie im Spiegel sehen. Forschende glauben, jetzt mit Gewissheit sagen zu können: Das waren wir selbst. Wir haben uns selbst domestiziert. Und das nach klaren Regeln: Gesellige, umgängliche Menschen waren die, in deren Gesellschaft wir uns wohlgefühlt haben. Sehr temperamentvolle Menschen hingegen – unsere Urahnen galten als deutlich aggressiver – hatten es schwer. Der Mensch hat sich also nicht nur den Hund gesucht, dessen Gesellschaft ihm getaugt hat, sondern auch den passenden Menschen.

Ein Gen soll den Unterschied machen

Das Gen, dessen Vorkommen über zahm oder nicht zahm entscheidet, ist auch für unsere eher freundlichen Gesichtszüge verantwortlich. Es heißt BAZ1B und ist bei gewöhnlichen Menschen zweimal vorhanden. Menschen mit dem Williams-Beuren-Syndrom fehlt das zweite Gen. Solche Menschen zeichnen sich durch kleinere Schädel, zarte Gesichtszüge und Freundlichkeit aus. Menschen, bei denen BAZ1B dreimal vorkommt, sind genau das Gegenteil: Sie neigen zur Agressivität, haben Schwierigkeiten sich zu artikulieren und gelten als eher ungesellig. Ihre Gesichtszüge sind nicht so fein wie die gewöhnlicher Menschen. Um ihre These zu untermauern, hat die Forschungsgruppe von der Universität Mailand Stammzellen von Menschen mit einem, zwei und drei BAZ1B-Genen im Labor kultiviert und die Aktivität der Gene gesteuert. Das wirkte sich auf hunderte weitere Gene aus, die bei der Schädel-Entwicklung wichtig sind. Im Vergleich zu "alten" Genen, etwa von Neandertalern, wiesen die viele Änderungen auf.

Zweifel an Studie

Klingt plausibel, aber ob sich das menschliche Häuslichwerden und die Veränderung der Äußerlichkeiten wirklich so einfach beschreiben lassen, ist noch unklar. So gibt es zum einen Applaus für die Erkenntnisse, zum anderen Zweifel. Der Evolutionsbiologe Tecumseh Fitch von der Universität Wien etwa betont gegenüber dem Fachblatt Science, er glaube nicht, dass Mutationen in einem oder ein paar Genen eine gutes Anschauungsmodell für die viel vielen Gene sind, die beim Domestizieren beteiligt sind.

Aber immerhin wissen Sie jetzt, beim nächsten Blick in den Spiegel: Sie sehen nicht nur so zahm aus. Sie sind es auch tatsächlich.

Link zur Studie

Die Studie wurde hier im Fachblatt Science veröffentlicht.

Nachbildung eines Urmenschen in einem Museum 6 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

0 Kommentare