Frau trägt Salbe bei Ekzem an der Ellenbeuge auf.
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Weltneurodermitistag Hilfe bei Neurodermitis – ohne Kortison

14. September 2021, 14:56 Uhr

Entzündete Haut, ständiges Jucken und Schmerzen – damit müssen Menschen leben, die an Neurodermitis leiden. Erkrankt daran sind in Deutschland derzeit etwa 13 Prozent der Kinder und zwei Prozent der Erwachsenen. Cremes und Kortison waren lang Zeit die einzige Möglichkeit, die Symptome zu lindern. Jetzt sorgen neue Therapien dafür, dass Betroffene sich wieder besser fühlen können – in ihrer Haut.

Was es heißt, sich in der eigenen Haut nicht wohlfühlen, das wissen Menschen, die mit einer Neurodermitis leben müssen. Die trockenen, oft entzündeten Stellen jucken und schmerzen. Ständiges Kratzen, schlaflose Nächte, schräge Blicke und Einschränkungen bei der Berufswahl sind die Folge. Lange Zeit waren Cremes und Kortison die einzige Möglichkeit, die Symptome in Schach zu halten. Doch besonders bei mittelschweren und schweren Verläufen reichen diese oft nicht aus, um weitgehende Linderung zu verschaffen. Seit wenigen Jahren gibt es neue Therapiemöglichkeiten, die die Lebensqualität der Betroffenen deutlich verbessern.

Biologika hemmen Entzündungsschübe

Um gezielt die Entzündungsprozesse in Schach zu halten, die bei einer Neurodermitis ablaufen, wurde 2017 erstmals ein Wirkstoff aus der Gruppe der sogenannten Biologika zugelassen: Dupilumab. Enthalten sind Proteine, die aller 14 Tage unter die Haut injiziert werden müssen. Diese Eiweiße besetzen dann die Rezeptoren, an denen der entzündungsfördernden Botenstoffe Interleukin 4 und 13 andocken würde und blockieren damit deren Wirkung. Das Medikament ist inzwischen auch für Kinder ab sechs Jahren zugelassen. Seit Sommer 2021 gibt es ein weiteres Biologikum: Tralokinumab. Es wird ebenfalls alle 14 Tage unter die Haut gespritzt und fängt den entzündungsfördernden Botenstoff Interleukin 13 direkt im Blut ab. Dieses Präparat ist bisher nur für Erwachsene zugelassen.

Neue Therapie in Tablettenform

Im Oktober 2020 und im September 2021 wurden zudem zwei andersartige Wirkstoffe für die Behandlung von Neurodermitis mit Tabletten zugelassen: Baricitinib und Upadacitinib, sogenannte JAK-Inhibitoren (JAK = Janus Kinase). Dr. Peter Weisenseel ist Dermatologe und Allergologe am Dermatologikum Hamburg und dort der Leiter für die klinischen Studien. Er erklärt, wie das neue Medikament funktioniert:

Dr. Peter Weisenseel
Dr. Peter Weisenseel, Dermatologe und Allergologe Bildrechte: Dermatologikum Hamburg

Diese Wirkstoffe bremsen die entzündliche Signalkaskade in der Zelle und verhindern damit, dass eine überstürzte Entzündungsreaktion in der Haut angestoßen wird. Das Wirkprinzip funktioniert auch bei Gelenk-Rheuma und wird dort schon länger eingesetzt.

Dr. Peter Weisenseel, Dermatologe

Der Wirkstoff bremst die Aktivität des Immunsystems und die Wirkung von Schaltstationen, die Entzündungen auslösen: den Januskinasen. Damit ist er eine weitere zielgerichtete Therapiemöglichkeit neben Kortison. Die bekannten Nebenwirkungen von Kortison haben in der Vergangenheit viele Patienten zögern lassen es anzuwenden. Viele hätten früher das Vertrauen in die Schulmedizin verloren und verständlicherweise auch nach Hilfe bei alternativen Heilmethoden gesucht, so Dr. Weisenseel.

Biologika und JAK-Inhibitoren sind Durchbruch für schwer Erkrankte

Wie bei jedem Medikament können auch bei den die neueren Präparaten Nebenwirkungen auftreten und man müsse wie bei jeder Therapie gewissenhaft abwägen, für welche Patienten der Nutzen größer ist als das mögliche Risiko. Dennoch seien die neuen Wirkstoffe für viele schwer Betroffene ein großer Durchbruch.

Besonders schwer betroffene Patienten sind dankbar und können eine ganz neue Lebensqualität zurückgewinnen. Es gibt Patienten, die nun erst mit 60 so eine moderne Therapie bekommen und sagen: Hätte ich das schon mit 20 bekommen, dann wäre mein ganzes Leben anders verlaufen.

Dr. Peter Weisenseel

Denn eine schwere Neurodermitis belastet nicht nur die Haut, sondern auch die Seele. Sie hat Auswirkungen auf das Miteinander mit anderen Menschen. Darüber hinaus bleiben den Patienten verschiedene Berufswege verschlossen. Berufe zum Beispiel, in denen sie mit Reizstoffen und möglichen Allergenen in Kontakt kommen, können sie nicht ergreifen. Ein Grund für Dr. Peter Weisenseel, vor allem mittelschwer bis schwer Betroffene zu ermutigen, sich noch einmal bei einer Hautärztin bzw. einem Hautarzt vorzustellen und sich über die neuen Therapiemöglichkeiten informieren zu lassen. Auch die aktualisierte Leitlinie der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft spricht eine Empfehlung für Biologika unter Berücksichtigung des Schweregrades der Neurodermitis aus.

Mit der Krankheit leben Lernen

Mit Neurodermitis zu leben, heißt neben einer gewissenhaften Hautpflege, auch immer, den Zustand der betroffenen Stellen im Blick zu behalten und sie so zu behandeln, dass sich schwere Schübe gar nicht erst einstellen. Und es heißt auch: Bloß nicht kratzen, auch wenn es noch so juckt. Denn dann dringen Keime ein und machen alles noch schlimmer. Gezielte Schulungen sollen Patienten zusätzlich zur Therapie das Leben mit der Neurodermitis erleichtern.

Lernen mit "AGNES" und "ARNE"

Derzeit gibt es zwei standardisierte Schulungsprogramme, die speziell für Menschen mit Neurodermitis entwickelt wurden: "AGNES" für Kinder und Jugendliche mit ihren Eltern und "ARNE" für Erwachsene. Sie ergänzen, was der Behandlungsalltag nicht leisten kann: Die intensive Auseinandersetzung mit der Krankheit. Es werden mögliche Auslösefaktoren besprochen wie Kleidung, Nahrungsmittelallergien oder bakterielle Hautinfektionen.

Es gibt auch Tipps, den Teufelskreis aus Juckreiz-Kratzen-Hautentzündung-Juckreiz zu durchbrechen: Die juckende Stelle meiden und an einer anderen, nicht betroffenen Stelle zwicken oder drücken. Es werden auch Bewältigungsstrategien vermittelt, um die psychisch Belastung zu verringern. Das können Entspannungstechniken sein wie Qi Gong oder Autogenes Training. Erwachsene erfahren darüber hinaus, welche Therapiemöglichkeiten es für sie gibt, welche Rehabilitationsmaßnahmen für sie in Frage kommen und welche Risikofaktoren für sie eventuell in ihrem beruflichen Umfeld besteht.

Studienergebnisse zeigen, dass sich der Hautzustand auch dann signifikant verbesserte, wenn ein langjähriger, chronischer Krankheitsverlauf vorlag.

Prof. Thomas Werfel

So zieht Professor Dr. med. Thomas Werfel Bilanz. Er ist Leiter der Forschungsabteilung Immundermatologie und experimentelle Allergologie der Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie, Hannover.

Geschult wird in Kleingruppen mit sechs bis acht Betroffenen bzw. Familienmitgliedern. Dafür werden sechs Sitzungen zu je zwei Stunden anberaumt. Die Kosten für die Schulungen trägt in der Regel die Krankenkasse. Voraussetzung ist die Diagnose Neurodermitis ab einem gewissen Schweregrad. Die Einschätzung dazu gibt der behandelnde Arzt. Weitere Informationen gibt es unter www.neurodermitisschulung.de

krm

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