Verhaltenspsychologie Warum klebt eine Fliege im Pissoir?
Hauptinhalt
04. März 2020, 12:52 Uhr
Jeder von uns versucht, sich bestmöglich zu verhalten. Zeit nehmen für die Kinder, Spitzenleistungen im Job, gesund ernähren. Das klappt nur nicht immer: Wir sind zu ungeduldig, müde, mit den Gedanken woanders. Vielen guten Vorsätzen steht der innere Schweinehund im Weg. Eine Verhaltensstrategie aus der Wirtschaftswissenschaft kann helfen: "Nudging". Eine Methode, das Verhalten von Menschen ohne Verbote zu beeinflussen. Klingt harmlos, aber warum wird es trotzdem kritisiert?
Es ist 1999 und ein Manager im Flughafen Schiphol in Amsterdam hat eine bahnbrechende Idee: Er klebt Abziehbilder von Fliegen in die Pissoirs der Herrentoiletten. Der Effekt soll gewaltig gewesen sein. Um 80 Prozent sei die Verschmutzung der Toiletten damals zurückgegangen. Die Fliegen reizten den Spieltrieb der Toilettengänger und animierten zum konzentrierten Zielen.
Was ist das Nudging genau?
Die Fliege im Pissoir gilt als Paradebeispiel des Nudgings, also einer Strategie, das menschliche Verhalten ohne Verbote dafür mit Motivation und gezielter Führung zu beeinflussen, erklärt Ralph Hertwig, Psychologe und einer der Direktoren des Max-Planck-Instituts (MPI) für Bildungsforschung in Berlin.
Die Grundannahme ist, dass die Leute große motivationale und kognitive Defizite haben. Und wir deswegen die Entscheidungsumgebung neu gestalten. Damit stubsen wir sie immer in die richtige Richtung. In die Richtung, von der wir vermuten, dass es den Leuten gefallen würde und die wir für richtig halten.
Das Nudging - abgeleitet vom englischen nudge, zu deutsch Schubs - geschieht oft, ohne dass wir es wirklich merken. Und die Entscheidungsumgebung lässt sich in allen möglichen Bereichen so gestalten, dass es unser Verhalten beeinflusst. Gesunde Lebensmittel werden besonders appetitlich präsentiert, während Fast Food abseits und langweilig steht. Schon ernähren wir uns gesünder. Der Drucker im Großraumbüro ist auf beidseitigen Druck voreingestellt. Schon sparen wir Papier und schonen die Umwelt. Auch Entscheidungsforscher Hertwig sieht einen Nutzen darin.
Der fade Beigeschmack des Nudging
Doch so smart diese Strategie in vielen Bereichen sei, so kritisch wird sie in anderen gesehen. Gerade als politisches Mittel bekommt Nudging eine bevormundende Komponente, manchmal sogar eine manipulative, sagt Hertwig und erklärt es so:
Der Gesetzgeber sagt: 'Ich weiß, was für Dich gut ist, ich weiß, was für die Gemeinschaft gut ist' und so baue ich die Entscheidungsumgebung jetzt so, dass Du ständig die Stubse kriegst in die Richtung, die ich für richtig halte. Und der andere Punkt ist ein relativ dunkles Menschenbild, was dahintersteckt, nämlich, dass wir zutiefst von motivationalen und kognitiven Problemen befallen seien. Und dass das Ausmaß der Probleme so groß ist, dass es gar nicht mehr lohnt, die Leute aufzuklären.
Die Diskussion um die Organspenderegelung war für Hertwig ein gutes Beispiel dafür. Die Widerspruchslösung, nach der jeder Bürger automatisch ein Organspender gewesen wäre, wenn er nicht widerspräche, sei genau das: Nudging. Die Bürger würden zwar in die Richtung geschubst, die dem Allgemeinwohl diene. Doch wer sich nicht für Politik interessiere und sich nicht über solche Themen informiere, wisse gar nicht, ob er das möchte. Man könnte natürlich sagen: Selber schuld, wenn der Einzelne so faul oder uninformiert ist. Doch dem widerspricht Hertwig. Neben dem Nudging wünscht er sich mehr Boosting, das Erwerben von Kompetenzen:
Wir kriegen aber so viel Information in der digitalen und nicht digitalen Welt, dass Information alleine nicht ausreicht, sondern, dass wir auch klare Handlungskompetenzen brauchen, um richtige und gute Entscheidungen für uns treffen zu können. Und was das dann bedeutet: Wenn der Bürger sozusagen bereit ist, diese Kernkompetenzen zu erwerben, dann bleibt die Entscheidung beim Bürger.
Denn während Nudging uns schubst, kann Boosting uns eine aktive Rolle zurückgeben. Dabei muss aber eines klar sein: Selber mitdenken kostet mehr Kraft, als sich zum Ergebnis schubsen lassen.
Mehr Stoff zu Nudging
Wenn Sie mehr über Nudging lesen möchten, finden Sie in diesem Beitrag der Bundeszentrale für politische Bildung Infos und eine ausführliche Literaturliste.
MDR-Team am 05.03.2020
Hallo Critica,
Männer sind natürlich nicht blöd. In diesem Artikel geht es in erster Linie um die Erklärung des Begriffs "Nudging". Und für die dahinterstehende Strategie ist die Fliege im Pissoir ein Paradebeispiel.
Für Sie persönlich mag es Wichtigeres geben, aber Themen aus dem Bereich der Wissenschaft zu erklären bzw. darüber zu informieren, ist unser Auftrag. Und wenn Ihnen dieser Beitrag zu trivial ist, finden Sie auf unserer Seite vielleicht andere Video-, Audio- oder Textstücke, die Ihnen eher zusagen. Wir empfehlen z.B. den Weltraumkalender (https://www.mdr.de/wissen/astrokalender/astrokalender-100.html) oder die interaktive Klimakarte von Mitteldeutschland (https://www.mdr.de/wissen/mitteldeutschland-wetter-klima-zukunft-100.html).
Herzliche Grüße
aus der MDR Wissen-Redaktion
Critica am 04.03.2020
Sind Männer blöd...?
Oder/und die Verhaltensforscher? Ist es lebensnotwendig zu wissen, warum Männer auf Fliegen zielen? Es gibt wichtigeres...