Kody Brown (m), mit Ehefrauen und Kindern
In der Fernsehserie "Alle meine Frauen" gibt der fundamentalistische Mormone Kody Brown einen Einblick in den Alltag mit seinen vier Ehefrauen - von denen er nur mit einer offiziell verheiratet ist, mit den anderen "spirituell". Bildrechte: imago images/Everett Collection

Polygamie "Vielehe" weltweit eher die Ausnahme

11. Dezember 2020, 12:17 Uhr

Mama, Papa, Kind: So sieht für viele Menschen in Mitteleuropa wohl die typische Kleinfamilie aus. Manchmal gibt es zwei Papas oder Mamas, aber generell sind es Paarbeziehungen, die uns beim Gedanken an die Liebe in den Sinn kommen. Dass da noch jemand drittes, viertes oder noch mehr Partner oder Partnerinnen dazu kommen? Eher die Ausnahme. Aber ist Polygamie – also eine patriarchal geprägte Beziehung oder sogar Ehe mit mehreren Personen – überall auf der Welt so verpönt?

Einer Analyse der US-Forschungseinrichtung Pew Research Center zufolge ist Polygamie im Großteil der Welt eher die Ausnahme. Nur etwa zwei Prozent der Weltbevölkerung leben demnach in polygamen Haushalten. In den meisten Ländern jedoch liege dieser Anteil unter 0,5 Prozent.

In der Mehrzahl der Länder ist Polygamie sogar verboten. Das deckt sich auch mit der Position der Vereinten Nationen. Das UN-Menschenrechtskomitee hat erklärt, dass "Polygamie die Würde von Frauen verletzt" und abgeschafft werden müsse, "wo immer sie existiert". Allerdings gibt es vielerorts Regelungen für die Ehe, die nicht vom Staat bestimmt werden, sondern von Religons- oder Gewohnheitsrecht. Das heißt, dass Geistliche oder Gemeindevorsteher darüber entscheiden, was erlaubt ist und was nicht.

In den USA wurde die Ehebeziehung mit mehr als einer Person 1882 unter Strafe gestellt. Allerdings wird das Zusammenleben mit mehreren romantischen Partnern nur selten strafrechtlich verfolgt. Im Bundesstaat Utah ist erst im Februar ein Gesetz verabschiedet worden, das für eine Absenkung des Strafmaßes bei freiwilligen polygamen Beziehungen gesorgt hat. Seitdem kann man dafür nicht mehr ins Gefängnis kommen, schreibt Forscherin Stephanie Kramer. In Utah leben besonders viele Anhänger fundamentalistischer mormonischer Sekten, die die Vielehe noch heute praktizieren, auch wenn die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage sie seit 1890 untersagt.

In anderen Teilen der Welt ist die Polygamie legal. In einigen Gebieten des Nahen Ostens oder Asiens etwa, wobei sie dort kaum praktiziert wird. In einigen Ländern Zentral- und Westafrikas hingegen ist sie nicht nur legal, sondern auch sehr weit verbreitet. Diese Region wird oft auch Polygynie-Gürtel genannt. Als Polygynie wird die Praxis bezeichnet, als Mann mehrere Frauen zu haben.

Polygamie vs. Polyamorie Der Begriff Polygamie beschreibt die Vielehe. Dabei pflegt eine Person eine Ehe oder eheähnliche Beziehung mit mehreren Personen des anderen Geschlecht. Meist handelt es sich dabei um einen Mann, der mit mehreren Frauen lebt (Polygyny). Dass eine Frau mehrere Männer ehelicht (Polyandry) ist nur in kleineren Gesellschaften mit speziellen Bedingungen bekannt. Polygamie ist von patriarchalen Strukturen geprägt.

Der Begriff Polyamorie beschreibt das Gegenteil des Konzepts der Monogamie, also der Paarbeziehung. In polyamoren Beziehungen gehen also mehrere Personen eine Liebesbeziehung miteinander ein. Palyamorie ist gekennzeichnet von Konsens und Gleichberechtigung.

Polygamie in West- und Zentralafrika verbreitet

Am häufigsten sind polygame Haushalte heute also in den Ländern des Polygynie-Gürtels südlich der Sahara zu finden. Dort leben der Analyse zufolge elf Prozent der Bevölkerung in Beziehungen mit mehreren Ehepartnerinnen. Am verbreitetsten sind sie in Burkina Faso mit 36 Prozent, in Mali mit 34 Prozent und Nigeria mit 28 Prozent.

Ein Mann und zwei Frauen
Ein Mann mit seinen zwei Ehefrauen in Burkina Faso. Dort ist Polygamie sehr häufig. Bildrechte: imago/photothek

In Afrika leben Muslime (25 Prozent) häufiger als Christen (drei Prozent) in polygamen Haushalten. Ausnahme bildet nur der Tschad: Hier sind es überwiegend Christen (21 Prozent) als Muslime (10 Prozent). Aber auch die Anhänger von regionalen Volksreligionen oder Menschen, die sich gar nicht mit einer Religion identifizieren, praktizieren hier die Vielehe. In Burkina Faso beispielsweise leben 45 Prozent der Menschen, die Volksreligionen praktizieren, 40 Prozent der Muslime und 24 Prozent der Christen in polygamen Haushalten.

Religion beeinflusst Polygamie-Praxis

Aber was sind die Gründe für Polygamie, wenn sich doch offensichtlich in fast allen Teilen der Welt die monogame Beziehung durchgesetzt hat?

Figuren - muslimische Familie
Im Islam ist Polygamie häufig erlaubt, wird aber selten praktiziert. Bildrechte: imago/Karina Hessland

Zunächst gibt es da die religiösen Gründe. In vielen Ländern, die Polygamie erlauben, gibt es zum Beispiel eine muslimische Mehrheitsgesellschaft. Allerdings lebt auch hier meist nur ein verschwindend geringer Teil der Männer mit mehreren Ehefrauen. In Afghanistan, Pakistan, Bangladesch, Iran und Ägypten etwa ist die Vielehe zwar legal, praktiziert wird sie aber nur von einem Prozent der muslimischen Männer. Prinzipiell wird die Zulässigkeit der Polygamie häufig auf den Koran Vers 4:3 zurückgeführt, der Männern grundsätzlich mehrere Frauen erlaube, wenn sie sich um alle kümmern können. Historikerinnen und Historiker sehen den Ursprung aber eher im siebten Jahrhundert: Während der Kriege im arabischen Raum wurden wohl viele Witwen und Waisen auf diese Art aufgefangen. Und bis heute sind die polygamen Muslime besonders dort zu finden, wo vor allem junge Männer keine hohe Lebenserwartung haben.

Koran Sure 4: an-Nisa (Die Frauen) 3 Und wenn ihr befürchtet, nicht gerecht hinsichtlich der Waisen zu handeln, dann heiratet, was euch an Frauen gut scheint, zwei, drei oder vier. Wenn ihr aber befürchtet, nicht gerecht zu handeln, dann (nur) eine oder was eure rechte Hand besitzt. Das ist eher geeignet, daß ihr nicht ungerecht seid.

Doch nicht nur der Koran, sondern auch die jüdische Thora und das christliche Alte Testament beziehen sich auf mehrere Fälle akzeptierter Mehrehen – unter anderem im Fall von Abraham, Jacob und David. Heute wird die Polygamie vor allem noch bei bestimmten christlichen Sekten praktiziert – beispielsweise bei Splittergruppen der Mormonen.

Die Analyse zeigt jedoch auch: Wenn die Polygamie in einer Region verbreitet ist, wird sie in der Regel von Menschen aller Glaubensrichtungen praktiziert. Das sei der Fall in Gambia, Niger, Mali, Tschad und Burkina Faso, wo mindestens jeder zehnte Mensch jeder religiösen Gruppe in Haushalten lebt, in denen Menschen mit mehr als einer Ehepartnerin oder einem Ehepartner leben.

Ein Mann mit mehreren Frauen ist die Regel

Weltweit ist festzustellen, dass Polygamie normalerweise auch Polygnie bedeutet: Also ein Mann mit mehreren Frauen.

Dass eine Frau mehrere Männer hat – also Polyandrie – ist sehr selten. Es gebe sie heute eigentlich nur noch in kleinen und relativ isolierten Gemeinschaften, schreibt Kramer. Historisch betrachtet könnte die Ehe einer Frau mit mehreren Männern aber häufiger vorgekommen sein, glauben Anthropologinnen und Anthropologen.

Eine Frau und zwei Männer liegen zusammen im Bett
Eine Frau und zwei Männer? Das ist äußerst selten. Bildrechte: imago images/ingimage

In verschiedenen gesellschaftlichen Strukturen ist es demnach sinnvoll gewesen, wenn zum Beispiel Brüder gemeinsam eine Ehefrau gehabt haben. So hätten etwa Ackerflächen gebündelt in der Familie bleiben können oder in Abwesenheit des ersten Ehemannes war die Sicherheit von Frau und Kindern gewährleistet. Offenbar waren die Männer in polyandrischen Beziehungen häufig Brüder. Auch wenn eine Frau mit mehreren Männern nicht gleich danach klingt: Auch diese Vielehen waren und sind patriarchal. Meist entscheidet der erste Ehemann und niemals die Frau.

Allerdings weist das Pew Research Center auch darauf hin, dass es auch Länder gebe, in denen bei der Vielehe auch die Rechte der Frauen eine Rolle spielten. In Burkina Faso etwa müssen die Ehefrauen einer polygamen Ehe von Beginn an zustimmen, damit der Mann später weitere Frauen heiraten darf. In Dschibuti zeichne ein Richter die Meinungen der bestehenden Ehefrauen zu neuen Ehen auf und untersuche dann auch die sozioökonomische Situation des Ehemanns, bevor er einen Ehevertrag mit einer weiteren Ehefrau genehmige.

Religions-Befragung als Analysegrundlage

Die Daten zur polygamen Hauhalten hat das Pew Research Center in einer weltweiten Untersuchung erhoben. Sie sind Teil eines Berichts über die Zusammensetzung der Haushalte nach Religion auf der ganzen Welt. Dafür wurden die Lebensbedingungen von 20 Millionen Haushalten in 130 Ländern und Regionen der Welt erfasst.

(kie)

8 Kommentare

MDR-Team am 12.12.2020

@ralf meier,
es ist schade, dass Sie diesen Artikel offenbar als Einladung empfinden, gegen in Deutschland lebende Muslime Stimmung zu machen. Nein, es geht uns nicht darum, den Islam zu romantisieren oder Straftaten von Geflüchteten zu bagatellisieren. Das ist auch überhaupt nicht das Thema des Artikels, sondern Polygamie - was Männer und Frauen dazu bewegt, was es gesellschaftlich bedeutet, welche Rolle Volksreligionen spielen usw. Über all das kann man sich hier sachlich austauschen und Sie können sich daran beteiligen. Für Ihren pauschalen Unmut zum Islam in Deutschland müssen Sie sich jedoch eine andere Kommentarspalte suchen.

MDR-Team am 12.12.2020

@Atheist
unsere Beiträge dienen der Information, nicht der Werbung. Und natürlich ist es Ihnen überlassen, was Sie tolerieren und was nicht. Fakt ist jedoch, dass weder Sie noch wir bestimmen, was erlaubt ist und was nicht. Das geschieht in einem demokratischen Land wie unserem über die Gesetzeslage. Und diese verbietet Mehrehen, aber keine polygamen Beziehungen.

MDR-Team am 12.12.2020

@Atheist,
wieso vergleichen Sie Polygamie mit Kannibalismus? Sicherlich wissen Sie, dass das Gewohnheitsrecht nicht uneingeschränkt gilt. Spätestens bei der strafrechtlichen Relevanz findet es seine Grenzen.

Zum Thema Beschneidung: Im Dezember 2012 wurde die nicht-therapeutische Beschneidung von Jungs legalisiert. Voraussetzung für den Eingriff ist allerdings, dass er nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt wird.
Seit September 2013 wird die Verstümmelung weiblicher Genitalien als eigener Straftatbestand gemäß § 226 a Strafgesetzbuch (StGB) eingestuft.
Weiterhin gilt es als Straftat, eine weitere Person zu heiraten, obwohl man schon verheiratet ist. Auch die Einbürgerung von Personen, die mit mehreren Ehegatten verheiratet sind, ist laut § 10 StAG nicht möglich.
Nichts von all diesen Dingen ist in Deutschland also erlaubt oder anerkannt. Sollten Sie allerdings Kenntnis von Verstößen gegen die genannten Gesetze haben, sind Sie verpflichtet diese zu melden.