Rechtsextremismus Kann politische Bildung noch etwas ausrichten für die Demokratie?
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18. August 2024, 14:00 Uhr
Die Bundeszentrale für politische Bildung vermittelt Wissen für die Demokratie – bis an die Basis der Gesellschaft, sagt ihr Präsident Thomas Krüger. Warum haben autoritäre Bewegungen dennoch Erfolg?
Bei den anstehenden Landtagswahlen sind hohe Wahlergebnisse für die AfD erneut wahrscheinlich – obwohl Mitglieder dieser Partei das politische System der Bundesrepublik immer wieder in Frage stellen und ihre Anhänger der Demokratie insgesamt wenig Wert beimessen. Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB), ist trotzdem entspannt, als er am Konferenztisch in den Berliner Büros der BpB Platz nimmt.
Die Gegenwart: Orientierungssuche und gesellschaftspolitische Kämpfe
Kaum eine Woche vorher war der gebürtige Thüringer beim Tanz- und Folkfest in Rudolstadt, ein Festival, das jedes Jahr Maßstäbe setzt, wie bunt, vielfältig und international Kultur in Deutschland sein kann. Krüger selbst stand dort mit seiner Band auf der Bühne und vertonte die Ur-Sonate des Dadaisten Kurt Schwitters. Die war 1932 erschienen, kein Jahr, bevor die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland übernahmen. Schwitters floh ins Exil. "Das ist die Konsequenz von Diktaturen, dass Menschen es politisch und gesellschaftlich nicht aushalten und das Land verlassen müssen", sagt Krüger. Und fügt hinzu: "So weit sind wir glücklicherweise noch nicht."
Doch Sorgen macht sich der Chef der BpB. "Wir befinden uns derzeit in einer Phase der Orientierung und der gesellschaftspolitisch kulturellen Kämpfe." Wohin wird sich das Land, die Welt in den kommenden Jahren entwickeln? Die politische Zukunft erscheint derzeit ungewiss. Das liegt auch daran, dass sich vieles auseinanderentwickelt hat in den vergangenen Jahren. "Es gibt Regionen in unserem Land, im Osten und auch im Westen, die von starkem Umwälzungen, von Transformationen betroffen sind und wo sich Menschen abgehängt fühlen", analysiert Krüger.
Politische Bildung kann nicht die Fehler der Politik lösen
Was also kann politische Bildung noch ausrichten, um die Demokratie zu erhalten? Zunächst einmal die Arbeit von den Städten hinaus auf das Land verlegen. Die BpB tut das unter anderem mit dem Programm "Zusammenhalt durch Teilhabe", das seit 2010 gezielt Bildung in ländliche Regionen bringt. "Wir versuchen Projekte zu entwickeln mit Freiwilligen Feuerwehren, mit Sportvereinen, mit den Kirchengemeinden. Diese Projekte sollen die Diskrepanzen zwischen Stadt und Land reflektieren und Möglichkeiten für die Selbstermächtigung der Menschen schaffen, damit die Leute sich politisch gesehen und anerkannt fühlen", erklärt Krüger.
Aber reicht das allein aus? Der Präsident schüttelt den Kopf. "Man muss deutlich machen, dass politische Bildung in ihrer Wirkkraft immer begrenzt ist. Wer irgendwie darauf setzt, dass politische Bildung die Probleme, die die Politik auslöst, lösen kann, der argumentiert einfach unseriös." Man dürfe allerdings nicht das Scheitern der Politik der politischen Bildung ankreiden. "Es geht auch nicht darum, Marketing für Politik zu machen, sondern es geht darum, Menschen die Möglichkeit zu geben, sich als Teil der Gesellschaft zu erleben, mit Anerkennung und Wertschätzung."
Als konkrete Beispiele für diese Arbeit nennt Krüger das "Osten Festival" in Wolfen. Die Region habe die Transformation getroffen, wie kaum eine andere. Vom Boom im frühen 20. Jahrhundert über das Chemie-Zentrum der DDR, hin zur mehr oder minder völligen Abwicklung nach 1990. "Es ist wichtig, die Erfahrungen zu heben, zum Thema zu machen, die Leute abzuholen mit ihren mitunter schwierigen Lebenssituationen, mit den Ohnmachtsgefühlen, mit dem nicht mehr gesehen werden, und mit den Abwertungserfahrungen, die damit verbunden waren."
Menschen ermächtigen, ihre Umbruchserfahrungen zu erzählen
Wer sich einlassen kann auf die Veränderung, hat Thomas Krüger erfahren, der kann lernen, wie man Zukunft selbst gestaltet, wieder handlungsfähig wird. "Es gibt Beispiele im Osten Deutschlands, wo Leute eine Art neuen Ost-Stolz entwickelt haben, weil sie etwas geschafft haben, weil sie etwas hergestellt haben." Aber natürlich gebe es oft auch das Gegenteil, eine Bitterkeit darüber, den eigenen Status verloren zu haben. "Ein Gefühl, nicht sozusagen adäquat gesehen zu werden, ein Gefühl, Menschen zweiter Klasse zu sein, all das sozusagen ist eigentlich in dieser Zeit der frühen Neunzigerjahre entstanden."
Und nun? Gilt es die großen Unterschiede auch innerhalb des Ostens wahrzunehmen und diejenigen zu stärken, die sich für die Demokratie engagieren. So stellt eine Analyse von Leipziger Soziologen nach der vergangenen Europawahl heraus, dass sozioökonomische Faktoren wie Einkommen, Bildung und Möglichkeiten zwar direkt mit dem AfD-Wahlergebnis zusammenhängen: Je ärmer einer Region, desto mehr Stimmen für die Rechtspopulisten. Doch es gibt Ausnahmen, etwa die sorbisch katholisch geprägten Gemeinden in der Nähe von Bautzen. "Solche kulturellen Prägungen haben schon immer eine Rolle gespielt", sagt Krüger, das sei schon 1933 so gewesen, als städtische und katholische Regionen seltener NSDAP wählten, als ländliche und protestantisch geprägte Gegenden.
Mut zur Veränderung
Hier gelte es, Mut zur Veränderungsbereitschaft zu machen, um die großen Herausforderungen anzunehmen. "Es mag so sein, dass wir das als Belastung, als anstrengend, als nervig empfinden. Aber wir sind nun einmal mit dieser Herausforderung konfrontiert und müssen darauf Antworten finden." Dafür brauche es eine Kultur des Zuhörens, des Argumente anhörens. "Man darf nicht sofort mit Ausschlusspraktiken reagieren, um die eigene Position für die allein heilig machende halten."
Studien/Links
- Adena, Huck (2024): Support for a right-wing populist party and subjective well-being: Experimental and survey evidence from Germany, Plos One
- EFBI Policy Paper 2023-2: Autoritäre Dynamiken und die Unzufriedenheit mit der Demokratie
- Dilling et.al.(2024): Putting authoritarianism in context
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | Im Diskurs | 03. August 2024 | 19:00 Uhr
Bernd1951 vor 6 Wochen
Ich finde sowohl die Bundeszentrale und die entsprechenden Landeszentralen für politische Bildung als auch den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags als sinnvolle Einrichtungen für z. B. das Verstehen auf welcher Grundlage bestimmte politische Entscheidungen getroffen werden. auch wenn mir die Entscheidung nicht gefällt. Leider hat der folgende Satz
von den politisch Verantwortlichen in den letzten Jahren zu wenig Beachtung gefunden: "Man darf nicht sofort mit Ausschlusspraktiken reagieren, um die eigene Position für die allein heilig machende (zu) halten." Und das gilt m. E. auch für das Verhalten zu Wählern bestimmter Parteien.
Fakt vor 6 Wochen
@Bernd1951:
Was meinen Sie wohl, weshalb ich unsere Form der Demokratie explizit erwähnt habe? Natürlich gibt es unterschiedliche Formen der Demokratie, da erzählen Sie nun wahrlich nichts Neues.
Ich weiß zwar nicht, was die Wahlen in anderen Ländern mit dem Thema zu tun haben, aber um Ihre Frage zu beantworten: Ich finde alle Wahlergebnisse, bei denen Rechtsextreme relevante Stimmanteile einstecken, schlicht und ergreifend zum kot...!
Bernd1951 vor 6 Wochen
Hallo Fakt,
meines Erachtens gibt es weder "die" Demokratie sowie es im Zusammenhang mit der Pandemie nicht "die" Wissenschaft gibt. Wenn Sie sich die EU-Staaten anschauen, dann gibt es verschiedenen Formen der Demokratie. In Frankreich gibt es eine zentralisierte auf die Macht des Präsidenten zugeschnittene Demokratie, während es in den Bundesrepubliken (wie Deutschland, Österreich) eine föderative Struktur gibt. Die Schweiz (kein EU-Mitglied) hat sogar mit den Volksabstimmungen starke Anteile an direkter Demokratie. In der DDR gab es im Ergebnis der friedlichen Revolution mit den Runden Tischen in Ansätzen auch Formen direkter Demokratie. Man kann am Zustand der Demokratie in Deutschland Kritik üben, aber das bedeutet m. E. nicht, dass man allgemein gesagt die Demokratie nicht begriffen hat. Und was sagen Sie zu den Ergebnissen bei den Wahlen in Frankreich, Italien, Österreich und den Niederlanden, bei denen rechtsextreme Parteien bestimmte Stimmanteile haben?