Gastbeitrag zur COP 29 Was bedeuten die Ergebnisse der Weltklimakonferenz für Unternehmen in Sachsen?
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26. November 2024, 14:13 Uhr
Die Weltklimakonferenz COP 29 in Baku ist Geschichte. Ihre Ergebnisse sind ein Kompromiss, der vielleicht das Schlimmste verhindert aber viele Entscheidungen vertagt hat. Wie gehen wir mit den Ergebnissen um? Welche Rolle spielt die Wirtschaft, wenn es um den Klimawandel und seine Folgen geht? Was bedeuteten die Ergebnisse für Unternehmen und was können diese selbst beitragen – zum Beispiel in Sachsen? Ein Gastbeitrag von Prof. Edeltraud Günther.
Brauchen wir Klimakonferenzen und wenn ja, wie oft und wie groß sollen sie sein? Lohnt es sich, dass letztes Jahr über 80.000 Menschen nach Dubai gereist sind und dieses Jahr über 40.000 nach Baku? Mit diesen Fragen werde ich als UN-Diplomatin regelmäßig konfrontiert. Nein, es lohnt sich nicht, weil die erzielten Ergebnisse nicht verbindlich sind, könnte man argumentieren. Oder: Ja, weil die Klimakonferenzen ein Ort sind, an dem die Weltgemeinschaft im Dialog ist. Und Dialog ist in Zeiten auseinanderdriftender Nationen wichtiger denn je zuvor.
Als Professorin für Betriebswirtschaft stelle ich mir vor allem die Frage: Was bedeuten die Klimaverhandlungen für Unternehmen, was bedeuten sie für Unternehmen in Sachsen?
Jahrzehnte, ja sogar jahrhundertelang haben wir die Auswirkungen wirtschaftlicher Tätigkeit auf die Umwelt ignoriert, weil die Ressourcen unserer Erde – Material, Wasser, Boden, Pflanzen- und Tierwelt, Energie, Fläche und eben auch das Klima – keine Stimme haben. In der Sprache der Wirtschaft bedeutet das: Ressourcen haben keinen Preis – oder zumindest keinen wahren. Und so spiegelt die Kostenrechnung die Wirkungen der Ressourcennutzung nicht ausreichend wider. Der Marktmechanismus funktioniert so: Was keine Kosten verursacht, findet keinen Eingang in Entscheidungen.
Prof. Dr. Edeltraud Günther
Die Wirtschaftswissenschaftlerin und Klimaökonomin war als Expertin in Baku. Sie ist UN-Diplomatin und arbeitet an der Universität der Vereinten Nationen in Dresden, in Kooperation mit der Technischen Universität. An der TU lehrt sie als Professorin für Nachhaltigkeitsmanagement und Betriebliche Umweltökonomie.
Was bedeutet nun die Lenkungswirkung von Preisen? 1988 wurde der Weltklimarat gegründet, um Entscheidungsträgerinnen und -trägern Fakten zum Klimawandel aufzubereiten, so dass sie evidenzbasiert Entscheidungen treffen können. Doch Wissen allein genügt nicht. Es passierte nichts. Im Kyoto-Protokoll 1997 wurden dann völkerrechtlich verbindliche Ziele festgelegt. Um den Markt nicht auszuklammern, wurden sog. flexible Mechanismen wie der Emissionshandel vorgesehen. Treibhausgasemissionen wirken weltweit, also wurde die Möglichkeit erlaubt, dort zu reduzieren, wo es am kostengünstigsten ist. 2005 wurde in Europa der Emissionshandel eingeführt, um Unternehmen die Möglichkeit zu geben, Zertifikate zu kaufen, wenn sie weniger Emissionen einsparen konnten als gesetzlich gefordert und Zertifikate zu verkaufen, wenn sie mehr einsparen konnten.
Preise, die wehtun müssen
Doch noch immer entstand keine wirkliche Lenkungswirkung. Der Emissionshandel wirkte erst, als die Preise für Emissionszertifikate wehtaten. Im europäischen Emissionshandelssystem (EU ETS) lag der Preis nach 2005 häufig unter 10 Euro pro Tonne CO₂. Ab etwa 2018 stieg der Preis deutlich an, zur Zeit liegt er bei 70 Euro und entfaltet Anreize.
Doch bei dem Blick auf die Kostenseite vernachlässigen wir, dass Ressourcenschonung ein Geschäftsmodell sein kann: Egal mit wem ich spreche, alle stimmen dem Satz zu: Weniger Ressourcenverbrauch ist besser, wenn die Produkte oder Dienstleistungen, die wir herstellen oder konsumieren, die gleiche – oder sogar eine bessere – Nutzung ermöglichen. Mir ist noch kein Unternehmer begegnet, der sagte: Ich würde gerne die Umwelt mehr belasten, auch wenn der Gewinn der gleiche bleibt. Und genau hier sehe ich die Chance der sächsischen Wirtschaft: Sachsen als Land der Ingenieurinnen und Ingenieure hat ein Riesenpotenzial, nicht die Frage zu stellen: "Rechnet sich Klimaschutz?", sondern zu fragen: "Wie rechnet sich Klimaschutz?".
Lassen Sie mich eine Branche herausgreifen: Die Bauwirtschaft trägt zu 37 Prozent der CO₂-Emissionen weltweit bei, sie verursacht 34 Prozent des globalen Energieverbrauchs. 45 Mio. t Material (Sand, Kies, Lehm) wurden 2020 gewonnen. In Deutschland sind 60 Prozent des Abfalls Bauabfälle. Die Betonherstellung war 2012 für 9 Prozent des globalen Industriewasserverbrauchs verantwortlich. Für 2050 wird erwartet, dass 75 Prozent der Wassernachfrage für die Betonherstellung in Regionen anfällt, die unter Wasserstress leiden. Der Wohnraum pro Person wird bis 2060 von 20,0 m2 auf 26,6 m2 steigen. Die bebaute Fläche insgesamt wird sich verdoppeln. Wir versiegeln täglich in Deutschland 50 Hektar. Auch wenn das Maß nicht exakt stimmt, stellen Sie sich vor: 50 Fußballfelder pro Tag.
Ich sehe ein großes Potential, das Bauen ressourcenorientiert neu zu gestalten. Um möglichst viele Ideen weltweit zu mobilisieren, haben wir an der Universität der Vereinten Nationen einen Architekturwettbewerb für ein "Haus ohne Abfall" ins Leben gerufen, ein Haus, das primär aus Abfallmaterialien gebaut wird, Abfall vermeidet und die Ressourcen vollständig im Kreislauf hält. Idealerweise ist das Gebäude auch CO2-neutral, ein Plus-Energie-Haus, das Wasser im Kreislauf führt, möglichst wenig Boden versiegelt und eine modulare Nutzung über Jahrzehnte hinweg ermöglicht.
Kreislaufwirtschaft: Der Mensch im Mittelpunkt
Der internationale Wettbewerb greift die Prinzipien der Europäischen Union für eine Kreislaufwirtschaft auf, nach den Anfangsbuchstaben im Englischen auch 9R genannt: Vermeiden (Refuse), Überdenken (Rethink), Reduzieren (Reduce), Wiederverwenden (Reuse), Reparieren (Repair), Renovieren (Refurbish), Wiederaufarbeiten (Remanufacture), Umfunktionieren (Repurpose) und Recyceln (Recycle). So soll ein wegweisendes öffentliches Gebäude geschaffen werden, das die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft umsetzt und die Menschen in den Mittelpunkt stellt. Der Wettbewerb wird in Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten verschiedener Disziplinen – Architekten, Bauingenieurinnen, Materialwissenschaftlerinnen, Abfallwissenschaftlern, Nachhaltigkeitsforschenden und Sozialwissenschaftlern – entwickelt.
Wissenschaftlich schauen wir uns das Zusammenspiel aller Umweltressourcen, Material, Wasser, Boden, Fläche, Klima, Energie und Biodiversität an, der Fachbegriff hierzu ist Ressourcen-Nexus. Der Architekturwettbewerb soll nicht nur wissenschaftliche Exzellenz fördern, sondern auch öffentliches Interesse wecken. Und vor allem soll das Gebäude ein positives Beispiel für eine Geschäftsmodell sein. Viel zu oft erklären wir den Umgang mit den Ressourcen unseres Planeten mit dem erhobenen Zeigefinger. Davon müssen wir wegkommen. Ich bin überzeugt, Ressourcenschonung wird dann zum Trend, wenn wir Lösungen entwickeln, die nicht den Verzicht in den Mittelpunkt stellen, sondern unsere Bedürfnisse. Öffentliche Beschaffung kann und muss vorangehen, das "Haus aus Abfall" ist ein Beispiel für gute Governance, wie sie in der Vision "Vereinte Nationen 2.0" beschrieben wird.
Viele ähnliche Initiativen werden wir im Bauforschungszentrum Living Art of Building (LAB) vorantreiben, das insbesondere in Sachsen und Thüringen angesiedelt wird. Ziel ist, das Bauen entlang von zehn Werten neu auszurichten: Neutralität, Zirkularität, Suffizienz, Humanität, Erhalt, Kreation, Inspiration, Biodiversität, Flexibilität, Resilienz. Koordiniert wird die Gründung des LAB vom Bundesbauministerium. Dass die sächsische Bauforschung internationale Anerkennung genießt, zeigt sich darin, dass die Global Alliance for Buildings and Construction der Vereinten Nationen auf der Klimakonferenz in Baku angekündigt hat, dass die nächste Jahresversammlung im April 2025 in Dresden stattfinden wird.
Geben wir den Schwächsten eine Stimme
Abschließend noch ein Appell: Wir werden nicht alle Herausforderungen, die die Ressourcennutzung an die Menschheit stellt über den Markt lösen können. Die schwächsten Länder, in denen Menschen unter oft sklavenähnlichen Bedingungen für unseren Wohlstand arbeiten, Inselstaaten, die vom steigenden Meeresspiegel betroffen sind, indigene Völker, auf deren Gebiet die Ressourcen für unsere Energiewende abgebaut werden und die zukünftigen Generationen, denen wir mit Mikroplastik belastete Böden hinterlassen, haben keine Stimme. Sie sind betroffen von unserer Art des Wirtschaftens. Diese Menschen benötigen unsere Unterstützung und deshalb ist es wichtig, dass wir uns klar dazu bekennen, sie finanziell zu unterstützen. Hierzu benötigen wir die Klimakonferenzen. Wenn wir die Probleme nicht lösen, werden wir Migrationswellen auslösen, die uns mit bisher nie gekannter Wucht erreichen.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 22. November 2024 | 17:40 Uhr