Vor internationalem Abkommen Studie zeigt vier Maßnahmen, die zu 91 Prozent weniger Plastikmüll in der Natur führen sollen
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14. November 2024, 20:00 Uhr
Vom 25. November bis 1. Dezember findet im südkoreanischen Busan die fünfte und letzte Verhandlungsrunde zum internationalen Plastik-Abkommen statt. Kurz vorher zeigt nun eine Studie Wege auf, die zu einer deutlichen weltweiten Reduktion des Kunststoffs führen sollen. Die Forschungsgruppe spricht von 91 Prozent weniger "schlecht verwaltetem" Plastikmüll und 30 Prozent weniger durch Kunststoffe verursachte Treibhausgasemissionen – mittels vier politischer Maßnahmen.
Die Staaten und Organisationen der Welt sind sich noch nicht einig, in welchem Umfang sie Plastik in der Zukunft verpflichtend reduzieren wollen. Einige haben die sogenannte 40/40-Regelung im Auge: 40 Prozent weniger neues Plastik bis 2040. Anderen, wie Greenpeace, geht das nicht weit genug: 75 Prozent weniger Kunststoffproduktion bis 2030 soll es bitte sein. Wieder andere wie Saudi-Arabien und weitere erdölproduzierende Staaten lehnen eine neue Klausel zur Reduktion von Neuplastik bislang sogar ganz ab, stattdessen solle der ganze Fokus auf dem Recycling liegen.
Am Ende der Verhandlungen in Busan soll jedenfalls möglichst ein ausgearbeiteter Vertragstext stehen, den die Regierungen der Welt dann bei einem neuerlichen Treffen im kommenden Jahr offiziell verabschieden könnten. Was darin steht, ist aber noch nicht abzusehen und muss wohl zäh verhandelt werden. "Schützenhilfe" mit wissenschaftlichen Argumenten will dabei eine Forschungsgruppe aus den USA geben. Die Forscher um Samuel Pottinger von der University of California haben ihre neue Studie ganz bewusst im unmittelbaren Vorfeld des Plastik-Gipfels veröffentlicht, und zwar im renommierten Magazin Science.
"Diese Studie zeigt, wie weit wir nicht nur bei der Quantifizierung der vielfältigen Probleme im Zusammenhang mit Kunststoffen gekommen sind, sondern auch bei der Ermittlung und Bewertung potenzieller Lösungen", sagt Roland Geyer, Professor für industrielle Ökologie und Mitautor der Studie. "Ich bin sehr stolz auf das, was unser Team rechtzeitig vor der letzten Verhandlungsrunde für den Globalen Kunststoffvertrag erreicht hat."
Laut Studie: 91 Prozent weniger "schlecht verwalteter" Plastikmüll, 30 Prozent weniger Treibhausgase
Kernaussage der Studie: Wenn man an mehreren (politischen) Hebeln ansetzt, dann sind bis 2050 extreme Verringerungen beim – wie die Studie ihn nennt – "schlecht verwalteten" Plastikmüll machbar, wobei mit "schlecht verwaltet" jener Plastikmüll gemeint ist, der weder recycelt noch verbrannt, noch deponiert wird, sondern irgendwo in der Natur herumliegt. Und auch starke Treibhausgas-Einsparungen bei der Plastikherstellung gingen damit einher.
Um das zu berechnen, hatte die Forschungsgruppe ein Modell entwickelt, das auf maschinellem Lernen beruht. Das wiederum sorgt allerdings dafür, dass Außenstehende kaum nachvollziehen können, wie genau diese künstliche Intelligenz angelernt wurde und wie realitätsnah sie arbeitet. Gefüttert wurde sie jedenfalls von Plastikforschern, Datenwissenschaftlern und KI-Experten mit vielen, vielen Daten, um anschließend Informationen über Bevölkerungswachstum und Wirtschaftstrends zu kombinieren und die Zukunft von Kunststoffproduktion, -abfallwirtschaft und -handel vorherzusagen.
Damit simulierten die Forscher schließlich, welche Auswirkungen acht plausible politische Maßnahmen zur Verringerung von Plastikmüll und Emissionen hätten, wenn sie überall auf der Welt angewendet würden.
Acht politische Maßnahmen, die simuliert wurden:
- Obergrenze bei der Plastik-Neuproduktion
- Verpflichtung zur Wiederverwendung von recyceltem Plastik
- Investitionen ins Abfallmanagement
- Investitionen in die Recycling-Infrastruktur
- verpflichtende Recycling-Quote
- Verpackungssteuer
- Reduktion von Einweg-Verpackungen
- Verpflichtung zu Mehrweg-Verpackungen
Es zeigte sich, dass schon die einzelne Maßnahme, verpflichtend 40 Prozent von neuem Plastik aus recyceltem Material bestehen zu lassen, den jährlichen neuen "schlecht verwalteten" Plastikmüll auf knapp die Hälfte zurückgehen ließe. Und wenn dann noch weltweit die drei Maßnahmen "Neuproduktionsmenge maximal wie 2020", "hohe Verpackungssteuern" und "50 Milliarden US‑Dollar für Abfall‑Infrastruktur" hinzukämen, wären 91 Prozent weniger "schlecht verwalteter" Plastikmüll möglich sowie 30 Prozent weniger Treibhausgase durch Plastikproduktion.
Umgekehrt sagen die Berechnungen der Forscher, dass bei einem Weiter-so-wie-bisher die Treibhausgasemissionen durch Plastik bis 2050 um 37 Prozent steigen und sich die jährliche "schlecht verwaltete" Müllmenge sogar fast verdoppeln wird.
Maßnahmen gegen Plastikmüll: Größte Auswirkungen nicht in der "westlichen Welt"
Die Forscher unterteilten die Welt für ihre Untersuchung in vier Teile: Europa (EU plus Schweiz und Norwegen), Nordamerika (USA, Kanada, Mexiko) und China als führende Industrie-Regionen – sowie den Rest der Welt, den sie "Majority World" (Mehrheitswelt) nannten. Schon jetzt ist in diesem "Rest der Welt" das Plastikmüll-Problem deutlich größer als in den anderen drei Regionen. Ohne Maßnahmen würde diese Schere noch viel weiter auseinandergehen. Und entsprechend gäbe es im "Rest der Welt" auch die größte Reduktion des Problems bei entsprechenden Maßnahmen. In der folgenden Grafik können Sie mit der gelben Schaltfläche zwischen den drei Szenarien hin- und herschalten.
Die Forscher haben auch ein interaktives Tool (mit englischsprachiger Benutzeroberfläche) auf Grundlage ihres Simulationsmodells entwickelt und veröffentlicht, mit dem nun jede Privatperson (und, wie die Forscher hoffen, jede Regierung) nachsehen kann, wie sich welche politische Maßnahme auf Plastikmüll und Treibhausgasemissionen bei der Produktion auswirken.
... wenn das Rechenmodell denn stimmt...
Allerdings ist natürlich fraglich, wie realitätsnah so eine angelernte KI die Zukunft vorhersehen kann. Und auch die Auswahl der Kriterien an sich ruft schon Diskussionen in der Forschungslandschaft hervor. Catharina Bening, Leiterin der Arbeitsgruppe für Nachhaltigkeit und Technologie an der ETH Zürich, hat bei der Lektüre der Studie ein paar Inkonsistenzen festgestellt, außerdem fehlen aus ihrer Sicht einige Überlegungen, wie eine Hierarchie der Recycling-Strategien und die Gesundheitsauswirkungen von Plastik, Mikroplastik und deren chemischen Bestandteilen auf den Menschen.
Außerdem scheint aus Benings Sicht "die Zielquote von 40 Prozent recyceltem Inhalt in allen Sektoren insgesamt zu hoch angesetzt und könnte zu irreführenden Schlussfolgerungen führen." Deshalb hält sie die Studie insgesamt zwar für "eine interessante Datenanalyse, die einige relevante Hypothesen aufzeigt und möglicherweise auf einem komplexen Berechnungsmodell basiert. Es besteht jedoch die Sorge, dass einige Schlussfolgerungen und Vorschläge für politische Maßnahmen irreführend sein könnten."
Und auch Sina Leipold, Leiterin der Departments Umweltpolitik am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig und Professorin für Umweltpolitik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, hat manches zu kritisieren. So sei die bloße Reduzierung von Einwegplastik nicht automatisch gleichzusetzen mit "unbedenklichem" Ersatz. "Zum Beispiel könnte sie zu einer enormen Zunahme von wiederverwendbaren Verpackungen führen, die dann nur wenige Male verwendet werden."
Auch stelle eine Infrastruktur für Abfallmanagement an sich noch nicht sicher, dass die Misswirtschaft im großen Stil reduziert wird. Und bei der Verpackungssteuer sei stark von deren Höhe abhängig, "ob sie die Menschen tatsächlich davon abhält, das Produkt zu kaufen, oder ob sie nur ein wenig mehr bezahlen müssen." Desweiteren gehe die Studie davon aus, dass jede politische Maßnahme auch sofort in der Praxis funktioniert. "Die Wirksamkeit ist jedoch nicht garantiert, sie hängt von vielen Faktoren bei der Gestaltung und Umsetzung der Politik ab."
Dennoch zeige die Studie auf jeden Fall eines, sagt Sina Leipold, nämlich "wie groß das Problem des unkontrollierten Plastikmülls wird, wenn nicht eingegriffen wird. Die Projektion der zukünftigen Plastikproduktion und des Plastikverbrauchs scheint mir am zuverlässigsten zu sein, da sie nicht sehr von früheren Analysen abweicht."
Links / Studien
Die Studie "Pathways to reduce global plastic waste mismanagement and greenhouse gas emissions by 2050" ist im Fachjournal "Science" erschienen.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 30. Oktober 2024 | 07:46 Uhr