Symbolbild: Frau grübelt an einem Laptop.
Muss das jetzt wirklich noch fertig werden? Vorsicht, wer zu oft verschiebt, kann gesundheitliche Probleme bekommen. Bildrechte: Colourbox.de

Prokrastination Warum der innere Schweinehund krank macht und wie man ihn vertreibt

18. Januar 2023, 08:57 Uhr

Wohl jeder von uns schiebt Unliebsames hin und wieder auf die lange Bank. Wenn das ohne ersichtlichen Grund und immer wieder geschieht, nennen die Experten das Prokrastination. Dass sie auf lange Sicht krank machen kann, darauf deuten viele Studien hin. Eine neue Untersuchung dazu kommt jetzt aus Schweden. Aber warum taucht der "innere Schweinehund" überhaupt bei uns auf und wie werden wir ihn wieder los?

Wer dauerhaft Dinge vor sich her schiebt, beeinträchtigt damit auch seine Gesundheit. Das bestätigt eine aktuelle Längsschnittstudie aus Schweden. Die Forschenden der Sophiahemmet-Universität in Stockholm hatten dazu Daten von 3.525 Studierenden aus dem Großraum Stockholm und Örebro ausgewertet, die im Zeitraum von August 2019 bis Dezember 2021 zu jeweils drei Zeitpunkten dazu befragt wurden, wie sie an ihre Aufgaben herangehen und wie häufig sie die Erledigung aufschieben. Neun Monate später überprüfte das Forschungsteam, wie es den Befragten gesundheitlich ergangen war. Das Ergebnis: je höher die Teilnehmer ihre Neigung zum Verschieben bewerteten, desto stärker klagten sie auch über Beeinträchtigungen wie Depression, Angst, Stress, Schmerzen, schlechten Schlaf, aber auch über Antriebslosigkeit, Einsamkeit, wirtschaftliche Schwierigkeiten und allgemein ein schlechteres Wohlbefinden.

Jeder Vierte ist betroffen

"Aus früheren Studien wissen wir, dass 25 Prozent der Bevölkerung regelmäßig prokrastiniert, also ohne objektiven Grund Dinge verschiebt", so Hannes Zacher, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie am Wilhelm-Wundt-Institut für Psychologie der Universität Leipzig. Seit Jahrzehnten interessiert sich die Wissenschaft für dieses Phänomen und sie kann uns inzwischen auch eine Erklärung dafür liefern, wann der "innere Schweinehund" kommt und zu wem er sich besonders gern gesellt.

Professor Hannes Zacher
Hannes Zacher ist Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Uni Leipzig Bildrechte: Swen Reichhold/Universität Leipzig

Zu wem kommt der "innere Schweinehund" und warum?

"Zum einen schieben die Menschen besonders gern auf, die unsicher sind, die eine geringe Selbstwirksamkeit erleben. Sie haben große Zweifel daran, ob sie bestimmte Tätigkeiten ausführen und erfolgreich zu Ende bringen können", erklärt Zacher. "Sie haben Angst vor Misserfolg. Und um diesen nicht erleben zu müssen, fangen sie gar nicht erst an. Denn ein Misserfolg würde ja unser Selbstwertgefühl bedrohen und uns weiter verunsichern." Das trifft auch auf diejenigen zu, die mit einer sogenannten externen Kontrollüberzeugung leben: Sie glauben daran, dass ihr Erfolg oder Misserfolg nicht von ihnen selbst abhängt, sondern überwiegend von außen gesteuert wird: durch andere Menschen, durch die Uni oder die Gesellschaft im Allgemeinen.

Sie haben Angst vor Misserfolg. Und um diesen nicht erleben zu müssen, fangen sie gar nicht erst an.

Prof. Hannes Zacher, Psychologe, Uni Leipzig

Aber auch die Art der Arbeit, die zu erledigen ist, spielt eine Rolle, ob man sie gleich in Angriff nimmt oder eher nicht. "Vor allem, wenn die Aufgabe zu komplex, zu wenig definiert ist, wenn sie inhaltlich nicht besonders herausfordernd und motivierend ist, fällt es oft schwer, sie anzugehen." Das komme während des Studiums besonders häufig vor, weiß Hannes Zacher aus Erfahrung. Dabei gibt es zwei kritische Punkte: einen Anfang zu finden und ein gutes Ende. Sein Tipp für Lehrkräfte und Arbeitgeber ist: die Aufgaben klarer definieren, die Ziele herausfordernd gestalten, immer wieder Feedback geben und die Selbstwirksamkeit der Studierenden oder Mitarbeiter erhöhen. Dafür sind vier Dinge wichtig: überschaubare Teilaufgaben, frühe Erfolgserlebnisse schaffen, auf positive Vorbilder verweisen, gut zureden: "Du schaffst das, du kannst deine Ziele erreichen." Und eine positive und möglichst stressfreie Arbeitsatmosphäre schaffen. Diese Tipps hat Prof. Hannes Zacher für diejenigen, die selbst vor einer Aufgabe stehen, die sie gern verschieben würden:

4 Tipps gegen das Verschieben

  1. Im Team arbeiten: Das erhöht den sozialen Druck und die Motivation, denn der Beitrag des Einzelnen ist wichtig für die anderen und für den gemeinsamen Erfolg.
  2. Spezifische Ziele formulieren und Teiletappen abstecken: , die messbar sind. Eine Deadline für Teiletappen zu setzen. Nicht: "Ich muss an meiner Abschlussarbeit schreiben.", sondern: "Ich muss jeden Tag 200 Wörter für meine Abschlussarbeit schreiben."
  3. Erfolgstagebuch führen: besonders bei komplexen Aufgaben, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken. Damit macht man sich bewusst, was man schon geschafft hat.
  4. Sich belohnen: Wenn ich die 200 Wörter geschafft habe, darf ich eine Folge meiner Lieblingsserie schauen.

Wer Dinge nicht immer sofort erledigt, ist nicht automatisch jemand, der von Prokrastination betroffen ist. Sich Zeit zu nehmen für seine Aufgaben, sie wohlüberlegt anzugehen, wirke sich durchaus positiv auf die Qualität aus, so Hannes Zacher: "Prokrastination ist ein dauerhaftes Aufschieben ohne objektiv ersichtlichen Grund", grenzt er den Begriff ein. Auf Dauer kann es den Stellenwert einer pathologischen Störung einnehmen: wenn das Verschieben Gesundheit und Lebensqualität beeinflusst und sich die Betroffenen trotz all der guten Tipps nicht überwinden können, ihre Aufgaben kontinuierlich anzugehen, spätestens dann brauchen sie Hilfe. Und das sollten Sie auf keinen Fall aufschieben!

Links/Studien

Wie groß ist mein innerer Schweinehund? Hier einfach testen!
Wo finde ich Hilfe, wenn ich einfach keinen Anfang finde? An der Uni Münster gibt es eine Prokrastinationsambulanz und die FU Berlin bietet für Studierende Workshops für den Umgang mit dem Verschieben an.
Studie: Assoziationen zwischen Prokrastination und nachfolgenden Gesundheitsergebnissen bei Universitätsstudenten in Schweden

krm

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 15. Januar 2020 | 17:50 Uhr

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