Teasergrafik Altpapier vom 10. Juli 2019: WDR-Logo sowie Figur mit Händen vor dem Mund.
Bildrechte: MEDIEN360G / panthermedia

Das Altpapier am 10. Juli 2019 Zeitschleife

Beim WDR wurde am Dienstag gestreikt, einige Moderatoren blieben stumm – wortwörtlich und im übertragenen Sinn wohl auch, weil sie sich inhaltlich nicht zum Streik äußern sollten. Von einem "Maulkorberlass" ist die Rede. Bedroht der Rundfunk selbst die Rundfunkfreiheit? Außerdem: Fortsetzung in der Gebühren-Debatte, Politiker als Journalisten und Frauen- und Männerbilder in aktuellen Serien. Ein Altpapier von Kathrin Hollmer.

Am Dienstag haben Verdi und der Deutsche Journalistenverband (DJV) zum Warnstreik beim WDR aufgerufen, bevor dort am Donnerstag die Tarifverhandlungen weitergehen. Am Morgen zogen Verdi-Mitglieder mit Flaggen und Warnwesten unter anderem ins Studio des "Morgenmagazins". (Fotos und Videos hat Verdi auf Twitter veröffentlicht.)

Beim Sender 1LIVE sei am Morgen wegen des Streiks nur Musik gelaufen, weil die Moderatoren ihre Arbeit niedergelegt hatten, auch die Nachrichten seien ausgefallen, meldet RP Online, wo man auch die Forderungen der Gewerkschaften nachlesen kann. Bei WDR 2 hätten andere Moderatoren als sonst moderiert. Verdi zufolge fiel ein Drehtag bei der "Lindenstraße" aus. Das "Morgenmagazin" sendete zwischen sieben und acht Uhr eine Wiederholung der Aufzeichnung ab sechs Uhr, auch zwei "Tagesschau"-Ausgaben wurden dabei wiederholt.

"Moderatoren im Radio bleiben stumm", lautet die Überschrift bei RP Online. Das ist erst einmal wortwörtlich gemeint, allerdings kursiert eine Rundmail von Jochen Rausch, der die Breitenprogramme beim WDR (1LIVE, WDR 2 und WDR 4) leitet. Darin soll er darauf hinweisen, dass sich die Moderator*innen inhaltlich nicht zum Streik äußern sollen.

Verdi zitiert online aus der Rundmail von Jochen Rausch:

"Es solle selbstverständlich sein, dass 'Moderator*innen ihre Position am Mikrofon nicht dazu benutzen, sich inhaltlich zum Thema zu äußern, sondern neutral verhalten. Nicht die Gewerkschaften, sondern einzig und allein der WDR hat die Programmverantwortung und entscheidet, inwieweit Streiks gegen den WDR zu Programminhalten werden. Konkret: Wenn wir uns in den Programmen zu dem Thema äußern, dann nur auf Ansage von programmverantwortlichen Redakteur*innen. In der Vergangenheit gab es bei dieser Thematik gelegentlich Missverständnisse, deshalb weise ich noch einmal ausdrücklich darauf hin.'"

Der DJV-Pressesprecher Hendrik Zörner schreibt dazu im DJV-Blog:

"Gut möglich, dass die Hörer mehrerer Radiowellen des WDR davon (vom Warnstreik, Anm.) nichts erfahren. Denn für die Moderatoren von 1Life, WDR2 und WDR4 wurde ein Maulkorberlass verfügt."

Jetzt ist "Maulkorberlass" natürlich ein Kampfbegriff, aber auch wenn kein direktes Redeverbot ausgesprochen wurde, ist es dennoch äußerst problematisch, wenn ein Senderverantwortlicher, ich möchte fast sagen, passiv-aggressiv, anmerkt, dass es "selbstverständlich sein solle", dass man zu einem Thema nichts sage. DWDL zitiert dazu David Jacobs, Vorsitzenden von ver.di im WDR: "Die Forderung, 'Berichterstattung über Tarifauseinandersetzungen 'in eigener Sache' unter dem Deckmantel der 'Neutralität' zu unterlassen‘, sei im Sinne der Rundfunkfreiheit nicht hinnehmbar."

Die Frage, ob sich Mitarbeiter "gegenüber der Rundfunkanstalt auf die Rundfunkfreiheit berufen" können, die "Innere Rundfunkfreiheit", taucht im Mediendiskurs immer wieder auf, abschließend geklärt ist sie nicht. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der neben Meinungsneutralität auch Meinungspluralität garantieren muss, sollte aber Meinungen zulassen statt seine Mitarbeiter aufzufordern, diese für sich zu behalten.

Bei DWDL erschien knapp eine Stunde nach Veröffentlichung ein Update mit einer Ergänzung des WDR:

"Der WDR stellt im Zusammenhang mit der Mail von Jochen Rausch klar, dass dieser eine Berichterstattung nicht ausgeschlossen, sondern lediglich darauf hingewiesen habe, dass die Entscheidung darüber – wie bei allen anderen Programminhalten – den sendeverantwortlichen Redaktionen vorbehalten sei und sich Moderatorinnen und Moderatoren nicht über deren Programmverantwortung hinwegsetzen sollten."

Bei anderen Programminhalten – die nicht die Position des WDR vor der nächsten Tarifverhandlungsrunde schwächen könnten – gibt es sicher nicht jedes Mal einen Hinweis auf die Entscheidungshoheit der sendeverantwortlichen Redaktionen.

Der Tagesspiegel titelte übrigens salopp "'Morgenmagazin' sendet Wiederholung und kaum einer merkt den Unterschied", um die "grundsätzliche Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk" mit zwei Tweets zu belegen, ("'Wieso wird gestreikt. Reichen die 8 Milliarden wieder nicht', hieß es unter anderem. 'Wäre nicht der Hinweis im Bild zu sehen, würde man keinen Unterschied merken. Gibt es da Einsparpotenzial?', lautete ein anderer Tweet, den es in ähnlicher Form des Öfteren zu lesen gab."), die (wie ihre Auswahl) ungefähr so reflektiert sind wie Franz Josef Wagners "Brief" zum "Morgenmagazin": "Ihr quatscht doch alle halbe Stunde dasselbe." Aber hey, für ein bisschen Zunder in der Headline nimmt man das wohl in Kauf.

Altpapierkorb (Fortsetzung in der Gebühren-Debatte, Politiker als Journalisten und Frauen- und Männerbilder in aktuellen Serien)

+++ Prof. Dr. Hubertus Gersdorf vom Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Medienrecht an der Universität Leipzig hat im Auftrag der CDU-Landtagsfraktion in Sachsen ein Gutachten über "Auftrag und Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks" erstellt. Seine Forderung: Bei einer Flexibilisierung des Auftrags müsse der Drei-Stufen-Test unter Einbeziehung der KEF neu geregelt werden. Bei Medienpolitik gibt Gersdorf ein Interview dazu. 

+++ Nochmal Gebühren, nochmal CDU: Die aktuelle Diskussion über die Rundfunkgebühren sollte ein Anlass für einen größeren Umbau sein, kommentiert Thomas Dittrich, Vorsitzender der Bundesarbeitsgruppe Medienwirtschaftspolitik des Wirtschaftsrates der CDU e.V. und Geschäftsführender Gründungsgesellschafter der EMBA Europäische Medien- und Business Akademie, im Tagesspiegel. Er schreibt: "Das System braucht jetzt, um zukunftsfähig zu werden, ein nachhaltiges und von der Gesamtgesellschaft getragenes Update!"

+++ Apropos Politiker als Journalisten. Gestern ging es an der Stelle um die Kolumne von Friedrich Merz in der Welt am Sonntag, in seiner taz-Kolumne kritisiert Steffen Grimberg die "Ja-schon-immer-irgendwie-Parteizeitung Daily Telegraph" aka "Daily Torygraph" aka "Boris-Blatt".

+++ Für die SZ-Medienseite (Blendle) hat Julian Erbersdobler die Redaktion der Zeitung des deutschen Bundestags, Das Parlament, besucht, die so viele Herausgeber hat wie es Bundestagsabgeordnete gibt: 709.

+++ "Wie es um die Pressefreiheit in Saudi-Arabien bestellt ist, bedarf keiner Frage. Sie existiert nicht", schreiben Nora Sefa und Michael Hanfeld in der FAZ. Die "Reporter ohne Grenzen" sind trotzdem nach Riad gefahren, ROG Christian Mihr erklärt, warum.

+++ Bei den Enthüllungen um das Ibiza-Video (siehe Altpapier) gibt es Neues: Die österreichische Staatsanwaltschaft ermittelt auch wegen möglicher illegaler Parteispenden gegen die ÖVP und die SPÖ.

+++ Bei der Berichterstattung über den mutmaßlichen Mörder des hessischen Politikers Walter Lübcke nennen manche Medien (wie der Tagesspiegel) den Nachnamen des Verdächtigen Stephan E., andere (wie der Deutschlandfunk) kürzen ihn ab. Im DLF erklärt Jost Müller-Neuhof, rechtspolitischer Korrespondent beim Tagesspiegel und Mitglied der Vollversammlung des Deutschen Presserats, warum es zulässig ist, den Namen zu nennen.

+++ Die Tageszeitung "Österreich" hat ihre Titelseite über eine "neue Flüchtlingswelle" und die aktuelle Situation in einem Flüchtlingslager in Bosnien mit einem drei Monate alten Foto aus Diavata in Griechenland bebildert, meldet Der Standard. Aufgedeckt hat das Ganze die Politologin Petra Bernhardt in einem Tweet.

+++ RTL II zeigt zum ersten Mal eine komplett barrierefreie Serie: "F4LKENB3RG" kann man über eine App des Berliner Unternehmens Greta & Starks mit Untertiteln oder Audiodeskription konsumieren. Für Seh- und Hörbeeinträchtigte soll es demnächst noch zusätzlich eine Hörverstärkung geben, meldet Meedia.

+++ Bereits am Dienstag beschäftigte sich Anant Agarwala auf der Medienseite der Süddeutschen Zeitung mit Natalia Dyer, bekannt geworden als Nancy Wheeler in der Serie "Stranger Things". "Weibliche Heldin der Stunde", meinen die einen, Beispiel für die "Unfähigkeit in den männlich-dominierten Autoren- und Produzentenzimmern Hollywoods, vernünftige weibliche Figuren zu erfinden", die anderen. Über zwei konkurrierende, klischeehaft inszenierte Männlichkeitsmodelle schrieb Tomasz Kurianowicz am Montag in der Welt. Im Netflix-Sequel von "Shaft" prallen vulgäre Coolness (Shaft) und feinfühlige Political Correctness (sein Sohn JJ Shaft Junior) aufeinander, die sich dann natürlich gegenseitig missionieren.

+++ Ebenfalls am Montag kritisierte Tilmann Gangloff in der Stuttgarter Zeitung die Praxis der Öffentlich-Rechtlichen, innovatives Fernsehen am liebsten nach 23 Uhr zu versenden, und das kann man nicht oft genug machen. Aktueller Anlass: die eben angelaufene Reihe "Shooting Stars – Junges Kino im Zweiten" mit Kinokoproduktionen der Redaktion "Das kleine Fernsehspiel" vom ZDF. "Sendungen um 20.15 Uhr sollen möglichst viele Zuschauer erreichen, und das ist bei Nachwuchsfilmen schwieriger einzuschätzen als bei Filmen von etablierten Regisseuren", zitiert die Stuttgarter Zeitung Redaktionsleiterin Claudia Tronnier. In der Primetime werden darum lieber alte Folgen "Bergdoktor" wiederholt.

Neues Altpapier gibt es am Donnerstag.