Das Altpapier am 12. September 2017 Beihilfe zur Beleidigung

12. September 2017, 12:26 Uhr

Der RBB zeigt seinem Moderator Jörg Thadeusz die Gelbe Karte. Das ZDF bietet im Kampf gegen "Linksextremisten" einen AfD-Mann auf. Die Berliner Staatsanwaltschaft versteht offenbar die Schmähkritik-Urteile des Bundesverfassungsgerichts nicht. Ein Altpapier von René Martens.

Dass das am 15. August gestartete RBB-Talkformat "Fahrbereitschaft" derzeit zumindest in Journalistenkreisen viel Aufmerksamkeit erfährt, müsste dem Sender eigentlich recht sein. Zumal heute Abend eine neue Folge des Prä-Wahl-Talks läuft, zu Gast ist dann Dietmar Bartsch, der Fraktionsvorsitzende der Linken, den die PR-Prosa-Dichter des RBB allen Ernstes anpreisen als "kühlen Blonden aus dem Norden", der "wie ein besonnener Steuermann das Schiff auf Kurs hält". Dummerweise ist die Sendung aber gerade deshalb im Gespräch, weil sich Moderator Jörg Thadeusz unter berufsethischen Gesichtspunkten daneben benommen hat. Er hat am Wochenende nicht nur eine CDU-Sause unter dem Titel "Wirtschaft, Wohlstand, gutes Leben - heute die Weichen für morgen stellen" moderiert und dort mit Angela Merkel getalkt, nein, er war noch so frech, sich folgendermaßen vorzustellen:

"Mein Name ist Jörg Thadeusz. Ich arbeite hauptsächlich für den Rundfunk Berlin-Brandenburg. Und fahre im Moment mit den Spitzenpolitikern der kandidierenden Parteien im Auto. ‚Fahrbereitschaft'. Gucken Sie sich das bitte an. Das war ein kleiner Programmhinweis, Frau Bundeskanzlerin."

Stefan Niggemeier greift für Übermedien nun die Reaktion des Senders auf:

"(Wir) missbilligen (…) diesen Vorgang und haben ihm dies in aller Deutlichkeit übermittelt. Wir haben ihn auch gebeten, auf solche oder ähnliche Engagements mindestens in der verbleibenden Zeit bis zur Wahl zu verzichten, um die Fortsetzung seiner aktuellen Sendung 'Fahrbereitschaft' am Dienstagabend im rbb nicht zu gefährden."

Das klingt einerseits relativ streng ("in aller Deutlichkeit"), andererseits ist die heutige Ausgabe von "Fahrbereitschaft" eh die vorletzte. Niggemeier meint, dass "eine Moderation wie die von Thadeusz (…) wohl keine (…) aktive Betätigung in einem Wahlkampf" darstelle, die laut Paragraph 28 der RBB-Geschäftsordnung nicht gestattet ist. Seine Einschätzung:

"Hätte Thadeusz den Talk mit Angela Merkel moderiert, ohne in irgendeiner Weise auf seine Tätigkeit für den rbb zu verweisen, hätte der Sender seinen Auftritt wohl nicht missbilligt."

Darüber, ob Thadeusz’ Auftritt bei der CDU legitim ist, wird unter anderem in diesem, von Daniel Bouhs eröffneten Facebook-Thread diskutiert.


Der "Experte" von der AfD

Dass das Agieren mancher öffentlich-rechtlicher Journalisten "für die Grenzverschiebung des politischen Diskurses nach rechts" (Matthias Dell/Zeit Online) steht, ließ sich am vorvergangenen Wochenende beispielhaft beim sog. TV-Duell beobachten, bei dem auch die Fragesteller von ARD und ZDF mit "Abschottungsvokabular"(Georg Diez/Spiegel Online) auffielen.

Als weiteres Symptom für die Entwicklung kann die am vergangenen Mittwoch bei ZDFinfo gezeigte Dokumentation "Radikale von Links - Die unterschätzte Gefahr" gelten, die die taz anlässlich der Ausstrahlung bereits einigermaßen vornehm als "skurril" bezeichnet hat und die nun wegen eines schmuddeligen Experten noch einmal in die Kritik geraten ist. Karsten Dustin Hoffmann heißt der Mann. Das Neue Deutschland berichtet:

"Von der Stimme aus dem Off erfährt man, dass Hoffmann zum 'Schwerpunkt Linksextremismus' promoviert habe, untertitelt wird er als 'Politologe'. Hoffmann weist darauf hin, dass populäre Bands wie Wir Sind Helden oder Fettes Brot in der Vergangenheit in der Roten Flora gespielt hätten. Und das, obwohl die Rote Flora laut Hoffmann die Demokratie abschaffen wolle und auch vor Gewalt nicht zurück schrecke. 'Dann frage ich mich schon, warum da kein gesellschaftlicher Aufschrei kommt, wenn so eine Band in der Roten Flora auftritt.' Was man nicht erfährt: Hoffmann ist nicht nur Politologe, sondern auch Fraktionsvorsitzender der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) im Kreistag Rotenburg (Wümme)."

Auf ND-Anfrage gibt das ZDF immerhin zu, dass "im Fall von Karsten Dustin Hoffmann in der Tat eine zusätzliche Einordnung hilfreich und nötig gewesen wäre". Möglicherweise wird sich der Sender noch häufiger zur Sendung äußern müssen, denn dass hier "fragwürdige Experten" (ausführlich dazu: der Blog Friedensdemo-Watch) aufgeboten werden, sei nur eines der "Probleme", meint die Leipziger Internet-Zeitung. Sie benennt gleich deren vier und kritisiert vor allem, dass das ZDF "mit falschen Fakten Stimmung macht".


Prantl gegen faule Staatsanwälte

"Beihilfe zur Beleidigung" bzw. gar "Beihilfe zur Primitivierung der gesellschaftlichen Auseinandersetzung" ist einer Staatsanwaltschaft bisher wohl auch selten von Journalisten vorgeworfen worden. Die Staatsanwaltschaft Berlin hat es nun geschafft, derartige Kritik auf sich zu ziehen, in dem sie den von einem Facebook-Nutzer an die Grünen-Politikerin Renate Künast gerichteten Satz "Man sollte dich köpfen" "zu einer zulässigen Meinungsäußerung erklärt" hat, wie Heribert Prantl in einem SZ-Kommentar kritisiert. Im Detail bemängelt er:

"Die Staatsanwaltschaft Berlin hat sich auf das Bundesverfassungsgericht berufen, das zuletzt in zwei Entscheidungen strengere Maßstäbe als bisher an die strafbare Schmähkritik angelegt habe (…) Die Verfassungsrichter hatten gesagt, dass es nicht automatisch beleidigend sei, wenn man eine Staatsanwältin als 'durchgeknallt' bezeichnet. Man muss aber nicht Jura studiert haben, um zu erkennen, dass zwischen der Äußerung, jemand sei 'durchgeknallt' und der Feststellung, dass man den 'köpfen' soll, ein Unterschied besteht."

In einem der streitgegenständlichen Verfahren, die Prantl erwähnt, ging es darüber hinaus im Übrigen um Formulierungen wie "widerwärtige, boshafte, dümmliche Staatsanwältin" und "geisteskranke Staatsanwältin". Und warum hat die Berliner Staatsanwaltschaft in Sachen Köpfungswunsch nun so entschieden, wie sie entschieden hat? Prantl:

"Man hat (…) den Verdacht, dass die einfach zu bequem ist, sich gegen eine Flut von Bösartigkeit, Gemeinheit und Hass zu stellen. Aber: Faulheit ist kein Grund dafür, Strafverfahren einzustellen."


Altpapierkorb (Merkel/Schulz-Doku, Hamburger Solidarität, Irma)

+++ Kinder, das NetzDG ist doch gar nicht so schlecht! Wer sagt denn sowas? Die Christdemokraten Günter Krings, Parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium, und Ansgar Heveling, Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Kulturausschuss des Bundestages. Das im Oktober in Kraft tretende Gesetz (siehe u.a. dieses Altpapier) bringe "die Interessen von Einzelnen und ihre Rechte" jedenfalls besser "in einen Ausgleich mit den Interessen der Allgemeinheit" als das Telemediengesetz und das Urheber-Wissensgesellschaftsgesetz, schreiben sie im FAZ-Medienseiten-Aufmacher (derzeit nicht frei online). "Vor dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz war nicht nur die Rechtsdurchsetzung privatisiert, sondern die Rechtsetzung gleich mit. Der Gesetzgeber konnte nur darauf hoffen, dass seine Verbotsnormen mit den privaten AGB der Plattformbetreiber übereinstimmen. Es ist richtig, dass nun wieder staatliche Gesetze den Verbotsmaßstab bilden. Der jetzige Gesetzentwurf mag noch nicht der Weisheit letzter Schluss sein und einer Fortentwicklung harren, aber er ist ein Schritt in die richtige Richtung", meinen Krings/Heveling.

+++ Das Chefredakteursamt beim Freitag übernimmt mal wieder Eigentümer Jakob Augstein, der im März angetretene Christian Füller zieht "kurz vor der Sechsmonatsmarke" von dannen. Das berichtet Peter Weissenburger in der taz, von der wiederum Simone Schmollack Richtung Freitag wechselt, und zwar auf den Posten der Vize-Chefredakteurin. Den umgekehrten Weg geht ja Katja Kullmann, die im Juli ihren Posten als stellvertretende Freitag-Chefredakteurin aufgab (siehe Altpapier) und ab Oktober nun bei der taz als "Themenchefin" arbeitet. Der gewesene Chefredakteur Füller war ja einst ebenfalls taz-Redakteur. Der Hinweis, dass beim Freitag die Abwanderungsquote derzeit mutmaßlich wegen Jürgen Todenhöfer hoch ist, fehlt in Weissenburgers Text natürlich nicht.

+++ Gülten Sari Ali Celikkan berichtet für taz.gazete und Die Welt über die zweite Anhörung im Prozess gegen die angeklagten Mitarbeiter der Zeitung Cumhuriyet. Der Autor zitiert deren Zeichner Musa Kart ("Dieser Prozess ist der Versuch, Cumhuriyet in der Öffentlichkeit zu verleumden. Als Satiriker sage ich, dass der Witz einen Bart hat und ich verlange, dass die Comedy sofort beendet wird") sowie aus einer Rede, die der Beschuldigte Ahmet Şık vor Gericht hielt ("Um ihr Imperium am Leben zu erhalten, verhält sich die Regierung wie die Mafia. Sie verhaftet Leute für ihre eigenen Interessen").

+++ Die CSU hat bei Twitter 600 Bot-Accounts aus ihrer Follower-Liste entfernt, weiß Spiegel Online. "Dass unter den Followern von @CSU nun keine Bots mehr sind", sei aber "höchst unwahrscheinlich", meint Angela Gruber. "Ein erster Blick auf die Follower des Kontos zeigt bereits etliche potenzielle Fake-Profile ohne Fotos und Bio, mit verdächtigen Namen wie 'rh4Z7sdiMoamI2v' oder 'enitfoger1984'."

+++ Über "einen gigantischen Deal" beziehungsweise möglicherweise "faustischen Pakt", den Facebook laut einem in der vergangenen Woche von Bloomberg veröffentlichten Bericht der Musikindustrie angeboten haben soll, informiert uns heute das SZ-Feuilleton.

+++ Auf der SZ-Medienseite widmet sich Gerhard Matzig der Irma-Berichterstattung, insbesondere dem Auftritt des ARD-US-Korrespondenten Jan Philipp Burgard, der sich kürzlich vom Hurrikan durchschütteln und durchnässen ließ: "Burgard (…) ist dabei vom Regen in die Traufe beziehungsweise vom Hurrikan in den digitalen Shitstorm geraten. Nicht etwa, weil man Burgard (über den die ARD auch noch 'Schwere Stürme stoppen unsere Korrespondenten nicht’ getwittert hat) sein zwischen Heroik und Slapstick schillerndes Berichten vorwerfen würde; aber man fragt sich an so einem stürmischen Wochenende, ob so mancher Sender nicht ein bisschen zu viel Wind macht mit diesem Live-aus-dem-Auge-des-Hurrikans-Report."

+++ Lob in der SZ gibt es für Stephan Lambys heute in der ARD zu sehende ARD-Dokumentation "Das Duell - Merkel gegen Schulz" - unter anderem dafür, dass der Autor "sehr geschickt bis an den Grenzbereich des Privaten herangeht, um Unterschiede zwischen den Charakteren Merkels und Schulz' herauszuarbeiten". Beim Tagesspiegel deutet bereits die Überschrift "Schattenboxen statt Schlagabtausch" darauf hin, dass der Rezensent Kurt Sagatz den Film eher mit Einschränkungen empfiehlt. Seine Bilanz: "Robin Alexander von der Welt bringt es zum Schluss auf die Formel: Das Duell, und damit dürfte nicht nur das im TV gemeint sein, sei keines von Feinden, nicht einmal von politischen Gegnern, sondern eher von Partnern, die gemeinsam Politik machen wollen. Diesen Eindruck hätte man allerdings auch ohne Nahaufnahmen gewinnen können."

+++ Wem es derzeit gar nicht gut geht: dem Newseum, also dem Washingtoner Pressemuseum, das, wie zumindest die NZZ zu wissen glaubt, "viele vor allem als Emblem der Eitelkeit eines sich in den USA manchmal tatsächlich überschätzenden Berufsstandes sehen".

+++ Wem es auch nicht gut geht: Elf von 65 Mitarbeitern der Hamburger Morgenpost, denen derzeit die Entlassung droht. Gegen diese Pläne DuMonts wenden sich nun auch Redakteure des konkurrierenden Abendblatts (aus der auch nicht gerade entlassungsmüden Funke-Mediengruppe) in Form eines "Solidäritätsschreibens", das sie an den DuMont-Vorstandschef Christoph Bauer gerichtet haben. Der Morgenpost-Betriebsrat Holger Artus ist darob "zu Tränen gerührt", wie er via Facebook bekennt.

+++ Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch. +++