Teasergrafik Altpapier vom 14. August 2019: Fallschirmspringer mit Kamera
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Das Altpapier am 14. August 2019 Flieg Fallschirm, flieg

Die Berichterstattung über Hongkong und China ist zu oft geprägt von krumm abgepausten Texten aus englischsprachigen Medien. Der MDR hat Kompatibilitätsprobleme, wenn er Diskutanten aus dem rechtsextremen Umfeld einlädt. Ein Altpapier von Nora Frerichmann.

Wenn’s irgendwo knallt, dann rückt die Erinnerung an das deutlich ausgedünnte Netz der deutschen Auslandskorrespondenten wieder stärker ins Bewusstsein. Manchmal scheinen die Lücken in der Berichterstattung über andere Länder fast verdrängt werden zu können, aber wenn es mal wieder akut wird, fällt der löchrige Flickenteppich umso mehr auf.

Aktuell ist das unter anderem in Hongkong der Fall. Kein einziger fester Kollege berichte aktuell aus der Sonderverwaltungszone, berichtet Deutschlandfunks "@mediasres". Dort ist der ehemalige taz-Korrespondent Felix Lee zu Gast, der Ende Juni, Anfang Juli zuletzt aus Hongkong bzw. Peking berichtete.

Er kritisiert auch mit Blick auf die Berichterstattung über die aktuellen, regierungskritischen Proteste eine Art Fallschirm-Journalismus. Obwohl Hongkong eine wichtige Finanzmetropole sei, sei dort "schon seit Jahren kein deutschsprachiger Korrespondent dauerhaft vertreten". Zwar hätten einige deutsche Medienhäuser rasch Verstärkung geschickt, um über die Proteste zu berichten,

"aber man muss einfach ganz ehrlich sagen: eine solche Berichterstattung ist natürlich bei Weitem nicht mit den Berichten zu vergleichen, wenn die Kolleginnen und Kollegen lange vorher schon vor Ort gewesen wären. Dann hätten sie auch die ganze Entwicklung mitbekommen."

Abgepauste Berichterstattung

Dabei sieht er auch seine eigene Arbeit kritisch, denn obwohl er im Land gewesen sei, in Peking,

"war es dann doch häufig der Fall, dass man die Geschehnisse in Hongkong dann nicht immer ganz eins zu eins sofort mitbekommen hätte, wie das angebracht gewesen wäre. (…) Ich glaube, gerade, wenn es um die Hintergründe geht. (…) Ich bin zwar in Peking stationiert gewesen und auch für Hongkong zuständig, aber das ist so ein riesen Land und in Hongkong ist die Mentalität auch eine völlig andere als in Peking."

Als Folge davon problematisiert Lee eine Art Abpaus-Journalismus: Denn gerade englischsprachige Kolleg:innen seien in Hongkong und in China deutlich stärker vertreten und in seiner Zeit in Peking habe er immer wieder erlebt, dass Berichte, Analysen und Einschätzungen von US-Medien eins zu eins von deutschen Häusern übernommen worden seien. Aber wenn man versucht, ein Bild mit Bleistift und Transparentpapier durchzupausen, sieht das Endergebnis immer etwas krumm und schief aus. So ist es eben auch mit der Berichterstattung:

"Also ich sag immer ein Beispiel: Der Handelskrieg, der momentan tobt. Da haben die Amerikaner gute Gründe, auch gegen China vorzugehen. Das trifft allerdings überhaupt nicht auf Deutschland zu. Es gibt kein anderes westliches Land, das so sehr von dem chinesischen Aufstieg in den letzten Jahrzehnten profitiert hat, wie die Deutschen. Und wenn die Deutschen, die deutschen Medien, jetzt aber eins zu eins die Argumentation der Amerikaner übernehmen, dann ist das einfach nicht angemessen. Das ist ein völlig anderer Blickwinkel."

Deutsche Medien orientieren sich zudem gerne an Quellen vor Ort. Allerdings ist auch das im Fall Hongkong kritisch, denn englischsprachige chinesische Medien machen sich die Welt eben manchmal, wie sie ihnen gefällt und setzen auf gezielte Falschnachrichten, wie z.B. der Guardian berichtete:

"Over the past two months, Chinese state media outlets have gone from near silence on the protests and blanket censorship of footage of the demonstrations to actively pushing news, editorials, videos and online discussions. 'On the topic of Hong Kong, the mainland media can’t be seen as journalism. It’s purely propaganda… It is intercepting a small part of the information, distorting it and magnifying it,' said Fang Kecheng, a professor at Chinese University of Hong Kong, specialising in communications."

Kompatibilitätsprobleme

Kommen wir mal wieder zum MDR: Dessen Beobachtung sehen wir natürlich nicht weniger als unsere Aufgabe an, als die anderer Medien – auch wenn wir hier auf einem MDR-Portal erscheinen und von der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt finanziert werden.

Gestern versendeten die Kolleg:innen eine Presseeinladung zur öffentlichen Voraufführung der Reportage "Chemnitz - Ein Jahr danach", die am 28. August im TV laufen soll. Es geht, klar, um die Demonstrationen und die Gewalt in Chemnitz im vergangenen Sommer, nachdem gewaltsamen Tod eines jungen Mannes bei einem Stadtfest:

"Ein Jahr nach den verstörenden Ereignissen fragt der Film, wer in der Stadt nun den Ton angibt. Menschen aus verschiedensten Lebenswelten kommen zu Wort, zeigen ihren Alltag. Wie hat sich das Leben hier verändert – und das Sicherheitsgefühl?"

Als mutmaßlicher Täter wurde ein Asylbewerber vor Gericht gestellt. Drüben beim MDR gibt es dazu einen sehr ausführlichen Überblick, der auch den Prozess dokumentiert. Um die Ereignisse soll es hier aber nun gar nicht gehen (dafür klicken Sie sich gerne nochmal durch diese Altpapiere), sondern um die Einladung zu der Voraufführung:

"Nach der Preview ist das Publikum zur Diskussion mit folgenden Gästen eingeladen: Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD), Margarete Rödel (Grüne Jugend), Arthur Oesterle (AfD), Prof. Dr. Olfa Kanoun (Technische Universität Chemnitz) sowie Wolf-Dieter Jacobi (Programmdirektor des MDR)",

heißt es in der Mitteilung. Nun weckt vor allem die Einladung von Oesterle Entsetzen. Denn Oesterle ist nicht irgendein AfD-Mann (über die Einladung von Parteivertreter:innen zu diversen Veranstaltungen und Diskussionen wird ja ohnehin immer wieder diskutiert), sondern bewegt sich verschiedenen Beobachtern zufolge im Umfeld der extremen Rechten.

Bei den Demonstrationen von "Pro Chemnitz" vor einem Jahr trat er verschiedenen Medienberichten (z.B. Zeit-Blog Störungsmelder und FAZ) zufolge als Ordner auf und taucht immer wieder bei rechtsextremen Demos auf. Laut dem gemeinnützigen Verein Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA) z.B. auch bei der "Wir für Deutschland"-Demonstration im vergangenen Oktober in Berlin, bei der sich verschiedene Teile des rechten Spektrums versammelten.

Laut Belltower News stammt Oesterle "aus dem Kreise von 'Heimattreue Niederdorf'", einem Verein der zu Teilen vom Verfassungsschutz beobachtet werde, im Rahmen von Pegida entstanden sei und den die Plattform der Amadeu Antonio Stiftung "als Bindeglied zwischen klassischer rechtsextremer Szene und Pegida" einordnet. Das JFDA verfolgt Oesterles Aktivitäten und sichtete ihn vergangenes Jahr auch bei einer Demo der vom Verfassungsschutz beobachteten rechtsextremistischen und neo-nazistischen Partei "Der III. Weg". Das JFDA gehörte gestern auch zu den ersten, die die Einladung bei Twitter kritisierten:

"Ein Jahr nach den rassistischen Ausschreitungen und Aufmärschen in #Chemnitz lädt der MDR zu einer Podiumsdiskussion den Neonazi Arthur Österle ein, der damals den Ordnerdienst leitete und u.a. der Presse androhte, sie von der Versammlung zu entfernen. Ernsthaft, @mdrde?"

Die Neuen deutschen Medienmacher*innen kritisierten, der MDR mache sich damit zum "Steigbügelhalter für rechtsextreme Parolen" und die Grüne Jugend Sachsen kündigte an, die Teilnahme an der Diskussion zu überdenken. Von der Einladung Oesterles habe man zuvor nichts gewusst.

Bisher (Mittwoch 10 Uhr) hielt sich der MDR in der Diskussion sehr bedeckt und speiste die Kritiker bei Twitter lediglich so ab:

"Anlass ist die Preview der Doku 'Chemnitz – Ein Jahr danach'. Darin kommen u.a. Margarete Rödel/Grüne Jugend, Prof. Olfa Kanoun/TU + Arthur Oesterle/AfD zu Wort."

Ähm, genau das steht ja auch schon in der Presseeinladung. Die Forderung nach genaueren Begründungen und eine Auseinandersetzung mit der Kritik steht Nutzer:innen des öffentlich-rechtlichen Senders allerdings zu – vor allem, weil Oesterle sich im Umkreis rassistischer, extremistischer und potentiell verfassungswidriger Akteure bewegt. Wie kompatibel das mit dem Selbstverständnis der ARD ist, "zu einem funktionierenden, demokratischen Gemeinwesen beizutragen" und den "Zusammenhalt des Gemeinwesens" zu fördern ist zumindest fraglich.

Wenn der MDR das anders sieht, muss er das dringend kommunizieren. Einer Diskussion über die Entscheidung darf sich die Anstalt nicht entziehen.

Altpapierkorb (Team Walraff, ARD-Produktionen, Medien in Bulgarien)

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+++ Über ein neues Gesetz für Journalist:innen und Whistleblower:innen in Australien berichtet das NiemanLab.

+++ Was gerade in Bulgarien los ist und warum der Kandidat für den Posten des Generalstaatsanwalts dort investigativen Medien einen großen Hack anlasten will, berichtet Markus Reuter bei netzpolitik.org.

+++ Der Tiktok-Besitzer ByteDance will eine eigene chinesische Suchmaschine aufbauen und Google Konkurrenz machen, berichtet Horizont.net.

+++ Damit endlich mal Klartext über Klartext geredet wird, hat sich Samira El Ouassil bei Übermedien (zum Geburtstag der Floskelwolke) der aufmerksamkeitsheischenden Ankündigung angenommen, bei der "meist selfiejournalistische Kolumnisten-Kakophonie eigener Egos, die sich nach etwas Rückversicherung und Validation sehnen" herauskommen.

Frisches Altpapier gibt’s wieder am Donnerstag.