Altpapier Teasergrafik am 6. September 2019: Ein Finger mit dem Bild-Logo zeigt auf eine Siluette, dahinter steht ein Ausrufezeichen, Andere Finger zeigen auf die gleiche Siluette, dahinter steht ein Fragezeichen
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Das Altpapier am 6. September 2019 Investigatives Lob

06. September 2019, 14:32 Uhr

Ein Polizeisprecher lobt die "Bild"-Medien – und stellt damit klar: Es war doch wieder anders, als sie berichtet hatten. Die taz erklärt, wie man bei einem Verdacht berichten sollte. Und die Schweizer Weltwoche fragt: Warum sind Berichte über den Islam immer so einseitig? Ein Altpapier von Ralf Heimann.

Es sieht so aus, als hätten die "Bild"-Medien ausnahmsweise alles richtig gemacht. Das hat sogar ein Polizei-Sprecher bestätigt. Und weil die Redaktion ihren Lesern ihrem Selbstverständnis nach alles mitteilt, was neu und ungewöhnlich ist, kann sie natürlich auch das nicht verschweigen. Daher steht nun in der "Bild"-Zeitung sowie bei "Bild Plus" der Satz:

"So wie sich die BILD-Zeitungs-Journalisten in diesem Fall verhalten haben, war es der einzig richtige Weg."

Gesagt hat das der Hamburger Polizeisprecher Timo Zill. Und gemeint hat er die Berichterstattung über Christoph Metzelder, der Kinderpornographie verbreitet haben soll. So lautet der Verdacht, der so auch weiterhin besteht. Allerdings gibt es inzwischen große Zweifel daran, ob die "Bild"-Journalisten sich tatsächlich ganz richtig verhalten haben – oder ob es wieder mal nur so aussah.

In einer am Dienstag veröffentlichten Meldung schreiben sieben Autoren unter anderem:

"Nach BILD-Informationen meldete sich vor drei Wochen eine Frau bei der Hamburger Polizei. Sie legte den Ermittlern mindestens 15 kinderpornografische Fotos vor, die ihr per WhatsApp geschickt worden sein sollen."

Später korrigierte die Staatsanwältin Liddy Oechtering ihre Darstellung, und es hieß, wie hier in einer MDR-Meldung nachzulesen ist, die Hamburger Polizei habe "einen Hinweis eines Dritten erhalten, wonach eine Frau kinderpornografische Dateien von Metzelder zugeschickt bekommen hat. Die Polizei habe die Frau daraufhin als Zeugin befragt."

Danach folgte am Donnerstag das Zitat des Polizeisprechers in den "Bild"-Medien, der mit seinem Lob auch gleichzeitig klarstellte, wie die Information die Polizei erreicht hatte. Denn im Satz vor dem Lob sagte er:

"Die BILD-Zeitung ist an die Polizei Hamburg mit einem Sachverhalt herangetreten, bei dem sofort strafrechtliche Ermittlungen einzuleiten waren."

Ben Hoffmann schreibt in seinem Text für das Bildblog:

"Die 'Bild'-Zeitung stößt also Ermittlungen an, über die sie selbst dann exklusiv berichtet, mit mutmaßlich durchgesteckten Infos aus Ermittlerkreisen und ohne große Rücksicht auf die Unschuldsvermutung."

Das würde bedeuten: Obwohl die sieben "Bild"-Autoren in ihrer ursprünglichen Meldung wussten, dass sie selbst die Ermittlungen angestoßen hatten, verbreiteten sie wissentlich die Falschmeldung, dass die Frau sich bei der Polizei gemeldet hatte.

Und wenn es so gewesen ist, wofür vieles spricht, war die Vorgehensweise der "Bild-"Medien vielleicht doch nicht "der einzig richtige Weg", denn der wäre ja gewesen, einfach die Wahrheit zu schreiben – wobei man auch dabei Zweifel daran haben kann, ob es richtig war, das schon zu diesem Zeitpunkt zu tun.

Ben Hoffmann zitiert in seinem Text den FDP-Politiker und Rechtsanwalt Wolgang Kubicki, der es in der ARD-Talkshow "Maischberger" als "unverschämt" bezeichnete, den Namen des Verdächtigen und die Vorwürfe zu diesem Zeitpunkt der Ermittlungen öffentlich zu machen. Auf Sandra Maischbergers Nachfrage, ob man das, die Berichterstattung, in diesem Moment schon machen könne, sagt er:

"Nein. Der Begriff Unschuldsvermutung heißt, jemand ist so lange unschuldig, bis die Schuld durch ein gerichtliches Verfahren nachgewiesen ist. Das Problem – ich mache ja Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, das ist einigermaßen harmlos -, aber wenn Sie als Vergewaltiger oder als Kinderschänder gebrandmarkt werden, auch wenn sich hinterher rausstellt, da ist nichts dran, das werden Sie in Ihrem Leben nie wieder los. Die Staatsanwaltschaft hat einen Anfangsverdacht bejaht. Sie ermittelt jetzt logischerweise, das muss sie tun, sie ist zur Legalität verpflichtet. Aber dass eine Zeitung so groß schon so tut, als sei das erwiesen, das zieht mir die Schuhe aus."

Auch das verdrehen die "Bild"-Medien, wie Hoffmann in seinem Beitrag ebenfalls dokumentiert. Sie beziehen das Wort "unverschämt" in einem Anreißer im Netz auf die Ermittlungen, was falsch ist. Und wenn es stimmen sollte, was Julian Reichelt vor ein paar Tagen im Podcast von Lars Haider, dem Chefredakteur des Hamburger Abendblatts, gesagt hat, dann dürfte er sich wahnsinnig aufgeregt haben. Denn dort sagt er zum einen:

"Ich bin radikal freiheitlich und radikal an den Fakten orientiert."

Und er sagt:

"Ich kann schon impulsiv werden, aber nur dort, wo ich das Gefühl habe, dass wir unseren journalistischen Ansprüchen und den Ansprüchen, die wir an die Marke 'Bild' haben, aus Schludrigkeit nicht gerecht werden."

Kann natürlich sein, dass er sich doch nicht so aufgeregt hat, denn dass die Fehler aus "Schludrigkeit" passiert sind, ist, jedenfalls nach meiner Einschätzung, eher unwahrscheinlich.

Die vier Bedingungen

Worauf man bei der Berichterstattung über ein Ermittlungsverfahren wegen der Verbreitung von Kinderpornographie achten muss, erklärt Christian Rath, rechtspolitischer Korrespondent, in einem Beitrag für die taz

Er nennt vier Bedingungen, die für eine Berichterstattung erfüllt sein müssen:

1. Es müsse sich um einen "Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist".

2. Es müsse "an dem Verdacht etwas dran sein, Spekulationen sind nicht zulässig". Ein Ermittlungsverfahren reiche nicht aus. Wenn es "bereits Beschlagnahmungen und Durchsuchungen gegeben" habe, wie in diesem Fall, könnten "Medien davon ausgehen, dass der Verdacht eine gewisse Substanz" habe.

3. Es dürfe "keine Vorverurteilung stattfinden, es muss deutlich werden, dass es sich bisher nur um Vorwürfe handelt, der Betroffene aber noch nicht verurteilt ist".

4. Es müsse "sorgfältig recherchiert werden, insbesondere muss der Betroffene Gelegenheit erhalten, seine eigene Sicht zu schildern".

Die Frage ist vor allem, ob es möglich ist, über einen Verdacht wie den, um den es hier geht, so zu berichten, dass keine Vorverurteilung stattfindet. Ich bezweifle das. Dass ich Christoph Metzelders Namen hier dennoch nenne, halte ich für gerechtfertigt, da er die Ermittlungen mit seinem Rückzug aus der PR-Agentur BrinkertMetzelder, die er bis gestern zusammen mit seinem Geschäftspartner Raphael Brinkert geführt hat, selbst öffentlich gemacht hat, wie unter anderem Meedia gestern berichtete.

Der Islam und die Zerrbilder

Ein anderer nicht ganz so breiter Grat mit tiefen Schluchten zur Rechten und zur Linken ist die Berichterstattung über den Islam, mit der sich Valerie Hase und Filip Dingerkus in einem Beitrag für die Schweizer Medienwoche beschäftigen. In ihrem Text richten sie ihren Blick speziell auf die Schweiz, aber vieles lässt sich so auch auf Deutschland übertragen. In ihrer Darstellung geht es vor allem um drei Probleme:

1. Konfliktorientierung. Wenn über Muslime berichtet werde, gehe es oft um "Terror, Integrationsprobleme und Fundamentalismus".

2. Unkenntnis. Im Vordergrund der Berichterstattung stünden Konflikte, oft Konflikte im Ausland. Der Islam im Inland und der Alltag der im Inland lebenden Muslime, die zum allergrößten Teil nichts mit den Konflikten zu tun haben, komme kaum vor.

3. Verallgemeinerungen. "Medien ignorieren, dass Muslime, wie Christen, Juden oder Buddhisten, sehr unterschiedlich sind in ihrer Religionsauffassung und auch in anderen Aspekten. (…) Solche Verallgemeinerungen führen dazu, dass bestimmte Menschen nicht mehr als Individuen mit ganz unterschiedlichen Eigenschaften wahrgenommen werden – sondern einzig als ‚Muslime‘."

Hinzu kommen laut Hase und Dingerkus dem Journalismus inhärente Probleme wie Zeitdruck und die Mechanismen der Aufmerksamkeitsökonomie, die letztlich zu einer Frage führen, die auch Monika Bollinger, freie Journalistin und ehemalige Nahost-Korrespondentin der NZZ, im Text stellt und im Grunde selbst beantwortet:

"Ich bin gegen Selbstzensur. Aber es gehört auch zur Verantwortung von Journalist*innen, sich zu fragen, was ein Artikel auslöst oder bewirkt. Wenn die Debatte zu einer bestimmten Frage sowieso überkocht, ist es dann sinnvoll, extrem zuzuspitzen und in einer Weise zu vereinfachen, die den Tatsachen nicht mehr gerecht wird?"

Wobei man dazu sagen muss: Zensur würde bedeuten, Unerwünschtes einfach wegzulassen. Darum geht es nach meinem Verständnis aber gar nicht. Insofern müsste man hier kein "Aber" setzen. Würde man nämlich auf eigentlich berichtenswerte Negativmeldungen verzichten, um das harmonische Gesamtbild nicht zu gefährden, entstünde ein neues Problem in Form einer Darstellung, die wiederum ein Zerrbild ist, weil sie Teile der Realität nicht zeigt, um andere hervorzuheben. Eine Lösung kann nur sein, das gesamte Bild zu zeigen, indem man es vervollständigt. Und das bedeutet nicht, dass Redaktionen den Konfliktmeldungen ausreichend viele Doku-Formate über unauffällig und friedliche lebende Muslime entgegensetzen müssen, sondern dass sie Meldungen so einordnen und vervollständigen, dass deutlich wird, dass sie dem Gesamtbild so nicht entsprechen.

Wobei mir gerade auch kein Fall einfällt, in dem es tatsächlich sinnvoll wäre, "extrem zuzuspitzen und in einer Weise zu vereinfachen, die den Tatsachen nicht mehr gerecht wird?" Aber gut, vielleicht übersehe ich da was.

Altpapierkorb (Spacefroggs, Waldorf-PR, Goldene Kamera, Nordschleswiger, Medienreform und Fretterode)

+++ Zwei interessante Texte bei Übermedien. Erstens: Stefan Niggemeier interviewt Fabian "Rick" Rieck und Steven "Steve" Schuto, die bei Youtube als "Spacefrogs" bekannt sind – und die über das öffentlich-rechtliche Content-Netzwerk Funk sagen: "Funk hat das Problem, dass sie ganz schön viele Leute haben, die gar nicht mal so gut sind. Was halt auch daran liegt – das ist jetzt ein bisschen gemein –, dass sie halt die Leute kriegen, die es auf dem freien Markt nichts hinkriegen."

+++ Zweitens: Boris Rosenkranz schreibt über eine SWR-Doku, die sich mit Waldorf-Schulen beschäftigt und dabei sehr wohlwollend ist, was möglicherweise daran liegen könnte, dass die Autorin Esther Saoub der Schulform sehr nahe steht. Sie ist Vorstandsmitglied in einem Stuttgarter Waldorf-Schul-Verein.

+++ Die Reutlinger Reportageschule startet unter der Leitung von Philipp Mausshardt und Ariel Hauptmeier neu. Stefan Winterbauer hat die beiden für Meedia per E-Mail interviewt.

+++ Die Goldene Kamera ist zwei Jahre nach dem Anschlag von Joko und Klaas, die einen falschen Ryan Gosling in die Veranstaltung schmuggelten, ihren Verletzungen erlegen. So könnte die Meldung lauten. Vielleicht liegt es aber auch einfach nur daran, dass sich nur noch wenige Menschen für das Format interessieren. Das ist jedenfalls die Erklärung des Veranstalters Funke für die Einstellung des Formats, wie unter anderem dpa berichtet (hier bei Stern.de).

+++ Außerdem auf der SZ-Medienseite: Peter Burghardt hat den Nordschleswiger besucht, die mit knapp 1200 Abonnenten größte deutschsprachige Zeitung Skandinaviens. Es ist allerdings auch die einzige.

+++ Auf der FAZ-Medienseite beschäftigt sich Heike Hupertz mit einer Kika-Serie, die den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen für Kinder verständlich machen möchte, was nicht so leicht ist, weil sie schon für Erwachsene kaum zu verstehen sind (45 Cent bei Blendle). Sie schreibt: "Dass man zum Verstehen der Gegenwart Orientierungswissen, persönliche Urteilskraft und Gewissen braucht, das ist wohl Gemeingut, aber wie man dieses bildet, darüber kann und muss man sich auseinandersetzen. Wenn solches nicht vom Himmel gefallen kommt, dann kann auch das Kinderfernsehen, so, wie es in "Der Krieg und ich" gelingt, einen wichtigen Beitrag leisten."

+++ Frankreich hat soeben eine Medienreform umgesetzt, deren große Gewinner die französischen Privatsender TF1 und M6 sind. Streaming-Anbietern wie Netflix und Amazon droht die Regierung mit Abschaltung, wenn die nicht mindestens 16 Prozent ihres in Frankreich erwirtschafteten Umsatzes auch in Frankreich investieren. Jürg Altwegg berichtet auf der FAZ-Medienseite (45 Cent bei Blendle).

+++ Anderthalb Jahre, nachdem zwei Göttinger Journalisten in Fretterode von Neonazis verfolgt und schwer verletzt wurden (im Altpapier zuletzt hier), lässt der Prozess weiter auf sich warten. Die mutmaßlichen Täter treiben sich auch nach der Tat weiterhin auf Neonazi-Veranstaltungen herum, berichtet die Frankfurter Rundschau.

+++ Dass lokale Medien durch staatliche Förderung gestützt oder sogar gerettet werden, gilt nicht unbedingt als gute Idee, weil sie dadurch immer näher an den Staat heranrücken. Nur möglicherweise wird sich das irgendwann nicht mehr verhindern lassen, wenn ganze Regionen nicht ohne Lokalmedien auskommen sollen. Die Landesmedienanstalt Berlin-Brandenburg hat nun angekündigt, Inhalte von Lokalsendern durch Landesmittel zu fördern. Das Problem mit der Staatsnähe soll dadurch abgemildert werden, dass das Geld nicht direkt vom Staat kommt, sondern von der Landesmedienanstalt. Danilo Höpfner berichtet für das Verdi-Medienmagazin "Menschen Machen Medien".

Offenlegung: Ich arbeite gelegentlich für Übermedien und Bildblog.

Neues Altpapier gibt es am Montag.

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