Das Altpapier am 27. September 2017 Treffen sich Mathias Döpfner und Michael Hanfeld

... und Sie werden nie erraten, was dann geschah. Außerdem: die erste gute Nachricht aus der neuen Bundesregierung; eine neue Zeitschrift, "Das Comeback der Herrenhandtasche" und "Der Ethiker" sowie echt altes Papier. Ein Altpapier von Christian Bartels.

Versprochen: Heute gibt's hier fast keine Wahlanalysen. Nur Platz für eine gute Nachricht aus der neuen Bundesregierung muss natürlich sein.

Zwar ist streng genommen noch unklar, wer genau sie bildet. Aber Alexander Dobrindt wurde bereits "mit einer großen Mehrheit zum neuen Chef der CSU-Landesgruppe gewählt" (SPON). Herzlichen Glückwunsch! Auch für die Infrastrukturen außer vielleicht die Autobahn (die sich seit der späten Weimarer Republik noch über keine deutsche Regierung zu beklagen brauchte ...) ist das erfreulich. Nun wird jemand anders Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, sofern es dafür im nächsten Kabinett nicht sogar sinnvoller zugeschnittene Posten geben wird. Wobei, falls ernsthaft Toni Hofreiter ... Aber schauen wir mal.

ARD und ZDF sind die Besten

Heute in der FAZ treffen sich Mathias Döpfner, von dem seit vergangener Woche jeder weiß, wofür er als Zeitungsverlegerverbands-Präsident steht, und Michael Hanfeld, der so streitbare wie umstrittene Macher der FAZ-Medienseite. Überschrift: "Die ARD sprengt das duale Mediensystem" (S. 13). Geht also rund mit Öffentlich-Rechtlichen- bzw. "Staatsfunk"- und "Zwangsgebühren"-Bashing?

Mitnichten, ziemlich sachlich geht es zu, und wenn mal kurz weniger, dann in eine unvermutete Richtung. Gleich in seiner ersten Antwort bringt Döpfner unter, dass die

"Journalisten der öffentlich-rechtlichen Sender ... eines der besten Radio- und Fernsehangebote weltweit hervorbringen"!

Natürlich führt Döpfner die bekannte Verleger-Klage, also die "wachsenden Sorgen, ob die Rolle, die die ARD spielt, ... es den vielen privaten, lokalen, regionalen und nationalen Verlagshäusern verunmöglicht, ihre Angebote im Internet wirtschaftlich zu gestalten", aus. Und kritisiert die die ARD für ihre "Heerscharen von Print-Redakteuren, die Texte schreiben" (ein erstaunlich unscharfer Begriff; schließlich wird das wenigste, was Textredakteure ins Internet schreiben, gedruckt). Allerdings bleibt er, obwohl Interviewer Hanfeld sogar ein bisschen rhetorisch zu provozieren versucht ("Man könnte aber auch sagen: Wer Rundfunkbeitrag zahlt, hat ein Recht darauf, das größtmögliche Angebot zu bekommen ..."), bemerkenswert besonnen.

Und hat außer der bekannten, reellen Drohung ("... dass europäische Regulierungsbehörden ... dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk viel schärfere, existentielle Fragen" stellen) zwei konkrete, reelle Kompromiss-Vorschläge dabei. Der erste lautet in etwa:

"Bei den Angeboten der Verlage stoßen die Nutzer immer wieder mal auf einen Text, der Geld kostet. Bei den zahlreichen Textangeboten der ARD geschieht das nie, weder auf den ARD-Websites, noch in den vielen Apps. Das macht es den Verlagen sehr schwer, Portale zu etablieren, auf denen Nutzer zahlen."

Sollte die ARD also einfach mal kostenpflichtige weiterführende Verlags-Angebote in ihre Internetauftritte einbauen? Das klingt machbar. Apropos: Das Döpfner-Interview gibt's für 45 Cent, die sich lohnen, bei Blendle.

Kompromissvorschlag II:

"Für die ARD würde das heißen: ein Drittel Text, zwei Drittel Video und Audio."

Heißt, die ARD sollte sich einfach am ZDF orientieren, das im Internet ja sehr video-orientiert ist. Und Döpfners Rat, die ARD "sollte sich ... doch viel eher überlegen, wie sie den Herausforderungen durch Youtube, Now this oder Netflix begegnet", ist ein guter. Bislang reagiert die ARD, sozusagen der sechstgrößte europäische Medienkonzern, auf das fast schon monopolistische Videoportal Google-Youtube ja vor allem damit, dass sie es immer noch weiter mit beitragsfinanzierten Inhalten füttert.

Wenn wir bei der Öffis-Diskussion sind: Hanfelds FAZ-Medienseite ist häufig ein Musterbeispiel für Pluralismus im Kleinen. Gleich unterm Döpfner-Interview steht heute ein Beitrag des SWR-Justitiars Hermann Eicher, der sich rhetorisch wiederholt die Augen reibt und die bekannten Gegenargumente referiert:

"Vermutlich freuen sich gleichzeitig globale Player wie Google oder Facebook diebisch darüber, wie sich Anbieter von Qualitätsjournalismus in Deutschland immer weiter gegenseitig in die Haare geraten und darüber die globale Entwicklung nach und nach aus dem Blick gerät."

Vermutlich freut sich Youtube aber noch diebischer, wenn der WDR dort einen neuen Kanal wie "WDR Doku" startet.

Noch'n Juristen-Interview als Nachtrag: Gestern befragte Claudia Tieschky auf der SZ-Medienseite Paul Kirchhof (anmeldepflichtig; bei Blendle 79 Cent) zum Thema Transparenz.

Der Verfassungsrechtler bzw. "Vater der pauschalen Rundfunkabgabe" erklärt, dass er die Öffentlich-Rechtlichen schon transparent genug findet und Kosten von Mehmet-Scholl-Auftritten und anderen Sportrechten also nicht veröffentlicht werden bräuchten. Kirchhof argumentiert dabei mit Sentenzen wie "Der Charme des Lebens ist das Geheimnis" und "Das Leben ist ein Spiel zwischen Offenheit und Geheimnis", die so klingen, als könnte die Degeto daraus gleich eine Freitagsfilm-Reihe zum Minutenpreis von 18.200 Euro brutto (so transparent ist die ARD ja ...) gestalten.

Die Rückkehr der Herrenhandtasche (neue Zeitschrift)

Fast wär's untergegangen: Seit dem Wochenende gibt ein neues Print-Erzeugnis aus einem der renommiertesten deutschen Verlagshäuser. Der Spiegel-Verlag, der in diesem Jahr bereits eine ambitionierte neue Fernsehzeitschrift (siehe z.B. dieses evangelisch.de-Altpapier) sowie den Rentner-Spiegel ("Classic", siehe dieses) testweise gestartet und versenkt hat, bringt nun das S-Magazin heraus. Es hat höhere Überlebenschancen, weil es gar nicht einzeln verkauft zu werden braucht, sondern zusammengefaltet (es ist groß) normalen Spiegeln beiliegt.

Allerdings dürfte die Verbreitung ein bissel darunter leiden, dass es nicht dem am Dienstag erschienenen, aktuellen aktuellen Spiegel beiliegt, sondern bloß dem am Samstag erschienenen, weiterhin im Zeitschriftenhandel bereitliegenden alten aktuellen Spiegel (dem mit dem zeitlosen "Neues Lernen"-Titel). Dazu jedoch ein Tipp für Freunde des Gedruckten: Freundliche Zeitschriftenhändler nehmen es nicht übel, wenn man die Beilage aus dem alten neuen Spiegel entnimmt und in den neuen neuen Spiegel steckt, sofern man dann diesen erwirbt. Mit großer Nachfrage nach dem "Neues Lernen"-Spiegel rechnen sie wohl nicht mehr.

Was bietet S? "Auf 40 Seiten beschäftigt sich die neue Stilbeilage des SPIEGEL-Verlags mit Mode, Design, Kunst und Genuss" (Hausmitteilung im alten aktuellen Spiegel), also mit lauter coolen Themen, die einfach jeden interessieren müssen. In der Praxis beschränkt sich der Spaß darauf, wie bei klassischen Frauenzeitschriften nach Parallelen zwischen Inhalten im bescheidenen redaktionellen Teil (z.B.: "Das Comeback der Herrenhandtasche", S.8) und den viiielen Anzeigen (15 4/6-Anzeigenseiten, wenn ich richtig gezählt habe, bei 40 S. insgesamt!) abzugleichen. Zum Beispiel offeriert Hugo Boss gerade eine fabelhafte Herrenhandtasche (S. 17).

Ferner beantwortet "Modedesigner Wolfgang Joop ... in einem gezeichneten Interview die Fragen der Redaktion", so aufregende wie "Was wollten Sie immer werden?", und Nils Minkmar ist "Der Ethiker". Ethiker würden vermutlich sagen, dass Ethos und Gewissensfragen so universell sind, dass sie jedem gehören und auch jedes Supplement, das ein paar attraktive Inhalte für den Werberahmen benötigt, sie adaptieren darf. Wer den Ethiker selbst etwas fragen möchte, findet unter der Onlineversion der Ethiker-Rubrik Minkmars E-Mail-Adresse.

Kurzum : Wer aus diesen oder jenen Gründen demnächst noch mal ein wenig über den Spiegel polemisieren wollen könnte (oder aber Mitleid mit renommierten Verlagen, die es nicht leicht haben, empfinden möchte), muss sich dieses S-Magazin unbedingt besorgen. Nur bis Freitag noch am Kiosk!

Wirklich altes Papier

Ungefähr genau vier Jahrhunderte älter als das neue Heft namens S ist diese 7-seitige Zeitschrift.

Die Geschichte dazu hat unter irre irreführender, gewiss von Springers Klickfüchsen generierter Überschrift ("Angeber-Wessi mit Bierflasche erschlagen") Christian Walther, der Vorsitzende des Journalistenverbandes Berlin-Brandenburg, für Springers Welt aufgeschrieben: Im September 1617 sei die erste Zeitung in Berlin erschienen, oder zumindest die erste, von der noch eine Ausgabe (in Stockholm und nun im Internet) erhalten ist.

Dazu verknüpft der Autor flockig viele Kuriosa aus der langen Geschichte des schönen Mediums Zeitung. Zur Gegenwart werden sie ein bisschen unscharf ("Berlin aber hat sich unterdessen wieder als Hauptstadt der Tageszeitungen profiliert und Kreuzberg als das Zeitungsviertel der Nation ... So viel Zeitung gibt es deutschlandweit sonst nirgendwo"), doch im Angesicht der Jahrhunderte lässt sich damit gut leben.

Altpapierkorb ("Cover-Debatte", Red Bull, Vodafone & Netzneutralität)

+++ Zum oben erwähnten aktuellen aktuellen Spiegel läuft eine "Cover-Debatte", die meedia.de unter der Überschrift "Warum macht der Spiegel einen Titel, der als Poster in AFD-Büros hängen kann?" (und mit der Info, dass die Titelzeile "Sie sind da" "offensichtlich" "auf den Hitler-Bestseller 'Er ist wieder da'" anspiele) sowie horizont.net spiegeln.

+++ Außer bei Autorennen, Stratosphärensprüngen und im Fußball ist der Red-Bull-Milliardär Dietrich Mateschitz jetzt auch im Journalismus engagiert. "Ohne Vorankündigung, aber pünktlich zum Endspurt im österreichischen Wahlkampf" (Süddeutsche) ist addendum.org, nach eigenen Angaben eine "multimediale Antwort auf die viel zitierte Krise des Journalismus",  online gegangen. Peter Münch schreibt darüber in der SZ unter der Überschrift "'Breitbart' aus den Alpen?", denn Mateschitz hatte sich in einem Interview über das "Meinungsdiktat des politisch Korrekten" beklagt. Doch noch lasse sich das entscheiden: "Viel ist es und bunt, eine Bewertung lässt der Anfang noch nicht zu."

+++ Womit sich der nächste Infrastruktur-Minister beschäftigen müsste: mit dem "Vodafone Pass" ("Mit dem Vodafone Pass die Lieblings-Apps unbegrenzt nutzen"), findet Tomas Rudl bei netzpolitik.org. Der sei in punkto Netzneutralität "genau das, wovor wir immer gewarnt haben". Wobei Vodafone davon profitiere, dass die Bundesnetzagentur "die Prüfung des fragwürdigen StreamOn-Angebots" der Deutschen Telekom "verschleppt und so die Tür geöffnet hat für andere Betreiber ..."

+++ Joachim Huber vom Tagesspiegel ist Journalist mit Leib und Seele und scheint es persönlich zu nehmen, dass das ZDF die Journalisten-Serie "Zarah" aus dem Hauptprogramm ratzfatz in die Neo-Nische verlegt. "Ob es daran liegt, dass dieser Beruf im Beliebtheitsranking aller Jobs immer ganz hinten liegt und nicht selten mit den Politikern – für Serienfiktion übrigens dieselbe Katastrophenkategorie – ums Schlusslicht konkurriert"?

+++ Matthias Schweighöfers "You Are Wanted", die erste deutsche Amazon-Serie, lief im ORF nicht gerade erfolgreich (Standard).

+++ Nicht nur der neue Bundestag wird so groß wie nie, auch die Aufsichtsgremien des Deutschlandfunkradios "werden zum 1. Januar 2019 personell vergrößert". Dabei wird "die Politik ... die ihr maximal zustehende Sitzanzahl voll aus" schöpfen, informiert Volker Nünning in der Medienkorrespondenz.

+++ Erste Äußerungen von Nathanael Liminski, dem neuen Medien-Staatssekretär in Düsseldorf (Altpapier), liegen vor. "Wir wollen die gesamte Bandbreite der Medienpolitik, also sowohl den Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als auch das Verlagswesen als auch die Filmproduktion, an die Spitze der deutschen Länder führen", sagte er Deutschlandfunks "@mediasres".

+++ Mitten im EU-Europa werden Internetseiten blockiert und finden auch "polizeiliche Besetzungen von Druckereien" statt: in Spanien (netzpolitik.org noch mal).

+++ Einen Überblick über die laufenden "Schauprozesse gegen Journalisten" in der Türkei geben die Reporter ohne Grenzen mit weiterführenden Links. Einer führt zum gazete.taz.de- Bericht über den Cumhuriyet-Prozess, in dem sich u.a. der nach eigener Einschätzung "beste Kolumnist der Türkei" über die Stiftung, der die Zeitung gehört, äußerte.

+++  Viele Besprechungen gelten dem ARD-Fernsehfilm "Das Leben danach", der das Love-Parade-Unglück 2010 in Duisburg. "Großes Schauspielerinnenkino" mit Jella Haase, findet Christian Buß (SPON). Siehe auch Tagesspiegel, taz neulich, SZ (€). Der Film tritt heute abend um 20.15 Uhr gegen Bayern München im ZDF an.

+++ Twitter wägt, bevor es zu Löschungen schreitet, "zwischen dem Nachrichtenwert beziehungsweise dem öffentlichen Interesse und vermeintlichen Verstößen gegen die Nutzungsbedingungen ab", teilte der Konzern mit Bezug auf Präsident-Trump-Tweets mit (futurezone.at).

+++ Funkes Berliner Morgenpost holt als neuen Online-Chef Marcus Schwarze, der die Koblenzer Rhein-Zeitung im deutschen Internet ziemlich bekannt gemacht hatte (meedia.de).

+++ "Viele Verantwortliche bei ARD und ZDF sind unangenehm dünnhäutig und nicht weniger selbstgerecht als die PolitikerInnen", schreibt in der taz Jürn Kruse. Womit wir quasi doch bei Wahlanalysen sind. "Man müsste schon die vergangenen Jahre in Bhutan oder auf der Weihnachtsinsel verbracht haben, um eine Beteiligung des Medienbetriebs am Erfolg der AfD ernsthaft zu bestreiten. Diese Beteiligung ... bestand darin, immer wieder über das Stöckchen der AfD gesprungen zu sein" (Detlef Esslinger, SZ-Leitartikel). Wer nicht länger in Bhutan war, muss das aber nicht unbedingt lesen ...

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.