Teasergrafik Altpapier vom 1. Juli 2020: Porträt Autorin Jenni Zylka
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Das Altpapier am 01. Juli 2020 Hoch die Menstruationstassen

01. Juli 2020, 09:07 Uhr

Jeder und jede weiß, dass Twitter sich nur bedingt für Streitgespräche eignet. Das ist bei den Vorwürfen gegen angeblich transphobe Äußerungen von Joanne K. Rowling nicht anders. Ein Altpapier von Jenni Zylka.

People who menstruate

Es ist schon vier Wochen her, aber das passt in diesem Fall hervorragend, knick knack: Am 28. Mai war der “Internationale Tag für Menstruationshygiene“. Dabei geht es um zu hohe Tamponsteuern, soziale Unterschiede beim Zugang zu Hygieneartikeln, unnötige Tabuisierung der zyklusbedingten Bluterei und so weiter. Ich hab den Tag jetzt nicht übermäßig enthusiastisch gefeiert, hab mir einfach ein paar hinter die Binde gekippt, höhö, aber ich unterstütze das natürlich, und enttabuisiere darum mal los: Menstruationstassen für alle, bitte. Und ich meine alle Menschen, die menstruieren – womit wir beim eigentlichen Thema wären. Denn genau an diesem Tag hatte die US-amerikanische Entwicklungshilfeplattform Devex einen Artikel über die diesbezüglichen Missstände in jenen Ländern veröffentlicht, in denen Frauen, Mädchen und “people who menstruate“ Probleme mit ausreichend Hygieneartikeln, Privatsphäre und sicherem Zugang zu Sanitäranlagen haben.

“An estimated 1.8 billion girls, women, and gender non-binary persons menstruate, and this has not stopped because of the pandemic. They still require menstrual materials, safe access to toilets, soap, water, and private spaces in the face of lockdown living conditions that have eliminated privacy for many populations.“

Stimmt natürlich alles. Die Überschrift lautete:

Creating a more equal post COVID-19 world für people who menstruate“

und ließ damit die etwas genauer beschriebenen “Frauen, Mädchen und nicht-binären Personen“ aus dem folgenden Text ein bisschen unter den Tisch fallen. Und dann kam Joanne K. Rowling, Autorin, Millionärin, Aktivistin und Harry Potters erfolgreiche Muggel-Mutter, ins Spiel, und machte sich in einem Tweet ein tiny-winy-bit lustig über den Ausdruck aus der Überschrift: “people who menstruate“. Menschen, die menstruieren – habe es dafür nicht mal eine andere Bezeichnung gegeben? Etwa: Frauen? Ist der Versuch, verbal alle Arten von menschlichen Wesen einzubeziehen, also... frauenfeindlich? Die Zeit dokumentiert hier die Abläufe.

Rowling vs. Transpersonen

Rowling merkte aber an den Reaktionen schnell, dass das schnippische, ironische, vage-sprachpolizeiliche Twittern angesichts dieses Themas (wie auch angesichts vieler anderer, wenn nicht aller Themen) unangemessen ist. Denn dieser Tweet beweist in den Augen von Kritikern und Kritikerinnen, dass Rowling eine ablehnende Haltung gegenüber Transpersonen habe. Was sich – auch das analysiert die Zeit - bereits des Öfteren zeige:

“Joanne K. Rowlings Tweets und ihr Blogbeitrag geben Eindrücke vom Frontverlauf zwischen einigen Feministinnen und Transpersonen. Ihr jüngster Tweet ist eine Polemik gegen sprachliche Inklusionsforderungen von nicht binären Transpersonen und Transmännern, wenn es um körperliche Aspekte geht, die gemeinhin als weiblich gelten.“

Es geht darüber hinaus um Rowlings Unterstützung einer Frau, die sich gegen ein transfreundliches Gesetz aussprach, das Menschen die Wahl ihrer genderbezogenen Bezeichnung selbst zugesteht. Und noch um ein paar weitere Dinge – in der so genannten “Transcommunity“ hat sich Rowling jedenfalls eine Menge Feinde, Feindinnen und Feinde gemacht.  Dabei denke ich, dass das nicht ihr Begehr war. Rowling hat nämlich als Reaktion des seit Monaten andauernden Hassels vor einer Woche einen Blogbeitrag auf ihrer Homepage veröffentlicht, den man hier einsehen kann, und in dem sie weitaus ausführlicher auf den Twitterstreit eingeht. Sie schreibt darin neben vielen anderen Dingen, dass das Thema Trans sie seit einiger Zeit begleitet, weil sie gerade eine Krimiserie entwickelt, in der die Protagonistin Überlegungen zu ihrer geschlechtlichen Identität wälzt. (Zudem erzählt sie von Beleidigungen und Drohungen, von eigenen Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt und Missbrauch, von der darum gewachsenen Sensibilität gegenüber “safe spaces“ für Frauen, von dem angeblich wachsenden Problem der “Genderidentitätsstörung“, und von den vielen neuen Bezeichnungen für den auch in der Zeit angesprochenen, mit scharfen Schimpfwörtern gewürzten Streit zwischen Feministinnen und Transpersonen.)

Shiny happy people holding hands

Als trans- und diskussionsfreundliche Emanze (ich bin zu alt für Feministin) und ideeller Hippie möchte ich zumindest mit scharfen Schimpfwörtern gewürzten Streit vermeiden, finde, dass respektvoll geäußerter Zweifel und ebensolche Kritik immer möglich sein müssen, glaube nicht, dass es nur die beiden Positionen “dafür“ und “dagegen“ gibt, und sehe die einzige Chance für eine Welt voller shiny happy people in zugewandter Kommunikation. Insofern freue ich mich über den Zeitartikel, über einen ähnlich genau formulierten Frankfurter Rundschau-Text, und über eine Analyse in der Berliner Zeitung, die völlig zurecht zu dem Schluss kommt, dass die Debatte längst eine gesamtgesellschaftliche ist – und dass das Twitterschießen nichts bringt:

“Es ist schwer, sich der persönlichen Aufrichtigkeit des Essays zu entziehen. Es ist leicht, als Cis-Frau selbst Beispiele zu finden, in denen man sich mit den eigenen Erfahrungen in einem so verflüssigten Frauenbegriff nicht mehr repräsentiert und auch weniger geschützt sieht. Aber den Laden zu schließen, ist ebenso wenig eine Option. Das ist auch nicht Rowlings Appell. Dass die Zuschreibungen in Bewegung sind, ist unhintergehbar. Eine weltberühmte Schriftstellerin meldet Bedenken an und gestattet sich Rückfragen. Die Debatte ist aus der Nische ins Zentrum der Gesellschaft getreten.“

280 Zeichen sind zu kurz um alles zu erklären

280 Zeichen, das lässt sich neben einigen wackeligen Erkenntnissen über die Relevanz der Sprecher- und Sprecherinnenhaltung als Fazit aus der ganzen Sache ziehen, sind schlichtweg zu kurz für die Komplexität der Geschichte. Da kriegt man die nötigen “-innen“ nie unter. Es geht um das biologische und das kulturelle Geschlecht, das ließe sich vermutlich nicht mal von Simone de Beauvoir  in kurzen Ausrufezeichensätzen abhandeln. Was auch die Bild-Zeitung in ihrem Versuch einer Aufarbeitung beweist, und zwar schon in der Überschrift:

“J.K. Rowling wehrt sich gegen Transgender-Kritik.“

Nee, stimmt so nicht. Sie wehrt sich gegen Vorwürfe, transphob zu sein. Der Kölner Stadt-Anzeiger verpatzt dagegen die Unterzeile:

“In der Debatte um Frauen und Transsexuelle rücken viele von der Star-Autorin ab.“

schreibt ein Kommentator, und hat anscheinend nicht mitbekommen, dass sogar des (und der) Wissensdurstigen liebste Schamdroge, Wikipedia, deutlich auf das Unbehagen der meisten Transpersonen mit dem Begriff “transsexuell“ hinweist. Unterm Strich sehe ich jedoch einen deutlich spezifischeren und sensibleren Umgang mit dem gesamten Sujet, als noch vor ein paar Jahren. Vielleicht sollte man das einfach mal hoffnungsvoll als Fortschritt deuten. Uff.


Altpapierkorb (Tönnies, Bill Gates, die Bahn)

+++ Schalke-Boss Clemens Tönnies ist zurückgetreten – das hat aber gedauert! Seinen der teufelsgläubigen Menschgemachter-Klimawandel-Leugnerin Gloria von Thurn und Taxis abgelauschter, rassistischer Spruch (ich will ihn nicht wiederholen) hatte Tönnies bereits im August 2019 gebracht. Hier im Tagesspiegel kann man nochmal nachlesen, “wie schwer“ es ihm fiel, der Spruch wird auch nochmal zitiert.

+++ Bill Gates bringt nach einem Bericht in der Süddeutschen die Geschichte mit den Verschwörungstheorien auf den Punkt: “Ich bin unsicher, was ich sagen oder tun soll. Denn egal, was ich sage, es wird die Mythen ja nur noch befeuern“, sagte er auf der Ted Conference. Stimmt genau. Das ist das Problem. Der Vergleich ist vielleicht etwas weit hergeholt, aber ich möchte mal kurz Hannah Arendt zitieren: “Der wohl hervorstechendste und auch erschreckendste Aspekt der deutschen Realitätsflucht liegt jedoch in der Haltung, mit Tatsachen so umzugehen, als handele es sich um bloße Meinungen“.  Good god, das passt auf so viel!

+++ Und ich weiß ja dass Bahn-Dissing auf Dauer common sense und langweilig ist, aber das mit dem “Schienenpakt“ kann man sich schon nochmal genau anschauen, so wie hier die taz.

Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.

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