Teasergrafik Altpapier vom 14. Juli 2021: Porträt Autor Klaus Raab
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Das Altpapier am 14. Juli 2021 Jetzt mit Papst

14. Juli 2021, 10:52 Uhr

Die Debatte über die ARD-Programmreform geht weiter – sogar der Papst wird herbeizitiert. Ein Beirat des Wirtschaftsministeriums macht sich derweil lächerlich, indem er die "Disziplinierung der Presse" fordert. Aber ist die von ihm kritisierte Startup-Berichterstattung vielleicht wirklich nicht so brillant? Ein Altpapier von Klaus Raab.

Debatte über die ARD-Programmreform

Die Nachricht des Tages zuerst: Es gibt keine neuen offenen Briefe von ARD-Inhaltlern an höherrangige ARD-Leute, über die heute an dieser Stelle berichtet werden müsste. Womöglich ist zumindest von Beteiligtenseite alles gesagt, was derzeit öffentlich mitgeteilt werden kann. Der Protest, der sich gegen die Pläne, die ARD-Politmagazine im linearen Umfang zu reduzieren, und den "Weltspiegel" auf den späten Montag zu verlegen, ist jedenfalls vorgebracht (gebündelt: im Altpapier vom Dienstag).

Weitere Meinungsäußerungen, wenn auch nicht in Briefform, und Berichterstattung gab es allerdings auch am gestrigen Dienstag. An dem Tag also, an dem die ARD-Führungsleute über dies und das, wahrscheinlich aber auch über den digitalen und linearen Umbau des ARD-Programms beratschlagten.

Während das Medienmagazin "@mediasres" vom Deutschlandfunk in der gestrigen Sendung unter Berufung auf die ARD-Pressestelle meldete, man werde am Dienstag nicht zu einer Entscheidung kommen, berichtete der Tagesspiegel am Nachmittag, über den digitalen Umbau des ARD-Programms sei zwar noch nicht abschließend entschieden. Die Pläne seien allerdings "weit über das Entwurfsstadium hinaus" und den ARD-Intendantinnen und -danten vorgestellt worden. Sie hätten sie "dem Vernehmen nach" auch "abgenickt". Das war der Stand am Dienstagabend.

Was auch weiterging, war die Debatte, wie die Pläne zu bewerten seien. Die Katholische Nachrichten-Agentur verkündete die skeptische Position der Gesellschaft Katholischer Publizisten Deutschlands und anderer katholischer Institutionen zur angedachten Verlegung des "Weltspiegels". Der Papst kam in einem Statement auch vor. Der habe am "Welttag der sozialen Kommunikationsmittel" in diesem Jahr "die Gefahren angesprochen, wenn derartige Themen nur aus dem Blickwinkel reicher Länder und nicht vor Ort bei den Betroffenen recherchiert und dargestellt würden".

Deutschlandfunks "@mediasres" interviewte stattdessen Thomas Lückerath von DWDL, also einen Beobachter aus dem Spektrum jenseits der Öffentlich-Rechtlichen, der sich analytisch äußerte. Mit Grautönen, auf die in offenen Briefen naturgemäß weniger gesetzt wird.

Lückerath äußerte einerseits Verständnis für die Sorge, die Programmreform führe zu einer Marginalisierung, weil es "Erfahrungen aus der Vergangenheit" gebe, "die misstrauisch machen". Ein Dokusendeplatz würde zudem wegfallen, wenn der "Weltspiegel" auf den Montagabend kurz vor elf geschoben würde, und das sah er kritisch. Er befand andererseits, dass der Sendeplatz an sich nicht zwangsläufig so schlecht sei, dass er als "Todeszone" korrekt charakterisiert wäre: Mit den "Tagesthemen" gebe es einen "guten Vorlauf". Die Fernsehnutzung verlagere sich generell in den Abend. Und "Markus Lanz" im ZDF zeige, dass es möglich sei, auch am späteren Abend sein Publikum zu finden. (Wobei Lanz freilich seit Jahren mehrmals die Woche sendet, wodurch es einen gewissen Gewöhnungseffekt geben dürfte.)

Was wäre eine gute Lösung?, wurde Lückerath gefragt. Und er antwortete: "Die Debatte nicht ausgerechnet jetzt führen." Der Eindruck, die ARD wolle das dokumentarisch-journalistische Programm kürzen, der durch die laufende Debatte entstehe, sei "nicht das beste Signal im medienpolitischen Diskurs gerade" – schon angesichts der privaten Informationsoffensive von RTL und ProSieben, die, wie Stefan Niggemeier im Übermedien-Newsletter kürzlich schrieb, "gesellschaftliche Relevanz als Mittel entdeckt" hätten, "in der unüberschaubaren Masse von Content noch aufzufallen und ihre Marken mit Bedeutung aufzuladen".

Und bei Deutschlandfunk Kultur äußerte sich Leonhard Dobusch, der im ZDF-Fernsehrat sitzt: Er sehe Fehler in der Kommunikation der geplanten Maßnahmen, "inhaltlich schaut er jedoch wohlwollender auf die Pläne". Und er bringt einen Move ins Spiel, der so uninteressant nicht klingt: Er plädiere dafür, "über Budget-Umschichtungen vom fiktionalen Bereich in den journalistischen Bereich zu reden". Ob eine Reduktion von Krimis auch so viel Protest hervorrufen würde wie die befürchteten Kürzungen bei den Politmagazinen? Man könnte es wohl nur auf eine Art herausfinden.

Wer reguliert den Beirat Junge Digitale Wirtschaft?

Ein anderes Thema der Medienmedien – quantitativ wohl das Medienthema des Dienstags – ist ein Arbeitspapier des Beirats "Junge Digitale Wirtschaft", der seit der Amtszeit Philipp Röslers das Bundeswirtschaftministerium berät. Das Papier stand offensichtlich auf den Ministeriumsseiten, weshalb Peter Altmaier (CDU) ein ordentliches kommunikatives Einrenkmanöver hinzulegen hatte. Das Papier "sorgte am Dienstag für Wirbel – und jede Menge Ärger", wie Caspar Busse in der SZ schreibt, dessen Text erbaulicherweise mit einem Zitat beginnt, das schon beinahe als Einordnung genügen würde: "Schwachsinn." (Überschrift übrigens, auch nicht unangemessen: das Zitat "Sehr, sehr peinlich").

Wirbel und Ärger. Ärger und Schwachsinn. Wirbel und Schwachsinn. Wirbel und Ärger und Schwachsinn und die Digitalwirtschaft. Denn, here we go: In diesem Papier, über das das Handelsblatt zuerst berichtet hatte (und das u.a. von netzpolitik.org für die Nachwelt gesichert wurde),

"wird unter anderem gefordert, dass Medien über Börsengänge nicht mehr unabhängig berichten sollten. Es müsse eine 'Disziplinierung der Presse zu sachlicher, richtiger und vollständiger Information' erfolgen, heißt es. Der Grund: Die Medien hätten eine Mitschuld am schlechten Umfeld für Börsengänge in Deutschland. Es gebe immer öfter 'einseitig diffamierende Artikel', die sich als 'regelrechtes bashing' von Börsengängen und der New Economy verbreitet hätten."

So die Zusammenfassung der SZ. Verlangt wird ein "Erlass von Regeln". Außerdem solle die Berichterstattung auch über kleine Börsengänge verpflichtend werden. Zugleich wird im selben Papier mehrfach eine "Beseitigung der Überregulierung" gefordert – natürlich nur, wenn es um Startups geht (Thread von Deniz Yücel).

Dass Journalistinnen und Journalisten bei Unternehmen "als Übermittler genehmer Informationen und Images" am willkommensten sind, ist natürlich nicht neu (Altpapier). Aber bei einem Gremium, das die Regierung berät? Man weiß nicht, ob man lachen soll über den Startup-Beirat, der mittlerweile einen Verantwortlichen ausgemacht hat und das Ganze "sehr, sehr peinlich" findet (SZ). Oder weinen. netzpolitik.org nimmt’s mit Sarkasmus ("Pressefreiheit nervt"). Meedia fühlt sich "an autokratische Systeme" erinnert, "mindestens". faz.net bezweifelt, dass es mit dem "demokratischen Grundverständnis mancher Gründer" weit her sei. Und Spiegel-Redakteur Anton Rainer orientiert sich direkt an den ganz Großen unter den Wirbel-Ärger- und Schwachsinn-Treibern: Viktor Orbán und Donald Trump hätten die Passage mit der "Disziplinierung der Presse" "nicht besser formulieren können", kommentiert er.

Rainer wirft aber eine gute Frage auf – die entscheidende der kompletten Berichterstattung: nämlich ob dieses Papier nun der Ausrutscher eines mittlerweile zurückgetretenen einzelnen gewesen ist, als der es nach einer Abfolge halbguter Rettungs- und Rückruderversuche im Nachgang nun verkauft wird. Oder ein grundsätzlich problematisches Pressefreiheitsverständnis der Branche zeigt. Rainer meint: letzteres.

"Medien werden von vielen Gründern nicht als gleichberechtigte Gesprächspartner wahrgenommen, als Kontrollmechanismen in einer freien Demokratie, sondern als einer von vielen Amplifikatoren in einer lauten Welt. Mit Gründern sprechen und ihre Botschaften verstärken? Darf man gerne. Das Produkt in Aktion sehen? Lieber nicht. Kritische Rückfragen? Wir sind hier doch nicht in der Höhle der Löwen!"

Die Frage allerdings, ob Teile der Startup-Berichterstattung vielleicht wirklich kritisierenswert sind, wie die Unternehmer finden, muss trotzdem gestellt werden. Denn es kann ja sein, dass es a) in der besagten Gründerszene nicht so weit her ist mit der Lust auf Journalismus, der keine PR ist. Dass b) der Journalismus über die Gründerszene aber auch nicht nur brillant ist.

"@mediasres" vom Deutschlandfunk hat zwei einordnende Stimmen dazu. Zum einen die von Larissa Holzki, Autorin der Handelsblatt-Texte zum Thema, die von einer "Erwartung" von Jungunternehmen spricht, Redaktionen sollten ihre Pressemitteilungen "quasi eins zu eins" veröffentlichen. Zum anderen kommt die freie Wirtschaftsjournalistin Katja Scherer zu Wort, die sagt, sie könne die in dem Beiratspapier geäußerte Medienkritik der Start-ups teilweise verstehen:

"Beispielsweise würden die Themen Technologie und Innovation 'in deutschen Medien tendenziell negativ dargestellt', findet Scherer. 'Und weil Start-ups ja gerade in diesen Bereichen unterwegs sind, trifft die das natürlich auch.' So würden etwa in der Berichterstattung über Künstliche Intelligenz (KI) Fragen nach Risiken oder Arbeitsplatzverlusten in den Vordergrund gestellt und weniger thematisiert, dass KI auch eine Chance sein könne."


Altpapierkorb (Kürzungen bei der Welt, Abfindungen bei RTL, Fake im Wahlkampf, Rüge für inTouch, Kosten des "News of the world"-Skandals)

+++ Bei Springers Welt soll am Umfang gekürzt werden. Das neue Konzept heiße "5+2" – fünf Mal Welt, zweimal Welt am Sonntag, also auch samstags. Mehr dazu hat DWDL.

+++ Bei RTL wird abgefunden, schreibt Meedia. Zum Hintergrund gehört die Verzahnung mit Gruner+Jahr.

+++ Der Spiegel saß in einem Newsletter offensichtlich einem Wahlkampffake auf, womöglich dem einer klimaaktivistischen Gruppe. Den "Zukunftsrat der CDU", von dem er schrieb, gibt es wohl nicht. Die FAZ hat Details.

+++ Übermedien beschäftigt sich mit einer Presseratsrüge für Bauers inTouch wegen einer irreführenden Lüge über Daniel Küblböck.

+++ Wie teuer der News-of-the-world-Skandal in Großbritannien vor einem knappen Jahrzehnt (Altpapier, damals noch bei evangelisch.de) Rupert Murdoch gekommen sein könnte, schreibt Infosperber aus der Schweiz unter Berufung auf britische Quellen: etwa eine Milliarde Pfund.

Neues Altpapier erscheint am Donnerstag.

1 Kommentar

maz.bln am 14.07.2021

"Beispielsweise würden die Themen Technologie und Innovation 'in deutschen Medien tendenziell negativ dargestellt', findet Scherer." - Da sollte sich Frau Scherer mal die Start-up-Meldungen des im Haus des Altpapiers befindlichen MDR Thüringen (oder beliebiger anderer Lokalredaktionen) ansehen. Da wird um jede Regung eines lokalen Start-ups ein riesen Bohei gemacht. Irgendeine kritische Distanz ist da nicht ansatzweise zu entdecken.