Teasergrafik Altpapier vom 10. Januar 2022: Porträt Autorin Jenni Zylka
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Das Altpapier am 10. Januar 2022 Punkt Punkt Komma Strich

10. Januar 2022, 10:01 Uhr

Auf funk ist ein leicht fehlerhaftes, animiertes Geschichtsvideo über Hitlers Vergangenheit erschienen, und wieder heruntergenommen worden. Ein Altpapier von Jenni Zylka.

Wann darf man lachen?

In Chris Kraus‘ Film "Die Blumen von gestern" von 2016 arbeitet der melancholische Holocaust-Forscher Toto Blumen, dessen Großvater ein strammer Nazi war, für ein Projekt mit der lebenslustigen Praktikantin Zazie zusammen, Enkelin einer ermordeten Jüdin. Als sie die Wohnung eines verstorbenen Gedenkstättenmitarbeiters aufsuchen, entdeckt Zazie ein schwarz-weißes Kinderfoto im Regal, und fragt "Wer das wohl war? Vielleicht sein Vater? Oder sein Großvater? Er sieht so süß aus!". "Das ist Adolf Hitler. Als Baby. Wissen Sie das nicht?" gibt Toto entrüstet zurück. "Unglaublich", sagt Zazie. "Ich hätte ihn glatt adoptiert".

Das Interessante an diesem damals zum Teil verhalten aufgenommenen Film war die Tatsache, dass die Kritik, die ihm entgegenschlug und sich meist an der Frage aufhängte, ob man im Zusammenhang mit dem Holocaust Witze machen darf, der Story bereits immanent war: Der miesepetrige Protagonist Toto echauffiert sich ebenfalls permanent darüber, wie humorvoll Zazie (dabei schwingt ein "ausgerechnet" mit) das Sujet betrachtet, wie ihre Leichtigkeit mit seiner - angesichts des freudlosen Themas und der Vergangenheit seiner Familie, überhaupt der Deutschen - freudlosen Haltung kollidiert.

Es kann immer wieder eine befremdliche Erfahrung sein, Hitler als "unschuldiges" Kind oder überhaupt fiktionalisiert zu sehen. 2013 drehte eine Gruppe Filmstudierender von der Filmakademie Ludwigsburg einen nicht autorisierten Fake-Mercedes-Spot (nicht im Auftrag des Autoherstellers, sondern als eigene kreative Arbeit), in der ein Mercedes durch ein altertümliches Dorf rollt, und einen kleinen Jungen überfährt, dessen Mutter erschreckt "Adolf!" ruft, bevor man den Jungen auf dem Boden liegen sieht, die Gliedmaßen in Hakenkreuzform angeordnet. Die so genannte "Collision Prevention Assist"-Funktion, also das Fahrerassistenzsystem des Autos hatte – wie es der Name sagt – "die Gefahr erkannt, bevor sie entsteht." Mercedes war not amused, die Macherinnen und Macher mussten einen Disclaimer einbauen, in dem sie darauf hinweisen, dass es sich um den studentischen Film einer Filmhochschule handelt. Jede Menge Preise gab es dennoch für den Spot – der Diskurs um das mögliche oder unmögliche Lachen über Hitler oder damit zusammenhängende Themen ist noch lange nicht vorbei.

Woher weiß man, was vorher war?

Genauso wenig wie die Frage, inwiefern sich Hitler, inwiefern sich komplexe Geschichte(n) überhaupt für fiktionalisierte, und dabei zuweilen vereinfachte Darstellungen eignen. Denn die Frage, ob man Hitler als Kind oder Teenager oder Comicfigur (inklusive Sprechblasen) sehen, verstehen, durchschauen kann, ist die eine Sache. Die andere sind potentielle Fehlerquellen: Vom jungen öffentlich-rechtlichen "Content-Netzwerk" funk wurde bereits Anfang Dezember ein animiertes Video veröffentlicht, das unter dem Titel "Bevor Adolf Hitler berühmt wurde…" die Vorgeschichte des Diktators als Cartoon in sieben Minuten erzählte. Wie die Süddeutsche Zeitung hier berichtete, wurde das Video nach Protesten des deutschen Historikerverbands VHD inzwischen vom Portal genommen:

"In einer Passage des Videos, heißt es, das Deutsche Reich habe mehrfach Österreich angegriffen: "Die vielen Schlachtsiege gegen sein Heimatland bestätigen den 'spinnerten Österreicher', wie seine Kameraden ihn nennen, nur noch mehr in seinem Österreich-Hass." Und dieser Österreich-Hass habe, zusammen mit den Schlägen des Vaters, der Verhätschelung durch die Mutter und Hitlers Erfolglosigkeit als Maler in Wien, das Monster in ihm geweckt. Der VHD beklagte nun die "Verfälschung historischer Fakten" in dem mehr als 200 000 Mal geklickten Video und wies daraufhin, dass Österreich-Ungarn natürlich zu den Hauptverbündeten des Deutschen Reichs gehörte."

Die SZ berichtet weiter, dass der Macher des Videos, ein Youtuber mit dem Namen "Der Biograph", seinen Irrtum bereits eingeräumt und angekündigt hätte, es korrigiert wieder einzustellen.

Braucht es vielleicht Fachredaktionen?

Ich habe es auch noch nicht sehen können, musste aber angesichts weiterer animierter Videos aus der Reihe (zum Beispiel "Bevor Ariana Grande berühmt wurde", "Bevor Josef Stalin berühmt wurde…", "Bevor Amanda Gorman berühmt wurde…", "Bevor Rolex berühmt wurde…") verstärkt über fiktionalisierte Darstellungen von Historie nachdenken: Ist das einzige Problem an dem Film tatsächlich der falsche Fakt über das damalige Verhältnis zwischen Deutschland und Österreich? Und ist das Wort "berühmt" das richtige für die Biografien solcherlei unterschiedlicher Menschen? Der Spiegel hat den Hintergrund der Geschichte ausführlicher recherchiert, und dokumentiert die Antworten der Verantwortlichen:

"Die redaktionelle Herangehensweise zur Erstellung von Inhalten sei bei jedem Video des Kanals grundsätzlich die gleiche, heißt es nun von Funk. Die Abnahme des Formats erfolge durch die Funk-Zentrale. Dabei würden die genutzten Quellen ‘sorgfältig überprüft‘. Eine eigenständige historische Fachredaktion für ‘Der Biograph‘ gebe es nicht, Produktion und redaktionelle Abnahme von Videos zu Hitler oder Putin wie zu Montana Black und Rezo hätten ‘die gleichen Macher:innen bzw. Redakteur:innen übernommen‘. Allerdings würden ‘je nach Thema Fachleute für spezielle Fragen hinzugezogen‘"

Zudem mutmaßt der Spiegel hinsichtlich eines weiteren Sachfehlers in einem animierten Video über Merkel gewisse thematische Vorlieben:

"Womöglich liegt das Problem auch in einer etwas einseitig auf Populärkultur spezialisierten Expertise."

Wir wissen ja nun, und der Spiegel erst recht, dass Fehler immer wieder und uns allen passieren (besonders ich werfe 100%ig nicht den ersten Stein, puha). Aber bei an sich intentional völlig einwandfreien Formaten wie "Der Biograph" kommen mehrere Dinge zusammen: Beim doppelten Spiel über Bande – erstens durch spekulative Inhalte die psychologischen Dimensionen des Diktators ferndiagnostizieren, zweitens durch den Verfremdungseffekt Animation – besteht ein größeres Problem, dass sich Fehler einschleichen. Darüber hinaus sind schon andere an der Herausforderung gescheitert, hochkomplexe Themen simpel darzustellen. Und außerdem bleibt die Frage ob man, bei aller Seriosität und Grandesse von Graphic Novels, Hitler überhaupt als Comicfigur mit einem gewissen Realitätsanspruch zeichnen sollte.

Wie zeigt man etwas, ohne es zu zeigen?

Natürlich fällt einem dazu gleich Art Spiegelmans "Maus"-Comicreihe ein, die der Cartoonist zwischen 1980 und 1991 zeichnete. Spiegelman sagte damals zum gleichen Themenkomplex (und man kann das in diesem wahnsinnig interessanten Text von James E. Young, erschienen 1998 im "Critical Inquiry", sogar nachlesen, wenn man sich vorher in dem New Yorker Onlinearchiv Jstor anmeldet), dass der Begriff Comic qua Wortherkunft einen zwar "auf die Idee bringen könnte, dass sie lustig sein müssen." Aber Humor sei "keine intrinsische Komponente des Mediums". Spiegelman untersuche durch seine Arbeit, so Young, wie man "die Geschichten der Toten schreibt, ohne ihre Lücken aufzufüllen". Und auf die Frage, wieso seine Protagonistinnen und Protagonisten Mäuse seien, habe Spiegelman geantwortet: "Ich muss die Ereignisse und die Erinnerung des Holocaust zeigen, ohne sie zu zeigen. Ich will die Maskierung dieser Ereignisse in ihrer Darstellung zeigen."

Und mir ist schon klar, dass ein kleines, milde fehlerhaftes, animiertes, biografisches Video auf einem öffentlich-rechtlichen Jugendkanal nur bedingt etwas mit einer der wichtigsten fiktiven (wenn auch autobiografisch begründeten) Graphic Novels zu tun hat. Aber manchmal muss man eben etwas ausholen, um auf den Punkt-Punkt-Komma-Strich zu kommen.


Altpapierkorb (... mit Trump-App, neuen heute-journal-Moderator:innen und dem neuen RBB Vorabend)

+++ Trumps "Truth Social"-App soll am 21.2. online gehen, kündigt Apples App Store an, und berichtet hier die taz, und hier der Spiegel ("Propaganda-Plattform"), heise weist zudem darauf hin, dass der 21. Februar der Geburtstag George Washingtons, und damit ein Feiertag in den USA ist.

+++ Der Tagesspiegel portraitiert hier das neue ZDF-heute-journal-Hauptmoderationsteam, das heute Abend beginnt, es handelt sich um alte ZDF-Bekannte: Christian Sievers und Hanna Zimmermann.

+++ Und sehr fleißig wurde in der gleichen Zeitung der neue RBB-Vorabend beobachtet, mit Servicemagazinen und einem neuen Talkformat, und kommt trotz Kritik am undurchsichtigen Sponsorenhandling bei "schön + gut" für die neue Talksendung zum  beruhigenden Ergebnis: "Insgesamt kann der RBB zumindest beim "Studio 3"-Talk mit den ersten Wochen zufrieden sein."

Ein neues Altpapier kommt am Dienstag.

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