Teasergrafik Altpapier vom 27. Januar 2022: Porträt des Altpapier-Autorin Jenni Zylka.
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Das Altpapier am 27. Januar 2022 Jungle Boogie

27. Januar 2022, 15:17 Uhr

Der Rassismus im Dschungelcamp wird nicht ausreichend analysiert. Und nicht nur in Stuttgart herrscht "Le Printsterben". Ein Altpapier von Jenni Zylka.

ADHS und Rassismus in Südafrika

Räusper… beginnen wir lieber mit etwas Erfreulichem, bevor es gleich unangenehm wird. Zum Beispiel diesem hier: Es gibt eine Muppet-Version von Kool & the Gangs großartigem 1973-Hit "Jungle Boogie", voilá! Sie stammt aus dem Jahr 2015, erschien damals auf der Muppets-Facebook-Seite, und featuret als Sänger den steifen patriotischen Adler "Sam the eagle", der die vielen Wiederholungen der – neben "Get down" - einzigen, prominent eingesetzten Zeile "Jungle Boogie" für unter seiner Patriotenadlerwürde hält, hihi.

Aber wo wir zuuuuufällig schon bei Dschungel, Fernsehshows und politischen Ansichten sind, ist es jetzt an der Zeit für eine kurze Betrachtung der Geschehnisse im Dschungelcamp, diesem in der Nähe des südafrikanischen Krüger-Nationalparks angemieteten Ressort voller Menschen mit vermutetem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. Dort gab es am Montag einen "Rassismus-Skandal" (t-online), beziehungsweise einen "Rassismus-Eklat" (watson.de), der sich nach einem "immer fauliger gärenden Streit" (Spiegel), oder auch einem "wüsten Streit" (SZ) entwickelt hatte.

Was genau passiert ist, kann bis zu einem gewissen Punkt ein lapidares "das Übliche" beschreiben: Die von Ekel-Challenges, Hitze, dem eigenen und dem Mitstreitenden-Anblick verständlicherweise genervten und (ganz im redaktionellen Sinn) aufgestachelten Teilnehmenden beleidigten sich nach Strich und Faden. Vor allem die beiden Dschungelprüfungs-Partnerinnen Janina Youssefian (Reality-Show-Darstellerin) und Linda Nobat (dito) stritten wie die Kesselflickerinnen. Es fielen Begriffe wie "asoziales Weib", "geisteskrank", "Ekelpaket" und "bitch". (Quote, by the way: 3,84 Millionen Zuschauende.) Eine schwer rassistische Beleidigung, die Youssefian dann jedoch gegenüber Nobat losließ, und die Nobats Hautfarbe (sie ist schwarz) referierte, führte dazu, das die 39-jährige Youssefian zunächst von den anderen Teilnehmenden, danach aber auch schnell von ihrem Arbeitgeber RTL kritisiert, zurechtgewiesen, und schließlich gekündigt wurde, hier der Original RTL-Tweet:

"Bei einem heftigen Streit hat Janina Youssefian Linda Nobat mit einer rassistischen Bemerkung beleidigt. RTL duldet ein derartiges Verhalten nicht und hat daher entschieden, dass Janina nicht mehr an der laufenden Staffel #IBES teilnehmen darf."

Die Reaktion auf die Reaktion

Zusammengefasst stieß die Entscheidung RTLs bei den meisten Menschen auf Zustimmung, allerdings wurde sie dennoch unterschiedlich beurteilt: Die SZ stellte zunächst fest:

"(…), als der Dschungel zwar nach außen oft menschliche Verwahrlosung ausstellt und den Anschein eines anything goes hat. Genau dies ist aber gerade nicht der Fall, der Dschungel pflegt gewisse Grenzen sehr genau, das ist Teil der Faszination, die er auf viele Zuschauer ausübt. Wahnsinn ja bitte, aber mit Methode und nach klaren Regeln. Zu den Regeln gehört: Rassismus wird geächtet. So einfach ist es."

Um dann zu loben:

"Im Schnittraum wiederum bei RTL behielten am Montag übrigens alle miteinander die Nerven - angenehm. Der Skandal Youssefian/Nobat wurde nicht ausgestellt, er wurde sachgerecht erzählt. Und es blieb daneben sogar Platz für Heiteres."

Der Spiegel urteilt dagegen strenger, und fragt kritisch:

"War es richtig, die Beleidigung auszustrahlen, gleich mehrfach aussprechen zu lassen und damit zu reproduzieren? Hätte man Janina Youssefian ohne diese Szenen abseits der Kameras aus dem Camp werfen und von Sonja Zietlow und Daniel Hartwich lediglich umschreiben lassen sollen, was passiert war?"

Um dann zu hoffen:

"Als nicht von Rassismus Betroffene kann man nicht beurteilen, ob von der expliziten Sichtbarmachung des Angriffs, dem Herzeigen der Wunde, die dadurch geschlagen wird, aber eben auch der konsequenten, eindeutigen Positionierung dagegen bei aller Destruktivität auch etwas Nützliches, Heilsames liegen kann. Darin nämlich, dass, so kann man vielleicht hoffen, am Ende nicht die Botschaft der Beleidigung bleibt, sondern jene, dass derlei eben nicht geduldet wird, nicht im Dschungelcamp und damit auch nicht in der Welt, die sie in Schrumpfversion nachspielt."

Nuancen von Beleidigungen

Ich teile sehr die Meinung der Kollegin Anja Rützel im Spiegel, sehe ein Problem mit den Ausstrahlungen beziehungsweise Wiederholungen des Streitkerns und den damit verbundenen Formulierungen, und dem – vielleicht auch kaum zu vermeidenden, aber dennoch intentional mitgedachten – Profitieren von diesem Streit, weil natürlich jetzt alle gucken (und twittern und schreiben). Es stimmt, auch bei einem Format wie diesem gelten glücklicherweise Regeln, die Rassismus ausschließen und ächten. (Obwohl diese Regeln dann doch zumindest manchmal wie Makulatur wirken, weil sie die Beleidigungen anderer marginalisierter Gruppen wie Menschen mit Handicaps – siehe Schimpfwort "geisteskrank" – ignorieren.)

Aber wenn es dem Sender tatsächlich in dem Maße um die Ächtung von Rassismus geht, könnte er doch an dem Verhalten der in Teheran geborenen Youssefian hervorragend exemplarisch untersuchen, wie tief Rassismus gesellschaftlich verwurzelt ist: Youssefian versuchte nach dem Eklat, sich zu entschuldigen, und wies etwas später via Instagram auf ihren eigenen Migrationshintergrund hin – und ich glaube ihr sogar, dass sie von ihrem eigenen rassistischen Bodensatz erschrocken war, der in dieser aufgeheizten und provokationsstarken Atmosphäre aufgewirbelt wurde. Dennoch war sie einfach rassistisch – und das ist schlichtweg durch nichts zu entschuldigen, da hat (die sich ebenfalls extrem anstrengend gebärdende) Nobat völlig Recht, die die Entschuldigung ihrer Konkurrentin nicht annahm.

Zweitens wäre das Beispiel prima geeignet, um die Unterschiede zwischen persönlichen Beleidigungen und solchen, die auf Sexismus und Rassismus fußen, also die Würde nicht nur eines einzelnen, sondern einer großen Gruppe von Menschen schwer verletzen, gar "entmenschlichen", genauer herauszuarbeiten. Es macht einen Unterschied, ob man jemanden mit "Ekelpaket" angiftet, oder ob es um die Gleichsetzung aller nicht-weißen Menschen mit einer "unzivilisierten" Bande geht (in die Richtung hatte sich Youssefians Original-Insult bewegt). Denn vor allem Twitter-Reaktionen schwangen gruselig viel in die Richtung, das Ganze sei schließlich ein Streit, und Nobats Sprüche seien auch nicht ohne gewesen. Ganz interessant ist in dem Zusammenhang, dass die (sichtbar fassungslose) Nobat das in der Sendung sogar selbst erklärt:

"Ich kann Beleidigungen verstehen, ich beleidige auch, Beleidigungen sind nicht schön, aber ich komme nicht auf die Hautfarbe eines Menschen zu sprechen."

Die Stunde danach

Einen detaillierten Diskurs zu diesen Themen hätte man sich also von RTL gewünscht. Und Überraschung, die Anlage beziehungsweise der Sendeplatz dafür wäre ja sogar vorhanden, win-win sozusagen: Nach der Ausstrahlung gibt es nämlich stets "Die Stunde danach", in der die Ex-Dschungelcampbewohnenden und die Moderatorinnen Olivia Jones und Angela Finger-Erben so etwas wie eine von Fake-Applaus, Sekt und viel Gekicher befeuerte, gemütliche Nachbesprechungsrunde versuchen. RTL habe "klare Kante gegen Rassismus gezeigt", sagte Jones da am Montag, und eine Sara Kulka (anscheinend eine Dschungelcamp-Ex) urteilte: "Janina hat eine Grenze überschritten". Doch für eine echte, gern vor unverschämten Schimpfwörtern sprühende Analyse (auch von Beleidigungen wie "geisteskrank", "asozial" oder "bitch" und ihrem Wert auf der Menschenwürdeverletzungsskala) fehlt dann eben doch etwas guter Wille, der Wunsch, das formatimmanente Beleidigungs- und Entwürdigungsniveau zu verändern, und ein Mensch, der die sprachliche Expertise mitbringt. Dabei wäre das garantiert hochunterhaltsam, und man könnte ja trotzdem jede Menge bekannte Streitszenen, Streithähne und -hennen integrieren.

(Apropos Schimpfwörter: In einem Pippi Langstrumpf-Film bittet Pippi ein nettes schwedisches blondes Kind, ihr das schlimmste Schimpfwort, das es kennt, ins Ohr zu flüstern, damit die verwegene Pippi es hernach laut in die Welt rufen kann. Und was ruft Pippi? "Dummer alter Mistkäfer!!!". Das ist so süß.)

Aber jetzt echt mal genug gedschungelt.

Um die Stimmung wieder ein bisschen aufzuhellen und zu den Muppets vom Anfang zurückzukehren, als Interlude kurz dies: Die Fraggles feiern gerade ein Comeback bei AppleTV+, was ich nicht nur großartig finde, sondern auch für eine kleine feine Initiative des Streamingdienstes halte, um dem allmächtigen Disney-Konzern eins auszuwischen, der denkt, er allein wisse, was Kinder brauchen. Wo Jim Henson das doch viel besser weiß! Habe genau das hier auch Deutschlandfunk erzählt.

Le Printsterben

Von einem weiteren unangenehmen Thema des heutigen Tages schreibt die Wochenzeitung Kontext. Es geht um das Printsterben im Allgemeinen, und die Stuttgarter Zeitung im Speziellen:

"Zu beklagen ist die unaufhaltsame Auflösung einer einstmals stolzen Zeitung. Es erzählen Redakteurinnen und Redakteure der "Stuttgarter Zeitung", die fassungslos einem Unternehmen gegenüberstehen, das eine "regionale Medienhaus-Strategie 2.0" ausgerufen hat, die wie ein Selbstmord aus Angst vor dem Tod erscheint. Künftig soll es nur noch bienenfleißige Storyteller geben, die vieles sein dürfen, nur keine Spezialisten, die sich der Flexibilität widersetzen. Klassische Ressorts wie Politik, Wirtschaft, Kultur werden abgeschafft und durch 22 Teams ersetzt, die Namen tragen wie "Freizeit/Unterhaltung", "Kriminalität/Innere Sicherheit", "Stadtleben/Events" oder, wie erwähnt, "Liebe/Partnerschaft". Die FAZ titelt "Ressortchefs raus, Digitalklicks rein" und sieht eine radikale Ausrichtung aufs Internet. Wie das bunte Allerlei in die Papierzeitung übertragen werden kann, weiß kein Mensch, ist aber auch nicht wichtig."

In der umfassenden Reportage geht es um Versprechungen, die nicht eingehalten werden, um euphemistische Begriffe wie "Reorganisation", um Flexibilität, die eigentlich nur Stellenstreichen bedeutet. Wir kennen das traurige und ärgerliche Lied:

"Es gibt ein sogenanntes Freiwilligenprogramm, das allen die Freiheit verspricht, zu wählen zwischen Gehen und Bleiben, und dennoch nur ein Scheinangebot ist. Es werden keine 55 sein, die sich abfinden lassen, und dann kommen die Kündigungen. Kurz nach der Benachrichtigung über den Kahlschlag sagt Chefredakteur Joachim Dorfs im Fernsehen: 'Wir werden die Qualität hochhalten'."

Fehlende Fachlichkeit schmerzt

Von wegen. Interessant wie die Reaktionen aus der Politik, der Kultur und Kreativszene und der Gewerkschaften darauf reagieren, hier einmal zusammengefasst. Die bittere Conclusio stammt von Tübingens OB Boris Palmer:

"Die meisten Verlage bestehen auf gleich bleibender Rendite und sparen wegen zurückgehender Einnahmen die Qualität der Redaktionen erbarmungslos ins Minus. Offenbar glaubt man nicht an die Zukunft der Zeitung, sondern lässt sie mit guten Gewinnen auslaufen. Das Ergebnis ist furchtbar. Mir bereitet Zeitungslektüre wegen Einseitigkeit, fehlender Fachlichkeit und immer weiter wachsender Fehler mittlerweile jeden Abend Schmerzen. Und bei den beiden Stuttgarter Zeitungen dürfte das im nächsten Jahr massiv zunehmen. Das ist dann wohl der Zeitpunkt, nach 20 Jahren mein Abo zu kündigen. Für Partnerschaftsberatung brauche ich keine Tageszeitung."

Und das schreibt die Leiterin des Theaters "Rampe":

"Die Klage darüber ist allgemein und nicht neu. Die Krise dahinter ist eine strukturelle, die es zu bearbeiten gilt. Letztlich kann unabhängiger Journalismus, eine freie Presse, eine diverse und vielstimmige Presselandschaft nur funktionieren, wenn diese als Voraussetzung einer demokratisch verfassten Gesellschaft anerkannt werden, also gemeinnützig funktionieren. Da braucht es einen grundsätzlichen Wandel, nicht nur im Stuttgarter Feuilleton. Sondern insgesamt in den politischen Rahmenbedingungen für eine Medienlandschaft. Diese braucht – wie Kunst und Kultur, Gesundheitswesen, Sorgearbeit, lokale Landwirtschaft, Wohnungsbau oder öffentlicher Verkehr – substanzielle Förderung und solidarisches Wirtschaften."

Recht hat sie.


Altpapierkorb (... mit DisneyPlus, Netflix und Facebook)

+++ Haben wir nicht gerade kurz die Allgegenwärtigkeit von DisneyPlus vermeldet? Dann passt ja, dass der Streamingdienst laut dieses Berichts im Spiegel jetzt noch internationaler abrufbar ist – obwohl die Zahlen angeblich sinken.

+++ Und noch ein Streaming-"Platzhirsch" röhrt angeblich leiser, wie die FAZ berichtet: Der Einbruch der Netflix-Aktien um 20 Prozent führt der Anbieter auf wachsende Konkurrenz und den "Covid-Kater" zurück.

+++ Wie die Zeit schreibt, muss Facebook nach einem BGH Urteil zulassen, dass Nutzende unter Pseudonymen agieren– die Richterinnen und Richter haben ihr Urteil allerdings auf "Altfälle" begrenzt.

Neues Altpapier gibt es am Freitag.

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