Das Altpapier am 15. Juli 2022: Porträt der Altpapier-Autorin Jenni Zylka
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Das Altpapier am 15. Juli 2022 Schöner, jünger, geiler

15. Juli 2022, 09:40 Uhr

Ein Ballermann-Song hat eine Sexismusdiskussion ausgelöst und zu Verboten geführt. Der Diskurs ist wichtig und richtig – allerdings böten sich andere Songs besser an. Ein Altpapier von Jenni Zylka.

Reim auf geiler

"Layla" ist einer der bezauberndsten und beliebtesten arabischen Frauennamen. Er sieht ebenso schick mit i wie mit y aus, macht sich gut mit e oder a, und bedeutet "Nacht", oder "schönste aller Nächte". Dass der Name sich mit viel gutem Willen und einem wackeligen Reimverständnis auf "geiler" reimt, dafür kann er nichts. Jenes wackelige Reimverständnis hat vor einer Weile auch ein DJ-Duo namens "DJ Robin & Schürze" bewiesen, und auf dem Sampler "Ballermann Hits 2022" ein harmonisch und musikalisch recht dürftiges Tanzlied namens "Layla" veröffentlicht, vier Akkorde im 4/4 Takt, viel Refrain, Kirmestechnosound. Vor ihn wurde auf der CD ein Stück namens "Kopfweh" von "Frenzy Blitz" kompiliert, ihm folgt "Unten Kommt Die Gurke Rein" von einer Band namens "Die Sacknähte". (Weil ich zuweilen meinen Augen nicht traue, habe ich "Die Sacknähte" recherchiert: Es handelt sich um den DJ Namen der Podcaster-Comedians Tommi Schmitt und Felix Lobrecht, das tut eigentlich hier nichts zur Sache, ich wollte nur wissen, welche Art Humor man für einen solchen Bandnamen generieren muss. Ist nicht ganz meiner, aber ich bin ja auch schon Ü18 und gehe zum Lachen ins Tiefparterre der Super-Emanzen.)

Zurück zu Layla. Bevor es an die inhaltlich-semantische Analyse geht, hier die Vorgeschichte: Dieser sogenannte "Ballermann-Hit" beherrscht seit ein paar Wochen die deutschen Single-Charts – und jetzt auch noch einen gar nicht kleinen Teil der Medien. Denn nachdem zwei Volksfeste (die heute beginnende Düsseldorfer Kirmes und das Würzburger Kiliani Fest) den Song für ihre Veranstaltung auf den Index gesetzt haben, und die hessische Junge Union viel Kritik erntete, weil sie "Layla" bei einem Parteitag spielte, ist gerade eine Layla-Hysterie entstanden. Auf der einen Seite bekräftigen Musikwissenschaftler die Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Song, wie hier u.a. der Tagesspiegel dokumentiert:

"Je mehr Aufmerksamkeit "Layla" so bekam, desto größer wurde die Aufregung über die Inhalte des Songs. "Puffmutter Layla", heißt es darin. "Sie ist schöner, jünger, geiler.... Das Luder Layla, unsre Layla." Das sei natürlich sexistisch, urteilt der Direktor des Zentrums für Populäre Kultur und Musik an der Universität Freiburg, Michael Fischer."

"Sexistischer Prollohit"?

Auch der Musikcomedian "Dr. Pop", nennt das Lied "sexistisch", wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtet:

""Das Lied ist kalkuliert hochgradig sexistisch", sagt der Musikwissenschaftler Markus Henrik, auch bekannt als Musikcomedian Dr. Pop, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). "Vermutlich ist das auch eine schräge, unterbewusste Antwort auf die MeToo-Debatten der letzten Jahre, nach dem Motto: ‚Hier ist jetzt mal kurz alles egal.‘" Der Song sei "toxische Männlichkeit in einen Prollohit gegossen", sagt Henrik. "Konzeptionell aber clever gemacht. Man könnte immer sagen: Habt euch nicht so, ist doch nur Spaß.""

(Wobei man mit dem Wort "Prollohit" vielleicht ein bisschen vorsichtig sein sollte. Oder soll hier etwa ein Proletariat vergackeiert werden?!) Auf der anderen Seite ist von der Plattenfirma eines Ballermann-Sänger namens "Ikke Hüftgold" unter dem #freelayla eine Online-Petition ins Leben gerufen wurde, die bis gestern von über 25.000 Menschen unterschrieben wurde, auch das berichtet das rnd:

"In seiner Rolle als Hüftgold warb der Musikproduzent gemeinsam mit anderen Künstlern in den Sozialen Medien für die Petition bei "change.org". Im Begleittext heißt es: "Gegen Zensur! Für ein Leben nach Corona! Für künstlerische Freiheit!""

Was mal wieder eine interessante Verschiebung der Petitions-Idee ergibt, die ja eigentlich Bürgerinitiativen gegen strukturelle Ungerechtigkeiten ermächtigen sollte. Dabei kann von klassischer "Zensur" eh nicht die Rede sein: Volksfestveranstaltenden bleibt schließlich freigestellt, welche Songs sie auf ihre Partys lassen. Auf dem Ballermann wird "Layla" nach wie vor gespielt, vermutlich auch auf vielen Radiosendern.

"Gewisse Grundverschwiemeltheit"

Der Spiegel hat in Windeseile fünf Texte zu dem Thema veröffentlicht, wobei dieser hier eine unterhaltsame historische Bestandsaufnahme von Ballermannhits ist:

"Dabei steht 'Layla' in einer langen und ehrwürdigen Binnentradition. Es ist Musik für Kegelbrüder und (doch, doch) Kegelschwestern, die mit Sangria im Kopf einfach gerne mal 'die Sau rauslassen' wollen. Voraussetzung hierfür ist eine gewisse Grundverschwiemeltheit. Deshalb heißt es bei Falko Ochsenknecht auch nicht 'Du kannst mal meinen Penis in den Mund nehmen', sondern: 'Du kannst mir mal die Nudel putzen'."

Zum Vergleich werden im gleichen Artikel deutsche Texte eines anderen Genres gestellt:

"So funktioniert misogyner Sexismus fürs Bierzelt, vergnügte Verlogenheit als Ausgelassenheitsmotor. Der misogyne Sexismus für die Grundschule dagegen ist auf seine großmäulige Weise ebenso verlogen, sein stummeldeutscher Sprechgesang aber bedeutend schlechter gelaunt: 'Deine Ma kriegt Penis in' Arsch, bis die Leber versagt. Ich fick die Futt kaputt, sie wird Totalschaden gebumst' (Farid Bang). Das 'Luder' ist hier die allgegenwärtige 'Hure' oder ihr Sohn, der 'Hurensohn' – seltsam, dass man noch nie von einer 'Strichjungentocher' gehört hat."

La-la-la-la-la-la-Layla

Nach diesem seriösen Vorgeplänkel, und weil sich inzwischen auch der Justizminister in die Diskussion eingemischt hat, wie u.a. ebenfalls der Spiegel berichtet, führt kein Weg mehr an einer intensiveren Textanalyse des Songs "Layla" vorbei. Dass man das Lied damit ernster nimmt oder bedeutungsvoller macht, als es je zu träumen wagte, ist einem solchen Vorgang immanent – es handelt sich um das alte Problem mit der Aufmerksamkeit für Dinge, die eigentlich belanglos sind, und die man in dem Augenblick, in dem man sie als belanglos bezeichnet und damit wahrnimmt und einschätzt, bereits aufwertet. Auf der anderen Seite gäbe es nur ein Ignorieren von aktuellen Debatten – und das dürfen Medien sich nicht leisten. Zudem geht es um das Herausarbeiten von Zwischentönen.

Hier also, nur Mut, der Layla-Text, unwesentlich gekürzt:

Neulich in der Stadt stand da ein Mann / Er schaute mich sehr glücklich an
"Hey, komm mal her", sagte er zu mir / "Das ist mein Laden, mein Revier"
"Mein Junge, ich hab' ein Geheimnis für dich" / Was er von mir wollte, wusste ich nicht
Ich sah nur das Grinsen in seinem Gesicht / "Was ich dir sage, glaubst du mir nicht"
Ich hab' 'nen Puff und meine Puffmama heißt Layla / Sie ist schöner, jünger, geiler
La-la-la-la-la-la-la-Layla La-la-la-la
Die wunderschöne Layla / Sie ist schöner, jünger, geiler
La-la-la-la, die wunderschöne Layla / La-la-la-la-la-la-la-Layla
Dann war es auch um mich geschehen / Das wollte ich aus der Nähe sehen
Ich ging in den Laden und schon stand sie da / Geile Figur, blondes Haar
(…)
Die schöne Layla, die geile Layla / Das Luder Layla, unsre Layla

Geschafft. Also was ist passiert? Das lyrische Ich, ein Mann, erzählt, wie er in der Stadt einen anderen trifft, der ihm gegenüber mit "seinem Laden" prahlt, auf den er stolz zu sein scheint, weil die "Puffmama" Layla "schöner, jünger, geiler" ist. Die Komparation macht hier eindeutig nur als Reimwort Sinn, denn wem gegenüber Layla "schöner, jünger, geiler" ist, es wird nicht erwähnt. "Jünger" im Sinne von Ageism fällt darum ebenfalls als Beleidigung aus.

Allein die Tatsache, dass jemand "einen Puff hat", in dem es anscheinend auch eine "Puffmutter" gibt – was bedeutet, dass der Puffbesitzer tatsächlich nur der Hausbesitzer sein kann, denn "Puffmutter" bezeichnet die Chefin eines Bordells – lässt keine Herabwürdigung von Prostitution oder Sexworkern bzw. Sexworkerinnen erkennen. Die Normalität, mit der Sexwork thematisiert wird, könnte allerdings – je nach eigener Haltung – problematisch sein. Hierzu hat der Spiegel diesen Kommentar veröffentlicht, der die Verlogenheit anprangert, mit der ein vergleichsweise harmloser Song wie "Layla" auf Volksfesten verboten wird, weil er – wenn auch als Makulatur – Prostitution thematisiert, während Deutschland als "Bordell Europas" gelte:

"Nun ist es jedem freigestellt, auf seiner Party nur Songs zu spielen, die er gut findet. Das gilt auch für Volksfeste. Doch die scheinheilige Begründung, gestützt von der Politik, ist ärgerlich. Der Chef des Düsseldorfer Schützenvereins ließ verlauten, der Text von 'Layla' entspreche 'in keiner Weise den Gepflogenheiten seines Traditionsvereins'. Diese Entrüstung ist interessant: Darf man nur von Dingen singen, die man selbst auch praktiziert? Gibt es womöglich Menschen mit Waffenschein, die noch nie vom horizontalen Gewerbe gehört haben? In solchen Fällen von Weltfremdheit wäre 'Layla' natürlich ein Schocker."

Das Fazit könnte man schon fast als Pro-Rede für den Song verstehen:

"Eine Zensur von Liedern wie 'Layla' verschärft diese soziale Ausgrenzung. Sie geht auf Kosten der Frauen, während Männer sich moralisch erheben über das, was andere Männer als Dienstleistung fordern. Denn ein Maulkorb sät Scham und drängt Dinge ins Verborgene. Wer nicht mit dem Wort 'Puffmama' in einem Partysong daran erinnert werden will, dass es in seiner Stadt Prostitution gibt, sorgt dafür, dass diese Frauen unsichtbar bleiben."

Dysphemismus-Tretmühle

Mit anderen Worten werden mit dem lokalen Kirmes-Verbot des Songs bestimmte Menschengruppen (Sexworkerinnen und Sexworker) marginalisiert. Wobei es vetrackterweise aber auch keinesfalls eine Ent-Marginalisierung bedeuten würde, ihn zu spielen! Wenn sich die Puffs von Düsseldorf allerdings entscheiden würden, ihn laut und stolz von ihren Balkonen (wenn es so etwas noch gibt, Balkone mit Sexworkern bzw. Sexworkerinnen wie im 19. Jahrhundert in New Orleans!) schallen zu lassen, dann könnte man damit die Bedeutung umkehren, und eine Dysphemismus-Tretmühle, also eine Begriffsaufwertung in Gang setzen.

Die Phrase "Geile Figur, blondes Haar" könnte auf eine Art schenkelklopferige Objektifizierung eines bestimmten normativen Frauenbilds hindeuten, wenn das auch nirgends konkretisiert wird, es bleibt also vage, was mit "Geile Figur" gemeint ist. Und über den Begriff "Luder" weiß, von Wikipedia zitiert, das 2005 erschienene "Lexikon der bedrohten Wörter":

"Das Wort Luder kann auf eine erstaunliche Begriffskarriere in den 1990er Jahren zurückblicken, als die Gazetten plötzlich einen neuen Typus Frau entdeckten, der mit Hilfe unkonventioneller Methoden die Aufmerksamkeit prominenter Personen sucht. Neben dem vom Autorennen allseits bekannten Boxenluder gab es das Puddingluder (…), das Teppichluder (…). Es steht zu befürchten, dass es sich damit noch lange nicht ausgeludert hat."

Der Eintrag stellte des Weiteren fest, dass "die ursprüngliche Wortbedeutung" (der waidmännisch korrekte Begriff für das Lockmittel beim Fallenstellen) verlorenging.

Dem lexikalischen Eintrag in seiner schmunzelnden Gediegenheit fehlt meines Erachtens allerdings der Genderstandpunkt: Luder hat, anders als "bitch" im Englischen oder teilweise "Schlampe" im Deutschen, noch keine ausreichende Dysphemismus-Tretmühle durchlaufen. Er bleibt ein tatsächlich leicht abwertender Begriff, der eine Frau bezeichnet, vor deren sexueller Kraft man sich gleichzeitig fürchtet aber auch angezogen fühlt, und der, wenn ein Mann ihn auf eine Frau anwendet, Verachtung gepaart mit Geilheit ausdrückt. Es ist das alte Narrativ der negativen Konnotation einer sexuell aktiven Frau, dem die positive Konnotation des sexuell aktiven Mannes gegenübersteht.

Der Song, in dessen Video übrigens ein Mann (oder ein männlich gelesener Mensch) mit Blondhaarperücke und Minirock an einer Polestange tanzt, während der Club im Takt feiert, ist also tatsächlich sexistisch, wenn auch – differenziert betrachtet – nicht "hochgradig". Und sollte er eine toxische "Antwort auf metoo" enthalten, dann wurde sie glücklicherweise zu sehr gelallt, um verständlich und nachhaltig zu sein. Denn man muss ganz unwissenschaftlich festhalten, dass der gesamte Song nicht besonders wirkmächtig ist, oder in den Worten des Spiegels: Es herrscht eine gewisse "Grundverschwiemeltheit".
Wie schön wäre es jedoch, wenn die hitzige Diskussion, die gleichzeitig ja durchaus eine gestiegene Sprach- und hoffentlich auch Gerechtigkeitssensibilität ausdrückt, sich sowohl in den sozialen als auch den Massenmedien möglichst schnell auf andere Songs übertragen würde. Seit Jahrzehnten warten bewusst getextete, deutlich misogyne, rassistische, homophobe, antisemitische und generell menschenverachtende Musikstücke darauf, verstanden, ernst genommen und darum auf Jahrmärkten und Volksfesten nicht mehr gespielt zu werden, fruchtbare Diskussionen hervorzurufen, und ihre Urheber zu Aussagen zu bringen. (Disclaimer: Ich habe zu genau diesem Thema gestern im RBB meinen Senf gegeben. Gerne schicke ich Interessierten bei Bedarf also eine Liste mit viel sexistischeren Songs.)

Und wie schade ist es, dass ausgerechnet der Urheber des anderen, viel angenehmeren "Layla"-Hits, Eric Clapton, dem Vernehmen nach zu einem verschwurbelten Impfgegner geworden ist. Denn den Titel des Songs trifft - wie gesagt – keine Schuld.


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+++ Die BBC spart sich klein, fusioniert und streicht 70 Stellen, das berichtet der Tagesspiegel.

+++ Einen neuen Graben zwischen Filmproduzierenden und Rundfunkgebührenzahlenden sieht u.a. die FAZ wegen dieser interessanten Meldung entstehen: Die Produzentenallianz fordert angeblich von der KEF eine "kurzfristige" Erhöhung der Gebühren. Die Welt winkt schon fast wieder ab.

+++ Unter anderem die Süddeutsche berichtet über einen interessanten Streit zwischen der Stadt-Homepage und den "Ruhr-Nachrichten" darüber, wer echte journalistische Inhalte anbieten darf. Das BGH hat der Stadt Recht gegeben.

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