Das Altpapier am 14. Dezember 2022: Porträt der Altpapier-Autorin Annika Schneider
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Kolumne: Das Altpapier am 14. Dezember 2022 Was Iran-Berichterstattende riskieren

14. Dezember 2022, 09:48 Uhr

Das Regime in Teheran setzt auch Redaktionen in Deutschland unter Druck. Twitter demontiert sich weiter selbst und die "Bild" ätzt zur Abwechslung mal gegen das ZDF. Heute kommentiert Annika Schneider die Medienberichterstattung.

Morgen ohne "MoMa"

Medienroutiniers, zu deren Start in den Tag das "Morgenmagazin" von ARD und ZDF gehört, mussten gestern ganz stark sein. Wegen eines Streiks beim ZDF fiel die Sendung aus, stattdessen lief ein "Ersatzprogramm", wie der Sender mitteilte. Im ZDF gab es Dokus, im Ersten alte "MoMa"-Beiträge (DWDL). Bis 10.30h dauerte der Streik.

Die ZDF-Beschäftigten sind laut DJV unzufrieden mit dem bisherigen Angebot in den Tarifverhandlungen: 2,8 Prozent höhere Gehälter und Honorare, dazu eine Einmalzahlung von 3.000 Euro. Der Vorschlag entspricht dem, was schon die Beschäftigten bei SWR, NDR und WDR ausgehandelt haben. Mal sehen, ob die ZDF-Streikenden noch etwas Besseres herausholen.

Das ZDF ist in der Skandalberichterstattung rund um die Öffentlich-Rechtlichen bisher ja kaum vorgekommen, was die "Bild" aber nicht davon abhielt, den Streik für ihre übliche Stimmungsmache zu missbrauchen: "Kriege ich jetzt meine Zwangsgebühr zurück?", titelte die Redaktion gestern Abend. Die wenig überraschende Antwort: nein. Und ja, auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Öffentlich-Rechtlichen dürfen streiken, wie "Bild" fast enttäuscht festhielt.

Iran droht Familien von Journalisten

Für die Ereignisse im Iran hat die "Bild" neben Themen wie "Weihnachts-Sex" heute hingegen keinen Platz in ihrer Print-Ausgabe. Zum Glück sieht es bei seriösen Medien anders aus: Es fällt auf, wie konstant weiterhin über die iranischen Proteste berichtet wird, auch wenn vor einigen Wochen noch viel darüber diskutiert wurde, ob die Medien hierzulande das Thema ernst genug nehmen.

Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil nur wenige aktuelle Bilder aus dem Land nach außen dringen – eigentlich ein klassischer Grund für weniger Berichterstattung. Einen entscheidenden Anteil daran, dass das Thema auf der Agenda bleibt, haben Journalistinnen in Deutschland, die selbst einen Bezug zum Land haben, wie Natalie Amiri und Gilda Sahebi. Auf ihren Twitter-Kanälen, in Podcasts und Texten dokumentieren sie das Grauen. Vor allem die Bilder von jungen Menschen, die im Zusammenhang mit den Protesten ermordet werden, machen es schwer, das Ausmaß des Terrors zu verdrängen.

Anfangs richtete sich an die Journalistinnen vermehrt die Frage, wie objektiv sie berichten können, verbunden mit dem mehr oder weniger offenen Vorwurf des Aktivismus – woraufhin die Journalistinnen fast im Dauerschleifenmodus auf ihr journalistisches Handwerkszeug verwiesen und darauf, dass ja auch Deutsche über Deutschland berichten.

Die "FAZ" rückt auf ihrer Print-Medienseite nun einen anderen Aspekt in den Fokus, nämlich die große Gefahr, die die Berichterstattung in Deutschland für Angehörige im Iran bedeutet. Naturgemäß wollen darüber nur wenige offen reden, um ihre Familien nicht zusätzlich zu gefährden. Martin Hannemann konnte aber mit Youhanna Najdi sprechen, der für die "Deutsche Welle" über den Iran berichtet und selbst von dort stammt. Seine dort noch lebenden Verwandten würden dafür unter Druck gesetzt:

"Sie wurden als Reaktion auf einzelne Beiträge und einen offenen Brief, den er mit dreißig Regimekritikern unterzeichnete, zu den Sicherheitsbehörden zitiert. Man befragte sie und drängte sie, Najdi zu einem Treffen in die Türkei einzuladen. ‚Und den Rest überlasst ihr uns‘, habe es geheißen."

Inzwischen würden die Sicherheitsbehörden nicht nur Freunde von ihm kontaktieren, sondern sogar Fremde, die ihm auf Instagram folgen, sagt Najdi. Vielen Journalisten ginge es ähnlich wie ihm. Ähnlich äußert sich die zuständige Redaktionsleiterin der DW, Yalda Zarbakhch:

"‘Journalisten, die wie Najdi eingeschüchtert werden, gab es früher in unserer Redaktion nur vereinzelt. Seit wir vom iranischen Außenministerium sanktioniert werden, hören wir von viel mehr Mitarbeitern, die auf verschiedenste Weise verunsichert werden. Sogar in Deutschland.‘ Dem Verwandten eines Journalisten teilten die Schergen des Regimes unmissverständlich mit: ‚Leute, die wir suchen, können wir überall erreichen. Sogar auf dem Mond.‘"

Noch weniger "Trust und Safety" bei Twitter

Kontrollgremien waren im Altpapier zuletzt häufig Thema, ebenso die Eskapaden von Twitter – heute haben wir beide Themen zusammen im Programm: Twitter hat nämlich sein "Trust und Safety Council" aufgelöst, worüber unter anderem tagesschau.de mit Bezug auf AP und das "Wall Street Journal" berichtet.

Das vielfach zu lesende Wort "Kontrollgremium" ist insofern irreführend, als dass die hundert Mitglieder zwar ihre Expertise einbringen konnten, allerdings keine Entscheidungsbefugnisse hatten, also beratend tätig waren. Martin Holland schreibt bei heise.de:

"Auf freiwilliger Basis engagierten sich darin insgesamt 100 unabhängige Vertreterinnen und Vertreter von Bürgerrechts-, Menschenrechts- und anderen Gruppen. Sie sollten das soziale Netzwerk dabei beraten, wie besser gegen Hass und Beleidigungen, Ausbeutung von Kindern vorgegangen und beispielsweise auch Suizidprävention betrieben werden kann."

Sollten Journalistinnen und Journalisten auf die Idee kommen, sich für weitere Auskünfte an die Pressestelle von Twitter in Deutschland zu wenden, werden sie keine Antwort bekommen: Wie unter anderem Meedia berichtet, ist das komplette Team dort inzwischen entlassen worden. Was ebenfalls in dem Text erwähnt wird:

"Die Bundesregierung sieht die Entwicklungen bei Twitter seit der Übernahme durch Musk ‚durchaus als problematisch‘ und ist noch dabei, ihre Haltung zu der Plattform zu überprüfen, sagte der Sprecher von Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Pressekonferenz der Bundesregierung in Berlin."

Viel zu erwarten ist auf jeden Fall nicht mehr von einer Plattform, deren Beschäftigte so unter Druck stehen (oder so wenig Ahnung haben), dass sie Norwegen und Nigeria verwechseln (Spiegel online).

Altpapierkorb

+++ Verdi und DJV fordern, dass Lettland dem russischen Exilsender Doschd die Sendelizenz zurückgibt. "Wenn die Verbreitung von Doschd nun von Lettland aus verhindert wird, geht den Russinnen und Russen eine der wenigen verbliebenen unabhängigen und vertrauenswürdigen Informationsquellen verloren – was allein im Interesse des Kremls ist und in Europa niemand befürworten kann", wird der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke zitiert.

+++ Markus Reuter und Andre Meister von Netzpolitik.org haben sich ein Positionspapier des Innenministeriums zum Thema Chatkontrolle angesehen und werfen Innenministerin Nancy Faeser nun vor, den Koalitionsvertrag zu brechen – indem sie sich in der EU nicht gegen die Überwachung ausspricht.

+++ Reporter ohne Grenzen hat seine Jahresbilanz vorgelegt: Mindestens 533 Medienschaffende sitzen demnach weltweit im Gefängnis, nachzulesen unter anderem bei "Zeit online".

+++ US-Moderatorenlegende David Letterman ist in die Ukraine gefahren, um den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in einem U-Bahnhof zu interviewen. Moritz Baumstieger kommt in seiner SZ-Rezension (€) zu dem Schluss, dass die Inszenierung der Kriegsumstände eindrucksvoll gelänge, ohne martialisch zu wirken. Auch Arno Frank hat sich das Interview für "Spiegel online" (€) angeschaut.

+++ Abgeordnete in den USA wollen Tiktok verbieten, berichtet "Spiegel online". In ihrer Sorge, dass sensible Daten nach China fließen, sind sich Republikaner und Demokraten ausnahmsweise einmal einig.

+++ Joachim Huber verteilt im "Tagesspiegel" Lob an ARD und ZDF, konkret an die Sendungen "Bericht aus Berlin" und "Berlin direkt".

Das Altpapier am Donnerstag schreibt Ralf Heimann.

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