Das Altpapier am 03. Juli 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 03. Juli 2023 Hopsala, ein Häufigkeitslimit

03. Juli 2023, 10:53 Uhr

Twitter lässt sich aktuell nur noch von registrierten, eingeloggten Mitgliedern nutzen. Mit dem "Mittagsmagazin"-Umzug hat sich die ARD offenbar ein neues Problem eingehandelt. Die neue Sonntagabend-Talkshow hat schon einen Titel ... Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Twitter ist nicht mehr, was es jahrelang war

Twitter bzw. sein alle Geschäfte führender Eigentümer Elon Musk machten mal wieder größere Medienmedien-Schlagzeilen. Schließlich haben viele Journalisten die "Trends", die Twitter (allen immer etwas unterschiedlich) anzeigt, auf dem Schirm. Und merken erst recht auf, wenn Twitter auf einmal weg ist. Dann, also sobald Twitter und sogleich entsprechende Trends à la #RIPTwitter endlich wieder erscheinen, wollen alle wissen, warum.

Erklärungen gab's jede Menge zwischen großen "Süddeutsche"-Feuilletons (Andrian Kreye: Man müsse "sich Elon Musk wie eine Mischung aus Daniel Düsentrieb und Kater Karlo aus den Disney-Comics vorstellen") und pragmatischeren Texten wie diesem der "taz":

"'Häufigkeitslimit überschritten', bekommen einige Use­r*in­nen seit Samstagnachmittag angezeigt, wenn sie versuchen, Profile oder neue Beiträge bei Twitter zu laden. 'Bitte warte einen Augenblick, dann versuche es erneut.' Twitter hat offensichtlich, ohne große Vorankündigung und Zeit, um sich darauf einzustellen, ein Limit eingeführt",

Zwar erklärte Musk das "rate limit"/ "Häufigkeitslimit" in eigenen Worten in eigenen Tweets. Doch waren, sobald das mutmaßliche Limit erreicht war, auch diese nicht mehr zu sehen. Wobei sie lesen zu können, allenfalls begrenzt geholfen hätte, da Musk wie meistens seine Meinung öfters änderte, also auch und die entsprechenden Zahlen: Von "bis zu 10.000 Tweets" mit verifizierten, also kostenpflichtigen Accounts bis zu bloß 500 Tweets für neu angelegte Accounts, jeweils pro Tag, reicht das Angebot, das Musk im Rahmen seiner eigenen Tweets aber schon erhöht hatte. Von 300 und 400 Beiträgen als unterster Obergrenze hatte er zunächst gepostet.

Elon Musk agiert zwar maximal irrational, aber nie ohne Gründe. Auch wegen seines Verständnisses neuer, disruptiver Technik, also zumindest was Autos, Raketen und dergleichen betrifft, wurde er ja so reich. Es gehe darum, zu verhindern,

"dass Twitter von anderen Firmen genutzt wird, um ihre Large Language Models (LLM) in großem Umfang mit Tweets zu trainieren. Diese LLMs bilden die Grundlage für Dienste wie ChatGPT von OpenAI oder Google Bard",

erklärt heise.de. Also um solche sog. Künstliche Intelligenz, die um besser zu werden, milliardenweise Trainingsdaten benötigt, gehe es. Solche Daten hätten solche Dienste gerne bei Twitter "geschürft", lautet eine der Musk-Erklärungen für den aktuellen Schritt. Neben der einfachen, einleuchtenden Erklärung, dass Twitter halt die Zahl seiner zahlenden Kunden erhöhen möchte, verdient auch sie Beachtung. Mit KI kennen sich Musk und seine verbliebenen Leute ja aus. Allerdings könnten sie sich mit der praktischen Umsetzung des Schürf-Verhinderns ins Knie geschossen haben. Sie habe in der Praxis zu einer Überlastung in dem Sinne geführt,

"dass die Twitter-Website nach dem Erreichen der Begrenzung immer wieder versucht, neue Posts zu laden, was einer Distributed Denial-of-Service-Attacke gleichkomme ... Twitter sende etwa 10 Anfragen pro Sekunde an sich selbst",

zitiert heise.de aus einem Mastodon-Post des Entwicklers Sheldon Chang. Da ist übrigens statt von "Häufigkeits-" von "Leselimit" die Rede, was flotter über die Lippen geht und besser in Zeilen.

Wobei es einen wundern kann, dass heise.de Changs "Twitter was idiotic enough ..."-Post (mit Hashtags, also Trends wie "#TwitterDown" und "#MastodonMigration") nicht verlinkt – obwohl Mastodon-Posts sich von allen aufrufen lassen. Und Twitter über diesen Vorzug, den es lange ebenfalls besaß (und dessentwegen wir hier im Altpapier oft Tweets verlink(t)en), im Moment nicht mehr verfügt: Einzelne Tweets lassen sich auch am Montagmorgen nur noch ansehen und anklicken, nachdem man sich bei Twitter eingeloggt hat. Heißt: Die große Mehrheit der Menschen, die sich bei Twitter niemals registriert hat, ist derzeit komplett davon ausgeschlossen.

Gewiss versteht Musk von PR ähnlich viel wie von KI. Vermutlich bergen zeitweiliger Aufruhr, weil Twitter eine Zeitlang nicht funktionierte (und erst recht wortreiche Erklärungen vieler Journalisten, wie wichtig das Lesen-Können von eher tausenden als nur hunderten Tweets sei), Chancen, dass mehr Menschen Twitter für wichtig halten. Doch die Gefahr, dass Musks jüngste Mätzchen, das lange Zeit gerade wegen seiner Offenheit für alle sympathische Netzwerk, endgültig erledigen, ist mindestens so groß. (Übrigens gibt's das Altpapier außer bei Twitter auch beim kleineren, sympathischeren Rivalen Mastodon).

Ganz neues ARD-Problem – ums "Mima"

"ARD und ZDF wollen das Informationsprofil mit Erweiterung des gemeinsamen 'Mittagsmagazins' auf zwei Stunden stärken": So oder ähnlich lautet auch am Montagmorgen noch eine Schlagzeile des "Tagesspiegel", die ARD und ZDF gewiss gefiel. Das bislang einstündige "Mittagsmagazin" wird von den beiden öffentlich-rechtlichen Hauptsendern im wöchentlichen Wechsel produziert. Auf ARD-Seiten wurde der RBB seine "Mima"-Federführung, die er sich unter Intendantin Patricia Schlesinger angelacht hatte, da die u.a. in Berlin ansässige Anstalt mehr Hauptstadtjournalismus machen wollte, glücklich wieder los, zum nächsten Jahr an den MDR. Schließlich muss der RBB nach dem vorzeitigen Ende der Schlesinger-Ära kräftig sparen.

Zwar sitzt der MDR nicht in der Bundeshauptstadt, aber in Leipzig und weiteren ostdeutschen Städten, so dass immerhin "die bundesweite Sichtbarkeit ostdeutscher Lebenswirklichkeiten" stark bleibt (oder nach Gusto sogar: noch "gestärkt" würde). Allerdings geht dieser Coup der ARD auch wieder nicht auf. Denn auf der eben erwähnten, wie erwähnt unter Journalisten besonders beliebten Plattform Twitter, sorgten am Sonntag die Sätze "... Ich werde die Sendung dann leider nicht mehr moderieren. Laut MDR-Chefredakteurin soll die künftige Moderation einen ost-deutschen Hintergrund haben ..." für Furore. Sie bedeuten, dass zwei der bisherigen fünf "Mima"-Moderatoren, Nadia Kailouli und Aimen Abdulaziz-Said, den Umzug nicht mitmachen, und zwar nicht auf eigenen Wunsch.

Das Thema kann als Beispiel für das eben behauptete Muster, wie auf Twitter Nachrichten entstehen, gelten. Es zirkulierte schnell auf Englisch, etwa in einem Tweet des für die Deutsche Welle, aber auch viele englischsprachige Medien aktiven Journalisten James Jackson. Und Medien, die auf Twittter nach solchen noch jungen Trend-Themen schürfen, die auch jenseits der Twitter-Blase Schlagzeilen-Potenzial entfalten können, schöpften schnell Meldungen daraus. Der Münchener "Merkur" aus der Ippen-Gruppe war vorn dabei, und dann dwdl.de.

Werden da also ostdeutsche und Migrations-Hintergründe – bei denen es sich jeweils um komplexe, oft nur mittelbar zutreffende Kategorien handelt, die einander auch keineswegs ausschließen müssen, klar – gegeneinander ausgespielt? Das wäre ungefähr das Letzte, was MDR und ARD als Eindruck erzeugen wollen würden, ist nun aber in der Welt. Ob Sätze wie "Es ist nicht richtig, dass es ausschließlich eine ostdeutsche Herkunft sein muss" (so wird ein MDR-Sprecher im "Süddeutsche"-Artikel von Claudia Tieschky zitiert) oder längere Erläuterungen, wie sie bei dwdl.de zu lesen sind, die Lage schnell klären – unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher, dass Anstalten-Rivalitäten unter den jeweils ostdeutschen Anstalten eine Rolle spielen. Die ARD hat ein Problem mehr.

Weitere Öffentlich-Rechtlichen-Probleme

Wobei die ARD dank vieler Probleme immerhin auch über viel Erfahrung im Umgang damit verfügt.

Was den, zurückhaltend formuliert: ungeschickt angeteaserten Funk-Beitrag über "Rechte Politik" angeht (Altpapier), haben sich die für Funk zuständigen Anstalten SWR und ZDF geeinigt, "dass Inhalte von 'funk' wieder einen Hinweis erhalten, ob sie in redaktioneller Zuständigkeit des SWR oder des ZDF entstanden sind" ("FAZ"). Heißt ungefähr: Das ZDF möchte nicht darunter leiden, wenn ARD-Inhalte den berechtigten Zorn der Unionsparteien (die in der Rundfunkpolitik ja trotz allem fast genauso einflussreich wie weiter links stehende Parteien sind) auf sich ziehen.

Was die erwähnten Schlesinger-Affären angeht, erhielt der RBB-Verwaltungsratsvorsitzende am Freitag den im Rahmen der wiederholt verlängerten Fristen immer teurer gewordenen Bericht der Anwaltskanzlei Lutz Abel ausgehändigt. "Die juristische Aufarbeitung der Krise kann damit ihren Lauf nehmen", schreibt optimistisch der "Tagesspiegel", nicht ohne hinzuzufügen, dass die Berliner Generalstaatsanwaltschaft bei ihren eigenen Ermittlungen in derselben Causa "nicht vor Jahresende" mit neuen Ergebnissen rechnet. Wobei die Frage, ob da womöglich eine Kanzlei auf Beitragszahler-Kosten staatsanwaltschaftliche (also eigentlich aus Steuern finanzierte) Arbeit machte, außer der drängenderen, wer wem viel Geld zurückzahlen muss, ebenfalls zum Themenkomplex gehören.

Getagt hat am Freitag der Rundfunkrat des NDR (dwdl.de) und mit dem Durchwinken einer für große Teile des Publikums, das linear sonntags den "Tatort" zu gucken pflegt, sichtbar wichtigen Entscheidung begonnen. Zum Titel der Talkshow von Caren Miosga, die 2024 die Talkshow "Anne Will" ablösen wird, wird zwar nicht mehr der Gastgeberin-Vorname gehören. Aber dreisilbig bleiben wird der Titel wohl: "Miosga".

Der NDR-Rat stimmte "dem Abschluss eines Vertrages über 60 Folgen" in den Jahren 2024 und 2025 zu. "Noch steht die Beauftragung allerdings unter dem Vorbehalt noch ausstehender Gremienzustimmungen in anderen ARD-Landesrundfunkanstalten", die nämlich trotz der Zuständigkeit des NDR für den Sendeplatz ebenfalls zustimmen müssen. Spannend könnte womöglich werden, ob eines der Gremien die Gelegenheit nutzt, die bislang zwar stets eingehaltene, aber in keinem Staatsvertrag verankerte Gewohnheit aufzubrechen, die Produktionskosten solcher Talkshows nicht öffentlich zu machen. So wie sich inzwischen die Ansicht durchsetzt, dass Intendanten öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten keine Bundeskanzler-artigen Gehälter verdienen müssen, könnte sich ja auch die durchsetzen, dass es Quatsch ist, Talkshow-Budgets als Geheimnis zu behandeln. Zumal sich die Konkurrenzsituation im Fernsehen massiv verändert ...


Altpapierkorb (Sky-Serien-Aus, Pro Sieben-Ausschüttung, NDR-Deutungshoheit, "Emotion"-Insolvenz, Frakturschrift)

+++ Eine Zäsur fürs deutsche Fernsehen wurde Ende voriger Woche bekannt (Altpapierkorb): Die Pay-TV-Plattform Sky produziert, holterdipolter, keine deutschen Serien mehr. "Die Jahre, in denen das Geld mit beiden Händen zum Fenster hinausgeworfen wurde in dem Glauben, immer mehr Serien und Filme würden die Zuschauer schon anlocken, sind endgültig vorbei", schreibt der "Spiegel" und vermutet, dass "das Gros des heimischen Publikums das langsame Verschwinden der Sky-Eigenproduktionen gar nicht bemerkt". Doch viele Produktionsfirmen werden es bemerken, darunter öffentlich-rechtliche Tochter- und Enkelfirmen. "Die Klinikserie 'KraNK' etwa sollte in weniger als vier Wochen gedreht werden. 250 Leute standen ... bereit", und zwar für die Studio-Hamburg-Tochter Real Film Berlin, weiß dwdl.de (das bei seiner Stimmungs-Umfrage auch einen redseligen Nico Hofmann ans Telefon bekam, der die Gelegenheit nutzte, die noch nicht ganz 100 Folgen alte ZDF-Krimireihe "Ein starkes Team" zu loben). +++ Dass der US-amerikanische Konzern Comcast, zu dem alle Sky-Bezahlplattformen in Europa gehören, schon 2022 den Verkauf des deutschen Sky angekündigt und wohl bloß keinen Käufer gefunden hatte, stand übrigens schon in einem der Altpapier-Rückblicke 2022. +++

+++ Das als Kaufkandidat genannte, in Unterföhring nebenan ansässige ProSiebenSat.1 dürfte das deutsche Sky kaum kaufen wollen. Nach 181 Millionen Euro im Vorjahr werden nun "nur rund elf Millionen Euro" an die verärgerten Aktionnäre ausgeschüttet, darunter italienische (den Berlusconi-Konzern) und tschechische Medienfirmen ("Standard"). +++

+++ Der NDR baut "seine Deutungshoheit in der Information weiter aus", deutet die schon erwähnte Claudia Tieschky in der "SZ" die Nachricht, dass das zum Kostensparen geplante neue Abend- und Wochenend-Rahmenprogramm für ARD-Inforadios von der (auch für die "Tagesschau" zuständigen) Hamburger Anstalt kommen wird. +++

+++ "Heute ist die wahrscheinlich bitterste Stunde unserer Reise mit EMOTION. Die wirtschaftliche Situation der vergangenen Monate war sehr angespannt. Leider hat sich die Lage so weit verschlechtert, dass wir gezwungen sind, beim zuständigen Gericht Insolvenz anzumelden", steht oben auf der Webseite emotion.de. Die "SZ" nennt "die gestiegenen Papier- und Druckpreise" sowie "rückläufige Anzeigen- und Vertriebserlöse" als Gründe. Gründerin Katarzyna Mol-Wolf wolle aber mit der Plattform "von Frauen für Frauen, die Frauen vernetzt, inspiriert und weiterbildet", weitermachen. Auch an der nächsten Print-Ausgabe werde weitergearbeitet. +++

+++ Auch insolvent sei, Meldungen etwa bei kress.de zufolge, meedia.de. Vielleicht auch daher wochenkolumniert Stefan Winterbauer nun auf winterbauersmedienwoche.wordpress.com, und schrieb zum für "Stern"-Verhältnisse vielbeachteten Interview: "Normalerweise preist man Interviews auf dem Cover mit einem Zitat der interviewten Person an. Beim 'Stern' wählte man stattdessen die Uiuiui-Frage, ob Frau Weidel noch etwas anderes könne als Hass. In der Regel greifen Journalisten zu diesem Kniff, wenn sich im Interview keine Aussage findet, die genug knallt. Oder vielleicht wenn die Aussagen der interviewten Person nicht in die gewünschte Richtung passen?" +++ Zur immer mal wieder aufpoppenden Frage "Ist Fraktur eine Nazischrift?" gab dann noch Ulrich Gutmair in der "taz" was zum Besten.

Das nächste Altpapier von Christian Bartels befasst sich morgen an dieser Stelle auch mit Themen, die heute gar nicht vorkamen.

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