Das Altpapier am 26. September 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 26. September 2023 Sportjournalismus vom Transfermarkt

26. September 2023, 10:46 Uhr

Die "New York Times" trennt sich von ihrem Sportteil – denn sie hat einen neuen. ARD und ZDF beglücken ihr Publikum bis 2028 mit Fußballländerspielen – hurra? Und: Bei ProSiebenSat.1 ist der Widerstand gegen die Berlusconis eingedämmt. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Sportjournalismus, jetzt ohne Gewerkschaft

Relevanz ist auch eine Frage des Standpunkts. Man muss zum Beispiel keinen Sportjournalismus betreiben als Zeitung. Oder Medienjournalismus. Die "taz" etwa schreibt nicht über die Formel 1. Mit Formel-1-Berichten könnte sie wahrscheinlich keinen Leser und keine Leserin aus der Zielgruppe zusätzlich gewinnen. Mit der Nicht-Berichterstattung vielleicht schon eher.

Die noch etwas größere "New York Times" – vielleicht die bekannteste Zeitungsmarke überhaupt und im internationalen Maßstab wirklich keine Nischenzeitung – hat sich aber nun entschieden, den eigenen Sportteil ganz abzuschaffen. Die Entscheidung ist nicht neu (siehe etwa die Berichterstattung der "Washington Post", mit Anmeldung), aber wirklich Schluss erst jetzt, im September. In der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (Abo) schrieb Jürgen Kalwa nun über die Hintergründe und zitierte den mittlerweile 85-jährigen Sportautor der "Times", Robert Lipsyte:

"Seine Einschätzung auf einer Podiumsdiskussion Anfang Juli reflektierte eine gesamtgesellschaftliche Tendenz. Sport sei 'immer weniger, was er zu meiner Zeit war: ein Schmelztiegel und ein Ort, wo Jungs lernen, Männer zu werden. Es ist ein Aspekt der Unterhaltungsindustrie. Wie Marvel Comics und seine Superhelden.'"

Einen Sportteil wie den der "New York Times", der von seinen Autorinnen und Autoren lebte und nicht, zum Beispiel, von der Sportnacherzählung, könnte man sich als trotzdem – oder gerade deshalb – relevant vorstellen. Hintergrund, Einordnung, Schönheit und Tiefe sind genau das, was Sportfans nachfragen müssten; schnelle Ergebnisse gibt's ja im Internet. Es ist aber nicht so einfach. Die Geschichte der Abschaffung des "NYT"-Sportteils ist in erster Linie wohl eine über das journalistische Geschäft. Die "Times" hat sich keineswegs aus dem Sportjournalismus verabschiedet – sie hat vor allem einen anderen gekauft, nämlich das selbsternannte Netflix des Sports:

"Das klassische Sportressort wird durch ein Informationsmodul ersetzt, für das der Verlag Anfang 2022 550 Millionen Dollar hingelegt hatte. Mit dem Kauf der aufstrebenden Plattform 'The Athletic‘ erwarb man 1,2 Millionen Abonnenten und ein Team von 400 Journalisten, die sowohl das amerikanische als auch einen Teil des globalen Sportangebots einfangen."

Dass die Sportmedien nun bei anderen dadurch unter Druck seien und sich ohnehin auf dem recht überhitzten Sportrechte-Markt der USA einiges bewegt, schreibt Kalwa auch. Kleiner, aber interessanter Randaspekt bei ihm: Die Sportredakteure der "New York Times" "bekamen nicht nach guter amerikanischer Sitte einfach den Stuhl vor die Tür gesetzt", schreibt er. "Denn das wäre angesichts des geltenden Tarifvertrags mit der hauseigenen Gewerkschaft kaum durchsetzbar gewesen." Bei "The Athletic" gebe es allerdings keine Gewerkschaft.

Die Publikumsbeglückung mit Fußball ist erstmal gesichert

Die deutsche Sportberichterstattungs-Debatte ist im Vergleich übersichtlich. Beliebte Fragen hierzulande: Ist Sport zu teuer für die Öffentlich-Rechtlichen? Ist er für sie zwingend? Männer-Turniere, gerade im Fußball, gelten den einen tendenziell als zu teuer – aber irgendjemand muss sie zeigen, weil gesamtgesellschaftlich gesehen ja nun mal ein breites Interesse existiert. Frauen-Turniere gelten anderen dann als ebenfalls zwingend, weil, wenn man die Männer-Turniere überträgt, muss man natürlich auch die Frauenspiele zeigen. Und Basketball: Der ist derzeit erfolgreicher und populärer und eigentlich ja eh spannender als Fußball, also warum haben ARD und ZDF keine Rechte?

Es gibt aber auch die Position, dass ARD und ZDF gar keinen Fußball oder anderen populären Spitzensport mehr zeigen und ihn der privaten Konkurrenz überlassen sollten. Die Chefin des Grimme-Instituts, Frauke Gerlach, hat kürzlich in diese Richtung argumentiert.

Die Nachricht des gestrigen Tages ist nun: Die Diskussion ist erst einmal wieder beendet. Fürs Erste haben sich ARD und ZDF entschieden, nicht weniger, sondern mehr Fußball zu zeigen – jedenfalls mehr Länderspiele mit deutscher Beteiligung; dwdl.de oder faz.net meldeten: ARD und ZDF hätten sich "die exklusiven Medienrechte an sämtlichen Länderspielen der Frauen bis ins Jahr 2027 gesichert". Dass die nächste Frauen-Fußball-WM wieder um ein Haar nirgends übertragen wird, wie die jüngste, wird also bis dahin nicht wieder vorkommen. Spiele der Männer zeigen ARD und ZDF auch, aber nicht exklusiv, da mischt auch RTL mit. Aber die Sorge, dass die Männer-EMs und -WMs und sonstigen -Spiele nirgends im Fernsehen zu sehen sein könnten, musste man ja auch wohl wirklich nicht haben.

Joachim Huber kommentiert die umfassende Publikumsbeglückung mit Fußball bei tagesspiegel.de etwas, nein, eher ziemlich säuerlich:

"Was rechtfertigt diese Omnipräsenz des Fußballs? Kein Programm wird derart fraglos aufs Publikum losgelassen. Eine Qualitätserwartung existiert nicht. Wird schon toll. Ist ja Fußball. Bullshit."

(Um die Fußballrechtevergabe für Bundesligaspiele geht es dann im Altpapierkorb.)

Wie sieht Silvio Berlusconis Sohn aus?

Am Freitag ging es hier im Altpapier um den sogenannten Medienmogul Rupert Murdoch und die (dann auch am Wochenende noch weiter schwelende) Frage, was sich eigentlich verändert, wenn er sich wirklich zurückzieht. Da taucht auch schon ein anderer alter Name auf, der in Medienressorts seit vielen Monden immer wieder fällt: Silvio Berlusconi. Berlusconi ist im Juni gestorben, aber damit wurde sein Medienunternehmen natürlich nicht aufgelöst. Es gab und gibt da ja noch die Kinder. Wie bei den Murdochs.

Der Berlusconi-Sohn heißt Pier Silvio Berlusconi, und man kann allzu leicht mal das "Pier" überlesen und direkt ohne Umschweife an den lackierten Vater denken. Manche deutschen Redaktionen zeigen auch immer noch den Vater, wenn es um das Medienunternehmen Berlusconi geht. Verständlich, dessen Gesicht kennt man halt.

Alternativen gibt es aber mittlerweile auch: Charts und Pfeile (faz.net oder handelsblatt.com), ein Bild der Kinder (sueddeutsche.de), vor allem des Sohnes, der wirklich blendend aussieht – aber den für die Erregung von Online-Aufmerksamkeit entscheidenden Nachteil hat, dass ihn hierzulande kaum ein Mensch erkennen dürfte. Oder ein Bild der Deutschlandchefin des Konzerns, Katharina Behrends (manager-magazin.de).

Worum geht es? Der italienische Medienkonzern Mediaset, der inzwischen Media for Europe (MFE) heißt (also eben der Berlusconi-Konzern), hat die Beteiligung an ProSiebenSat.1 aufgestockt, auf nun 28,9 Prozent – als "ein langfristiger strategischer Investor", wie die MFE-Deutschlandchefin Behrends in der "SZ" zitiert wird.

Der Konzern hat damit nach wie vor keine 30 Prozent der Anteile und auch nicht ganz 30 Prozent der Stimmrechte, was rechtlich eine Schwelle wäre. Aber er hat nun mehr Mitsprache, und die Deutschland-Chefin von MFE sei, so Caspar Busse in der "SZ", neuerdings auch Mitglied im Aufsichtsrat von ProSiebenSat.1. Die Sorge, dass der Berlusconi-Clan politischen Einfluss auf Inhalte nehmen würde, scheinen bei ProSiebenSat.1 aber nun ausgeräumt oder nach hinten gerückt, schreibt Busse:

"Silvio Berlusconi ist im Juni gestorben, seine Kinder Marina und Pier Silvio Berlusconi haben nun das Sagen bei MFE. Und der Vorstand von Pro Sieben Sat 1 hat unter der Leitung des neuen Vorstandsvorsitzenden Bert Habets den Widerstand offenbar weitgehend aufgegeben."

Oder sagt das mehr über den neuen Vorstand als über den Berlusconi-Konzern? Man weiß es nicht und beachte das Fragezeichen.

Was MFE vorhat mit ProSiebenSat.1, klingt in der Berichterstattung auch an, wenn auch sehr vage, als Schlagwort: eine "europäische Allianz". (Wobei der Konzern die vor Jahren auch schon wollte). Der italienische Konzern unterstütze die Konzentration auf Entertainment und den Aufbau einer Streaming-Plattform. Das heißt auch: Der unter Habets Vorgängern gepflegte Kurs kommt nicht so gut an. "Bisher ist ProSiebenSat.1 ein Konglomerat aus verschiedenen Geschäftsbereichen, die nicht so recht zusammenpassen", wird Behrends zitiert. Nun also: Unterhaltung. Oder wie ProSieben es seinem Publikum derzeit in Trailern sagt: "We love to entertain new".

Ein Fokus auf Unterhaltung, das heißt nicht unbedingt: Zurückfahren des journalistischen Betriebs. Davon ist jedenfalls in den aktuellen Meldungen nicht die Rede. Es heißt wohl eher: keine Investitionen in andere Geschäfte wie in Vergleichsportale, Dating-Plattformen etc.


Altpapierkorb (Talkverschiebungen, Anne Will, Zitatkachel-Journalismus, Fußballrechte, Hollywood-Streik, Medienförderung, "Fernsehgarten")

+++ Dass bei der ARD die Talks neu gewichtet und besser aufeinander abgestimmt werden sollen, ist bekannt ("SZ" vom August, Zusammenfassung im Altpapier). Nun ergänzt Volker Nünning in der Dienstags-"Süddeutschen", die ARD plane, "Sandra Maischberger 2024 nicht nur zweimal, sondern zeitweise dreimal pro Woche auf Sendung zu schicken." Testweise. Die möglichen Termine erinnern aufmerksame Beobachter leise an die von "Markus Lanz" im ZDF. Vor allem aber ist die Fokussierung der ARD auf eine Kern-Talkshow mit Interview- und Meinungselementen bemerkenswert. Wirkt auch leicht lanzisch. Nünning zitiert dazu die ARD-Programmdirektion: "Wir orientieren uns nicht am ZDF, sondern verfolgen unsere eigene, auf das ARD-Programm und unsere Zuschauerinnen und Zuschauer zugeschnittene optimale Talkstrategie." Das Programmschema der Konkurrenz auch nur anzuschauen, das käme Fernsehmachern gewiss nie in den Sinn. Smiley.

+++ Anne Will hat noch ein paar ARD-Talkshows vor sich, aber viele sind es nicht mehr, denn bekanntlich übernimmt demnächst Caren Miosga ihren Sendeplatz. Und die Abschiedsinterviews haben begonnen: Will sprach mit der "Süddeutschen" (Abo). Falls jemand mal selbst eine Talkshow moderieren möchte, hier ein Rat von Anne Will: "Erst mal den ersten Gast mit einer klaren Frage konfrontieren, die die Gegenposition des zweiten Gastes schon enthält. Den zweiten Gast dann mit der Frage "Überzeugt Sie das?" einbeziehen. Das ist wahrscheinlich die Frage, die ich in der Sendung am allerhäufigsten gestellt habe, und sie ist wichtig, weil man damit sofort einen Kleinstkonflikt etabliert. Mit dem dritten Gast macht man dann den nächsten Themenstrang auf." Aber dass das so etwas mechanisch wäre, bemerkt sie anschließend dann auch.

+++ Über aus dem Kontext genommene Zitate klagt Anne Will auch. Samira El-Ouassil hat zu einer Spielart dieser Unsitte – Zitatkachelnbei "Übermedien" kolumniert. Sie schreibt – und das passt in dieser Länge eher nicht auf eine Kachel: "Wenn eine Form dazu einlädt, Meinungen oder Aussagen zu verbreiten, die nicht notwendigerweise den tatsächlichen Überzeugungen der zitierten Person entsprechen, eine Form, in der die Begrenzung dazu führt, dass Inhalte ungenau oder verzerrt wiedergegeben werden, eine Form, die keinen Raum für Kontext geben kann, was zu Missverständnissen mit Ansage führt, dann scheint etwas mit der Form kaputt."

+++ Das Kartellamt prüft, ob sich die TV-Rechte-Vergabe für die Fußballbundesliga ändern könnte, wie dpa meldet, basierend auf einer t-online.de-Recherche. Wer alle Spiele sehen möchte, braucht derzeit zwei Abonnements – von Sky und Dazn. Dahinter steht das sogenannte Alleinerwerbsverbot. Und das steht demnach nun zur Debatte. Zu den Gründen für die Einführung dieses Alleinerwerbsverbots wird Kartellamtspräsident Andreas Mundt zitiert: Es wäre "naiv zu glauben, dass das Angebot in diesem Fall heute preiswerter und besser wäre, schließlich wäre der eine Anbieter ein Monopolist". Die Sublizenzvergabe auch für die Bundesliga, mit mehreren Anbieter, die sich Rechte an Bundesligaspielen teilen, könnte auch ein Modell sein, zumindest kommt es bei t-online zur Sprache.

+++ Der Streik der Hollywood-Autorinnen und -Autoren ist nach knapp fünf Monaten vorläufig beendet. Worum es gegangen war, steht, via afp, bei taz.de oder via dpa, bei zeit.de oder spiegel.de:"Nach erfolglosen Verhandlungen über bessere Arbeitsbedingungen hatten die mehr als 11.000 Drehbuchautorinnen und Autoren der Writers Guild Anfang Mai den Arbeitskampf begonnen. Die Schreiber forderten unter anderem Gehaltserhöhungen, bessere Arbeitsbedingungen, höhere Zuschüsse für die Kranken- und Altersversorgung und eine Regelung des Einsatzes von künstlicher Intelligenz (KI)."

+++ Über ein Modell der Medienförderung, das keine Zustellförderung ist, dachte Björn Taschen in "epd Medien" (online bei Turi2.de) nach: "Möglicherweise hilft es, vom explosionsartigen Wachstum der monolithischen Plattformen zu lernen. Was macht den Erfolg von Meta und anderen Netzwerken aus? Die Plattformen haben sich radikal auf die Perspektive der Nutzenden eingelassen, um Daten zu sammeln und auf dem Werbemarkt einzusetzen. Diese Nutzerzentrierung hält langsam auch Einzug in Redaktionen – mit mehr Dialog und Debatte beispielsweise darüber, warum sich manche in unserem Mediensystem kaum noch repräsentiert fühlen. Ließe sich diese Nutzerzentrierung auch auf ein neues Modell der Medienförderung übertragen? Ich glaube schon."

+++ Den ZDF-"Fernsehgarten" stören: Mensch, da hat die Partei Die Partei ja eine äußerst heikle und nie zuvor gesehene Sache ausgeheckt. Ein wenig Berichterstattung hier und da bekommt sie dafür, aber mehr hier auch nicht. Zwinkersmiley.

Am Mittwoch schreibt das Altpapier Christian Bartels.

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