Das Altpapier am 26. Oktober 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Ralf Heimann
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 26. Oktober 2023 Ernie ist nicht Bert

26. Oktober 2023, 14:22 Uhr

Den Tageszeitungen geht es immer schlechter, auch digitale Medien haben Probleme. Was nun? Und wem kann man im Krieg denn noch glauben, wenn man niemandem glauben kann? Heute kommentiert Ralf Heimann die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Lokaljournalismus: Zuversicht in trüben Zeiten

Der Kölner DuMont-Verlag hat Anfang Oktober an einem Feiertag seine Druckerei leergeräumt, und als am nächsten Arbeitstag morgens die Belegschaft kam, erfuhren 200 Menschen, dass sie ihren Job los sind. Wilfried Urbe schreibt für die taz über die Entlassungen. Über dem Text steht der Titel: "Brutal vom Hof gejagt".

Die Folge ist jetzt einerseits Empörung. Die Gewerkschaft Verdi sagt, der Betriebsrat hätte vor den Entlassungen verständigt werden müssen. Aber Urbe schreibt auch:

"Die Vorgänge in der Rheinmetropole (…) könnten Signalwirkung für die krisengeschüttelte Zeitungsbranche haben."

Krisengeschüttelte Zeitungsbranche? Was war da noch mal? Ach ja, "epd Medien" berichtet am Mittwoch in einer Meldung: "Abwärtstrend bei Tageszeitungs-Auflagen hält an". Laut der Zählstelle IVW ist die Auflage der Zeitungen im Vergleich zum vergangenen Jahr um 9 Prozent abgerutscht. Das bedeutet: Pro Tag erscheinen in Deutschland noch knapp 11,5 Millionen Zeitungen. Ungläubiger Blick zurück: Vor 20 Jahren waren es noch etwa doppelt so viele.

Immerhin: Die in den Zahlen enthaltene E-Paper-Auflage ist leicht gestiegen, um fünf Prozent auf 2,2 Millionen. Doch an der Misere ändert das auch nichts. Es scheint absehbar zu sein, dass es sich auch anderswo bald nicht mehr lohnen wird, eine Druckerei auf dem Hof stehen zu haben. Im schlechtesten Fall wird es sich für Verlage bald nicht mehr lohnen, sich noch eine Redaktion zu leisten.

Trotz dieser düsteren Aussichten gibt es in der Branche durchaus so etwas wie Zuversicht. Das gemeinnützige Recherchezentrum Correctiv hat am Wochenende in Erfurt seine erste Lokal-Konferenz veranstaltet. Über 200 Menschen, die im Lokalen arbeiten, kamen, berichtet David Muschenich für die taz.

Jonathan Sachse, der Leiter der Sektion "Correctiv.Lokal" sagt einerseits:

"Ich baue mir da keine Scheinwelt auf: Es passiert auch richtig viel Mist im Lokaljournalismus."

Aber er sagt auch, er sei "richtig positiv gestimmt", denn die Idee, Leute aus der Branche zusammenzubringen, sei voll aufgegangen. Und warum Erfurt?

Weil "weil wir hier viele Prozesse im Lokaljournalismus sehen, die gut zur Konferenz passen", sagt Sachse. Zum Beispiel eben, dass die Zeitung im Kreis Greiz seit diesem Jahr nicht mehr auf Papier erscheint (Altpapier).

Rückschlag für digitale Abos

Der "Social Media Watchblog"-Newsletter gibt einen Überblick über die Patienten im Medienlandschafts-Lazarett: unter anderen das irgendwie dann ja doch noch gerettete Magazin "Katapult" sowie das nach einem Notruf stabilisierte Satiremagazin "Titanic". Und dort geht es auch um eine Studie, über die das Computermagazin "c’t" in dieser Woche berichtet hat. Ergebnis: Erstmals seit 2018 sinkt die Zahl der digitalen Medienabos. Dort heißt es:

"Der digitale Zeitungskiosk büßt prozentual am meisten ein; nur noch 11 Prozent der Haushalte konsumieren kostenpflichtige digitale News und Magazine – ein Rückgang von drei Prozentpunkten zum Vorjahr."

Es sieht also generell nicht so gut aus. Simon Hurtz und Martin Fehrensen nennen in ihrem Newsletter einige Faktoren, die alles noch schlimmer gemacht haben. Kurz zusammengefasst: die globale Wirtschaftskrise, das nachlassende Interesse der großen SM-Plattformen (Social Media, nicht Sado Maso, auch wenn es hier durchaus passen würde) an Medieninhalten und die durch den russischen Angriffskrieg verstärkte Nachrichtenmüdigkeit. Dazu eben die Tatsache, dass Menschen ohne Journalismus weder Hunger noch Durst verspüren. Fehrensen und Hurtz:

"Journalismus ist für die meisten Menschen ein Luxusgut. Wenn es darum geht, weniger Geld auszugeben, sind digitale Abonnements eines der ersten Dinge, die gestrichen werden."

Darunter leiden nicht nur die Tageszeitungen, sondern auch kleinere Projekte. Der "Social Media Watchblog"-Newsletter schreibt, er selbst sei nicht existenziell bedroht, die Firmenabos seien seit Jahren stabil, aber der Umsatz aus privat verkauften Abos schrumpfe seit etwa anderthalb Jahren.

Damit Umsatz schrumpfen kann, muss aber überhaupt erst mal welcher da sein. Sebastian Esser schrieb vor zweieinhalb Wochen in seinem Newsletter "Blaupause", um mit einem Zwei-Personen-Medium in die schwarzen Zahlen zu kommen, brauche man tausend zahlende Kunden à zehn Euro.

Das Problem sei die finanzielle Lücke zwischen der Kündigung und dem ersten profitablen Monat. Schließen könnte diese Lücke seiner Meinung nach eine Förderung, wie es sie in Berlin für Technologie-Gründungen gebe (Gründungs-Bonus), oder ein "Matching-Fonds" für journalistische Lokalmedien, bei dem der Staat in der Anfangszeit die Aboerlöse verdoppelt. Dritte Idee: Lokaljournalismus-Genossenschaften, die von sehr vielen Menschen gegründet werden.

Zum Schluss noch ein Transparenzhinweis: Ich habe selbst ein Lokalmedium mitgegründet, vor mittlerweile knapp vier Jahren; es heißt RUMS Münster. Bei uns ist es nicht viel anders als hier beschrieben. Wir haben etwa 2.100 zahlende Abonnentinnen und Abonnenten. Und wir sind in den vergangenen Monaten zwar nicht geschrumpft, aber auch nicht gewachsen.

It’s Differenzierung, stupid

Nun ein ziemlicher Sprung zur Berichterstattung über den israelischen Verteidigungskrieg (Altpapier gestern). Marina Weisband beschäftigt sich in ihrer Kolumne für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres" mit der vor allem in Zeiten der Unsicherheit zu beobachtenden Tendenz, dass Menschen sich konsequent auf einer Seite zusammenstellen (Tribalismus). Diese Tendenz schwappe in den Journalismus über. Ihr fehlten da ein paar Zwischentöne, schreibt Weisband und fragt:

"Wenn ich zum Beispiel mit einer israelischen Flagge auf die Straße gehe oder mich damit auf Facebook zeige, solidarisiere ich mich dann mit dem Existenzrecht eines Landes, das für Leute wie mich zum einzig sicheren Hafen werden könnte? Oder solidarisiere ich mich mit der Regierung, gegen die meine Familie und Freunde auf die Straße gegangen sind und der maßgeblich die Mitschuld am Massaker und an der Eskalation gegeben wird?"

Vor allem Rechtspopulisten verwenden diese Freund-Feind-Polarität bekanntlich, um die Unabhängigkeit von Medien in Zweifel zu ziehen und sie so als Korrektiv auszuschalten. Sie unterstellen Medien, in Deutschland vor allem den öffentlich-rechtlichen, sie stünden selbst auf einer Seite, seien also Partei. "Anders als in den USA ist das faktisch und nachweisbar nicht richtig", sagt Weisband und plädiert "für Differenzierung in einer immer lauter schreienden Welt".

Bret Stephens macht in der "New York Times" deutlich, dass Differenzierung auch dann notwendig ist, wenn klar ist: So richtig kann man sich auf keine vorhandene Quelle verlassen. Stephens:

"In Israel, wie in jeder anderen Demokratie, lügen politische und militärische Beamte manchmal – aber Journalisten ziehen sie zur Rechenschaft (…). Die palästinensischen Gebiete hingegen sind Republiken der Angst (…). Die Palästinenser sind weder mehr noch weniger ehrlich als die Menschen anderswo. Aber wie in jedem tyrannischen oder fanatischem Regime bringen sich diejenigen, die von der genehmigten Linie abweichen, in große Gefahr."

Das Problem betrifft vor allem so genannte Stringer, also freiberufliche Kräfte vor Ort, die Medien gegen Honorare Informationen liefern, oder sogenannte Fixer, lokale Fachleute, die übersetzen, organisieren oder kulturelle Brücken bauen und helfen, Zugang zu bestimmten Personen zu bekommen.

Diese Menschen haben in Krisengebieten das recht dominante Interesse, selbst nicht in Schwierigkeiten zu geraten. Und wenn man sich diese Strukturen in einer ohnehin schon unübersichtlichen Lage anschaut, wird noch etwas deutlicher, wie schwer es im Krieg sein kann, verlässliche Informationen zu bekommen.

Die Asymmetrie: Demokratie und Terrorgruppe

Und was hatten wir noch? Ach ja, der seit dem Terrorangriff der Hamas in Deutschland bekannt gewordene israelische Armeesprecher Arye Sharuz Shalicar hat mit Detlef David Kauschke für die "Jüdische Allgemeine" über seine Arbeit und "den Krieg an der Informationsfront" gesprochen. Shalicar kritisiert zum einen die Berichterstattung nach der Explosion am Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza. Auf die Frage, ob es nicht eine Realität militärischer Auseinandersetzungen sei, dass die Wahrheit zuerst sterbe, sagt er:

"Ich erwarte von Qualitätsjournalismus etwas anderes. Schnelligkeit darf doch nicht vor Gründlichkeit gehen. Die Zeitungen, Agenturen, Fernseh- und Radiosender wollen unbedingt ganz schnell die Meldungen bringen. Und dann wäre es ja in Ordnung, um beim konkreten Fall zu bleiben, wenn man melden würde, dass es in der Nähe eines Krankenhauses einen Einschlag gab. Und dann kann man hinzufügen: Es steht gerade nicht fest, was da passiert ist."

Zur Praxis, "eine Art Symmetrie herzustellen", also einerseits die Sicht der Hamas darzulegen, dann die Israels und schließlich der Leserschaft die Aufgabe zu überlassen, sich eine Wahrheit herauszusuchen, sagt Shalicar den schönen Satz:

"Ernie ist nicht Bert, und A ist nicht B."

Und weiter:

"Es ist einfach keine Symmetrie möglich. Auf der einen Seite steht ein demokratischer Staat, der die Pflicht und das Recht hat, sich zu verteidigen und seine Bürger zu beschützen. Und auf der anderen Seite ist eine Terrororganisation, die die eigene Bevölkerung als Schutzschilde benutzt, Menschen abschlachtet, Unschuldige in Geiselhaft nimmt – und kein Problem damit hat."

Hier muss man nun, schon wieder, differenzieren. Einerseits stimmt das, was Shalicar sagt. Aber das darf trotzdem nicht dazu führen, dass Medien ausschließlich die Sicht der israelischen Armee transportieren, denn auch sie verfolgt ein Interesse, die Kommunikation ist Teil der Kriegsführung. Und man muss keine Lügen verbreiten, um nicht die Wahrheit zu sagen. Es reicht aus, die Dinge hervorzuheben, die den eigenen Zielen nutzen, und die zu verschweigen, die nicht ganz so nützlich sind.

Im Grunde ist es wie immer mit PR. Medien haben nicht nur die Aufgabe, darzustellen, was die eine und was die andere Seite sagt. Sie müssen das auch in einen Kontext einbetten. Dazu gehört die Information, was nicht gesagt oder nicht offensichtlich ist, also zum Beispiel die Tatsache, dass die eine zitierte Seite eine Terrororganisation ist.


Altpapierkorb (Verrohung der Sprache, RBB, Looping Group, Erdogan-Influencer, Münchener Medientage)

+++ In der Debatte über Migration und Abschiebungen hat sich die Sprache verändert, und nicht zum Guten, analysiert Andreas Bernard auf der SZ-Medienseite. Das zeige sich vor allem in zwei Aspekten. "Zum einen in zeitlicher Perspektive, im unentwegt wiederholten Befund, dass jetzt, in diesem Moment, die letzte Möglichkeit gekommen ist, Deutschland vor der Überfremdung und dem Umkippen in einen kulturlosen Staat zu schützen", so Bernard. Verbunden damit sei "die rhetorische Darstellung der flüchtenden Menschen als gesichtslose Einheit, als Masse, als reines Politikproblem." Markus Söder habe bei einer Rede irgendwann nur noch von "dem Thema" gesprochen, Friedrich Merz und Jens Spahn benutzten ständig den Begriff "Zahl".

+++Über den geleakten RBB-Bericht der Kanzlei Lutz Abel (Altpapier) schreibt Axel Weidemann auf der FAZ-Medienseite. Er hat den Sender unter anderem gefragt, warum er den Bericht dem Untersuchungsausschuss des brandenburgischen Landtags nicht geben will. Der Untersuchungsausschuss hatte geklagt, gewonnen, aber der RBB hatte die Herausgabe per Eilantrag doch noch verhindert. Der Sender sagt, er verweigere das Dokument "nicht grundsätzlich" und verweist darauf, dass der Bericht noch nicht herausgegeben werden könne, "weil die damit verbundenen Untersuchungen noch laufen". Die Rechnungshöfe, die Generalstaatsanwaltschaft und die Rechtsaufsichten hätten den Bericht dagegen schon erhalten.

+++ Die Looping Group, die unter anderem das Magazin "Madame" herausgibt und die vor sieben Jahren unter anderem von früheren "Stern"- und "SZ-Magazin"-Chefredakteur Dominik Wichmann gegründet wurde, ist überraschend insolvent, schreibt Caspar Busse auf der SZ-Medienseite. Einer der größten Auftraggeber habe erst "nur auf massiven Druck und zum Schluss gar nicht mehr" gezahlt. Wie der Auftraggeber heißt, verrät die Gruppe allerdings nicht.

+++ Manuel Biallas berichtet für das NDR-Medienmagazin "Zapp" in einem 16-minütigen Beitrag über rechte Influencer, die in Deutschland Stimmung für den türkischen Präsidenten Recep Tayip Erdogan und seine rechtspopulistische Partei AKP machen.

+++ Auf der FAZ-Medienseite (noch nicht online) schreibt Bülent Mumay über den wachsenden Antisemitismus in der Türkei nach dem Terroranschlag der Hamas.

+++ Eine Feststellung bei den Münchener Medientagen: Dokus können ähnliche Reichweiten erzielen wie große Fiction-Produktionen. Doch Björn Böhning, Chef der Produzentenallianz, sagt: "Dokumentationen sind in aller Munde, aber die Budgets dafür sind nicht gewachsen", berichtet Uwe Mantel für DWDL. Jörg Seewald war für die FAZ in München (beziehungsweise ist es vielleicht noch, die Veranstaltung geht bis Freitag). Er berichtet auf der Medienseite über eine Rede von Markus Söder, die nicht stattgefunden hat (Titel in der Zeitung: "Söder ist nicht dabei") und über das zentrale Thema Künstliche Intelligenz.

Das Altpapier morgen schreibt Christian Bartels.

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