Das Altpapier am 15. November 2023: Porträt des Altpapier-Autoren René Martens
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 15. November 2023 "Die Hormone sind noch da"

15. November 2023, 12:11 Uhr

Der HR findet keine adäquate Antwort auf einen angekündigten Übergriff der designierten Koalition in Hessen. Ein Zollbeamter wird mild dafür bestraft, dass er die gesperrte Wohnadresse eines Journalisten in einem Hooligan-Chat veröffentlicht. Ein Rechercheverbund enthüllt, dass sich ein als Russland-Experte geltender Filmemacher von einer Kreml-nahen Briefkastenfirma sponsern ließ. Heute kommentiert René Martens die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Wer zahlt Journalisten Alarmanlagen und Sicherheitstüren?

Welchen Gefahren Lokaljournalisten ausgesetzt sind, die ausdauernd über Rechtsextremismus vor Ort berichten, hat die taz neulich am Beispiel von Alexander Roth aus dem Zeitungsverlag Waiblingen beschrieben (siehe Altpapier).

Roth hat am Rande des Faktencheck-23-Gipfels der dpa am Montag nun mit einigen anderen betroffenen Kollegen gesprochen und dazu in einem Bluesky-Thread unter anderem Folgendes notiert:

"Freier Journalismus im Lokalen ist weiter in Gefahr, Journalist*innen vor Ort (sind) Zielscheiben der extremen Rechten/der Querdenker-Szene (…) Ich habe von einem Kollegen aus dem süddeutschen Raum gehört, der von Rechten derart bedroht wurde, dass er hinschmiss. Die Drohungen gingen an seiner Privatadresse, aber auch bei seiner Familie ein (…) Ich verstehe alle, die aufgeben. Ich bin dankbar für alle, die trotz Bedrohungslage dabei bleiben."

Was könnte helfen? Vielleicht Geld. Der Campaigner René Engel hat daher eine Spendenaktion initiiert, um Schutzmaßnahmen für die österreichische Politikwissenschaftlerin und Journalistin Natascha Strobl finanzieren zu können, die in den vergangenen Jahren auf unterschiedlichste Weise (siehe hier und hier) aus der rechten Szene bedroht wurde. In die Begründung für den Aufruf schrieb er kürzlich:

"Die Hürden für Personenschutz sind hoch, die Kosten für Alarmanlagen oder Sicherheitstüren sind erheblich. Dagegen stehen Parteien wie die AfD und die FPÖ, die Millionen von Euro an Steuergeldern zur Verfügung haben, um Menschen wie Natascha Strobl anzugreifen und Kampagnen gegen sie zu fahren."

Mittlerweile sind mehr als 24.000 Euro eingetroffen. Engel kommentiert auf der Aktionsseite: "Ja,(…) es sollte eigentlich nicht sein", dass Privatpersonen solche Maßnahmen organisieren, aber:

"Wir alle, 667 Spender*innen, tausende Leute, die es geteilt, geliked, verteilt haben, haben dafür gesorgt, dass Natascha abends sicher nach Hause kommt und ihre Familie nachts ruhiger schlafen kann."

Auf die Justiz kann man sich als Journalist dagegen nicht verlassen, wie wieder mal ein Beispiel aus Deutschland zeigt. Es geht um die Erfahrungen, die Timo Büchner gemacht hat, und die er einem Interview mit den "Belltower News" (für die er unter anderem arbeitet) beschreibt. In der Einleitung des Interviews heißt es:

"Wie viele Journalist*innen hat Büchner eine Melderegistersperre. Das bedeutet, seine Wohnadresse ist in den Datenbanken der Behörden besonders geschützt. Menschen, denen aufgrund ihrer Tätigkeit eine 'Gefahr für Leben, Gesundheit und persönliche Freiheit' droht, sobald die Adresse öffentlich wird, können eine Sperre erhalten. Doch der Schutz, den die Melderegistersperre bieten soll, ist offenbar trügerisch."

Das zeigen die Folgen eines Artikels, den Büchner Anfang 2021 im Zeit-Online-Blog "Störungsmelder" über zwei Neonazigruppen - "Junge Revolution" und "Nord Württemberg Sturm" - veröffentlicht hat. Denn:

"Nachdem der gewaltbereite und szenebekannte Neonazi Marc R. in einer internen Hooligan-Chatgruppe nach Büchners Wohnadresse fragt, bekommt er eine Antwort vom Zollbeamten Tobias W. – der die Daten abruft und dem Neonazi zur Verfügung stellt."

Was passierte danach?

"W. wird vom Amtsgericht Kitzingen 'wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses in zwei tatmehrheitlichen Fällen' zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt. Man ist ab 91 Tagessätzen vorbestraft."

Und das Verfahren gegen den Anstifter? Wurde eingestellt.

Brünings Reaktion im Interview:

"Es ist ein bitteres Signal an Journalist*innen und ein eklatantes Signal an die Neonazi-Szene. Daten können abgerufen werden. Ohne Konsequenzen."

Wer mehr über von der Justiz gesendete "bittere Signale an Journalist*innen" und "eklatante Signale an die Neonazi-Szene" lesen will, werfe einen Blick auf die Berichterstattung zum Fretterode-Komplex (MDR Thüringen, Altpapier)

Ein angekündigter Angriff auf die Rundfunkfreiheit

Seit dem Wochenende haben sich mit Medienthemen beschäftigende Kollegen Zeit genommen, angemessene Kommentare zu dem "Eckpunkte-Papier" zu formulieren, das die designierte tiefschwarz-schwarze Koalition in Hessen verfasst hat. In dem heißt es, CDU und SPD wollten "festschreiben, dass in staatlichen und öffentlich-rechtlichen Institutionen (wie Schulen, Universitäten, Rundfunk) auf das Gendern mit Sonderzeichen verzichtet wird".

"Wenn eine Regierung den Anspruch hat, Journalist*innen vorzuschreiben, wie sie zu sprechen und zu schreiben haben, dann entspringt das dem Ungeist des Totalitären",

postet dazu Mario Sixtus bei Bluesky. Solche Worte vermisse ich bei den etablierten Medien. Dabei wäre das mal ein guter Anlass, für einen "staatsfernen" ÖRR einzutreten, aber das tun die üblichen Verdächtigen wahrscheinlich nicht, weil sie prima finden, was das tiefschwarz-schwarze Kulturkampfbündnis da vorschlägt.

Gewiss, es gibt gute einordnende Berichte, etwa bei der "Frankfurter Rundschau", die schnippisch schreibt:

"Kein Punkt in dem Eckpunktepapier von CDU und SPD hat bisher so viel öffentlichen Wirbel erzeugt wie der zur gendergerechten Sprache. Selbst der Wolf geriet dabei ins Hintertreffen, was die Aufmerksamkeit angeht."

Aber Joachim Huber erweist sich im "Tagesspiegel" mal wieder als Nichtsmerker.

"Der DJV-Landesverband Hessen erregt sich schon über ein kommendes Genderverbot im Hessischen Rundfunk, über 'eine ungeheuerliche politische Einflussnahme‘",

kommentiert er ironisch. Der Journalistenverband müsse ja "nicht gleich in Schockstarre verfallen".

Dabei ist die, wenn man denn so will: Erregung des DJV (nachzulesen etwa auch in diesem FAZ-Beitrag) verständlich. Im DJV-Blog kommentiert Mariana Friedrich:

"Würde es so kommen, nimmt sich eine mögliche hessische Regierungskoalition vor, tief in die redaktionelle Freiheit einzugreifen und unser Grundgesetz mit Ansage zu missachten (…) Darin sind die Meinungsfreiheit ebenso wie die Presse- und Rundfunkfreiheit fest verankert. Sie stellt eine tragende Säule unserer Demokratie dar. Mit den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben wir in Deutschland einen von politischen und kommerziellen Interessen unabhängigen Journalismus, um den uns viele Länder beneiden. Zur journalistischen Unabhängigkeit besonders beim ÖRR gehört auch, dass die Medienhäuser frei entscheiden können, welche Sprache sie in ihren Artikeln und Beiträgen nutzen."

Rechtlich durchsetzen lässt sich ein "Genderverbot" beim HR zwar nicht, aber um eine möglicherweise wirkungsvolle Drohung handelt es sich hier allemal, wie der ÖRR-Kollege @kubia bei Mastodon ausführt.

Und was sagt der HR? Dazu noch einmal die FR:

"Der Hessische Rundfunk, der von einer hessischen Regelung zum Gendern betroffen sein könnte, teilte der FR am Dienstag auf Nachfrage mit, man warte die Ergebnisse der Koalitionsgespräche zwischen CDU und SPD interessiert ab."

Das ist natürlich eine jämmerliche Reaktion. Wenn Politiker autokratische Eingriffe in die Rundfunkfreiheit ankündigen, müssten demokratische Journalistinnen und Journalisten in Führungsfunktionen eigentlich Rückgrat zeigen. Wenigstens ein paar Floskeln wie "rote Linie überschritten" kann man ja wohl erwarten.

Kleiner Sprung, aber ohne vom Thema wegzukommen: Wie der HR im eigenen Programm über die designierte Koalition berichtet, lässt einen auch eher verzweifelt in die Tischkante beißen. Ute Wellstein, die Leiterin des Wiesbadener Landesstudios, sagt in der "Hessenschau" (ab 3:35):

"Die Beziehung ist frisch, die Hormone sind noch da, die Glücksgefühle verströmen, sag ich mal."

Steinbergers und Seipels Grenzüberschreitungen

Vor rund einer Woche hat Stefan Niggemeier bei "Übermedien" darüber berichtet, wie die "Süddeutsche Zeitung" damit umgeht, dass Karin Steinberger, eine ihrer Ressortleiterinnen, 2019 versuchte, im Verborgenen Kritik an einem FAZ-Artikel zu steuern, in dem sie selbst für ihre Berichterstattung über den verurteilten Doppelmörder Jens Söring heftig kritisiert wird. Niggemeier bezieht sich in seinem Text unter anderem auf den "Zapp Spezial"-Film "Jens Söring: Medienkarriere eines Mörders". Der läuft nun heute im linearen Fernsehen.

Der durch E-Mails belegte "Zapp"-Vorwurf an Steinberger: Sie habe den organisierten Freundeskreis Sörings zu einem Leserbrief an die FAZ geradezu angestiftet. Im "Zapp"-Special sagt (ein) früheres Mitglied des Söring-Freundeskreises, Steinberger sei "sehr panisch gewesen (…) Sie hat uns gesagt: Ich kann mich nicht wehren, aber ihr müsst euch wehren. Und dann haben wir angefangen, gemeinsam an diesem Leserbrief zu arbeiten."

Das wirft natürlich Fragen auf: Warum konnte sie sich nicht auf den üblichen Wegen "wehren" bzw. mit der Kritik der FAZ auseinandersetzen? Dass eine Redakteurin oder ein Redakteur in einem Beitrag eines Konkurrenzmediums scharf kritisiert wird, ist ja nun grundsätzlich kein ungewöhnlicher Vorgang. Offensichtlich handelte es sich hier um einen verzweifelten Versuch, die eigene Haut zu retten.

Während die SZ und Steinberger auf „Zapp“-Anfragen zunächst, sagen wir mal: defensiv reagierten, sind sie kurz vor der linearen Ausstrahlung zu der Erkenntnis gekommen, dass ein offensiverer Umgang besser ist:

„Gegenüber ‚Zapp' sagte (SZ-Chefredakteur) Wolfgang Krach: 'Wenn man die Mails liest, dann muss man sagen, dass sie zumindest zum Ende der Recherche nicht mehr die nötige journalistische Distanz hatte zu Jens Söring. Auch nicht zu dem Freundeskreis (…) Ein Fehler, für den ich als Chefredakteur nur sagen kann: Ich bitte unsere Leserinnen und Leser um Entschuldigung.'“

Das teilt die NDR-Pressestelle am heutigen Vormittag mit. Demnach bittet auch Steinberger selbst um Entschuldigung.

Auf ganz andere Weise Grenzen überschritten hat nach Recherchen eines internationalen Rechercheverbunds der Jahre lang im öffentlich-rechtlichen Fernsehen als Russland- und Putin-Erklärer aufgetretene Hubert Seipel. Beteiligt an den Enthüllungen waren unter anderem Paper Trail Media, "Spiegel", "Frontal" und der "Der Standard". Die von "Frontal" beteiligten Kollegen fassen den Sachverhalt so zusammen:

"Der preisgekrönte deutsche TV-Journalist und Putin-Biograf Hubert Seipel hat für seine Arbeit Hunderttausende Euro aus Russland erhalten und dies vor dem NDR, seinem Buchverlag und der Öffentlichkeit verborgen. Das zeigen vertrauliche Dokumente aus Zypern."

Der "Spiegel" springt zwecks Einordnung neun Jahre zurück:

"Im November 2014, bespielte er mit einem Putin-Interview den besten Sendeplatz der ARD, den Sonntagabend. Auf das halbstündige Gespräch Seipels mit Putin folgte eine Sondersendung der Talkshow mit Günther Jauch, in der selbstverständlich auch Seipel saß, erklärte, dozierte und diskutierte. Vermutlich wusste keiner in dieser Runde und bis heute auch niemand in der deutschen Öffentlichkeit, dass Seipel zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich bereits versteckte Zahlungen aus Russland erhielt."

Die zu Tage geförderten Dokumente belegen zumindest,

dass Seipel 2018 einen 'Sponsorenvertrag‘ unterschrieben hat, im Original 'Deed of Sponsorship' genannt und sehr großzügig honoriert. Ein handschriftlicher Vermerk legt außerdem nahe, dass es einen ähnlichen Vertrag bereits im Jahr 2013 für eine 'Putin biography‘ gab. Finanziert werden sollten zwei Bücher, die Seipel schreiben würde. Und tatsächlich erschien 2015 'Putin. Innenansichten der Macht'. Eine Putin-Biografie. 2021 dann 'Putins Macht. Warum Europa Russland braucht'. Beide Bücher wurden von Hoffmann und Campe veröffentlicht."

Das Geld für den mehrfach preisgekrönten Seipel kam von einer Briefkastenfirma, hinter der Alexej Mordaschow steht, ein "Oligarch mit engen Verbindungen zum Kreml", wie der "Spiegel" ihn nennt. Weiter heißt es:

"Die finanzielle 'Unterstützung‘ des Journalisten fiel üppig aus: 600.000 Euro sollte Hubert Seipel allein für sein zweites Buch erhalten."

Und was sagt "der erste renommierte westliche Journalist, von dem bekannt wird, dass er aus Putins Umfeld Geld bekommen hat", nun selbst zu den Vorwürfen? "Ein Schreiben, acht Seiten lang", beschreibt der "Spiegel" so:

"Der Tonfall wechselt, mal ist er aggressiv, meist selbstgerecht, an manchen Stellen wird es wirr. Es ist die lange Erwiderung auf Fragen, die Spiegel und ZDF dem Absender gestellt haben, ohne dass er diese wirklich konkret beantwortet. Stattdessen verweist der Mann vor allem auf seine Filme und Bücher, auf sein ganzes Lebenswerk, das nun keines mehr sein dürfte."

Die am Dienstagnachmittag veröffentlichten Recherchen wirkten schon nach wenigen Stunden: Der Verlag Hoffmann und Campe "stoppte" den Verkauf der von Seipel für den Verlag verfassten Bücher über Wladimir Putin (siehe u.a. "Tagesspiegel"). Und der NDR - der als vielfacher Auftraggeber von Seipel nun auch in der Schusslinie steht, obwohl die von dem nunmehr tief gefallenen Experten für den Sender produzierten Filme nicht Gegenstand des aufgedeckten Sponsoring-Deals sind - hat eine "Untersuchungskommission" beauftragt. Das schreibt erneut der "Spiegel" (n.v.a.). In dem Text wird NDR-Intendant Joachim Knuth folgendermaßen zitiert:

"Es besteht der Verdacht, dass wir und damit auch unser Publikum vorsätzlich getäuscht worden sind (…) Die Vorgänge um die Beauftragung und Umsetzung der Filme, die Hubert Seipel für den NDR realisiert hat, werden wir gründlich überprüfen."

Der Vorsitzende der frisch einberufenen Kommission hat einen großen Namen: Es ist Ex-"Spiegel"-Chefredakteur Steffen Klusmann.


Altpapierkorb (Anzeige gegen Fotografen wegen Beihilfe zum Massenmord, das beste Polit-Talkformat, die wichtigste TV-Produktion des Jahres, sehr viel Resonanz für Serie "Deutsches Haus", erste Datingshow für Muslime)

+++ Gegen jene freie Fotografen, die während des Hamas-Massakers am 7. Oktober bemerkenswert "früh vor Ort waren" (Altpapier), haben zwei Anwälte "beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe Anzeige wegen Beihilfe zu Mord und Geiselnahme unter anderem deutscher Staatsbürger nach Paragraph 27 Strafgesetzbuch gestellt". Das berichtet die FAZ. Die Anzeigensteller "gehen davon aus, dass es für die von ihnen angezeigte Beihilfe einen hinreichenden Anfangsverdacht gibt, der staatsanwaltliche Ermittlungen erforderlich macht. Die Beihilfe zur Tat könne in diesem Fall in 'psychischer Beihilfe‘ bestehen. Der Gehilfe bestärke den Haupttäter in seinem Tatentschluss oder bei der Ausführung des Verbrechens".

+++ Eine Lanze für den "Presseclub" bricht Christoph Hechler im aktuellen "epd Medien"-Tagebuch: "(Er) hebt sich mit seinen meist sachlichen Diskussionen zu aktuellen Themen von anderen öffentlich-rechtlichen Talkshows ab, die am Erkenntnisgewinn kein Interesse mehr haben, sobald die Argumente der Beteiligten auf kontroverse und damit klickbare Schlagzeilen verkürzt werden können. Richtig glänzen kann der 'Presseclub‘ aber dann, wenn er seine bei Phoenix, WDR5 und im Netz ausgestrahlte Verlängerungs-Viertelstunde für die 'Nachgefrag‘-Rubrik nutzt - denn immer wieder präsentieren sich die Zuschauer als informierte Journalismus-Interessierte, die am Diskussionstisch in der Sendung ebenso gut aufgehoben wären wie manche Teilnehmer."

+++ Das Dokudrama "Ich bin! Margot Friedländer" haben wir hier neulich bereits gewürdigt. Dietrich Leder legt in seinem "Journal" für den "Filmdienst" noch eine Lob-Schippe drauf. "Ich bin! Margot Friedländer" ist das Fernsehereignis des Jahres 2023." Es sei "ein Film, der einen nicht loslässt, der einen bewegt und an das Schicksal der von den Deutschen ermordeten Jüdinnen und Juden erinnert". Und: "Es ist sicher der beste Film von Hannah und Raymond Ley, weil sie hier auf jedwede Illustration verzichtet haben und der Komplexität des Erinnerns wie die der Katastrophe, die ihre Protagonistin überlebte, künstlerisch gerecht wurden, soweit man dieser künstlerisch überhaupt gerecht werden kann."

+++ "Wenn Deutschland nur im Geringsten dazu neigen würde, seine Drehbuchautoren zu feiern, dann wäre Annette Hess nicht nur der Branche ein Begriff, sondern ein Star" - das schreibt Claudia Tieschky für die "Süddeutsche Zeitung" in einem Porträt über Hess. Es erscheint anlässlich des Starts von "Deutsches Haus", einer von ihr geschriebenen Serie über den ersten Auschwitz-Prozess. Ex-Altpapier-Autor Matthias Dell urteilt bei Zeit Online über die von Tieschky Gefeierte etwas anders: "Hess gilt in der deutschen Fernsehszene wegen 'Kudamm '56' oder 'Weissensee' als renommierte Drehbuchautorin. Schon bei 'Weissensee‘ aber konnte man erkennen, dass ihr Trick vor allem in einer cleveren, weil offenbar massenkompatiblen, Form der im deutschen Fernsehen so beliebten Geschichtsverwurstung besteht – in diesem Fall der Denver-Clanisierung der DDR. Geschichte als Soap: Willkommen, im VEB Marienhof. Mit 'Deutsches Haus' überträgt Hess dieses Prinzip nun auf die frühen 1960er-Jahre in Westdeutschland." Während Dell "keimfreie und lustlose Routine" kritisiert, findet Andreas Kötzing (Deutschlandfunk Kultur) wiederum, "Deutsches Haus" sei "beeindruckend und mutig erzählt". Lob gibt's auch von Bert Rebhandl auf der FAZ-Medienseite: "Deutsches Haus" hat seine Stärken vor allem in einer Dramaturgie, die ohne überdeutliche Didaktik dem Gegenstand mit möglichst vielen Facettierungen gerecht zu werden versucht."

+++ "Übermedien" beschäftigt sich mit "Halal Dating", dem "nach eigenen Angaben 'ersten Dating-Format von Muslimen für Muslime‘". Das Problem der bei funk zu sehenden Show: "(Sie) suggeriert Vielfalt, obwohl (sie) nicht vielfältig ist. Etliche Aussagen in 'Halal Dating‘ sind – kaschiert von einem progressiven, hippen Look – patriarchal, konservativ und vermitteln den Eindruck, dass das die Lebensrealität von Muslimen in Deutschland sei."

Das Altpapier am Donnerstag schreibt Annika Schneider.

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