Das Altpapier am 1. Dezember 2023: Porträt der Altpapier-Autorin Johanna Bernklau
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Kolumne: Das Altpapier am 1. Dezember 2023 Es reformt sich nicht leicht

01. Dezember 2023, 10:03 Uhr

Die ARD-Intendanten haben nach ihrer Sitzung in Köln ihre Reform-Pläne präsentiert. Mit Kooperationen zwischen den Info- und Kulturwellen der Sender sollen Ressourcen für neue digitale Formate geschaffen werden. Das passt nicht allen. Heute kommentiert Johanna Bernklau die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Lineare ARD-Diät

"Die Intendantinnen und Intendanten der ARD haben bei ihrer Sitzung in Köln weitere konkrete Reformschritte beschlossen, die Qualität und regionale Vielfalt im Programm sichern und gleichzeitig mehr Wirtschaftlichkeit in der Produktion ermöglichen."

So lautet der erste Satz der Pressemitteilung über die Sitzung der ARD-Intendantinnen und -Intendanten in Köln. Die regionale Vielfalt möchten sie sichern, indem sie erstmal "gemeinsame Programmstrecken und Formate" für die Dritten Programme einführen – sprich einen Teil der Regionalität im linearen Fernsehen zu Gunsten von Vergünstigungen eindampfen.

Mit den dadurch freigewordenen Ressourcen sollen wiederum neue digitale Produkte für die Audio- und Mediathek realisiert werden, die für die jüngeren Zielgruppen attraktiver sein sollen (also für Menschen unter 50, wie es Stefan Fischer in der "SZ" treffend schreibt).

Ein rundfunkrechtlich heikles Manöver?

Dass sich die ARD verschlanken möchte, ist erstmal eine gute Nachricht. Doch von der Süddeutschen Zeitung hört man schon die erste Warnung: "Der jetzt beschlossene Ausbau der Kooperationen touchiert medienrechtliche Grenzen." Bundesweites Hörfunkprogramm sei nur für den Deutschlandfunk erlaubt, heißt es dort.

Das, was die "Tagesschau" "engere Zusammenarbeit" und "Kooperationen" nennt, sieht laut dem "Tagesspiegel" im Detail folgendermaßen aus: Ab Frühjahr nächsten Jahres wollen die Sender unter anderem für die Abendprogramme der KlassikHörsender (20-24 Uhr) mehr zusammenarbeiten, das gleiche gilt für die Pop-Wellen (21-24 Uhr). Davon haben bereits sechs angekündigt, das ARD-weite Angebot annehmen zu wollen.

Die Kritik der "SZ" setzt aber wohl eher an einer weiteren Neuerung an: Auch bei den Infowellen sollen Ressourcen ab April 2024 gespart werden. Tagsüber ist nach wie vor das regional vertiefte Info-Programm geplant, ab 20 Uhr dann ein Sender übergreifendes Programm mit wechselnden inhaltlichen Schwerpunkten. Zusätzlich dazu könnten Sender laut der "SZ" samstags tagsüber das Programm von BR24 "ganz oder teilweise zu übernehmen."

Geschätzte Einsparungen dieser Maßnahmen: Eine mittlere einstellige Millionensumme, laut der Programmdirektorin Anke Mai, die im "SZ"-Text zitiert wird. Mit "etwa einem Tausendstel des gesamten jährlichen Gebührenaufkommens" der ARD sei das "eine ziemlich bescheidene Summe für das rundfunkrechtlich heikle Manöver", schreibt Stefan Fischer in dem Artikel. Die neue deutsche Hörfunk-Einheit ab 20 Uhr halte die ARD jedoch für zulässig, da es sich bei den zusammengelegten Programmen nicht um die Hauptsendezeiten handele.

Die Diskussion um ein bundesweites "Einheitsprogramm" kam auch im Juli dieses Jahres schon auf, nachdem NDR-Intendant Joachim Knuth die Pläne angekündigt hatte. Die "SZ" schrieb auch damals schon im höchsten Krisenmodus "Fertigprodukt für alle" in ihre Überschrift.

Zu viel Einheitsdrama

Um ehrlich zu sein: Die Sorge, die ARD könnte zum Fertigprodukt für alle werden, weil sie ab 20 Uhr auf den Info- (und Klassik-)Wellen gleiche Programme sendet, kann ich nur so halb verstehen. Und über diesen entrüsteten Satz im erwähnten "SZ"-Artikel vom Sommer musste ich tatsächlich ein bisschen kichern:

"Schon jetzt schalten die Infowellen - je nach Sender - aus Kostengründen ab 23 Uhr oder Mitternacht bis in die frühen Morgenstunden um zur "ARD-Infonacht", anstatt Selbstgemachtes zu senden. BR24 - der das Gemeinschaftsprogramm zwischen

Mitternacht und zwei Minuten vor 6 übernimmt - könnte so gesehen auch BR18 heißen."

Wie bitte, kein selbstgemachtes Radioprogramm während die meisten Menschen schlafen? Frech. Dass es parallel zum Hörfunk auch noch das digitale Angebot von BR24 gibt, das für den Fall eines relevanten Ereignisses in Garmisch-Partenkirchen um 2 Uhr morgens eine Nachricht darüber veröffentlichen kann, wird in der Debatte offenbar vergessen.

Das Drama der Diskussion verhindert es, endlich einen oder zumindest einen halben Schritt weiter in Richtung Digitalisierung der ARD zu kommen. Doch es kommt noch besser:

Medienpolitik gegen Innovation

Dass das eingesparte Geld doch tatsächlich für die Weiterentwicklung digitaler Produkte verwendet werden soll, passt der Medienpolitik laut dem Branchendienst "DWDL" offenbar nicht unbedingt. Mit dem geplanten Fokus auf jüngere Zielgruppen leistet die ARD "aus der Sicht vieler Politikerinnen und Politiker wohl keinen entscheidenden Beitrag zur Stabilisierung des Rundfunkbeitrags".

Dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk aber nicht so bleiben kann, wie er es aktuell ist, sollte mittlerweile doch bei allen Medienmenschen angekommen sein. Und dass jüngere Zuschauerinnen und Zuschauer (und damit meine ich tatsächlich junge Menschen) wieder oder überhaupt einen Zugang zu journalistischen Inhalten der Anstalten finden, bedeutet schon mehr Einsatz, als bestehende Formate einfach zu digitalisieren und in die Mediathek zu klatschen.

Dafür braucht man natürlich Geld (das dafür ja auch extra eingespart wird). Es ist verständlich, dass der Politik ein stabiler Rundfunkbeitrag in instabilen Zeiten gerade sehr wichtig ist. Doch viel wichtiger sollte es ihr doch eigentlich sein, dass gerade junge Leute weiterhin bzw. überhaupt Qualitätsjournalismus konsumieren. Und das funktioniert nicht, indem man Shirin David als Gast zu "Wetten, dass..?" einlädt.


Altpapierkorb (Tagesschau in leichter Sprache/Onlinestudie/Heike Raab)

+++ 3,4 Millionen Euro möchte die ARD in den nächsten zwei Jahren für mehr Barrierefreiheit in ihren Programmen ausgeben. Für rund 6,2 Millionen Analphabeten in Deutschland soll unter anderem die "Tagesschau" in leichter Sprache produziert und online publiziert werden. Aktuell gibt es nur beim NDR, MDR, SR und beim Deutschlandfunk Nachrichten in leichter Sprache. Außerdem soll Künstliche Intelligenz dazu genutzt werden, Live-Programme zu untertiteln.

+++ ARD/ZDF-Onlinestudie: Die mediale Internetnutzung nimmt im Vergleich zu den letzten Jahren leicht ab, am stärksten bei Texten im Internet (-9%). Die OnlineAudionutzung sinkt um fünf Prozent, Video nur um ein Prozent. Insgesamt nutzen 65% der Deutschen täglich das Internet für Medieninhalte.

+++ Zuletzt war sie Thema in diesem Altpapierkorb: Heike Raab, rheinlandpfälzische Staatssekretärin (SPD) tritt aus dem SWR-Verwaltungsrat aus, nachdem sie einen falschen Briefkopf für ihre Kritik an einer Berichterstattung verwendet hatte.

Das Altpapier am Montag schreibt Klaus Raab. Schönes Wochenende!

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