Das Altpapier am 8. Dezember 2023: Porträt der Altpapier-Autorin Johanna Bernklau
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Kolumne: Das Altpapier am 8. Dezember 2023 Rezo vs. STRG_F

08. Dezember 2023, 10:00 Uhr

Der YouTuber Rezo hat das "funk"-Format STRG_F der Lüge und des Framings bezichtigt und dabei in mindestens einem Punkt nachweislich recht. Was genau passiert ist, warum manche STRG_F-Filme der Marke "funk"einen Bärendienst erweisen und was sich unbedingt ändern muss. Heute kommentiert Johanna Bernklau die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Aussage gegen Aussage

Wenn Rezo spricht, dann hört YouTube-Deutschland zu. Der YouTuber, der durch die "Zerstörung der CDU" (unfreiwillig?) zu einer prominenten Stimme der jungen Generation geworden ist und von Boomer-Deutschland als die Stimme der jungen Leute angesehen wird, hat ein neues Video veröffentlicht. Darin wirft er dem "funk"-Format STRG_F Lügen und Framing vor.

In seinem Video, das am vergangenen Samstag auf seinem Kanal Renzo online ging, kritisiert Rezo die STRG_F-Dokumentation, in der das "funk"-Format zu dem Nahrungsergänzungsmittel-Hersteller "More Nutrition" recherchiert. Rezo, der selbst Werbung für den Konzern gemacht hatte, wurde von STRG_F für ein Statement angefragt. Wie dieser Kontakt abgelaufen ist, naja, dazu gibt es aktuell zwei unterschiedliche Versionen. STRG_F hat sich bislang zu den Vorwürfen von Rezo noch nicht geäußert, wird dies aber laut eines Kommentars unter ihrer Doku und einer Anfrage von "Newszone" noch tun. Was STRG_F bisher kommuniziert hat:

Die Version von STRG_F

In ihrer Doku zu "More Nutrition" weisen sie auf ein Video von Rezo hin, in dem er seinen Kooperationspartner kritisch hinterfragt. STRG_F-Moderatorin Désirée Fehringer erklärt, dass sich Rezo trotz der Vorwürfe gegen den Konzern nicht von "More Nutrition" getrennt habe.

Auf die Fragen, warum er weiter mit dem Konzern arbeite und was er zu den gesundheitlichen Bedenken der von ihm angeworbenen Produkten sage, habe er sich erst nach der von STRG_F gesetzten Frist gemeldet. Das allerdings sagt Fehringer nicht direkt in der Doku, stattdessen wird der Satz als Text eingeblendet. Mit dem Zusatz: "Mehr dazu findet ihr in der Videobeschreibung."  

In der Videobeschreibung angekommen, findet man dort folgenden Absatz:

"Liebe Leute, wie im Film erzählt, haben wir Rezo eine schriftliche Anfrage zu seiner Zusammenarbeit mit More Nutrition geschickt. Drei Fragen gingen an sein Management […], mit der Bitte, diese Fragen innerhalb von zwei Tagen zu beantworten. Der Eingang unserer Anfrage wurde uns durch telefonisches Nachfragen beim Management bestätigt. Rezo hat sich innerhalb der Frist nicht gemeldet."

STRG_F hakte nach eigener Angabe nach Verstreichen der Frist noch einmal bei ihm nach,

"woraufhin es zu einem telefonischen Hintergrundgespräch kam – dies fand wenige Stunden vor dieser Veröffentlichung statt. Aus Hintergrundgesprächen zitieren wir grundsätzlich nicht."

Im Anschluss an das Hintergrundgespräch habe Rezo schriftlich die Frage zu gesundheitlichen Bedenken der Produkte beantwortet. Diese Antwort ist ebenfalls in der Videobeschreibung zitiert.

Die Version von Rezo

Das, was Rezo zu dem ganzen Thema zu sagen hat, ist – kurz gesagt – so ziemlich das Gegenteil. Oder, um es mit seinen Worten zu beschreiben: Die Darstellung von STRG_F bezüglich der Anfrage an ihn sei unwahr und lückenhaft. Hier folgt ein kurzer Abriss der Geschehnisse laut der Darstellung von Rezo, die er im oben genannten 40-minütigen Video ausführlich schildert.

Entgegen den Aussagen von STRG_F habe Rezo die E-Mail mit den drei Fragen nicht erhalten, da diese im Spam-Ordner seines Managements gelandet sei. Tatsächlich habe sich STRG_F bei seinem Management gemeldet, dieses hätte jedoch den Eingang der E-Mail nicht wie behauptet bestätigt, da die Person am Telefon gar keinen Zugriff zu Rezos Postfach gehabt hätte.

So weit, so blöd gelaufen. Wenn journalistische Anfragen im Spam-Ordner landen, ist das immer ärgerlich – für beide Seiten. Deshalb räumt man der befragten Person im Idealfall und im Falle einer monatelangen Recherche, wie STRG_F seine Recherche selbst beschreibt, mehr als zwei Tage Beantwortungszeit als Puffer vor der Veröffentlichung ein. Insbesondere dann, wenn es sich um eine Filmproduktion handelt, bei der vorher das Material noch geschnitten und vertont werden muss.

Jetzt wieder zurück zu Rezos Darstellung: Am Tag der Veröffentlichung habe er eine SMS von Co-STRG_F-Autor Sebastian Heidelberger erhalten. Im Screenshot, den Rezo in seinem Video zeigt, steht:

"Hallo Rezo, hier ist Sebastian (Nachname unkenntlich gemacht) vom NDR/STRG_F. Du hast unsere Anfrage bisher nicht beantwortet. Bleibt es dabei, dass du nichts sagen willst? Das wollte ich nur mal nachfragen. Beste Grüsse, Sebastian."

Laut Rezo sei das der erste Kontakt mit STRG_F in dieser Sache gewesen und von den Fragen habe er vorher noch nichts gehört. Er habe geschrieben, dass er gerne Fragen beantworte, wenn sie ihm diese schicken würden. Statt der Fragen sei eine Frist zur Beantwortung für in zwei Stunden per SMS gekommen, die Rezo jedoch wegen eines Termins nicht einhalten konnte, wie er schrieb. Zehn Minuten vor der Frist seien dann die Fragen per SMS gekommen inklusive neuer Frist in einer Stunde.

Abgesehen davon, dass Rezo auch die neue Frist wegen seines Termins nicht einhalten konnte, waren die Fragen auch keine, die man ohne Termin innerhalb einer Stunde hätte beantworten können:

Die eine Frage zur Einschätzung der gesundheitlichen Risiken von "More Nutrition"-Produkten habe sich auf ein sehr umfangreiches Dokument der WHO bezogen (siehe Minute 5:40 im Rezo-Video), zu dessen ausführlicher Abwägung vielmehr ein tatsächlicher Experte als der Influencer Rezo getaugt hätte. Journalistisch eher wenig durchdacht.

Unprofessionelles Hin und Her

Was laut Rezo dann folgt, ist eine weitere Fristverschiebung und ein telefonisches Hintergrundgespräch, aus dem STRG_F Rezo zusammenfassend zitieren möchte und auch dürfe. Dann folge wieder eine Umentscheidung seitens STRG_F, die Rezos Antworten aus dem Telefonat nun doch nicht inkludieren wollen würden. Auf Rezos Nachfrage diesbezüglich schickt STRG_F einen Zitiervorschlag per SMS, der sich aber nur auf eine der drei Fragen bezogen habe.

Rezo habe gefragt, was mit den anderen zwei Antworten sei, woraufhin STRG_F ihm geschrieben habe, er könne gerne noch die zwei anderen Antworten schicken. (Kurze Zwischenfrage: Warum genau wäre das sein Job? Dafür gab es doch das Telefonat?) Doch als Rezo diese Nachricht bekam, sei die Doku schon online gewesen.

Und aus Rezos Antwort, er habe sich um einen Aufhebungsvertrag für die Kooperation mit "More Nutrition" bemüht und würde nicht mehr Werbung für den Konzern machen (wofür er Aufnahmen aus dem Hintergrundgespräch als Beleg einspielt), macht STRG_F im Film folgenden Satz: "Am Ende bleibt: Rezo trennt sich nicht von 'More'."

Die Lüge von STRG_F

Wenn das stimmt und Rezos Aufnahme echt ist, dann ist das eine glatte Lüge. Was bis jetzt aber der fatalste Punkt an der ganzen Geschichte ist, weil er im Gegensatz zu Rezos Vorwürfen von beiden Seiten bestätigt ist:

In dieser Folge des "funk"-Podcasts "Was diese Woche wichtig war" spricht Désirée Fehringer über ihre STRG_F-Recherche und ab Minute 50 auch über Rezo und seine Rolle als starken Bewerber von "More-Nutrition"-Produkten. Auf die Frage, ob Rezo, der selbst sehr häufig "moralisch integer" auftrete, noch Werbung für dieses Unternehmen machen sollte, antwortet Désirée Fehringer unter anderem das:

"Diese Antwort hätte ich mir auch auf jeden Fall gewünscht und ich hätte super gerne persönlich mit ihm darüber gesprochen und gehört: Warum hältst du an dieser Marke fest, was ist dein Take dazu? Aber ja, leider hat er uns auf diese Frage nicht geantwortet und es ist auch bis zur Veröffentlichung unseres Films zu keinem persönlichen Gespräch zwischen uns gekommen."

Blöderweise steht aber direkt in der Videobeschreibung der STRG_F-Doku:

"Da wir seine [Rezos] Position abbilden möchten, haben wir ihn nach Verstreichen der Frist erneut kontaktiert, woraufhin es zu einem telefonischen Hintergrundgespräch kam – dies fand wenige Stunden vor dieser Veröffentlichung statt."

Kritik an STRG_F ist Kritik am ÖRR

Das ist nicht nur dermaßen billig, sondern wirft auch ein sehr schlechtes Licht auf andere STRG_F-Filme, die sich an journalistische Standards, wie zum Beispiel Wahrheit halten.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass STRG_F nicht nur mit dieser Doku negativ in YouTube-Deutschland aufgefallen ist. Auch zur Recherche zu sexuellen Übergriffen auf Metal-Konzerten erhielt das Format vom YouTube-Kritiker Alexander Prinz aka "Der dunkle Parabelritter" ein dickes Kritikvideo, zu dem STRG_F sogar ein Reaction-Video veröffentlichte, was wiederum eine Reaction von Prinz nach sich zog.

Und auch die "STRG_F"-Schwester "Y-Kollektiv", die bis vor vier Monaten selbst noch zu "funk" gehörte, hat sich vor drei Monaten breiter Kritik stellen müssen (zum Beispiel von Alicia Joester aka Alicia Joe in diesem Video).

Während das "Y-Kollektiv" nun schon nicht mehr zu "funk" sondern mittlerweile direkt zur ARD gehört, trifft Kritik an beiden Formaten immer das ganze Netzwerk, wie auch YouTuber Alexander Prinz in diesem Video sagt:

"Was ja noch hinzukommt ist, dass STRG_F, ich glaube, sogar noch mehr als 'Y-Kollektiv', einen negativen Einfluss auf die Außenwirkung von 'funk' hat. Wir reden eigentlich nur die ganze Zeit davon, dass eine von diesen zwei Produktionsreihen was verkackt hat und deswegen 'funk' in der Kritik steht. […] Es ist eigentlich schlimm, dass sich das so entwickelt hat, weil es im Endeffekt sofort eine ÖRR-Kritik ist."

Obwohl sich die Gründe für die aktuellen Vorwürfe an STRG_F irgendwo zwischen journalistischer Inkompetenz und Unsauberkeit bewegen, ist es dennoch ein gutes Zeichen, dass es diese Kritik überhaupt noch gibt. Das beweist, dass die Zielgruppe STRG_F als Format noch nicht komplett aufgegeben hat und dass es immer noch wert ist, in ausführlichen Videos kritisiert zu werden.

Wenn es STRG_F in der hoffentlich bald erscheinenden Reaktion gelingt, auf die Kritik ohne Zynismus und nicht von oben herab zu reagieren (so wie bei ihrem ersten Reaction-Video zu Alexander Prinz’ Kritik), dann kann es sogar noch Hoffnung für das Format geben. Und ehrlich gesagt hoffe ich das sehr. Denn, selbst Rezo sagt am Ende seines Videos zu seinen Zuschauern:

"Alle 'funk'-Kanäle in einen Topf zu werfen und zu vermischen bringt auch nichts. […] Bitte nicht haten […], ich finde, die [STRG_F] haben nach wie vor viele gute Sachen gebracht. Deshalb: Bitte seht das jetzt nicht schwarz-weiß."

Bitte ändern:

Was sich Kritiker wie Rezo von Formaten wie STRG_F wünschen: Transparente Quellenarbeit. Eine interessante Forderung an ein journalistisches Produkt, bei dem gute Quellenarbeit ja eigentlich Voraussetzung sein sollte. Doch Rezo und sein Publikum haben ein anderes Verständnis von transparenten Quellen, als es der durchschnittliche Journalismus so hat:

Schon in seinem Video zur "Zerstörung der CDU" vor vier Jahren hatte Rezo ein ausführliches Quellendokument an seine Videobeschreibung gehängt und Quellen zu seinen jeweiligen Aussagen im Video direkt eingeblendet. So jetzt auch im aktuellen Video.

Journalistische Medien haben in der Regel auch zu allen Aussagen eine Quelle – nur selten veröffentlichen sie jede davon. Das kann durchaus gute Gründe haben, Quellenschutz zum Beispiel. Nicht jede Quelle soll und darf öffentlich einsehbar sein. Aber gerade Statistiken oder Studien, auf die sich STRG_F häufig beruft, könnten easy in einer Quellenliste den Zuschauern zur Verfügung gestellt werden.

Die Forderung ist nicht neu, in einem "Übermedien"-Artikel vom April 2022 erklärt Dietmar Schiffermüller, Leiter von STRG_F, dass für mehr Transparenz bei den Beiträgen gearbeitet werde. Es wäre ein kleiner Dienst für eine große Wirkung: Rezo sagt in seinem Video, dass ihm transparente Quellen helfen würden, die Glaubwürdigkeit von STRG_F wieder herzustellen.


Altpapierkorb (Gerichtsurteil gegen SZ, Kürzungen im HR, SZ-Jahresrückblick)

+++ Verdachtsberichterstattung an der Grenze: Der "Süddeutschen Zeitung" wurden vom Landgericht Berlin Teile ihrer Berichterstattung zum Tennisprofi Alexander Zverev untersagt. Die "SZ" wird laut "F.A.Z." Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Gerichts einlegen.

+++ DWDL berichtet, dass der Redaktionsausschuss des Hessischen Rundfunks die journalistische Qualität wegen geplanter Kürzungen im sogenannten Hessen-Unit in Gefahr sieht. Der HR selbst teilte mit, dass die regionale Berichterstattung im Gegenteil massiv ausgebaut werde.

+++ Nicht nur Spotify hat seinen Jahresrückblick veröffentlicht – auch die "Süddeutsche Zeitung" hat für ihre Abonnentinnen und Abonnenten einen persönlichen Jahresrückblick mit der Anzahl der gelesenen Artikel und der Top-Ressorts aus dem vergangenen SZ-Jahr gebaut. Ob der allerdings jemals so häufig auf Social Media geteilt werden wird wie der von Spotify, muss die nächsten Jahre wohl beobachtet werden. +++

Das Altpapier am Montag schreibt Klaus Raab. Schönes Wochenende!

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