Das Altpapier am 13. März 2024: Porträt der Altpapier-Autorin Annika Schneider 2 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 13. März 2024 Lieblingsquelle Verfassungsschutz

13. März 2024, 10:52 Uhr

Warum Demokratiefeinde gefährlich sind, wissen jetzt alle – oder etwa nicht? Der Hinweis, eine Organisation sei als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft worden, reicht vielleicht doch nicht immer aus. Die Medienthemen des Tages kommentiert Annika Schneider.

Porträt der Altpapier-Autorin Annika Schneider
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

AfD-Entscheidung vor Bücherregalen

Heute ist der zweite von zwei angesetzten Verhandlungstagen beim Oberverwaltungsgericht Münster, wo sich die AfD dagegen wehrt, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz sie als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft hat.

"Wegen des großen Andrangs findet der Prozess in der Eingangshalle des Gerichts statt, je 100 Stühle stehen für Presse und Zuschauer auf dem gepflasterten Steinboden bereit. Hinter der Richterbank lagert auf drei Stockwerken in wuchtigen Regalen juristische Fachliteratur."

So schildern Tobias Großekemper und Wolf Wiedmann-Schmidt bei "Spiegel online" den gestrigen Auftakt. In dem Berufungsverfahren geht es vor allem darum, mit welchen Mitteln der Verfassungsschutz die Partei beobachten darf – konkret geht es um die Bundespartei, die Jugendorganisation "Junge Alternative" und den inzwischen aufgelösten "Flügel" (mehr dazu bei der "Tagesschau" und in einem guten Infokasten bei BR24).

Der Prozess ist aber nicht nur politisch relevant, sein Ergebnis wird Journalistinnen und Journalisten auch in anderer Hinsicht interessieren: Der Verfassungsschutz gehört in der AfD-Berichterstattung zu einer der Lieblingsquellen. Die Einstufung einiger Landesverbände als "gesichert rechtsextremistisch" gilt inzwischen als Standardformulierung, mit der Medien routiniert begründen, warum sie über die AfD anders berichten als über andere Parteien und warum sie für die Demokratie gefährlich ist.

Entzauberung mit investigativen Mitteln

Bestes Beispiel ist die gestern veröffentlichte BR-Recherche, derzufolge die AfD im Bundestag über 100 Rechtsextreme beschäftigt. Im entsprechenden "Tagesschau"-Artikel heißt es:

"Unter den Fraktions- und Abgeordnetenmitarbeitern sind Personen, die namentlich in Verfassungsschutzberichten erwähnt werden und solche, die Führungspositionen in beobachteten Organisationen bekleiden."

Mit diesem Bezug auf den Verfassungsschutz kann das Rechercheteam begründen, warum es die betreffenden Personen im Teaser zum Text als "Verfassungsfeinde" bezeichnet. Zusätzlich haben die Journalistinnen und Journalisten herausgefunden, dass AfD-Mitarbeitende an Neonazi-Aufmärschen teilgenommen haben.

Zunächst einmal: Die Recherche ist verdienstvoll und wichtig, weil sie strukturelle Verbindungen offenlegt und die AfD mehr "entzaubert" als jedes noch so kritisch geführte Fernsehinterview. Rechtsextreme im eigenen Büro zu beschäftigen ist entlarvend. Dass darüber nun öffentlich gesprochen wird, hilft bei der inhaltlichen Einordnung der entsprechenden Abgeordneten – auch wenn sie sich in Reden und Interviews gemäßigt geben mögen.

Die ersten politischen Reaktionen folgten bereits, nachzulesen bei der "Tagesschau", aber auch beim RND. Unter anderem will die Bundestagsvizepräsidentin der CDU, Yvonne Magwas, die Zutrittsregeln für den Bundestag anpassen.

Verfassungsfeinde sind Freiheitsfeinde

Trotzdem hat die Recherche einen Haken – oder eher die Art, wie sie erzählt wurde. Der "Tagesschau"-Artikel kritisiert die betreffenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nämlich ausschließlich mit formalen Kriterien, wegen ihrer Mitgliedschaft in Organisationen und Vereinen wie der "Jungen Alternative" oder Kontakten zur "Identitären Bewegung" zum Beispiel. Was fehlt, ist eine inhaltliche Einordnung, warum diese Menschen gefährlich für unsere Verfassung und Demokratie sind.

Natürlich wissen informierte Mediennutzende um die Gefahr, die von der "Neuen Rechten" ausgeht. Aber gerade bei einer so zentralen Recherche, in der es ja letztendlich um die Freiheit gewählter Volksvertreter geht, sich ein eigenes Team zusammenzustellen, muss Journalismus gut erklären. Was genau macht die mehr als 100 Mitarbeitenden im Bundestag, um die es geht, zu Verfassungsfeinden?

Wer dazu inhaltlich etwas erfahren möchte, muss im zum Artikel gehörigen FAQ ganz nach unten scrollen. Dort heißt es:

"Rassismus, Antisemitismus, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit - das eint nach Einschätzung der Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern rechtsextremistische Bewegungen. Das BfV schreibt ihnen zu, 'dass die Zugehörigkeit zu einer Ethnie oder Nation über den tatsächlichen Wert eines Menschen entscheide'. Zudem stünden sie wegen der Ablehnung zentraler Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in 'fundamentalem Widerspruch zum Grundgesetz'."

Diese Informationen hätten aus meiner Sicht in den Haupttext gehört, gerne auch noch ein bisschen ausführlicher und mit Beispielen. Denn es ist zu befürchten, dass das Label "rechtsextrem" alleine nicht (mehr) ausreicht, um Menschen von der Gefahr zu überzeugen, die von gewissen Akteuren ausgeht (ganz davon abgesehen, dass der Bundesverfassungsschutz keine absolute Quelle ist, die allzu unkritisch als Maßstab gesetzt werden sollte). Journalistinnen und Journalisten sollten stattdessen noch öfter deutlich machen, gegen wen sich demokratiefeindliche Politik richtet – letztendlich gegen alle, die ein Leben in einem freien, nicht autoritären Staat führen möchten. Gerade bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen, denen rechte Influencer bei Instagram und TikTok als sympathische Normalos begegnen, sollte diese Information unbedingt ankommen.

Verbindungen zu neurechten Medien

Womöglich fühlt sich das in der AfD-Berichterstattung dann an, als würde man die immer gleichen Beispiele und Kritikpunkte wiederholen, von "Vogelschiss" bis "Remigrationspläne". Trotzdem führt aus meiner Sicht kein Weg daran vorbei – auch, um die eigenen Prioritäten in der Berichterstattung nachvollziehbar und glaubhaft zu begründen.

Eine Möglichkeit wäre es gewesen, mehr darüber zu berichten, was die betreffenden Personen an anderer Stelle schon veröffentlicht haben:

"Auch Autoren der neurechten Zeitschrift 'Sezession', des Verlags 'Antaios' und des Magazins 'Compact' arbeiten im Bundestag."

Ebenfalls erwähnt wird die rechte Influencerin Marie-Thérèse Kaiser, die für den Parlamentarischen Geschäftsführer Bernd Baumann arbeitet. Was sie so postet, hat sich Sabrina Patsch im "Tagesspiegel" angeschaut (Kaiser selbst wollte sich für den Artikel nicht äußern). Offensichtlich Brisantes fand sich dabei wohl nicht.

"Ihren Seelenfrieden finde sie in ihrem Glauben an das Gute, schreibt die 27-Jährige auf ihrer Website. In ihrer Freizeit betreibe sie Ballett, Jumping Fitness und Kraftsport, sie interessiere sich für gesunde Ernährung und Meditation."

Und später:

"In der Bildbeschreibung kokettiert sie mit Genderklischees: "Oh nein, eine backende Frau in der Küche … ruft sofort die örtliche Feminismus-Beauftragte"."

Klingt noch nicht so gefährlich. Kaiser moderiere aber auch ein Videoformat der Bürgerinitiative "Ein Prozent" und gebe an, sich für die Fraueninitiative Lukreta zu engagieren, die wiederum Verbindungen zur "Identitären Bewegung" aufweise. Zu beiden Organisationen finden sich mehr Informationen bei "Belltower News" hier und hier.

Show, don’t tell

Natürlich ist es einfacher und schneller, eine Einstufung des Verfassungsschutzes zu zitieren, als in mühsamer Kleinstarbeit selbst Beweise für eine demokratiefeindliche Gesinnung zusammenzutragen – das wäre wohl auch zu viel erwartet. Die inhaltlich konkrete Kritik an rechten Akteurinnen und Akteuren ganz außen vor zu lassen, kann aus meiner Sicht aber auch keine Lösung sein. Das macht Recherchen angreifbar und trägt nicht dazu bei, Gefahren für unsere Gesellschaft zu verdeutlichen.

Die Stärke und Durchschlagskraft der Correctiv-Recherche zum "Geheimtreffen" lag genau darin: dass sie konkret zeigen konnte, wie rechte Akteurinnen und Akteure unsere Gesellschaft verändern wollen und wessen Leben das betreffen könnte (letztendlich unser aller). Beim Schlagwort "rechtsextrem" entstehen eben wenige Bilder im Kopf – oder immer noch die falschen mit Springerstiefeln und Glatze.

Eine alte Regel zum journalistischen Schreiben lautet "Show, don’t" tell und meint, dass szenische Beschreibungen besser funktionieren als reine Erklärungen. Etwas abgewandelt gilt das auch für alle, die über die AfD schreiben: Zu behaupten, dass sie gefährlich für die Demokratie ist, reicht nicht. (Und wer daran noch Zweifel hat, sollte das Buch von AfD-Spitzenpolitiker Maximilian Krah aus dem schon erwähnten Antaios-Verlag lesen – an konkreten Beispielen mangelt es darin nicht.)


Altpapierkorb ("Jahr der Nachricht", Flensburger Zeitungsprojekt "wirklich", Peter Kloeppel, mexikanischer Journalist verschwunden, Andrew Tate)

+++ Wie das Hetzportal Nius die Kampagne "Jahr der Nachricht" angreift, beschreibt Ann-Kathrin Leclère in der heutigen taz. Hinter der Kampagne stehen nicht nur namhafte Medienpartner, sondern auch die GmbH UseTheNews, die die dpa gegründet hat. Sie will Desinformation bekämpfen und experimentiert unter anderem mit Nachrichteninhalten für Jugendliche auf sozialen Medien. Dafür habe es Geld vom Innenministerium gegeben, kritisiert Nius nun, die dpa äußert sich zu diesem konkreten Vorwurf nicht. Damit mache sich die Kampagne angreifbar, kritisiert taz-Autorin Leclère. Sie schreibt aber auch: "Wenn sich Julian Reichelt Sorgen um die Unabhängigkeit von Medien macht, müsste er auch über den Geldgeber für sein Nachrichtenportal Nius sprechen. Der Milliardär Franz [sic!] Gotthard sitzt als Ehrenmitglied im Bundesvorstand der CDU."

+++ Die ehemalige Flensburger Oberbürgermeisterin ist Verlegerin geworden, berichtet die FAZ (bisher nur in der Print-Ausgabe). Das Projekt "wirklich" der SPD-Politikerin Simone Lange will mit einer wöchentlichen Print-Zeitung konstruktiven Lokaljournalismus machen, die erste Ausgabe erschien schon im Mai 2023.

+++ RTL-Nachrichtenmoderator Peter Kloeppel geht in Rente und hat dem "Stern" dazu ein Interview gegeben.

+++ Der mexikanische Journalist Jaime Barrera ist spurlos verschwunden, seit er am Montag nicht zu seiner Nachrichtensendung erschienen ist (n-tv).

+++ Der frauenfeindliche Influencer Andrew Tate ist erneut festgenommen worden, zusammen mit seinem Bruder Tristan. Den beiden wird die sexuelle Ausbeutung von Frauen und Menschenhandel vorgeworfen (Spiegel online).

Noch ein Hinweis in eigener Sache: Für mich war es vorerst mein letztes Altpapier, ich werde aber an anderer Stelle weiterschreiben über Medien. Morgen kommt das Altpapier von René Martens.

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