Kolumne: Das Altpapier am 27. März 2024: Porträt der Altpapier-Autorin Johanna Bernklau 3 min
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Kolumne: Das Altpapier am 27. März 2024 von Johanna Bernklau Aufschub für Assange

Kolumne: Das Altpapier am 27. März 2024 – Aufschub für Assange

Im Fall Julian Assange gab es gestern mal wieder eine Gerichtsentscheidung, die nur kurzfristig Hoffnung gibt. Und: Muss das "Multipolar-Magazin" als Kläger der RKI-Protokolle als rechts geframed werden?

Mi 27.03.2024 11:59Uhr 02:59 min

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Kolumne: Das Altpapier am 27. März 2024 Aufschub für Assange

27. März 2024, 10:35 Uhr

Im Fall Julian Assange gab es gestern mal wieder eine Gerichtsentscheidung, die nur kurzfristig Hoffnung gibt. Und: Muss das "Multipolar-Magazin" als Kläger der RKI-Protokolle als rechts und verschwörungstheoretisch geframed werden? Darauf haben Medienhäuser unterschiedliche Antworten. Heute kommentiert Johanna Bernklau die Medienberichterstattung.

Porträt der Altpapier-Autorin Johanna Bernklau
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Kurzfristige Hoffnung für Assange

Im Fall des WikiLeaks-Whistleblowers Julian Assange und seine eventuell bevorstehende Auslieferung in die USA gab es gestern nun zum x-ten Mal eine Gerichtsentscheidung. Wer so langsam den Überblick über den Prozess verloren hat, dem werden die aktuellen Medienberichte leider auch nur wenig helfen.

Dieser "Zeit"-Artikel vom Februar 2024 dagegen schon. Darin rekonstruieren die Autorinnen den Fall chronologisch mit allen relevanten WikiLeaks-Veröffentlichungen, Verhaftungen, Gerichts- und Berufungsverfahren. Letztere sind es, die den Fall über die vergangenen Jahre so gezogen haben. Ob es für Assange noch eine weitere Chance gibt, im britischen Rechtssystem in Berufung zu gehen, darüber fand im Februar 2024 eine zweitägige Anhörung statt.

Die finale Entscheidung darüber wird der High Court erst im Mai 2024 fällen, aber gestern erzielte Assange zumindest einen "Teilerfolg", wie die "tagesschau" schreibt: Er "hat in seinem Antrag auf Berufung gegen die drohende Auslieferung an die USA noch einmal Aufschub erhalten. Er dürfe nicht unmittelbar ausgeliefert werden."

Inwiefern es sich allerdings um einen "Teilerfolg" handeln kann, wenn laut den Richtern der Berufungsantrag in sechs von neun Punkten abgelehnt wurde, ist fraglich. Wie die Entscheidung bei den anderen drei Punkten aussieht, hängt davon ab, welche Garantien die US-Regierung und der britische Innenminister Assange für ein Verfahren in den USA geben können ("Spiegel").

Deshalb ist Katharina Weiß von "Reporter ohne Grenzen", die sich seit jeher für die Freilassung Assanges aussprechen, über das aktuelle Urteil auch "ehrlich gesagt nicht besonders erleichtert", wie sie im Gespräch mit Radio Eins sagt. Das Urteil würde erstmal nur bedeuten: "Weiterhin Schwebezustand für die Pressefreiheit weltweit."

Bei der ganzen Sache geht es nämlich nicht nur um Assanges persönliches Schicksal, sondern auch um die Angreifbarkeit von investigativem Journalismus. Investigative Journalisten veröffentlichen zwar in der Regel nicht wahllos ungeschwärzte interne Dokumente, könnten aber im Falle einer Verurteilung Assanges in ihrer Arbeit wegen drohender Verurteilungen eingeschüchtert und damit ihrer Pressefreiheit beschnitten werden. Dazu hat Klaus Raab im Juni 2022 ein ausführliches Altpapier geschrieben.

Wohl auch ein Grund dafür, dass es aktuell eher wenige Hintergrundberichte zu Assange gibt: Eigentlich ist doch schon alles gesagt worden.

Zum Framing der RKI-Protokolle

Um die Aufregung bzw. Nicht-Aufregung über die RKI-Protokolle ging es hier schon gestern im Altpapier. Und auch um die gute Nachricht, dass sich ARD und ZDF in dieser Sache tatsächlich mal uneinig sind und "sich sogar gegenseitig kritisieren".

Heute soll es allerdings darum gehen, inwiefern es relevant ist, das Klägermedium "Multipolar-Magazin" als rechtspopulistisch bzw. verschwörungstheoretisch zu framen. Dazu erstmal ein Blick auf die Medienberichte, die sind da nämlich recht unterschiedlich:

Sowohl die "Zeit" als auch "ZDFheute" schreiben lediglich vom "Onlinemagazin Multipolar", das die Protokolle eingeklagt hat. Die "tagesschau" schreibt in ihrem Bericht mysteriös von "einem Blog" und erwähnt das Magazin und dessen Hintergrund gar nicht. Allerdings steht gleich im Teaser, dass die Inhalte "laut Experten weit weniger brisant" seien, "als es vor allem in ‚Querdenker‘-Kreisen behauptet wird." Hier wird also zwischen dem Kläger-Magazin und den verschwörungstheoretischen Interpretationen (die übrigens auch das "Multipolar-Magazin" von sich gibt) differenziert. Bleibt die Frage, ob man "Multipolar" und verschwörungstheoretisch auch zusammenbringen muss.

Für den "Spiegel" und die "FAZ" ist die Antwort klar: ja! Gleich der erste Satz im "Spiegel"-Teaser lautet: "Das Medium eines rechten Verschwörungstheoretikers hat die Corona-Protokolle des Krisenstabs am Robert Koch-Institut herausgeklagt." Und die "FAZ" schreibt im zweiten Satz: "Ein Magazin namens "Multipolar" aus dem rechtspopulistisch-verschwörungstheoretischen Milieu hatte auf die Herausgabe geklagt."

Damit ist das Framing gleich von Anfang an gesetzt: Die haben das doch nur rausgeklagt, damit sie die Corona-Politik à la Querdenker kritisieren können. Damit steht Kritik an der Corona-Politik in direktem Zusammenhang mit rechten Schwurblern. Dass aber auch demokratische Kritik an der Corona-Politik erlaubt und sogar notwendig ist, konnte man hier gestern in einem "heute-journal"-Zitat von Armin Laschet lesen.

Den interessantesten Weg ist meiner Meinung nach die "Süddeutsche" gegangen. Erst relativ weit unten im Bericht erwähnt sie, wie die Öffentlichkeit überhaupt zu den internen Protokollen kam:

"Die RKI-Protokolle sind öffentlich geworden, weil das Online-Magazin Multipolar auf die Herausgabe geklagt hatte. Das Magazin gilt als umstritten, manche Beobachter verorten es im rechtspopulistischen und verschwörungsideologischen Milieu. Der Herausgeber Paul Schreyer schreibt Bücher mit Verschwörungserzählungen über die Anschläge vom 11. September. Für die Bedeutung der Protokolle, die ja vom RKI selbst stammen, macht das keinen Unterschied."

Nachdem ich davor erst den "tagesschau"- und "ZDFheute"-Bericht gelesen und somit noch keine Ahnung vom Hintergrund des Magazins hatte, war ich erstmal dankbar für die recht ausführliche Erklärung. Der letzte Satz jedoch relativiert dann die drei Sätze davor und lässt die Lesenden mit der Frage zurück: Macht das jetzt wirklich keinen Unterschied? Sonst hättet ihr es ja wohl nicht geschrieben.

Die Herangehensweise der "tagesschau" – nämlich Magazin und Interpretation zu trennen – halte ich für sinnvoll. Den Hintergrund des Magazins komplett zu verschweigen (und stattdessen nur von "einem Blog" zu sprechen) wäre auch nicht richtig, weil die Interpretationen des Magazins eben in direktem Zusammenhang mit den inhaltlichen Vorwürfen stehen, die teilweise tatsächlich verschwörungstheoretisch anmuten (z.B., dass die Hochstufung der Risikoeinschätzung von außerhalb des RKI angewiesen wurde).

Der "tagesschau"-Beitrag hat zudem noch eine weitere Schwachstelle. So selten ich dem "ÖRR-Blog" mit seinen öffentlich-rechtlich-kritisch bis feindlichen "X"-Posts recht gebe – diesmal hat er tatsächlich etwas Stichhaltiges kritisiert:

Hajo Zeeb, einer der beiden Experten, der die RKI-Protokolle für den "tagesschau"-Artikel eingeschätzt hat, ist selbst Kommissionsmitglied im Robert-Koch-Institut und damit mit für die Beratung des RKI zuständig. Erwähnt wird das im "tagesschau"-Beitrag nicht. 


Altpapierkorb (TikTok & Springer, Telegram-Sperrung, Telegram & die Börse)

+++ Der ehemalige RBB-Verwaltungsratschef Wolf-Dieter Wolf wurde gestern zwangsweise vor den Untersuchungsausschuss des brandenburgischen Landtags geladen – und verweigerte die Aussage. Über die Sprachlosigkeit – auch von Schlesinger – zeigt sich Michael Hanfeld in seinem Kommentar für die "FAZ" enttäuscht-resigniert.

+++ Vor anderthalb Jahren noch war Matthias Döpfner erklärter Feind von TikTok, jetzt ist die Social-Media-Plattform Werbesponsor für den Springer-eigenen Newsletter "Politico", wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet.  

+++ Laut "SZ" will Telegram-Erfinder Pawel Durow mit seinem Messenger-Dienst an die Börse. Viele Informationen gibt es noch nicht zu den Plänen. Die "SZ" schreibt: "Auf Anfragen der SZ zu den Plänen reagierte Telegram nicht. Das Unternehmen kommuniziert kaum mit der Presse. Die Öffentlichkeitsarbeit besteht vor allem aus Durows mal philosophischen, mal selbst beweihräuchernden Nachrichten in seinem eigenen Telegram-Kanal."

+++ Gegen den ehemaligen "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt haben der DFB und der Fußball-Nationalspieler Antonio Rüdiger Anzeige erstattet ("Zeit"). Reichelt hatte Rüdiger vorgeworfen, auf einem Instagram-Post eine islamistische Geste zu zeigen. Dieser wies das entschieden zurück, Reichelt bleibt bei seiner Aussage und wirft Rüdiger und dem DFB Einschüchterungsmethoden vor. +++

Das Altpapier am Donnerstag schreibt Ralf Heimann.  

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