Kolumne: Das Altpapier am 24. April 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels 5 min
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Kolumne: Das Altpapier am 24. April 2024 von Christian Bartels Tick Tock

Kolumne: Das Altpapier am 24. April 2024 –Tick Tock

Ein US-amerikanisches Tiktok-Gesetz könnte die ganze Medien-Welt verändern. Ein deutscher Fernsehkonzern könnte italienisch werden. Gerade im Fokus der ÖRR-Spar-Debatten: der MDR.

Mi 24.04.2024 12:25Uhr 04:47 min

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Kolumne: Das Altpapier am 24. April 2024 Tick Tock

24. April 2024, 10:20 Uhr

Ein US-amerikanisches Tiktok-Gesetz könnte die ganze Medien-Welt verändern. Ein deutscher Fernsehkonzern könnte italienisch werden. Gerade im Fokus der ÖRR-Spar-Debatten: der MDR. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Jede Menge Tiktok-Fragen

"Für TikTok tickt die Uhr. Dieses Mal wirklich", leitete der socialmediawatchblog.de seinen jüngsten Newsletter gestern am frühen Nachmittag ein. Und meinte damit, was sich nachts dann tatsächlich in den USA tat und seither zu teilweise großen deutschsprachigen Schlagzeilen wie "Für Tiktok geht es um alles" (sueddeutsche.de/ Abo) führt. Der US-amerikanische Kongress stimmte so, wie es zuvor bereits das Repräsentantenhaus getan hatte, für einen "Zwangsverkauf von Tiktok in den USA". Bzw. für ein komplex geschnürtes Gesetzespaket, in dem außer der in Deutschland viel beachteten und heftig begrüßten milliardenschweren Militärhilfe für die Ukraine auch ein weniger beachtetes Ultimatum an den dank des globalen Erfolgs von Tiktok viertgrößten Medienkonzern der Welt steckt, an die Firma Bytedance aus Peking:

"Entweder sie verkauft das Amerika-Geschäft an ein amerikanisches Unternehmen, oder Tiktok wird aus den App-Stores von Apple und Google verbannt",

schreibt die "NZZ" in einem Frage-Antwort-Stück, das gemeinsam mit dem SMWB-Newsletter den besten Überblick über die Lage und die daran hängenden Rattenschwänze an Anschlussfragen gibt.

Zum Beispiel bleiben die USA ein Rechtsstaat, in dem der US-amerikanische Tiktok-Ableger den Rechtsweg beschreiten wird. "This is the beginning, not the end of this long process", zitiert der Socialmediawatchblog den Policy-Chef Michael Beckerman. Außerdem wurde in der aktuellen Fassung des Tiktok-Gesetzes die Ultimatums-Ablauffrist verlängert:

"Ein weiterer Hoffnungsschimmer für TikTok dürfte die verlängerte Frist sein. Die läuft jetzt erst nach der US-Wahl im November aus, möglicherweise wechselt also in der Zwischenzeit die Regierung."

Hieße: von Biden zu Donald Trump (was in weiten Teilen der Welt gerade keinen Hoffnungsschimmer darstellt). Wobei die Wahlkampfteams gleich beider bekanntlich ziemlich betagter Kandidaten sehr wohl auf Tiktok setzen, um junge Wähler zu erreichen, wie es inzwischen ja alle Wahlkampfteams in demokratischen Staaten tun. Die "NZZ" sieht Biden in einem Dilemma und Trump (aus dessen erster Amtszeit der ursprüngliche Plan, Tiktok so wie alle anderen erfolgreichen Apps und Plattformen zu einer US-amerikanischen zu machen, stammte) einen "Zickzackkurs" fahren. Wobei Biden in diversen Dilemmata steckt und Trump zahlreichen Zickzackkursen folgt.

Noch spannendere Anschlussfragen stellen sich für EU-Europa und Deutschland. Einerseits gilt US-amerikanische Gesetzgebung hierzulande natürlich nicht unmittelbar. Andererseits läuft in den Medien wirtschaftlich und inhaltlich zeitversetzt vieles ziemlich genauso wie in den USA, schon weil globale Marktmacht immer wichtiger wird. Der Netzwerkeffekt, also dass viele Nutzer noch mehr Nutzer anziehen und umgekehrt, könnte Tiktoks Marktmacht schrumpfen lassen:

"Social Media haben einen starken Netzwerkeffekt: Jeder weitere Nutzer erhöht den Wert der gesamten Plattform, so dass sich der Markt rasch in ein Oligopol verwandelt. Hat Tiktok ohne die USA noch immer ein genügend starkes Netzwerk, um im Rest der Welt die Nummer eins zu bleiben?",

fragt die "NZZ". Wobei das Wahlkämpfe gewinnen zu wollen, auch zu den allerwichtigsten Antriebskräfte deutscher Politiker zählt und Bundeskanzler Scholz seinen Tiktok-Auftritt ja gerade erst eröffnete (Altpapier). Fragen über Fragen also. Der Scheinriese EU gab sich bei einer seiner Anstrengungen, Tiktok zu regulieren, gerade vorerst mit einer Risikoeinschätzungs-Einreichung zufrieden (zeit.de). Beachtung verdient eher eine Beobachtung, die der Würzburger Anwalt Chan-jo Jun anhand seines Tiktok-Accounts (und einer der Aufregungen um den AfD-Europawahl-Spitzenkandidaten Maximilian Krah) machte und festhielt und bei X/Twitter postete:

"Tiktoks chinesische[r] Betreiber Bytedance bremst Videos über chinesische Spionage oder solche in denen Maximilian Krah erwähnt wird in der Reichweite"

Genau solches Shadow-Banning, also das kaum nachweisbare (und falls doch, in Echtzeit hin und her veränderbare) Rauf- und Runterdimmen der Reichweite von Beiträgen mit bestimmten Themen, zählt zu den frühesten Vorwürfen an Tiktok, wie etwa dieses Altpapier von 2019 zeigt. Wobei natürlich bzw. naturgemäß alle erfolgreichen Plattformen, die auf Empfehlungsalgorithmen basieren, diese Praxis beherrschen (und praktizieren dürften).

ProSiebenSat.1-Aufregung, Döpfner-Aufregung

Huch, "wird ProSiebenSat.1 jetzt italienisch?". Das fragt gerade Springers "Welt", die sich ProSiebenSat.1 immer noch ein bisschen verbunden fühlt.

Dabei erlebte der wichtigste Sender der Privatsendergruppe, Pro Sieben, gerade seinen "besten Tag seit 2020", sowohl in puncto dessen, was zählt, also Einschaltquoten (dwdl.de), als auch inhaltlich. Davon zeugen so unterschiedliche Fernsehkritik-Fraktionen wie wiederum dwdl.de (dessen Chefredakteur Thomas Lückerath ausführlich von den "24 h mit Joko & Klaas" schwärmt) und, pragmatischer ("Für Joko & Klaas als Programmdirektoren auf Zeit war es ein Leichtes, dort Einschaltimpulse zu setzen, wo sonst bloß Abschaltimpulse vermieden werden"), "epd medien".

Und bald werden Italiener da Programmdirektoren? Es geht natürlich um die Berlusconi-Gruppe, die ja gar nicht mehr vom verstorbenen Schreckgespenst und Ex-Ministerpräsidenten Silvio, sondern von dessen Sohn Pier Silvio geführt wird und nicht mehr Mediaset, sondern MFE (Media For Europe) heißt. Das Neue in der Meldungslage laut "Welt": Nun

"berichtete die Nachrichtenagentur Reuters, dass MFE mit verschiedenen Banken Gespräche geführt habe und in der Lage sei, einen Kauf in Höhe von vier Milliarden Euro zu stemmen. ... Finanziert werden müsste bei einer aktuellen Marktkapitalisierung von rund 1,8 Milliarden Euro auch die Übernahme der Schulden in Höhe von derzeit rund 2,1 Milliarden Euro (die freilich bei Verkäufen sinken würden)."

Darum, ob P7S1 durchaus erfolgreiche, doch fernseh-ferne (wenngleich aus Fernsehwerbespot-Tauschgeschäften entstandene) Beteiligungen wie die Online-Partnervermittlung "Parship" verkaufen soll oder nicht, streiten gerade die Aktionäre. Wer kürzlich auch an P7S1 erinnerte: Mathias Döpfner, im nicht unwunderlichen "FAZ"-Feuilleton-Gastbeitrag "Warum wir Google nicht mehr fürchten" (Abo).

Der wortgewaltige, gern provokante Springer-Chef schrieb da Sätze wie "Das, was Harvard-Professorin Shoshana Zuboff 'Überwachungskapitalismus' nennt, hat sich weitgehend durchgesetzt" und aber auch "Es muss manchmal schlimmer werden, bevor es besser wird". Döpfner sei "der delulu Trump der deutschen Medien", entgegnete Thomas Knüwer gerade in einem eindrücklich illustrierten indiskretionehrensache.de-Beitrag. Na ja. Döpfner schaute für die "FAZ" jedenfalls sowohl auf einen breit ausgemalten Podiumsdiskussions-Erfolg, den er 2014 erzielt habe, sowie ins Jahr 2005 zurück, auf

"eine bittere Niederlage. Als der Verlag Axel Springer ... die Übernahme der Sendergruppe Pro Sieben Sat.1 beim deutschen Kartellamt anmeldete, diskutierten wir auch über den zu betrachtenden Werbemarkt. Unser Argument, dass sich mit Google ein mächtiger Wettbewerber eta­bliert, wurde brüsk abgeschmettert. In einem unvergesslichen Gespräch wurde uns damals sinngemäß mitgeteilt: Sie benutzen das Internet als Ablenkungsmanöver. Erstens wird das Internet keine bedeutende Rolle im Mediengeschäft spielen. Zweitens ist und wird Google kein relevanter Wettbewerber im Werbemarkt. ..."

Da hat Döpfner, was immer man sonst von seinen Ansichten und den Medien des von ihm gelenkten Konzerns hält, ziemlich recht. Die einzige weitreichende Entscheidung des personalstarken, auf Bundesländer-Ebene organisierten Medienwächter-Komplexes – Springer den Kauf von ProSiebenSat.1 zu verbieten – hat in grotesker Verkennung des Medien-Zusammenwachsens im Internet den Datenkraken-Konzernen den roten Teppich ausgerollt. Schon weil diese Medienwächter derzeit um einflussreiche Positionen in der hyperkomplizierten deutschen Umsetzung der EU-Gesetze DMA und DSA rangeln, verdient, daran erinnert werden.

Wär es nun schlimm, wenn P7S1 italienisch werden sollte? Oder was Europäisches mit spanischen Anteil (weil sich in Spanien der offizielle Sitz von Berlusconis MFE befindet), vielleicht weiter tschechischem (weil die derzeit zweitgrößten Eigentümer der P7S1-AG/SE Tschechen sind) und vielleicht ja auch deutschem? Nein, würde ich sagen. Jede Art von europäischer Öffentlichkeit dürfte einen sinnvollen Gegenakzent zu den immer dominanteren amerikanischen (und chinesischen) Konzernen setzen. Das wäre gut. Und selbst den sicher finanzierten öffentlich-rechtlichen Medien gelingt es ja kaum, echt europäische Öffentlichkeit herzustellen.

Wie und wo der MDR sparen will

Die Öffentlich-Rechtlichen sollen, müssen und wollen ja auch sparen. Aber wieviel und woran ... das bleibt ein Medienmedien-Dauerbrenner. Gerade verschärft im Fokus: der MDR [bei dem ja auch das Altpapier erscheint]. Überdurchschnittlich konkret bezifferte Pläne, von 2025 bis 2028 insgesamt 160 Millionen Euro einzusparen, ziehen Kreise.

Bei der Ankündigung (Altpapier) hatte der MDR den Fokus daraufgelegt, dass besonders bei der Unterhaltung gespart werden soll. Das war geschickt, schon weil insbesondere ostdeutsche Medienpolitiker zu viel davon bei den Öffentlich-Rechtlichen sehen. Unterhalten tun ja auch Privatsender, wie ProSiebenSat.1 sie bietet. Zum ausgefeilten Sparpaket gehören aber auch andere Fernseh-Genres:

"In Anbetracht der angekündigten Kürzungen bei #MDR #Investigativ (Fakt/ exakt) steht zu befürchten, dass Recherchen wie diese künftig nicht mehr leistbar sind",

postete der Investigativjournalist Arndt Ginzel. Bei einer Diskussionsveranstaltung der Gewerkschaft verdi in Leipzig wurde "hitzig diskutiert", dass "offenbar die investigativen Angebote von MDR Exakt und exactly betroffen" sind. Dazu hat Volker Nünning für "epd medien" beim MDR gewohnt gründlich nachgefragt"Beim Abendprogramm am Mittwoch soll es um 'Investigation, Dialog, Reportage' gehen. Den halbstündigen Sendeplatz ab 20.15 Uhr sollen sich künftig das Hintergrundmagazin 'Exakt' und die Reportagereihen 'Exactly' und 'Exakt - Die Story' teilen. Dadurch würde es von 'Exakt' dann nur noch 21 Ausgaben pro Jahr geben. Bei den beiden Reportagen wären es zehn Ausgaben weniger. "

Auch sonst nennt Nünning viele konkrete Programmänderungen. Samstagsabends um 19.50 Uhr soll die Quizshow "Quickie" entfallen. Donnerstags will der MDR

"ab 20.15 Uhr ... vom NDR das Gesundheitsmagazin 'Visite' ungekürzt als 60-Minuten-Format übernehmen. Bisher ist im MDR Fernsehen donnerstags ab 21 Uhr eine 45-minütige Fassung von 'Visite' zu sehen",

was zu auch den wieder diskutablen Fragen führt, ob es der Vielfalt der Berichterstattung schadet, wenn die Anzahl der Gesundheitsmagazine in der ARD sinkt, bzw. ob Arthrosen in Bautzen und Bitburg so ähnlich verlaufen wie in Buxtehude im Sendegebiet des NDR. Jedenfalls wichtig: Diese Programmbudget-Berechnungen sind für den Fall erstellt, dass der Rundfunkbeitrag ab 2025 erhöht wird. Im nicht mehr unwahrscheinlichen Fall, dass es dazu erst mal nicht kommt, müsste mehr gekürzt werden. Zumindest also bricht der MDR die allgemein weithin zustimmungsfähige Forderung, dass der ÖRR sparen muss, auf bemerkenswert konkrete, nachvollziehbar umstrittene Einzelaspekte runter


Altpapierkorb (DAZN-Probleme?, Palantir-Diskussion, Datenschützer vs. Behörden, "Entscheidungsvorbereiter")

+++ Nicht unbrisant, was das Sportressort der "FAZ" (Abo) zur gestoppten Bundesliga-Medienrechte-Versteigerung (Altpapier) schreibt: "Die Geschäftsführung der Deutschen Fußball-Liga ... hat offensichtlich einen wesentlichen Grund, das Angebot der Streamingplattform DAZN im Bieterverfahren um die TV-Rechte des werthaltigsten Pakets B für die Spielzeiten 2025/26 bis 2028/29  nicht angenommen zu haben, obwohl die Offerte weit über der des Konkurrenten Sky liegt. Nach Informationen der F.A.Z. soll DAZN den finanziellen Verpflichtungen, die sich aus dem aktuellen Vertrag über die TV-Rechte ergeben, nicht immer pünktlich nachgekommen sein." Bisschen runter- (oder rauf-) gebrochen: Womöglich mangelt es DAZN, das ja dem Google-Amazon-Geschäftsmodell folgt, erst mal ohne Rücksicht auf Verluste Reichweite aufzubauen, um umso größere Quasi-Monopolgewinne später zu kassieren, sobald die Konkurrenz plattgemacht wurde, gerade an Bargeld. +++

+++ "So sehr sich die zwei geladenen Polizeivertreter bemühten, die Palantir-Software in gutem Lichte darzustellen und auf ihren baldigen bundesweiten Einsatz zu dringen, so sehr hielten die Verbands- und Unternehmensvertreter dagegen", berichtet Constanze Kurz bei netzpolitik.org über eine Bundestags-Innenausschuss-Diskussion rund um den "umstrittenen US-amerikanischen Überwachungskonzern". +++ Wer Palantir auch in gutem Licht darstellt (und etwa die intern dort herrschende "Toleranz gegenüber Andersdenkenden" lobte): das "Handelsblatt". +++

+++ Datenschützer, die im Innenausschuss mitdiskutierten und komplex-föderalistisch in einer Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder organisiert sind, fordern, wegen Datenschutz-Verstößen auch "Geldbußen gegen Behörden und öffentliche Stellen verhängen" zu dürfen. "Die Ansicht des Bundesinnenministeriums, dass bei einer solchen Strafe letztlich nur Steuergelder hin- und hergeschoben würden, greife zu kurz: Der Sanktionscharakter eines Bußgeldes bestehe aufgrund der eigenen Haushaltsbetroffenheit der jeweiligen Stelle uneingeschränkt", berichtet heise.de. +++

+++ Ui, ein frischer Medien-Fachbegriff, der mal kein Anglizismus ist: "Entscheidungsvorbereiter", lautet er. Im medieninsider.com-Interview über die derzeit seehr große Zahl von Morning-Briefing-Newslettern bezeichnet der "Table.Media"-Chefredakteur Michael Bröcker seine Zielgruppe als "Entscheider und "Entscheidungsvorbereiter" (was natürlich den Vorzug besitzt, dass es noch größer ist oder klingt als die rund "drei Millionen Entscheider in Deutschland", von denen "Table"-Geschäftsführer Simon Kretschmer spricht ...) +++

Das nächste Altpapier schreibt am Donnerstag Klaus Raab.

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