Kolumne: Das Altpapier am 30. April 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels 5 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G
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Kolumne: Das Altpapier am 30. April 2024 von Christian Bartels Turboglobalisierung

Kolumne: Das Altpapier am 30. April 2024 – Turboglobalisierung

Bei einem deutschen Privatsender-Konzern steigt heute ein europäischer Machtkampf. Der Finanzinvestor KKR modelt die größte deutsche Fernsehproduktionsfirma um. Weiß wer in Europa Mastodon und das Fediverse zu schätzen?

Di 30.04.2024 12:01Uhr 04:59 min

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Kolumne: Das Altpapier am 30. April 2024 Turboglobalisierung

30. April 2024, 09:52 Uhr

Bei einem deutschen Privatsender-Konzern steigt heute ein europäischer Machtkampf. Der Finanzinvestor KKR modelt die größte deutsche Fernsehproduktionsfirma um. Weiß wer in Europa und Deutschland Mastodon und das Fediverse zu schätzen? Und die ARD weitet beim Sich-selber-Reformieren das Fernsehrezept Talkshow ins Inforadio aus. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Echt hörbare ÖRR-Reform

Wenn das nicht Rundfunkreform on air war: Gestern Abend nach den 20.00-Uhr-Nachrichten feierte die Radiosendung "Mitreden! Deutschland diskutiert" ihr Debüt. Nun lässt sie sich als äh ... 104-minütiges Radio-Video nonlinear nachhörsehen.

Die erste Ausgabe trug den Titel "Immer Ärger in der Ampel - wie viel Streit verträgt Demokratie?". Die Ankündigung vibrierte im ursprünglichen, inzwischen leicht variiertem Text nur so vor aktivierendem Empowerment ("Wie sehen Sie das? Sagen Sie Ihre Meinung!/ Ihre Meinung ist gefragt."). Okay, nach jeder Pizza-Bestellung ist auch jede Meinung gefragt, schon weil außer den Plattformkonzernen auch noch jede Menge Dienstleister solche Meinungsäußerungen zu monetarisieren verstehen (wohingegen man sich bei der ARD schon darauf verlassen kann, dass sie selbst mit solchen Nutzerdaten nichts anstellen will und kann...). Doch gut gemeint ist die Sendung – auch als offensichtliche (oder offen hörbare) Einspar-Bemühung, nämlich des Zusammenschaltens von Inforadio-Wellen. NDR, BR, HR, RBB und SWR sendeten in einem ihrer Radioprogramme gleichzeitig das gleiche (und der MDR hat angekündigt, sich später dazuzugesellen).

Auch wenn der erste Anrufer gleich ausdrücklich sagte, dass er nur sagen könne, was schon gesagt wurde (und sich dabei auf den ersten Fachbegriff des zugeschalteten Experten Albrecht von Lucke bezog, auf "Kakophonie"), die "neue Talk- und Diskussionssendung in der ARD" machte gestern Abend zumindest den Eindruck, noch nicht derart in Routinen erstarrt zu sein, wie die zahllosen Talk- und Diskussionssendungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Ob die Sendung sich als etwas anderes als ein Kakophonie-Verstärker, solange Maischberger und Lanz noch nicht auf Sendung sind (wobei Louis Klamroths "hart aber fair", das unter Kakophonie-Aspekten ja auch nicht zu verachten ist, parallel auf Sendung ging), etablieren kann, muss sich zeigen.

Es handelt sich nicht um die einzige Bemühung, ARD-Reformen jetzt endlich "hör- und sichtbar" machen zu wollen. Weitere "multimediale Kompetenzcenter" laufen an. Zu noch einer Bemühung, der gemeinsame Sendeabwicklung von MDR, NDR und RB (Altpapierkorb vom Freitag), die natürlich nicht mit der Abwicklung irgendeines Senders wie z.B. ARD-One verwechselt werden darf, kommentiert Helmut Hartung bei medienpolitik.net, dass die die ARD damit "von der Umsetzung der vernünftigen Empfehlungen" des Zukunftsrats "Lichtjahre entfernt" sei. Dass Hartung, der eher nicht zu den Befürwortern einer Beitragserhöhung zählt, im selben Zug den MDR lobt, verdient vielleicht auch Erwähnung:

"Dass es durchaus auch in der ARD anders geht, zeigt der MDR. Der Intendant Ralf Ludwig, hat den Mitarbeitern ein Sparprogramm vorgelegt, das ohne das übliche Lamento, dass durch Einsparungen der Programmauftrag gefährdet sei, Sendungen und Maßnahmen nannte, um in den nächsten vier Jahren die Kosten um mindestens 160 Millionen Euro zu reduzieren. Sonst wäre, so Insider, der Sender handlungsunfähig geworden."

Das sind Konfliktlinien, die sich seit Monaten kaum verschoben haben und sich vermutlich in den nächsten kaum weiter verschieben, bis das Verfassungsgericht kommt.

Echt spannende Hauptversammlung (P7S1)

Richtig spannend wird es an diesem Dienstag in Unterföhring bei München. Dort findet virtuell die Hauptversammlung der Privatsender-Aktiengesellschaft ProSiebenSat.1 statt. Auf der wird wohl ein "Machtkampf" eskalieren, schreiben sowohl dwdl.de in seiner Zusammenfassung als auch Volker Nünning, der für medieninsider.com (Abo) noch tiefer in die Details einstieg und die Zuspitzung für die Überschrift "Überlebenskampf" wählte.

Es kämpfen: der niederländische P7S1-Chef, Bert Habets, sein österreichischer Hoffnungsträger Markus Breitenecker, der italienische Berlusconi-Konzern MFE als relativ größter P7S1-Eigentümer, tschechische Investoren als zweitgrößte und womöglich allerhand Kleinaktionäre. Je mehr Kleinaktionäre mitstimmen, desto leichter dürfte es Habets, desto schwerer dürfte es MFE haben, die jeweiligen Ziele zu erreichen.

"Trotz der Tatsache, dass man sich beim eigentlichen Ziel (Fokus auf Unterhaltung, Verkauf von Beteiligungen) einig ist, ist man mittlerweile heillos zerstritten bei der Frage, wie man dieses Ziel erreicht",

fasst dwdl.de zusammen. Die Frage, die hinter der gelinden Aufregung um ProSiebenSat.1 steht, lautet ungefähr: Ist in Deutschland neben dem bestfinanzierten öffenlich-rechtlichen Rundfunk der Welt und dem immer noch großen Medienkonzern Bertelsmann mit seiner RTL-Gruppe überhaupt noch Platz für eine zweite Privatsendergruppe?

Als der 2011 verstorbene Medienmogul Leo Kirch sein gewaltiges Firmenimperium aufbaute, aus dessen Resten P7S1 ja entstand, war dem noch so. Inzwischen sind die Digitalisierung und Globalisierung gerade im Medienbereich so dynamisch fortgeschritten, dass außereuropäische Plattformen, Konzerne und sonstige Investoren keine linearen Sender und sonstigen Zwischenhändler mehr benötigen, um im recht reichen deutschen Medienmarkt mitzumischen.

Mio.- und Mrd.-Deals (KKR, DAZN, Sky)

Da verdient erstens eine wenig beachtete News Aufmerksamkeit. Es geht um den größten deutschen Fernseh-Produzenten und um die New Yorker Finanzinvestoren KKR, die im deutschen Medienbereich vor allem als Springer-Gesellschafter bekannt sind. Schöne Gewinne hatte KKR aber zum Beispiel 2021 auch durch einen kurzfristigen Wiederein- und Wiederwiederausstieg bei P7S1 gemacht (vgl. z.B. "Wiwo").

Außerdem kaufte KKR den traditionsreichen Nürnberger Fernseh-Einschaltquoten-Dienstleister GfK, benannte die "Gesellschaft für Konsumforschung" in "Growth for Knowledge" um, zerschlug sie dann weitgehend und gliederte die Reste in andere internationale Tochterfirmen ein. Passiert nun dasselbe mit der größten deutschen Produktionsfirmen-Gruppe für Fernsehen, Film usw., den vom Ex-Leo-Kirch-Gefährten Fred Kogel gegründeten Leonine Studios (Altpapier 2022)? Zwar schwärmt Leonine in einer länglichen Pressemitteilung vom "Zusammenschluss" zu einem "führenden unabhängigen Studio in Europa" mit einem "Umsatz von mehr als 1 Milliarde Euro". Doch dieser Zusammenschluss vollzieht sich dadurch, dass die KKR-dominierte, nominell deutsche Firma Leonine vollständig von der ebenfalls KKR-dominierten, nominell französischen Firma Mediawan übernommen wird ... Immerhin reimt deren hierzulande bisher wenig bekannter Namen sich ja ganz gut auf Medienwandel.

Um eher noch viel mehr Geld geht es beim noch schwerer durchschaubaren Streit um die Fußball-Bundesliga-Medienrechte. Auch der wird von zwei US-amerikanischen Investitionen getrieben und kann sich, kaum ausgebrochen, noch "über Jahre hinziehen" (dwdl.de).

Speziell um ein Rechtepaket, das ab 2025 Live-Übertragungsrechte vor allem am traditionellen Bundesliga-Spieletermin Samstagnachmittag umfasst, streiten sich das Streaming-Portal DAZN und Sky, das aus dem Unterföhringer Pay-TV Premiere entstand, aber inzwischen dem US-Konzern Comcast gehört. Die "FAZ" (Abo) schreibt heute:

"DAZN hat nach eigener Darstellung das höchste Angebot abgeben. Es soll für die gesamte Rechteperiode mindestens 320 Millionen Euro über dem zweitbesten – mutmaßlich dem des Pay-TV-Senders Sky – gelegen haben."

Und beim "Spiegel" (Abo) vermutet Sportredakteur Peter Ahrens, dass bei den Managern der deutschen Fußball-Seite Sentimentalität im Spiel war. DAZN übertrage zwar routiniert Champions League-Spiele, bei denen dieses Jahr deutsche Vereine bemerkenswert lange mitmischen, doch seine Bundesliga-Berichte kennzeichne "eine gewisse Blässe, eine Farblosigkeit". Man dürfe

"nicht unterschätzen, wie sehr die Kooperation zwischen DFL und Sky über die Jahre zusammengewachsen ist. Man kennt sich, man weiß, was man voneinander hat. Wenn DAZN Sky aus dem Bundesligasamstag herausgedrängt hätte, hätte das für die DFL bedeutet, einen bewährten Partner zu verlieren."

Ob womöglich das Kartellamt, wahrscheinlich Gerichte, womöglich am Ende jeweils europäische dafür Verständnis zeigen, das dürfte auf ganz andere Weise spannend werden als ein gutes Fußballspiel.

EU, OpenAI, Fediverse

Wer in diesem Altpapier noch gar nicht vorkam, obwohl es um mehrere ihrer klassischen Themenfelder ging: die gern kurz "Medienwächter" genannten Landesmedienstalten. Worum diese föderalistischen Behörden sich lange bemühten, Plattformkonzerne zu regulieren, wird "mittlerweile in Brüssel zentral erledigt", sagte der freie Brüssel-Korrespondent Eric Bonse in einem hörenswerten "@mediasres"-Audio. Da ging es um die noch neuen, teils weiterhin in Arbeit befindlichen Gesetze DSA, DMA und EMFA. Mit Bezug auf die ältere, eher dysfunktionale, aber halt weiter gültige Datenschutz-Grundverordnung DSGVO will der österreichische Datenschützer Max Schrems nun den ChatGPT-Anbieter OpenAI mit der EU bekannt machen. Schrems' Organisation NOYB hat über die österreichische Datenschutzbehörde eine Beschwerde gegen OpenAIs Datenverarbeitungspraktiken eingelegt, melden Agenturen (spiegel.de). Was auch zeigt, wie wichtig die EU medienpolitisch wird.

Zur Frage, ob europäische und deutsche Initiativen im Bereich digitaler Medien in Deutschland und Europa gewertschätzt werden, hat dann noch netzpolitik.org zwei schlechte Nachrichten. Da geht es um das Fediverse und Mastodon. Einerseits sorgten eine "etwas skurrile" Pressemitteilung des Europäischen Datenschutzbeauftragten, des Polen Wojciech Wiewiórowski, sowie eine "überraschende" Reaktion der EU-Kommission darauf für Verwirrung. Andererseits kommt eine harte Nachricht von einer Stelle, zu der ja auch immer echte Geldströme fließen, von den deutschen Finanzämtern:

"Deutschland macht mal wieder seinem Ruf als technologiefeindlicher und bürokratischer Technikstandort alle Ehre. Dieses Mal hat es mit der Mastodon gGmbH ein Projekt getroffen, das Motor für neue und gemeinwohlorientierte soziale Netzwerke im Fediverse ist. Dieser gemeinnützigen GmbH hat das Finanzamt die Gemeinnützigkeit aberkannt – woraufhin das Projekt jetzt eine gemeinnützige Organisation in den USA gegründet hat, um weiter steuerbefreit Spenden zu sammeln",

ärgert sich Markus Reuter ebenfalls bei netzpolitik.org. Da schwingt der alte, weiter berechtige netzpolitik.org-Ärger mit, dass zwar Modelleisenbahnbau als gemeinnützig anerkannt bleibt, dasselbe vielen neueren Innovationen und Kulturtechniken aber verwehrt wird. Und "die Schuld" nicht nur beim Finanzamt liege: "Gefragt ist auch die Politik – und genauer gesagt die Ampel-Koalition", die als Gesetzgeber ja auch die Steuergesetzgebung gestalten könnte.

Klar, Mastodon als völlig anderer, dezentraler und nichtkommerzieller Plattform-Ansatz ist über die gewisse Flughöhe, die es während des Niedergangs von Twitter/X gewann, nicht wesentlich hinausgekommen. Was außer an der vielfältigen, ebenfalls kleinteiligen Konkurrenz von Bluesky und Facebook/Metas Threads auch an der hohen Komplexität gerade des anderen Ansatzes liegt. Dass in der Politik, in der Medienberichterstattung und auch im (im Prinzip ja selber gemeinwohlorientierten) öffentlich-rechtlichen Rundfunk kaum jemand dieses Thema auch nur auf dem Zettel hat, bleibt dennoch ein Armutszeugnis.


Altpapierkorb ("Tagesschau"-Kritik, Peter Hahne, Grimme-Institut, Springer & Microsoft, Medienplattform Tesla)

+++ "Darum berichtete die 'Tagesschau' NICHT über die Kalifat-Islamisten": Da war die "Bild"-Zeitung zwar getrieben von ihrem Ex Julian Reichelt und dessen nius.de-Portal, hat in der Sache aber recht. Zumal ihr der NDR gestern mitteilte: "Heute wird die 'Tagesschau' in ihren Sendungen ausführlich über dieses Thema berichten, da sich mittlerweile eine bundesweite Debatte u.a. über ein härteres Vorgehen bei Straftaten auf Demonstrationen entwickelt hat". Immer erst, dann aber ausführlich zu berichten, wenn sich Bundesminister äußern, hilft sicher Bundesministern und allen, die noch mehr Belege für Regierungsnähe des ÖRR suchen, aber sonst niemandem. +++ In der besten deutschsprachigen Nachrichtensendung war die "Islamisten-Demo in Deutschland" gestern übrigens das Hauptthema, obwohl die "ZiB2" ja in Wien, weit weg von Hamburg (wo diese Demo stattfand und der NDR sitzt), produziert wird. +++

+++ In anderen Milieus sorgten der Auftritt von Peter Hahne, "einer der meinungsmächtigsten Autoren des Landes", als Gast der jüngsten Ausgabe der MDR-Talkshow "Riverboat", und wie Klaus Brinkbäumer (zuletzt in diesem Altpapier erwähnt) ihn befragte, für Verwunderung. [Ich konnte mir diese Sendung für diese Kolumne nicht mehr ansehen ...]. +++

+++ Im Grimme-Institut sorgt eine niedrige sechsstellige Summe – 100.000 Euro, die der Volkshochschul-Verband "spendiert" ("SZ"/Abo) – für Freude, meldet auch "epd medien" zur Grimme-Preis-Verleihung (Altpapierkorb gestern). +++

+++ "Unabhängiger Journalismus und eine florierende Medienlandschaft", hurra! Wenn Mathias Döpfner damit in der Springer-Pressemitteilung "Axel Springer und Microsoft erweitern Partnerschaft ...", u.a. im Bereich der Künstlichen Intelligenz, zitiert wird, ist freilich Skepsis angebracht. +++

+++ Weitere Skepsis erhielt und verdient offenbar auch der ZDF-"MrWissen2Go", dem die "FAZ" nun auch nachweist, "Fotos englischer Stallburschen" zu Hitlerjungen umfirmiert zu haben. +++

+++ Und die oben kurz erwähnten Medienwächter, die in allen wesentlichen Medien-Zukunfts-Fragen kaum mehr auftauchen, haben vielleicht doch einen dicken Fisch an der Angel. Ihre Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) hat "die In-Car-Entertainment-Systeme von Audi, BMW/ Mini und Tesla als Benutzeroberflächen eingestuft" und überdies den "Tesla Media Player" als "Medienplattform" eingeordnet. Vielleicht muss Elon Musk, auch wenn er sein Spielzeug X/Twitter nach Laune runterwirtschaften kann, sich da doch warm anziehen ... +++

Das nächste Altpapier wird am Donnerstag nach dem Tag der Arbeit Jenni Zylka schreiben.

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