Kolumne: Das Altpapier am 22. Mai 2024: Porträt der Altpapier-Autorin Johanna Bernklau 3 min
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Kolumne: Das Altpapier am 22. Mai 2024 Mehr Mut im Lokaljournalismus

22. Mai 2024, 10:43 Uhr

Mit der Lokaljournalismus-Krise ist es wie mit der Klimakrise: Erst wird sie nicht wahrgenommen, dann gibt es keine Investitionen in Lösungen. Warum wird immer noch geredet, anstatt zu handeln? Heute kommentiert Johanna Bernklau die Medienberichterstattung.

Porträt der Altpapier-Autorin Johanna Bernklau
Bildrechte: MEDIEN360G

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Die Lage des Lokaljournalismus – allseits (un)bekannt

Das Problem mit dem Sterben des Lokaljournalismus ähnelt dem des Klimawandels: Ein schleichender Prozess, der viele Jahre weitestgehend unbeachtet geblieben ist. Und jetzt, wo man es so langsam merkt, wird zu oft am Status quo festgehalten, anstatt neue, mutige Wege zu gehen.

Dabei ist die Lage doch nun wirklich allseits bekannt. "Schaut mal in die USA", heißt es oft. "Da gibt es sogar Regionen, in denen es überhaupt keine Lokalzeitung mehr gibt!" So weit ist es in Deutschland zwar noch nicht, sagt Medienwissenschaftler Christopher Buschow im Gespräch mit Nina Landhofer für den BR24-Medien-Podcast. Aber schon in vielen Kreisen in Deutschland gibt es nur noch eine Zeitung. Besonders schlecht ist die Lage im Osten. In Thüringen etwa:

"Dort ist eigentlich die wesentliche journalistische Landschaft durch 'Funke' und den Mitteldeutschen Rundfunk geprägt. […] Das ist eine Medienvielfalt, die als relativ überschaubar eingestuft werden muss."

Auch Nina Landhofer verweist in ihrem Podcast auf Studien aus den USA:

"Dort, wo keine lokalen Medien mehr vorhanden sind, da gibt es einen ziemlichen Anstieg von Korruption, Umweltkriminalität, Wirtschaftskriminalität und politischem Extremismus."

Sie fragt, was die vermehrten Einsparungen im Lokaljournalismus, die Entlassungen und Stellenkürzungen in einem "Mega-Wahljahr" wie diesem bedeuten.

Ich denke, an dieser Stelle sind wir wieder bereit für einen Klimawandel-Vergleich: Vor nicht allzu langer Zeit brauchte der Klimajournalismus heiße Sommertage, um über Klimawandel zu berichten. Der Medienjournalismus braucht hingegen offenbar immer noch ein Wahljahr, um den schlechten Zustand der lokalen Medien zu thematisieren.

Auch Politiker erinnern dann gerne an die wichtige Rolle, die Lokaljournalismus in unserer Demokratie spielt. Christian Lindner zum Beispiel (der laut meinem Altpapier-Kollegen René Martens gerade sowieso schon viel zu oft in den Medien vorkommt – sorry, René!).

Lindner etwa berief sich vergangene Woche auf einem Treffen des "Verbands Deutscher Lokalzeitungen und Lokalmedien" auf eine baden-württembergische Studie des Journalisten Maxim Flößer, bei der festgestellt wurde: Gibt es in Regionen einen entwickelten Lokaljournalismus, seien dort die Wahlanteile von Rechtspopulisten geringer.

Und auch Medienstaatsministerin Claudia Roth sagte der Wochenzeitung "Kontext": "Davon [von Lokaljournalismus] brauchen wir mehr und nicht weniger."

Doch statt zum Beispiel durch Steuerentlastungen ihren Teil zur Lösung beizutragen, fragen sich die verantwortlichen Politiker anscheinend seit April vergangenen Jahres, wer in der Bundesregierung denn eigentlich für eine Förderung der Presse zuständig sei (zeit.de).

Wie geht lokaler Nachwuchs?

Währenddessen fragen sich die Praktiker, wo sie denn eigentlich den journalistischen Nachwuchs für ihre Lokalmedien herbekommen sollen. So auch Katja Bauroth, Redaktionsleiterin der Schwetzinger Nachrichten. Sie sagt im oben erwähnten BR-Podcast:

"Junge Menschen, die im Lokaljournalismus arbeiten möchten, die fallen leider nicht wirklich vom Himmel. Ich hoffe darauf, dass mehr Menschen erkennen, wie geil Lokaljournalismus ist."

Anfang April lud die Bundeszentrale für politische Bildung zum 26. Mal zum "Forum Lokaljournalismus" ein – einem Kongress, an dem Lokalchefs (gendern ist hier kaum notwendig) aus ganz Deutschland zusammenkommen und über aktuelle Themen im Lokaljournalismus sprechen.

Ich war dort eingeladen, um mit zwei anderen Studienkollegen eine Einschätzung zur Zukunft des Lokaljournalismus aus der Perspektive junger Journalisten zu geben.

Wir wurden gefragt, ob sich einer von uns denn vorstellen könne, später im Lokaljournalismus zu arbeiten. Vor nicht allzu langer Zeit hätte ich diese Frage ziemlich sicher mit "nein" beantwortet. Zu beeindruckt war ich von den Themen, dem Budget und den Möglichkeiten im überregionalen Journalismus.

Dort musste man niemanden davon überzeugen, dass der Artikel vielleicht zuerst online veröffentlicht werden sollte. Dass Print-Überschriften keine Online-Überschriften sind. Dass es nett wäre, einen Arbeitslaptop zu haben, um auch mal im Homeoffice arbeiten zu können.

Selbstverständlichkeiten, die noch nicht überall im Lokaljournalismus selbstverständlich sind. Um junge Nachwuchsjournalisten anzusprechen, müssen sie es aber sein. Und dafür wiederum muss Lokaljournalismus mutig sein. Er muss mutig genug sein, Ressourcen in digitale Innovationen zu stecken, dabei vielleicht die Tageszeitung zu einer Wochenzeitung werden zu lassen, Themen hintergründiger und nicht Termin-orientiert zu denken. Das alles gibt es auch schon. Zum Beispiel bei meinem Altpapier-Kollegen Ralf Heimann in Münster mit "Rums". Deswegen lautet mittlerweile meine Antwort auf die Frage, ob ich mal im Lokaljournalismus arbeiten möchte: Vielleicht. Wenn es ein mutiges Lokalmedium ist.

Wo sind die Innovationen?

Dass Lokaljournalismus mutiger werden soll, sagt auch Katja Bauroth von den Schwetzinger Nachrichten.

Sie schlägt vor, dass Lokaljournalismus verstärkt Kooperationen eingehen soll, zum Beispiel mit Anbietern wie Magenta TV oder Disney+, deren Abos man dann kombiniert mit einem Abo der Lokalzeitung abschließen kann. Medienwissenschaftler Christopher Buschow von der Hamburg Media School hält das für einen guten Ansatz und spricht sich im BR-Podcast stark für Investitionen im Lokaljournalismus aus:

"Konsolidieren, Stellenabbau, Budgetkürzungen – das sind jetzt im Journalismus die völlig falschen Zeichen und die völlig falschen strategischen Pfade. Es muss ja jetzt gerade in dieser fundamentalen Transformationssituation darum gehen, eben das Neue in die Welt zu bringen. Das heißt, zu investieren: Neue Formate, neue Produkte, neue Geschäftsmodelle […]. Das wird nur gehen, wenn man jetzt Geld in die Hand nimmt, solange es auch noch da ist." 

Es scheint derzeit allerdings so, als hätten Lokalmedien vor allem eine Lieblingsinnovation, für die sie bereit sind, Geld auszugeben: Künstliche Intelligenz. Sowohl beim "Forum Lokaljournalismus" als auch bei den Medientagen Mitteldeutschland diskutierte man vor allem über Lokaljournalismus und KI. Selbstverständlich bietet KI tolle Möglichkeiten, den (lokalen) Journalismus zu verbessern und anders zu gestalten. Darüber muss geredet werden.

Aber ich glaube, es ist zu einfach gedacht: Nur, weil man in künstliche Intelligenz investiert, investiert man nicht automatisch in ein cleveres Geschäftsmodell, das die Zukunft des Lokaljournalismus sichert.

Freche Frage: Ist es bequemer, in neue Technologien zu investieren, als sich mal die grundlegende Frage zu stellen, ob der Journalismus, den man seit x Jahren für die Printzeitung und die Omas und Opas produziert, noch der richtige ist? 

Oder auch: Ist es bequemer, auf eine Zustellförderung zu hoffen, die laut Finanzminister Lindner "höchstens eine Strukturhilfe im Bereich ländlicher Raum mit dünner Besiedelung" sein könne und zeitlich begrenzt sein müsste, wie kress berichtet. Das wäre höchstens ein kleines Pflaster auf einer großen Wunde.

Ich bin der Meinung, dass Lokaljournalismus von Grund auf neu gedacht werden muss. Und dafür braucht es Mut – von neuen Playern auf dem lokalen Medienmarkt und von traditionellen Verlagen, die ihre Sperrigkeit überwinden müssen.


Altpapierkorb (Schumacher-"Interview”, Associated Press, Gen Z in ARD/ZDF, "Stern"-Preis, Assange)

+++ Vor etwa einem Jahr veröffentlichte die "Funke"-Zeitschrift "die aktuelle" ein gefälschtes Interview mit Michael Schumacher, das von einer KI erstellt wurde. Bereits letztes Jahr hatte diese Aktion Konsequenzen: Eine Rüge vom Presserat und die Kündigung der zuständigen Chefredakteurin (Altpapier). Jetzt gibt es neue Informationen in dem Fall: Boris Rosenkranz schreibt in zwei Artikeln für "Übermedien", dass "Funke" nun 200.000 Euro Schmerzensgeld an Schumachers Familie zahlen muss und die Kündigung der Chefredakteurin für nicht rechtswirksam erklärt wurde.

+++ Der Nachrichtenorganisation Associated Press (AP) wurden am Dienstag laut eigenen Angaben Kamera und Sendeausrüstung von israelischen Beamten abgenommen. Damit hatte AP Bilder vom Gazastreifen live übertragen. Die Begründung für die Beschlagnahmung: AP verstoße gegen ein neues Mediengesetz, da sie die Bilder dem arabischen Nachrichtensender Al Jazeera bereitstellt.

+++ "Generation TikTok kann immer noch lesen" lautet der Titel eines Kommentars bei "der Freitag". Darin beschwert sich der Autor (der selbst der Gen Z angehört), dass die jungen Angebote von ARD und ZDF Menschen wie ihn vermehrt für dumm verkaufen und keine ausführlichen Informationen ohne hineingestreute Unterhaltungsschnipsel zutrauen würden. Obwohl ich das in dieser Härte nicht unterschreiben würde, sehe ich sein Problem durchaus: Wir, die jungen Leute, wollen mehr als "soft news" auf Instagram sehen. Und wer glaubt, unsere Aufmerksamkeitsspanne ist die von einem "halben Reel", der schaue in die aktuellste ARD/ZDF-Onlinestudie: 2023 haben 14-29-Jährige im Schnitt allein 17 Minuten Podcasts pro Tag gehört – das sind 30 bis 100 Reels!

+++ Die Nominierungen für den "Stern"-Preis stehen fest. Darunter sind – wenig überraschend – unter anderem die Recherchen zu Hubert Aiwanger und Till Lindemann.

+++ Wahrscheinlich ist diese Meldung sowieso an keinem vorbeigegangen, hier aber trotzdem zu Vollständigkeit: Im Fall Julian Assange gab es am Montag ein neues Gerichtsurteil. Assange darf nun noch einmal in Berufung gegen die ihm drohende Auslieferung in die USA gehen. 

Das Altpapier am Donnerstag schreibt Ralf Heimann.

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