Kolumne: Das Altpapier am 20. Juni 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Ralf Heimann. 5 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G
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Der RBB-Abschlussbericht zeigt, was passiert, wenn Führung und Kontrollinstanz ein zu großes gemeinsames Interesse haben. Aber wie soll man das ändern? Hier wäre ein gemeinsames Ziel gut.

Do 20.06.2024 12:13Uhr 04:53 min

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Kolumne: Das Altpapier am 20. Juni 2024 Kleine mächtige Könige

20. Juni 2024, 11:05 Uhr

Der RBB-Abschlussbericht zeigt, was passiert, wenn Führung und Kontrollinstanz ein zu großes gemeinsames Interesse haben. Aber wie soll man das ändern? Hier wäre ein gemeinsames Ziel gut. Heute kommentiert Ralf Heimann die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier Autoren Ralf Heimann
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Warum fehlten Zweifel?

Seit dieser Woche kann man den über tausend Seiten langen Abschlussbericht zu den Missständen beim Rundfunk Berlin Brandenburg aka Schlesinger-Affäre herunterladen (Altpapier) – wenn man ihn findet. Suchen muss man dazu in der Parlamentsdokumentation des Brandenburger Landtags, Suchwort: Drucksache 7/9778.

Wenn Medien über Studien, Untersuchungen oder Berichte schreiben, kommen weiterhin die wenigsten auf die Idee, den Gegenstand des Textes zu verlinken.

Möglicherweise, weil man denkt: Unser Artikel ist so gut, da braucht ihr das Originaldokument eh nicht mehr. Möglicherweise, weil man die Sorge hat, die Leute könnten sich dann auf der anderen Seite festlesen, und das wäre blöd für die Werbekundschaft. Es wäre jedenfalls gar nicht zu schwer, ihnen die Möglichkeit zu geben, sich selbst einen Eindruck zu machen. Vorausgesetzt, man ist mit der Technik vertraut (STRG+K). Hier ist der Bericht.

Und was machen wir jetzt damit? Ihn zu lesen, ist nur dann ratsam, wenn man wirklich wissen möchte, warum bei einem öffentlich-rechtlichen Sender so viel drunter und drüber gehen konnte wie unter Patricia Schlesinger. Unterhaltsam ist der Bericht nicht, und das liegt nur zum Teil daran, dass zwischendurch immer wieder größere Teile geschwärzt sind.

Claudia Tieschky schreibt auf der SZ-Medienseite:

"Die einzige amüsante Passage in dem sensationell genauen 1026-Seiten-Bericht des Brandenburger Untersuchungsausschusses zum RBB steht auf Seite 725. Dort schildert der Zeuge Christoph Weiser, Präsident des Landesrechnungshofes Brandenburg, wie er gemeinsam mit der Präsidentin des Rechnungshofes von Berlin im April 2022 auf Wunsch des RBB mit der damaligen Intendantin Patricia Schlesinger zusammentraf. Anwesend war dabei dann überraschenderweise auch gleich die Führungsriege des RBB. Die Leute vom Sender wollten den Rechnungshof-Chefs ihr geplantes Digitales Medienhaus(DMH) schmackhaft machen.“

Falls Sie mit der Sache nicht ganz so vertraut sind: Das Digitale Medienhaus sollte Patricia Schlesingers großes Ding werden. Die erste Kostenprognose war: ungefähr 80 Millionen Euro. Irgendwann war man bei über 300 Millionen.

Bei Weisers Besuch lag man noch irgendwo dazwischen. Auf die Frage, ob bei seinem Besuch denn deutlich geworden sei, dass die Kosten für das Digitale Medienhaus gestiegen seien, sagt Weiser:

"Nein. Ich habe aber gefragt im Hinblick darauf, dass wir natürlich Erfahrungen hatten über unsere Prüfung des Flughafens Berlin-Brandenburg. Da wurde mir dann klar: Mensch, warum lädt Frau Schlesinger uns ein und präsentiert uns das da? Da habe ich gedacht, das könnte natürlich… Das war eine Ahnung, die ich jetzt nur schildere, wie ich sie damals hatte.“

"Organisierte Verantwortungslosigkeit”

Weiser hatte Zweifel. Und schon das kam beim RBB dem Bericht nach nur selten vor. Der Rechnungshof beschloss, sich das ganze Projekt noch mal etwas genauer anzusehen. Das war der Anfang vom Ende des Digitalen Medienhauses. Oder wie es im Bericht heißt:

"Mit seinem Versuch, die Rechnungshöfe für das Projekt (…) zu vereinnahmen, ist der rbb gescheitert. Er hat damit das Gegenteil bewirkt.“

Weiter heißt es:

"Der RBB ist auch deshalb am Digitalen Medienhaus gescheitert, weil seine Führungskräfte irrig davon ausgingen, dass die Funktionslogik außerhalb der Rundfunkanstalt dieselbe sei wie im RBB.“

Und schließlich:

"Anders als die internen Kontrollinstanzen und -mechanismen entzogen sich die externen dem Einfluss der organisierten Verantwortungslosigkeit des RBB.“

Man vertraute also offenbar darauf, dass sich anderswo alles ebenso auf der Beziehungsebene lösen ließ wie im Sender.

Die Formulierung "organisierte Verantwortungslosigkeit" beschreibt diesen Zustand hervorragend. Sie stand bereits gestern als Überschrift über einem Text auf der SZ-Medienseite, in dem Jan Heidtmann erklärt, die wichtigsten Gremien der Sender hätten sich immer wieder hinter der Allmacht der Intendantin versteckt. Der Bericht nennt es die "Selbstmarginalisierung des Verwaltungsrats“. Das ist auch die Überschrift eines Unterkapitels im Abschnitt zur Entwicklung der Kosten des Digitalen Medienhauses.

Claudia Tieschky beschreibt es so:

"Man kann den Befund des Untersuchungsausschusses zum Zustand der damals realen Kontrolle so zusammenfassen: Niemand in der Geschäftsführung des RBB, niemand in dem für die Finanzkontrolle zuständigen Verwaltungsrat oder an der Spitze des Rundfunkrats hatte den Instinkt des Rechnungshof-Chefs Weiser.“

Das Verhältnis der Kontrollgremien zur Intendanz erinnert an das von Claas Relotius zu den "Spiegel“-Dokumentaren. Dort war die Grundkonstellation eine andere, die Hierarchie hatte keine so große Bedeutung. Aber auch dort gelang es, ein professionelles Misstrauen auf irgendeine Weise außer Kraft zu setzen. Und auch dort umgab den, der sich der Kontrolle entzog, eine Art Nimbus.

Kaiser ohne Kleider

Tieschky sieht den Grund beim RBB dafür in der Ausgestaltung der öffentlich-rechtlichen Selbstkontrolle. Die ehrenamtlichen Gremien seien gar nicht zur Kontrolle geeignet, schreibt sie.

"Da hilft auch der neueste lächerliche Versuch nicht, den Rundfunkrätinnen und -räten schulmeisterlich beizubringen, was Programmqualität bedeutet (das wissen die nämlich schon) – oder für die Verwaltungsräte spezielle Qualifikationen festzuschreiben.“

Patricia Schlesinger sei keine schlechte Programmmacherin gewesen, dem Verwaltungsratschef Wolf-Dieter Wolf habe es nicht an kaufmännischem Sachverstand gefehlt.

"Allerdings konnten sie offenbar weitgehend machen, was sie wollten, wie kleine mächtige Könige.“

Erst der Rechnungshof-Chef sei offenbar frei genug gewesen, sich seine Gedanken zu machen und zu handeln. Man muss unmittelbar an Kaiser denken, Kaiser ohne Kleider – und dann kommt einer daher, der einfach ausspricht, dass sie nackt sind.

Das ist die direkte Verbindungslinie zur ARD-Reformdebatte. "Skepsis und knallharter Widerstand"seien im Konstrukt der Selbstkontrolle "psychologisch und konstitutionell unwahrscheinlich“. Es fehle an einer Widerstandskultur.

Tieschky:

"Ein Sender in der gegenwärtigen ARD einschließlich seiner Aufsicht ist in Wirklichkeit eher ein gemeinsames politisches Gebilde.“

Die verbindenden Elemente sind also stärker als jene, die die Bereitschaft begünstigen würden, sich auf einen Konflikt einzulassen.

Das alles sind gute Argumente für die Vorschläge des Zukunftsrates, eine zentrale, misstrauische und unabhängige Aufsicht über die ARD zu installieren, um das in diesem Kontext toxische Wir-Gefühl zwischen Führung und Kontrollinstanz außer Kraft zu setzen – um Kontrolle also überhaupt erst möglich zu machen.

Klingt plausibel. Aber um die Schwierigkeit noch einmal zu verdeutlichen: Um diesen Zustand zu verändern, müssen 16 Länderparlamente sich darin einig werden, dass die neun Landessender, also auch die eigenen, sich von einer Instanz kontrollieren lassen, die keine Standortinteressen kennt. Entscheiden Sie selbst, für wie wahrscheinlich Sie das halten.

Wie groß das Kontrolldefizit zurzeit ist, macht MDR-Rundfunkrat Heiko Hilker in seinem Newsletter mit einer kurzen Anmerkung deutlich. Er schreibt:

"Allein die Kosten der Erstsendeminuten lagen für das Erste in 2022 bei über 1,7 Mrd. Euro. Das sind ca. 25 Prozent der Ausgaben der ARD. Bisher gibt es kein Gremium, das diese Summe insgesamt kontrolliert.“

RBB behinderte die Aufklärung

Petra Budke, die grüne Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, vermittelt im Interview mit dem Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres"einen Eindruck davon, wie groß der Wunsch der Sender ist, noch besser kontrolliert zu werden. Wobei es hier natürlich exemplarisch um den RBB geht. Auf die Frage, wie denn die Zusammenarbeit mit dem Sender gelaufen sei, sagt sie:

"Wir hätten uns deutlich besser gewünscht. Wir haben ja auch beim RBB entsprechende Dokumente und Akten angefordert. Es gab ja den Compliance-Bericht des RBB, der teilweise auch durch die Kanzlei ’Lutz Abel‘ erstellt wurde. Den bekamen wir nur verzögert, dann geschwärzt. Wir mussten also tatsächlich auch juristische Schritte einleiten, um die entsprechenden Unterlagen zu bekommen. Wir warten immer noch auf Unterlagen, beispielsweise beim Compliance-Bericht, und da hätten wir uns mehr Bereitschaft des RBB gewünscht, an der Aufklärung, an Transparenz, eben da auch einen Beitrag zu leisten.“

Bei der Gelegenheit erklärt sie auch noch einmal die Formulierung organisierte Verantwortlichkeit. Bei der Vernehmung der 34 Zeugen im Landtag sei deutlich geworden, dass oft nicht ganz klar gewesen sei, wer tatsächlich für ein Projekt wie das Digitale Medienhaus zuständig war.

Ungefähr so muss es auch beim Bonussystem gewesen sein. Man hat es gemacht, ohne zu wissen, wer die Verantwortung trägt.

Ein wesentlicher Grund für die Unklarheit sei die Intendanten-Verfassung gewesen, sagt Budke. Über viele Dinge habe Patricia Schlesinger alleine entschieden. Ihre Schlussfolgerung: Der Verwaltungsrat müsse gestärkt und professionalisiert werden. Da sind wir allerdings wieder beim oben beschriebenen Problem.

Die Frage, ob nicht auch das Land Brandenburg genauer hinschauen hätte müssen, verneint Petra Budke, allerdings mit Einschränkungen.

"Explizit hat die Landesregierung keine Fachaufsicht, sondern lediglich eine Rechtsaufsicht, weil die Staatsferne und die Rundfunkfreiheit immer gewährleistet sein muss. Die Rechtsaufsicht des Landes Brandenburg hat ihren Job gemacht, wir können aber rückblickend feststellen, es wäre besser gewesen, sie hätte an allen Sitzungen teilgenommen, sie hätte immer alle Einladungen, Sitzungsunterlagen und Protokolle bekommen, um eben gewissenhafter dieser Aufgabe nachzugehen.“

Vielleicht hätte die Landesregierung also schon genauer hinsehen müssen. Heute wird der Landtag sich noch einmal mit dem Bericht beschäftigen. Oder wie Michael Hanfeld am Dienstag schrieb:

"Der RBB beschäftigt uns in jedem Fall weiter.


Altpapierkorb (Artjom Kriger, Buhrow-Nachfolge, Sommermärchen, Chatkontrolle, EU-Bericht hängt, Tiktok hat wieder Ärger, Susanne Pfab)

+++ In Russland ist wieder ein Journalist festgenommen worden. Artjom Kriger, Videoreporter für das auf Repression spezialisierte Medium "Sotavision“, sitzt in Untersuchungshaft, weil er an einer "extremistischen Organisation"des in Haft gestorbenen Oppositionsführers Alexej Nawalny beteiligt sein soll, berichtet Friedrich Schmidt auf der FAZ-Medienseite. Der Vorwurf ist gängig, wenn es darum geht, Kritiker aus dem Weg zu räumen. Kriger ist mindestens der dritte Journalist, der in den letzten Monaten unter ähnlichen Vorwürfen inhaftiert wurde.

+++ Götz Hamann und Johanna Jürgens berichten in der "Zeit" über die Suche nach einem Nachfolger für Tom Buhrow als WDR-Intendant, bei der laut dem Bericht auch der Landesjagdverband, der Mieterbund und der Verband kinderreicher Familien mitentscheidet. Zur Erinnerung: Im Rennen sind Helge Fuhst, den man unter anderem als "Tagesthemen“-Moderator kennt, Katrin Vernau, die ein Gastspiel als RBB-Interims-Intendantin hatte, WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn und Elmar Theveßen, der das ZDF-Washington-Büro leitet, aber laut Hamann und Jürgens nur Außenseiterchancen hat.

[Korrekturhinweis: In einer früheren Version stand hier, Elmar Theveßen leite das Washington-Büro des Senders, also des WDR. Tatsächlich leitet er das ZDF-Büro. Wir haben das korrigiert.]

+++ Ex-Altpapier-Autor Matthias Dell kritisiert in einem Kommentar für "Übermedien"die Darstellung der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland als "Sommermärchen 2.0"– speziell in der ARD-Dokumentation "Deutschland. Fußball. Sommermärchen 2024?"(Altpapier). "Alles, was diesem Land nicht misslingt, wird zum Wunder (…) oder zum Märchen erklärt“, schreibt Dell. Solche Darstellungen ignorierten negative Aspekte des Hypes wie Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit, die nach 2006 nachweislich zugenommen hätten.

+++ Deutschland wird heute gegen den aktuellen Vorschlag zur Chatkontrolle in der Europäischen Union stimmen, da die Bundesregierung die anlasslose Kontrolle verschlüsselter Kommunikation ablehnt, schreibt André Meister für "netzpolitik.org"(Altpapier). Mehrere EU-Staaten kritisieren den Vorschlag ebenfalls oder lehnen ihn ab. Dennoch hofft die belgische Ratspräsidentschaft auf ausreichende Zustimmung, um eine politische Einigung zu verkünden. Eine formale Abstimmung wird vermutlich nicht stattfinden, aber eine Sperrminorität könnte den Entwurf blockieren. Kommt der Entwurf durch, beginnen im Herbst Verhandlungen zwischen Rat, Parlament und Kommission über den endgültigen Gesetzestext.

+++ Nach einem Bericht des Magazins "Politico"deutet einiges darauf hin, dass die Vorstellung des jährlichen Rechtsstaatlichkeitsberichts der Europäischen Union sich aus politischen Gründen verzögert, berichtet Matthias Rüb auf der FAZ-Medienseite. Vermutet wird laut Rüb, dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Bericht zurückhält, weil er kritische Bemerkungen zur Medienfreiheit in Italien enthält – und von der Leyen braucht die Stimmen aus Italien für ihre Wiederwahl. Die offizielle Version ist: Die Verzögerung hat organisatorische Gründe.

+++ Die US-Handelsbehörde FTC hat Tiktok wegen Verstößen gegen den Datenschutz bei Kindern angeklagt und das Justizministerium eingeschaltet, berichtet dpa, hier zu lesen bei der taz. Tiktok wird vorgeworfen, Daten von Kindern ohne elterliche Zustimmung gesammelt zu haben. Die konkreten Vorwürfe bleiben unklar, aber die FTC betonte die Bedeutung der öffentlichen Bekanntmachung des Falls. Tiktok bestreitet die Vorwürfe, betont, dass viele davon auf vergangene Praktiken zurückgehen und teilweise bereits behoben wurden.

+++ Die ARD verlängert den Vertrag von Generalsekretärin Susanne Pfab nur um zwei statt der üblichen fünf Jahre, berichtet Uwe Mantel für DWDL. Grund: unklare Reformpläne und die aktuelle Diskussion über Struktur und Einsparungen innerhalb der ARD.

Das Altpapier am Freitag schreibt Klaus Raab.

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