Kolumne: Das Altpapier am 17. Juli 2024: Porträt des Altpapier-Autoren René Martens 5 min
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Kolumne: Das Altpapier am 17. Juli 2024 Kampf um die autoritäre Diskurshegemonie

17. Juli 2024, 12:12 Uhr

Das Bundesinnenministerium verbietet das Magazin "Compact" mit einer Begründung, die eher noch untertrieben klingt. Der TikTok-Suchvorschlags-Algorithmus empfiehlt die AfD unverhältnismäßig oft. Heute kommentiert René Martens die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren René Martens
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Wird "Compact" der AfD fehlen?

Die Unternehmen des Bahnhofs- und Flughafenbuchhandels sind bisher nicht als politische Vorreiter aufgefallen. Seit Dienstag können sie diese Rolle aber durchaus für sich in Anspruch nehmen. Im Februar verbannten drei von ihnen das rechtsextremistische Magazin "Compact" aus ihren Filialen. Begründung (siehe Altpapier):

"Wir wollen (…) denjenigen, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung Deutschlands – und damit auch die Presse- und Meinungsfreiheit – verächtlich machen und darauf abzielen, sie zu überwinden, keine Plattform bieten."

Nun hat das Bundesinnenministerium mit seinem Besteck auf das Wirken des Magazins reagiert. Unter anderem, weil "Compact" "offensiv den Sturz der politischen Ordnung" propagiere, hat die Behörde nun das Magazin und den Youtube-Kanal "Compact TV" verboten.

Welche Inhalte vertrat "Compact" zuletzt konkret? Felix Huesmann (RND) schreibt:

"'Deutschland am Ende: Rette sich, wer kann!', war vor wenigen Tagen eine Ausgabe des täglichen 'Compact'-Newsletters übertitelt. Der Inhalt, grob zusammengefasst: Deutschland säuft ab, nur die 'Asylmigranten' werden 'rundumversorgt'. Um sich zu schützen, sei Bewaffnung notwendig, geht die 'Compact'-Erzählung sodann weiter. Das Magazin bewirbt schon seit Wochen einen 'Ratgeber' aus dem rechten Kopp-Verlag: 'Freie Waffen für den Eigenschutz' – vorgestellt werden darin unter anderem Armbrüste, Teleskopschlagstöcke und andere frei verkäufliche, aber teilweise tödliche Waffen."

Michael Hanfeld schreibt in der FAZ über die "Compact"-Ausrichtung:

"Demokratisch gewählte Politiker werden delegitimiert und als Faschisten hingestellt, die Legitimität von Institutionen wird negiert, es geht um die Mär vom 'tiefen Staat', die Bewunderung für Autokraten ist grenzenlos, angefangen bei Viktor Orbán bis hin zu Wladimir Putin, dessen Propaganda 'Compact' so originalgetreu verabreicht, dass man das Programm für die deutsche Ausgabe von 'Russia today' halten könnte."

Muss man eigentlich noch was über das Gesicht von "Compact" erzählen? Aber hallo! Dachte sich zum Beispiel der "Spiegel". Und die SZ überschreibt ein Jürgen-Elsässer-Porträt mit "Der Medienmogul der Neuen Rechten". Mag sein, dass "Medienmogul" ein dehnbarer Begriff ist. Aber der hier erweckte Eindruck, Elsässer wäre so eine Art Rupert Murdoch von ganz weit rechts, führt - was die Macht und den Reichtum des Porträtierten angeht - in die Irre.

Was lieferte "Compact" jenseits der Hetze im sehr weiten Sinne in journalistischen Produkten? Dazu Antonie Rietzschel im RND-Newsletter "Demokratie-Radar":

"Das 'Compact'-Magazin agierte zuletzt längst nicht mehr nur als Verlag: Jürgen Elsässer organisierte besonders in Ostdeutschland Demonstrationen, etwa unter dem Motto 'Ami go Home'. Vor den Landtagswahlen unterstützte das 'Compact'-Magazin die AfD mit der Kampagne 'Blaue Welle', die Partei selbst nahm Abstand davon."

Und noch einmal Michael Hanfeld:

"Für die AfD bedeutet das Verbot auch einen Rückschlag im Wahlkampf in Brandenburg. Dort hatte die AfD 'Compact' für eine Bühne, die im Wahlkampf 17-mal aufgebaut werden sollte, einen sechsstelligen Betrag zukommen lassen."

Es ist "das Magazin, das der AfD fehlen wird", steht unter anderem deshalb über einem weiteren FAZ-Artikel. In dem Beitrag sind Reaktionen aus der Partei gesammelt (unter anderem in einem Artikel der taz ebenfalls). Ich bin mir nicht sicher, ob die Headline "Das Magazin, das der AfD fehlen wird" geglückt ist. Warum? Weil ich angesichts dessen, dass die Partei mit ihren Themen und Positionen längst den medialen Diskurs bestimmt, nicht einschätzen kann, inwieweit sie noch auf Radau-Rechtsextremismus à la "Compact" angewiesen ist.

Wie ist das Verbot rechtlich einzuordnen? In der taz spielt Christian Rath Frage-und-Antwort-Pingpong mit sich selbst:

"Wie kann das Compact-Magazin als 'Verein' verboten werden? - Das Vereinsgesetz gilt nicht nur für eingetragene Vereine, sondern für alle Personenzusammenschlüsse, auch für Unternehmen wie die Compact Magazin GmbH."

Die Sache mit dem Vereinsrecht sieht der Jurist David Werdermann, Projektkoordinator bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), kritisch. In einem Thread schreibt er:

"Das Innenministerium missbraucht das Vereinsgesetz, um eine Zeitung zu verbieten. Presserecht fällt in die Kompetenz der Länder. Die Pressegesetze kennen aber keine Grundlage für das Verbot ganzer Zeitungen."

Werdermanns Prognose lautet:

"Das Verbot ist wahrscheinlich rechtswidrig."

Die These, dass das Verbot vielleicht nicht einmal gut ist, kursiert auch. Darauf geht Anton Rainer für den "Spiegel" ein. Mit bewundernswerter Bierruhe konzediert er:

"Es ist gut, dass dieses Unbehagen formuliert wird, es ist Ausweis einer selbstbewussten Presse."

Aber:

"Die Argumente (gehen) am Ziel vorbei. Muss ein wehrhafter Rechtsstaat ein Magazin wie 'Compact' aushalten? Das Gegenteil ist richtig: Ein Magazin wie 'Compact' muss den Rechtsstaat aushalten. Zumindest, wenn es denselben Schutz genießen will wie andere Presseerzeugnisse. Dass Jürgen Elsässer und seinem Team aus ehemaligen NPD-Politikern, Rechtsextremisten und Identitären daran wenig gelegen ist, haben sie in der Vergangenheit immer wieder bewiesen. Faeser begründete ihr Verbot damit, dass 'Compact' auf unsägliche Weise 'gegen Jüdinnen und Juden, gegen Menschen mit Migrationsgeschichte und gegen unsere parlamentarische Demokratie' hetze. Aber selbst das ist noch untertrieben. In 'Compact' sind die übelsten antisemitischen Verschwörungsmythen publizistischer Alltag."

Anton Rainers Fazit:

"Antisemiten haben kein Recht auf Pressefreiheit"

Tiktoks schlechte Balance

Die Diskussion darüber, warum und inwieweit die AfD von Tiktok profitiert, wird nun durch eine Studie der Nonprofit-Organisationen AI Forensics and Interface bereichert. wired.com schreibt zu den Ergebnissen:

"The researchers say that their findings prove no active collaboration between TikTok and far-right parties like the AfD but that the platform's structure gives bad actors an opportunity to flourish."

Aber, so Miazia Schüler von AI Forensics:

"TikTok's built-in features such as the 'Others Searched For' suggestions provides a poorly moderated space where the far-right, especially the AfD, is able to take advantage."

netzpolitik.org berichtet ebenfalls. Martin Schwarzbach schreibt dort:

"Die Studie attestiert (…) dem TikTok-Suchvorschlagsalgorithmus, die AfD unverhältnismäßig oft zu empfehlen. Suchempfehlungen unter Suchen nach Namen und Politikern anderer Parteien wiesen überproportional oft zu Inhalten der AfD."

Wer nach "AfD" sucht, bekommt dagegen keine Suchempfehlungen zu anderen Parteien. Bemerkenswert auch:

"Die Ergebnisseiten der Suchen nach BSW und FDP werden, wie die der AfD, nicht von weiterführenden Suchvorschlägen unterbrochen."

Schwarzbach dazu:

"Es scheint, als stärke TikTok damit die krawalligen Meinungen."

Miazia Schüler von AI Forensics konstatiert schließlich, es gebe bei Tiktok "eine grundlegend schlecht ausbalancierte Repräsentation der deutschen Parteien". Was natürlich die Frage aufwirft: Wo gibt es die nicht?

Die Mittelfinger nach den Schüssen

Positiv aus der deutschen Berichterstattung über die USA sticht derzeit Mark Schieritz von der "Zeit" heraus - vor einer Woche etwa mit diesem Text. Und aktuell mit einem unter der Überschrift "Wer soll sich hier mäßigen?" Schieritz schreibt:

"Nach dem Attentat auf Donald Trump (das durch nichts zu rechtfertigen ist) findet gerade eine eigenartige Diskursverschiebung statt. In der FAZ war zu lesen, 'beide Seiten' hätten den politischen Gegner als Feind dargestellt und müssten deshalb in sich gehen (…) Der (Republikaner) Tim Scott aus South Carolina meinte, die 'radikale Linke' und die 'etablierten Medien' hätten den Attentäter 'angestiftet' – einen Attentäter, der nach allem, was man weiß, Mitglied der Republikanischen Partei war, nicht der Demokratischen."

In der "medialen Forderung nach Mäßigung", so Schieritz weiter, komme ein Politikverständnis zum Ausdruck, das aus der Zeit gefallen sei:

"Es gibt heute in fast allen westlichen Ländern politische Kräfte, die die liberale Demokratie fundamental infrage stellen. Diese Gefahr muss man benennen dürfen, sonst kann man es auch gleich lassen."

Was wiederum Trumps Partei in Richtung Medien aussendet, geht über eine Forderung nach "Mäßigung" weit hinaus. "Spiegel"-Redakteur Jonas Schaible dazu in einem Skeet:

"Die Republikaner versuchen voll, das Benennen von autoritären Positionen, anti-demokratischen Handlungen, Rechtsbruch und Lügen als Hate Speech und stochastischen Terrorismus zu denunzieren. Das wäre dann der letzte Kunstgriff im Kampf um die autoritäre Diskurshegemonie."

Fürs "Columbia Journalism Review" geht Jon Allsop darauf ein, dass "der Zynismus, die Medien für den Mordversuch an Trump verantwortlich zu machen", schon seinen Anfang nahm, als die Tat gerade erst passiert war. Journalisten, die von Trumps Veranstaltung berichteten, bekamen nach den Schüssen jedenfalls quasi automatisierte Reaktionen zu spüren. Allsop schreibt:

"Sophia Cai von 'Axios' hörte Rufe wie 'Fake News! Das ist eure Schuld!... Ihr seid die nächsten! Eure Zeit ist gekommen.' James Pindell vom 'Boston Globe' berichtete, er habe überall Mittelfinger gesehen. "Einen Moment lang fühlte es sich an wie ein wachsender Mob", schrieb er. 'Ich war durch einen provisorischen Stahlzaun getrennt, aber das würde nicht viel helfen, wenn die Dinge gewalttätig würden.' Er nahm seine Presseausweise ab, packte zusammen und schrieb seiner Familie eine SMS, um ihr mitzuteilen, dass es ihm gut geht."

Ein starker Trump verkauft sich besser als ein schwacher Trump

Das Medienmagazin "Zapp" hinterfragt bei Instagram die Präferenz der Medien für das Bild, auf dem der im Gesicht mit Blut beschmierte Trump die Faust reckt. Es gebe auch "dutzende andere Aufnahmen von dem Moment". Zum Beispiel eines, in dem "Trump erschrocken (wirkt) und (…) sich an die Secret-Service-Agenten (klammert), bevor er die Bühne verlässt".

"Zapp" bilanziert:

"Das Bild mit erhobener Faust passt zu Trumps heroischer Inszenierung. Das andere Bild zeigt ihn verletzlich. Wenn Medien darüber entscheiden, welches Bild sie verbreiten, entscheiden die auch darüber, welches Narrativ sie über Donald Trump verbreiten. Videos der Situation zeigen, dass die heroische Szene nur ein kurzer Augenblick war."

Dass "kaum ein deutscher Berichterstatter das Trump-'Foto mit der erhobenen Faust' nicht proaktiv als 'ikonisch' klassifizierte" (Altpapier gestern) bzw. "dieser Moment sich schon jetzt in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt" hat (wie es das heute aus anderen Gründen schon erwähnte "Compact"-Magazin formulierte) - das liegt also daran, dass andere Journalisten eine Auswahl getroffen haben. Und eine Entscheidung, eine bestimmte Geschichte zu erzählen. Das mögliche Motiv dahinter: Ein starker Trump verkauft sich besser als ein schwacher Trump.

[Anmerkung: Wir hatten an dieser Stelle ursprünglich auch einen Text zitiert, der einen beim Nominierungsparteitag schlafenden Donald Trump beschreibt. Die Nachrichtenagentur AFP erläutert in einem Factcheck, dass Trump nicht geschlafen habe.]

Die Angst des RBB

Hotzlos ist künftig das Programm von Radio Fritz beim RBB. Der Sender hat "die Zusammenarbeit mit Sebastian Hotz alias 'El Hotzo' bei Fritz bis auf Weiteres" beendet, berichtet die SZ (siehe auch Altpapier von Dienstag). Für "Die Welt" schreibt Christian Meier in einer recht umfänglichen ("Lesedauer: 5 Minuten") Abhandlung, "die (inzwischen gelöschten) Trump-Tweets von Sebastian Hotz" seien "letztlich gar keine Satire" gewesen, "sondern eine perfide Meinungsäußerung unter dem Deckmantel der Satire".

Die Überschrift lautet:

"Wenn aus Humor ungezügelter Hass wird."

Den Eindruck, dass wiederum Meier seinen Hass auf Hotz besonders gut zügeln kann, erweckt der Artikel übrigens nicht.

Gibt es Stimmen, die die Entscheidung des RBB kritisieren? Ja, meiner Wahrnehmung bisher allerdings nur in den sozialen Medien. Lorenz Meyer, selbst Mitarbeiter des RBB, schreibt bei Threads:

"Ich bin mit El Hotzo nicht verbunden und den Trump-Gag hätte ich auch nicht gemacht. Aber die Entscheidung des RBB, die Zusammenarbeit mit ihm zu beenden, finde ich überzogen. Ich kann die Leute verstehen, die darauf hinweisen, dass sich ein Dieter Nuhr schon zu ganz anderen Aussagen hinreißen ließ."

Gilda Sahebi empfiehlt in einem Instagram-Post:

"Vielleicht mal in die USA schauen, wo Comedy Kunst ist, die eindeutig Grenzen überschreitet und überschreiten muss. Von Dave Chappelle über Trevor Noah bis zu Jon Stewart. Das sind Kunstfiguren, keine politischen Aktivisten. Der rbb hat der Meinungs- und Kunstfreiheit aus purer Angst damit richtig eins mitgegeben."

Und Martin Hoffmann (einst beim MDR und später bei Springer beschäftigt) konstatiert, wir hätten es mit der "nächsten erfolgreichen Kampagne" zu tun, "die vor allem von den angeblichen Befürwortern der freien Meinungsäußerung aus dem demokratiefeindlichen, rechten Spektrum getrieben wurde".

Hoffmanns Fazit:

"Offenbar haben Teile des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auch dreieinhalb Jahre nach der Oma im Hühnerstall beim WDR nicht verstanden, mit welchen Strategien diese Akteure Satiriker mundtot machen wollen."

Als die Sache mit der Oma und dem Hühnerstall aktuell war, hat Hoffmann bereits über diese "Strategien" geschrieben (Altpapier). Tatsächlich ist das Ganze übrigens nicht dreieinhalb, sondern schon etwas mehr als viereinhalb Jahre her.


Altpapierkorb (Pressefreiheit in Argentinien, umfassende Studie zur Muslimfeindlichkeit wieder online, neue Volte in der Debatte um die "Presseähnlichkeit" von ÖRR-Onlineangeboten)

+++ Wer schon umsetzt, was Donald Trump und Jürgen Elsässer vorschweben könnte: ihr Geistesbruder Javier Milei. "epd medien" meldet: "Die neue Regierung in Argentinien will unliebsamen Journalisten den Zugang zu ihren Pressekonferenzen verwehren. 'Wir werden daraus ein Privileg machen', kündigte der Sprecher des libertären und ultrarechten Präsidenten Javier Milei, Manuel Adorni, an." Nämlich ein Privileg für "Journalisten, die beweisen können, dass sie es verdienen, in der Nähe des Präsidenten zu sein".

+++ Darauf, dass "der wichtige Bericht des Unabhängigen Expert*innenkreises Muslimfeindlichkeit" wieder online steht, weisen u.a. die Neuen Deutschen Medienmacher*innen hin. Offline war er - anders als zahlreiche Einzelstudien und Gutachten, die für den Bericht eingeholt wurden - zwischenzeitlich, weil zwei "Islamismuskritiker" (tagesschau.de) erfolgreich gegen die Erwähnung in dem Bericht geklagt hatten.

+++ Die verlagsseitigen Vorwürfe, zahlreiche Onlineangebote des Öffentlich-Rechtlichen seien "presseähnlich", reißen nicht ab. Nun bahnt sich eine neue juristische Volte an: Der Verband Bayerischer Zeitungsverleger bereitet eine Klage gegen den BR vor. Volker Nünning berichtet darüber für den "Medieninsider".

Das morgige Altpapier schreibt der Autor des heutigen.

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