Kolumne: Das Altpapier am 14. Oktober 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Ben Kutz 3 min
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Kolumne: Das Altpapier am 14. Oktober 2024 ÖRR-Reform: Da brodelt was

14. Oktober 2024, 11:15 Uhr

Die Diskussion um die Rundfunkreform reißt nicht ab. Im Gegenteil: Immer mehr Akteure beteiligen sich an der Debatte. Am Freitag endete die Frist, in der man seine Reformvorschläge an die Rundfunkkommission schicken kann. Heute fasst Ben Kutz im Altpapier die neuesten Entwicklungen zusammen.

Porträt des Altpapier-Autoren Ben Kutz
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Die Frist ist vorbei. Bis Freitagabend konnten alle Bürgerinnen und Bürger ihren Senf zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bei der zuständigen rheinland-pfälzischen Staatskanzlei abgeben. Mehr als 15.000 Vorschläge sind eingegangen. Das seien bereits "deutlich mehr, als bei allen bisherigen Anhörungen eingegangen sind", wie die Staatskanzlei gegenüber "epd medien" sagt.

Auch die betroffenen Sender und diverse Interessenverbände haben ihre Anmerkungen zum Reformvorschlag an die Rundfunkkommission geschickt – und zeitgleich mit der Öffentlichkeit geteilt. Nur so viel: Begeisterung sieht anders aus. Und bei den Medienpolitikern der Länder scheint es ebenfalls zu knirschen. Da ist Einiges passiert am Wochenende. Gehen wir’s durch.

Das sagen "ARD" und "ZDF", oder: öffentlich-rechtliche Augenhackerei

ARD und ZDF haben am Freitag jeweils lange pdf-Dokumente mit ihren Stellungnahmen veröffentlicht. Für die "F.A.Z." fasst Michael Hanfeld die Reaktionen der Sender so zusammen:

"Die Sender lehnen, um es kurz zu fassen, so gut wie alle für sie kritischen Punkte der Reform ab und pochen auf eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags zum 1. Januar 2025."

"DWDL" gibt einen guten Überblick, wie die beiden öffentlich-rechtlichen Sendergruppen zu den Reformideen stehen. Über weite Strecken scheinen sich ARD und ZDF inhaltlich einig zu sein. Ausgaben für Sportrechte deckeln? Echt nur wenn’s sein muss! Die Einrichtung eines "Medienrats", der nach Auffassung der Politik einen "Blick von außen" auf die Öffis werfen soll? Das macht doch nur alles noch komplizierter! Und natürlich: Erhöhung des Rundfunkbeitrags? Unbedingt! (Oder in den Worten von ARD-Vorsitzendem Gniffke: "Unerlässlich.")

Reformen durchzusetzen, ist schwer. Und ein System in Teilen umzuschmeißen, an das man sich so viele Jahre gewöhnt hat, sowieso. Und dass es der Job der ARD- und ZDF-Chefs ist, ihre Schäfchen irgendwie zusammenzuhalten und per se erstmal relativ wenig von jeglichen Kürzungsplänen zu halten: auch geschenkt. Wie konstruktiv das allerdings ist, steht auf einem anderen Blatt. Ich fände es schön, wenn von den öffentlich-rechtlichen Sendern noch stärker das Signal ausgehen würde, dass man den Reformbedarf grundsätzlich erkannt hat. 

"Vor allem mit Blick auf die Spartensender sehen [ARD und ZDF] Korrekturbedarf", schreibt "DWDL". Beide Sender beschäftigten sich in ihren Papieren intensiv mit der Zukunft der ZDFneos und Ones dieser Welt. An die 20-seitige Stellungnahme von ZDF-Intendant Norbert Himmler ist eine Folie mit dem Titel "So wichtig sind ZDFinfo und ZDFneo für die Strategie des ZDF" angehängt. Darin prahlt man mit der Reichweite der Spartensender: "Bei Jüngeren erzielen ZDFinfo und ZDFneo mit 31 % fast ein Drittel des Sehvolumens der ZDF-Familie." Gefolgt von ein paar Nettigkeiten an die ARD-Kollegen: "Die ARD-Digitalkanäle tragen 7 % zum ARD-Ergebnis bei."

Nicht weniger ÖRR-familiär ist die Marktverortung von "ZDFinfo". Man sei der

"reichweitenstärkste Informationskanal in Deutschland – vor allen privatwirtschaftlichen (n-tv, WELT, kabeleins doku, N24 Doku) sowie den anderen öffentlich-rechtlichen Angeboten (phoenix, tagesschau24, ARD Alpha)."

Diese öffentlich-rechtliche Augenhackerei finde ich ziemlich uncool. So sieht die viel beschworene verstärkte Kooperation der Sender jedenfalls nicht aus. Die ARD geht in ihrer 26-seitigen Stellungnahme kollegialer vor (eine Reduktion von Kanälen sei nur durch Kooperationen mit dem ZDF möglich), aber großer Fan der Kürzungspläne ist auch ARD-Vorsitzender Kai Gniffke nicht.

Diesen Spartensender-Protektorismus kritisiert auch Michael Hanfeld – noch recht sachlich – in einem  "F.A.Z."-Kommentar:

"[Die öffentlich-Rechtlichen] betonen den Wert ihrer jeweils eigenen Sparten­kanäle (die reduziert werden sollen) [...]."

Im weiteren Verlauf scheint dem Kollegen aber die Polemik-Keule auf die Tastatur geplumpst zu sein. Die Warnungen einiger ARD-Vertreter vor negativen Folgen der Kürzungspläne nennt Hanfeld "grotesk", die Öffentlich-Rechtlichen würden "kommunikativ eine krumme Tour" fahren. Hui! So gleich? Und dann lässt es sich der Autor in seinem Kommentar auch nicht nehmen, nochmal genüsslich das alte Lied der Presseähnlichkeit zu spielen.

Das alte Lied der Presseähnlichkeit

In ihren Stellungnahmen kämpfen Kai Gniffke und Norbert Himmler auch vehement dafür, weiterhin Texte auf den Webseiten von ARD und ZDF verbreiten zu können. Volle Transparenz: Ich als Altpapier-Autor bin bei dem Thema nicht völlig neutral. Denn Sie lesen gewissermaßen gerade ein Corpus Delicti: einen öffentlich-rechtlichen Text, bezahlt von Rundfunkgebühren.

Verlage kämpfen seit Jahren gegen die öffentlich-rechtliche Buchstaben-Mafia und versuchen, Texte aus den gebührenfinanzierten Angeboten rauszuklagen. Ich persönlich halte die Regelung, öffentlich-rechtliche Texte zu begrenzen, in unserer durchdigitalisierten Medienwelt nicht mehr für zeitgemäß. Alle Medienunternehmen sind mittlerweile konsequent crossmedial aufgestellt (was übrigens auch heißt, dass Presseverlage am laufenden Band Videos und Audios produzieren). Das darf man anders sehen und dass die Verlage aus ihrem Gewinninteresse heraus versuchen, die schwammige Rechtslage juristisch für sich zu nutzen, ist verständlich. Aber das Framing im "F.A.Z."-Kommentar ist schon sehr hands on:

"Im Reformstaatsvertrag geht es um Textmengen, die ARD und ZDF ohne jeden Bezug zu Sendungen im Fernsehen oder im Radio produzieren. Das machen sie mehr und mehr, sie scheinen regelrecht Spaß daran zu haben, der Presse die Luft abzudrehen."

Als sei die intrinsische Motivation öffentlich-rechtlicher Texte, "SZ" und "F.A.Z." plattzumachen. Und als müsste sich das öffentlich-rechtliche System nicht genauso im Online-Wust behaupten und um Publikum und damit Relevanz kämpfen.

Der Streit um die Presseähnlichkeit war am Donnerstag auch Thema bei "@mediasres" im "DLF". Leonard Dobusch, Wirtschaftswissenschaftler und ZDF-Verwaltungsratmitglied, hat im Interview erklärt, warum er das Konzept Presseähnlichkeit für einen "Zombie" hält:

"Eine Presseähnlichkeit verbieten zu wollen, führt in Wirklichkeit nur zu einem schlechteren Journalismus. Nämlich einem Journalismus, der nicht versucht, dem Gegenstand und der Zielgruppe angemessen zu kommunizieren."

Wenn man grundsätzlich hinterm öffentlich-rechtlichen Auftrag stehe, "kann man nicht im zweiten Schritt wieder die Möglichkeiten, dieses Angebot bestmöglich ans Publikum, an die Beitragszahlenden zu bringen, links, rechts, vorne, hinten einschränken und bei der Arbeit behindern".

Der aktuelle Reformvorschlag sieht vor, öffentlich-rechtliche Texte noch stärker an lineare Ausstrahlungen zu knüpfen. Heißt: Wenn es zum Thema keinen TV- oder Radiobeitrag gibt, darf auch kein Artikel erscheinen. Wenn das so umgesetzt würde, würde das laut Dobusch die Situation noch verschärfen, "in einer Art und Weise, die tagesaktuelle Nachrichten-Berichterstattung öffentlich-rechtlicher Medien gefährdet." Immer an eine aktuelle Sendung anknüpfen zu müssen, sei "aus der Zeit gefallen". Ob das die Medienpolitikerinnen- und politiker auch so sehen, wird sich bald zeigen.

Das sagt die Medienpolitik, oder: Kohle oder gar nichts

Denn traute Einigkeit scheint auch in der Rundfunkkommission nicht zu herrschen. Ausgerechnet in der Sendung "3sat Kulturzeit", die durch die Kürzungspläne bedroht ist, redet der Hamburger Mediensenator Carsten Brosda (SPD) jetzt Tacheles. "Hamburgs Mediensenator Brosda stellt ÖRR-Reform komplett in Frage", titelt die "F.A.Z." (bereits oben verlinkt).

Zunächst macht er klar, dass er den Sender schätzt, auf dem er gerade läuft:

"Ich halte es für keine sonderlich kluge Idee, [...] jetzt in die Angebote von Kultur, aber auch von Information, im öffentlich-rechtlichen Bereich hineinzusparen, zu einem Zeitpunkt, an dem Fake News und entgleitende öffentliche Debatten unseren Alltag begleiten."

Außerdem wirbt Brosda dafür, Kultur nicht mehr auf Spartensendern zu verstecken. "Warum ist so ein Angebot wie die Kulturzeit eigentlich nicht auf den großen Sendern zu sehen", fragt er. Sein wichtigster Punkt ist aber die Finanzierung. Denn einige Ministerpräsidenten regen gerade an, den Punkt Geld erstmal auszuklammern. Sie wollen sich um die unpopuläre Beitragserhöhung drücken. Noch herrscht Uneinigkeit, ob und um wie viel der Rundfunkbeitrag zum Jahreswechsel steigen wird.

Ende September hat Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Rainer Haseloff im "F.A.Z."-Interview noch einmal bekräftigt, dass er eine Rundfunkerhöhung "derzeit für nicht vermittelbar" halte und auch keine Mehrheit dafür sehe (Altpapier).

Brosda sorgt sich aber um eine zukunftsfähige Finanzierung der Öffentlich-Rechtlichen. Für ihn muss unbedingt auch die Beitragserhöhung beschlossen werden. Seine indirekte Drohung an die Erhöhungs-Blockierer:

"Entweder kommen die Reformen und eine Entscheidung über den Beitrag oder es kommt gar nichts."

Das sagen Interessenverbände, oder: keine Beitragserhöhung wäre Verfassungsbruch

Die Personalratsgremien von ARD, Deutschlandradio und Deutscher Welle haben am Freitag eine gemeinsame Stellungnahme herausgegeben. Auch sie stören sich an den anhaltenden Sender-Einstampf-Diskussionen, wie "epd Medien" (bereits ganz oben verlinkt) weiß.

"Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Symbolkraft einer Streichung von Kanälen politisch eher gewollt ist als eine strategisch sinnvolle Ausrichtung für den Übergang ins digitale Zeitalter."

Noch eine Nummer größer ist die Kritik eines Bündnisses aus Gewerkschaften, Umwelt- und Wohlfahrtsverbänden. Unter anderem die Caritas, der Deutsche Gewerkschaftsbund und der BUND sind dabei. Sie sehen den verfassungsmäßigen Auftrag gefährdet, wenn mit der Reform keine Beitragserhöhung einhergeht. Mitunterzeichner und ver.di-Vorsitzender Frank Werneke:

"Die Öffentlich-Rechtlichen haben einen Anspruch auf auskömmliche Finanzierung. Wenn die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten den Weg für die Beitragserhöhung versperren, ist das ein Verfassungsbruch."

Das Bündnis fürchtet weiterhin um die "publizistische Eigenständigkeit" der Rundfunkanstalten. Der Vorschlag, dass die öffentlich-rechtlichen Sender auf allen Ebenen zusammenarbeiten müssen, birge Gefahren:

"Eingriffe in die Programmautonomie müssen ausgeschlossen werden, ebenso wie das Zusammenwachsen von ARD und ZDF, mit dem der Grundstein für die Abschaffung eines der beiden Sender gelegt würde. Das ist nicht im Sinne der demokratischen Gesellschaft."

Es brodelt also weiter und weiter. Lösung in Sicht? Fehlanzeige.

Altpapierkorb (Big Brother Awards, TikTok aus dem Auge des Sturms, KI-Entwicklung ist "sehr, sehr teuer", "Wir sind Papst" urheberrechtlich geschützt)

+++ In Bielefeld wurde am Freitag der Big Brother Award verliehen, wie unter anderem netzpolitik.org meldet. Den Negativpreis, der auch "Oscars der Überwachung" genannt wird, bekommen Behörden, Organisationen, Unternehmen und Einzelpersonen, die gegen Datenschutz und Privatsphäre handeln. "Ausgezeichnet" wurde unter anderem Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Nach Meinung der Jury geht er zu lasch mit digitalen Patientendaten um. Auch die Sächsische Polizei hat den Negativpreis abgeräumt, weil sie großflächig biometrische Überwachung verwendet.

+++ Mit einem Hurrikan die TikTok-Reichweite erhöhen? "Klar, super Idee!", dachten sich zumindest einige Menschen in Florida. Während Hurrikan Milton mindestens 16 Menschen das Leben kostete, sind einige Content Creator extra im Wirbelsturm-Gebiet geblieben, um besonders krasse Videos liefern zu können. "Der Standard" widmet sich dem Phänomen.

+++ OpenAI, das Unternehmen hinter KI-Anwendungen wie ChatGPT, steckt noch tief in den roten Zahlen. "Entwicklung und Betrieb von Künstlicher Intelligenz sind teuer. Sogar sehr, sehr teuer", schreibt der "Tagesspiegel". Bis 2026 prognostiziere die Firma Verluste von bis zu 14 Milliarden Dollar. Mit den ersten Gewinnen rechnet OpenAI 2029.

+++ Die "Bild"-Headline "Wir sind Papst!" ist nun offiziell urheberrechtlich geschützt, wie "DWDL" meldet. Der Springer-Verlag hat einen Rechtsstreit gegen zwei Webseitenbetreiber gewonnen, die Grafiken mit dem Slogan verkauft haben.

Das nächste Altpapier schreibt am Dienstag Christian Bartels.

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