Kolumne: Das Altpapier am 28. November 2024 Leberwurst-Diplomatie
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28. November 2024, 11:35 Uhr
Russland hält Deutschland seinen Zerrspiegel vor. ARD-Mitarbeiter müssen das Land verlassen. Und: Wäre alles nicht so schlimm, wenn wir andere Medien hätten? Heute kommentiert Ralf Heimann die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Schon wieder ein Déjà-vu
Das russische Außenministerium hat den ARD-Korrespondenten Frank Aischmann und einen technischen Mitarbeiter des ARD-Studios in Moskau aufgefordert, ihre Akkreditierungen abzugeben, berichtet die "Tagesschau". Das bedeutet: Ab dem 16. Dezember werden sie nicht mehr journalistisch arbeiten können. Russland spricht demnach von einer "Vergeltungsmaßnahme" oder, wie Kira Kramer und Martin Franke auf der FAZ-Medienseite die russische Seite zitieren, von einer "spiegelbildlichen Antwort".
Diese Formulierung beschreibt sehr schön die russische Behauptungsstrategie. Wenn dich jemand für etwas sanktionieren möchte, schlag auf dieselbe Weise zurück. Dann sieht es nicht nach einer Strafe aus, sondern nach einer Auseinandersetzung auf Augenhöhe.
Das Ganze ist nicht nur eine spiegelbildliche Antwort, es ist auch ein Déjà-vu. Als Deutschland vor zwei Jahren den russischen Sender RT verbot, schloss Russland das Büro der Deutschen Welle in Moskau. Angela Merkel würde wahrscheinlich denken: Männer!
Im aktuellen Fall hatte das Berliner Landesamt für Einwanderung laut FAZ fünf Personen von mehreren russischen Medien keine Aufenthaltserlaubnis ausgestellt, darunter vier Journalisten. In einem der Fälle habe die Behörde ihre Entscheidung damit begründet, dass das russische Medium, um das es ging, Fehlinformationen und Propaganda verbreite, um den Westen und die Europäische Union zu diskreditieren.
Der russische Staatssender "Perwy Kanal" (Erster Kanal) machte daraus in einem fünf Minuten langen Bericht ein "Arbeits- und Aufenthaltsverbot" für Korrespondenten und nannte den Schritt eine "Strafe für Wahrheit und Professionalität".
Hier wird schön deutlich, wie Desinformation funktioniert. Information würde bedeuten: Man legt die Entscheidung der deutschen Behörden detailliert dar, kommt aber zu einem anderen Ergebnis und erklärt das mithilfe von Argumenten.
Desinformation heißt: Erst mal geht es darum, in Zweifel zu ziehen, was hier tatsächlich passiert ist.
Das macht die russische Seite, indem sie den Schritt einfach spiegelt, ihre Entscheidung auf ähnliche Weise begründet und ihr Tun mit dem Siegel "Wahrheit" versieht, das ja auch die Gegenseite für sich in Anspruch nimmt.
So verschwimmen die Konturen, in denen es gerade noch so aussah, als wenn russisches Personal von deutschen Behörden für ein Vergehen bestraft wird.
Behörden!
Das alles ist keine rein russische Spezialität. Es ist das, was der Kalenderspruch "Angriff ist die beste Verteidigung" zum Ausdruck bringt. Man kennt das auch aus anderen Zusammenhängen.
Als Juan Moreno den Fall Relotius aufdeckte und damit einen Betrüger entlarvte, ging Relotius juristisch gegen einzelne Stellen in Morenos Buch vor, um den Eindruck zu verbreiten: Der nimmt es selbst mit der Wahrheit auch nicht so ganz genau.
Ähnliche Elemente hat Steve Bannons mit der Formulierung "Flood the zone with shit" (die Informationskanäle mit Scheiße überschwemmen) beschriebene Diskursstrategie. Man stellt neben die Tatsachen einfach Wahrheitsattrappen, die kaum zu unterscheiden sind und am Ende die Frage aufwerfen: Oder war es doch vielleicht anders?
Das deutsche Außenministerium hat inzwischen klargestellt: "Die Bundesregierung hat das Büro von Pervy Kanal nicht geschlossen." Es korrigiert die russische Darstellung. Eigentlich gut. Doch gleichzeitig verbreitet es die falsche Geschichte und verleiht ihr Gewicht.
An dem Fall ist noch etwas anderes interessant, denn er führt auch vor, wie deutsche Behörden deutschen Medien im Ausland das Leben schwer machen können, wenn sie nur auf ihre eigenen Regeln und ihren eigenen Kosmos schauen.
Matthias Gebauer, Christina Hebel und Hannes Schrader haben für den "Spiegel" nachgezeichnet, wie das Berliner Landesamt für Einwanderung sein Ding machte, sich in einem Sieg vor Gericht sogar bestätigt fühlte und darüber alles andere vergaß. Sie schreiben:
"Dass der Fall Folgen für deutsche Korrespondenten in Russland haben könnte, darauf kam man in der Behörde offenbar nicht, folglich trat man auch nicht mit dem Außenamt in Kontakt."
Die mangelnde Kommunikation zwischen den Behörden habe dazu geführt, dass die Bundesregierung am Mittwochmorgen ziemlich kalt erwischt worden sei. Eine weitere Erkenntnis dabei ist eine schon leidlich bekannte: Die unabhängige Berichterstattung in Russland wird immer schwieriger.
Anreizlogik vs. Demokratie
Machen wir weiter mit Marina Weisband oder Marshall McLuhan, je nachdem. Der Medientheoretiker McLuhan ist unter anderem wegen seines Satzes "The medium is the message" in Erinnerung geblieben, dessen Bedeutung ist: Nicht nur der Inhalt einer Nachricht beeinflusst die Wahrnehmung, sondern auch – und vielleicht sogar etwas mehr – das Medium, das sie transportiert.
Marina Weisband hat ihrem neuesten Youtube-Video den Titel gegeben "Medien sind der Tod der Demokratie". Und das könnte man interpretieren als: Die Nachrichten selbst wären gar nicht so schlimm, wenn wir andere Medien hätten.
In ihrem Video erklärt Weisband in knapp 38 Minuten, warum die Logik der Aufmerksamkeitsökonomie die Demokratie in Gefahr bringt. In Kurzform: Weil der Journalismus von Werbeeinnahmen abhängig ist, ist die Aufmerksamkeit die wichtigste Währung. In dieser Disziplin ist Emotionalisierung die beste Strategie, am besten negative Emotionalisierung. Oberflächliche Schlagzeilen verdrängen wichtige gesellschaftliche Themen. Algorithmen verstärken die Polarisierung und Radikalisierung, um die Aufmerksamkeit aka Werbeeinnahmen zu maximieren. So entstehen ideologische Filterblasen. Medienkompetenzbildung allein reiche nicht aus, um dagegen etwas zu machen.
Stattdessen sei es ratsam, über alternative Geschäftsmodelle und öffentliche digitale Räume nachzudenken, damit Verständigung auf Basis von Fakten möglich wird.
Eine Kurzform präsentiert Marina Weisband in ihrer Kolumne im Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres". Hier wird auch deutlich, dass man nicht vergessen darf: Soziale Medien beziehungsweise die Firmen mit wirtschaftlichen Interessen dahinter haben diese Mechanismen nicht erfunden, sie machen sich etwas zunutze, was auch da gut funktioniert, wo es gar nicht um Geld geht.
Im Privaten verbreiten sich Gossip, Horrormeldungen und überhaupt Emotionales sehr viel erfolgreicher als relevante Informationen. Menschen tendieren in diese Richtung. Menschen haben auch die Tendenz, in Konkurrenz mit anderen gewinnen zu wollen, am besten zu sein, von anderen geschätzt und bewundert zu werden. Das steht auch als Antrieb hinter dem Wettkampf um Nachrichten und die besten Geschichten, nicht allein die Gewinnlogik.
Über die im politischen Berlin etablierte Spielart sagt Weisband:
"Dieses Einschließen auf Personalien und kleine Konflikte ist (…) eine Krankheit des Hauptstadtjournalismus, in dem es immer darum geht, wer am besten informiert ist, zu wem die meisten Infos durchgestochen werden. Es hat mehr von einem Wettbewerb als von echter Information. Und dazu kommt noch, was sich am besten verkaufen lässt. Das Persönliche. Einfache Konflikte. Schwarz und Weiß. Und Katastrophen. Negatives. Und genauso nehmen wir unsere gewählten Regierungen dann wahr."
Das Problem steckt in der Frage: Wo verläuft hier die Grenze? Also was kann oder will man verbieten oder einschränken, was muss man in einem freiheitlichen System hinnehmen?
Einerseits muss nicht jede vorhandene Nachfrage bedient werden, wie auch die zweifellos vorhandene Nachfrage nach Sex- und Krankheitsgeschichten von prominenten Politikern medial nicht bedient wird, jedenfalls in den meisten Fällen. Andererseits: Wie würde man sicherstellen, dass Medien nicht nur über Katastrophen, Konflikte und Negatives berichten? Geht das durch Anreize? Müsste man nicht auch Inhalte kontrollieren? Wie wollte man dafür sorgen, dass Konflikte und Persönliches nicht mehr so viel Raum einnehmen?
Wäre es nicht besser, Informationsangebote zu entwickeln, die auch innerhalb dieser schwer zu kontrollierenden Logik funktionieren? Oder ist Medienkompetenzbildung vielleicht doch der bessere Weg?
Das Blöde funktioniert, leider
Vor allem da, wo es um erwachsene Menschen geht, sind diese Fragen nicht ganz leicht zu beantworten. Bei Jugendlichen kann man versuchen, den Zugang zu erschweren.
Australien probiert das gerade aus. Es hat soziale Medien für Jugendliche unter 16 Jahren gesperrt. Auch der Ulmer Psychologe Christian Montag sieht das eigentliche Übel in der Funktionsweise und Logik der verbreiteten Medien. Im "Zeit"-Interview mit Maximilian Probst sagt er:
"Eigentlich bräuchte man ganz andere soziale Medien. Aber die bekommen wir nicht, wenn das zugrunde liegende Geschäftsmodell unangetastet bleibt, das Daten zu Geld macht. Solange die Industrie ein finanzielles Interesse daran hat, die Verweildauer auf ihren Plattformen zu verlängern, werden bestimmte Probleme niemals eingedämmt werden. Dann werden die Algorithmen so programmiert, dass viele Jugendliche nicht genug von den Inhalten bekommen können und suchtähnliches Verhalten entsteht."
Bildung allein reiche nicht aus, sagt er. Würde man alles von ihr abhängig machen, würde man den Schutz von Jugendlichen an die Fähigkeiten und Möglichkeiten ihrer Eltern knüpfen. Man ahnt, dass das nicht so gut wäre.
Auf die Frage, wie Wissenschaft und Gesetzgebung zu den Techkonzernen aufholen können, sagt Montag:
"Mit der konsequenten Durchsetzung des Digital Service Act können die Konzerne zu Milliardenstrafen verdonnert werden. Ein Teil dieses Geldes sollte dann unbürokratisch an unabhängige Forschung gehen. Diejenigen, die das Problem verursachen, müssen an der Beseitigung der Probleme beteiligt werden – auch indem sie für Forschung bezahlen, die nicht in ihrem Interesse ist."
Der medienkritische Komiker Oliver Kalkofe drückt das, was Weisband und Montag kritisieren, ein bisschen anders aus, aber im Kern geht es um den selben Zusammenhang. Im Interview mit Josef Karg für die "Augsburger Allgemeine" sagt Kalkofe:
"(…) das Blöde funktioniert ja gerade in unserer Zeit. Je platter einer eine Botschaft rausposaunt oder je plumper jemand lügt, desto besser funktioniert es."
Passendweise ist das auch die These seines neuen Buchs. Der Titel lautet: "Sieg der Blödigkeit".
Altpapierkorb (ZDF-Backgroundcheck, Springer-Offensive, Depublizierung, ZDF-Finanzen, RTL und Raab)
+++ FDP-Chef Christian Lindner und die Lobbygruppe "Die Familienunternehmer" haben den "Backgroundcheck" von "ZDFheute" zu Superreichen und Steuern als einseitig und agitatorisch kritisiert. "Der Beitrag ist in der Tat eine Katastrophe", schreibt Michael Hanfeld auf der FAZ-Medienseite. Die Lobbygruppe listet die Mängel in einem fünfseitigen Brief an ZDF-Intendant Norbert Himmler auf. Der Beitrag, so die Gruppe laut Hanfeld, hinterlasse das Gefühl, dass im Team des "Backgroundchecks" vielleicht "gar keine ausgebildeten Journalisten arbeiten". Das ZDF beschädige seine Kernmarken, und das sei nicht nur schade, sondern "angesichts von rasant zunehmenden Fakenews eine Katastrophe". Dem Fazit könne man sich nur anschließen, schreibt Hanfeld, auch wenn man die Mängelliste nicht in jedem Punkt unterschreibe.
+++ Der hier gestern im Zusammenhang mit Springers Bullshit-Bingo-Offensive schon erwähnte "Medieninsider"-Chefredakteur Marvin Schade sagt im Interview mit Christoph Sterz für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres" über Schrödingers Karriereschritt, beziehungsweise den von Ulf Poschardt: "Es ist auf dem Papier ein Aufstieg, das hat der Posten des Herausgebers immer an sich, aber in der Tat ist es so (…), dass innerhalb des Springer-Konzerns mit dieser radikalen Veränderung jetzt im Hintergrund, mit der radikalen Strategie man da nicht unbedingt auf Ulf Poschardt setzen wollte."
+++ Die Depublizierungspflicht für Mediatheken-Inhalte der öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF, die Inhalte nach bestimmten Fristen offline nehmen müssen, stößt zunehmend auf Kritik, berichtet Lars Lubienetzki für das Verdi-Medienmagazin "Menschen Machen Medien".
+++ Das ZDF hat das Geschäftsjahr 2023 mit einem Überschuss von 29,5 Millionen Euro abgeschlossen – deutlich besser als erwartet, berichtet "epd Medien". Der Sender habe mit 10 Millionen Euro geplant. Die Verbesserung um 19,5 Millionen Euro komme durch geringere Ausgaben und höhere Rundfunkbeiträge zustande. Die wiederum kommen durch den sogenannten Meldedatenabgleich rein. Dabei gleicht man Daten aus den Einwohnermeldeämtern mit den Daten des Rundfunkbeitragsservices ab, damit möglichst viele Haushalte den Beitrag zahlen. Insgesamt bekommt das ZDF in diesem Jahr 2,2 Milliarden Euro aus Rundfunkbeiträgen.
+++ Der angeschlagene Sender RTL hat viel Geld ausgegeben, um Stefan Raab für sein Retorten-Comeback zu engagieren. Caspar Busse und Aurélie von Blazekovic fragen auf der SZ-Medienseite, ob sich das angesichts sinkender Zuschauerzahlen und schwindender Werbeeinnahmen lohnt. Ihre einzige politische Talkshow, die mit Micky Beisenherz, stellt die Sendergruppe ein, beziehungsweise, um hier auch noch den Spirit der Entscheidung zu transportieren, schärft n-tv mit "Blick auf eine konsequente Fortführung seines digitalen Transformationsprozesses (…) den Fokus seiner Investitionen regelmäßig nach". Das Live-Trash-Musical "Die Passion" trifft die Nachschärfung ebenfalls. Micky Beisenherz kommentiert bei "X": "Schade. Auf die Passion hatte ich mich 2025 schon gefreut."
Das Altpapier am Freitag schreibt Johanna Bernklau.