In ausgerissenen Buchstaben steht "Das Altpapier" auf einem zerknüllten Blatt.
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Das Altpapier am 10. September 2018 Zu nah, zu fern, zu käuflich

In kroatischen Serien, deutschen Kinderhörspielen und der Welt des Verfassungsschutz-Präsidenten geben Journalisten kein gutes Bild ab. Der Hambacher Forst ist nicht Vietnam. Mathias Döpfner träumt von der Weltherrschaft. Skandal! Klambt-Verlags-Chefs lässt seine Kinder hungern! Ein Altpapier von Juliane Wiedemeier.

Karla Kolumna ist schonmal keine Hilfe. Die Reporterin aus den Hörspielen mit Bibi Blocksberg und Benjamin Blümchen vermittelt vielen Kindern in diesem Land den ersten Eindruck von dem, was Journalisten den ganzen Tag tun.

„Eine Journalistin wie sie würde auch Horst Seehofer Paroli bieten, ein Treffen zwischen ihr und Donald Trump würde vermutlich binnen Minuten in Tränen enden - auf seiner Seite. Gut, man könnte ihr journalistisch eine etwas tendenziöse Nähe zu den Interessen von Bibi Blocksberg und Benjamin Blümchen vorwerfen, aber Karla Kolumna steht eben stets auf der Seite der Schwachen. Ihr Herz ist mindestens so wichtig wie ihr Hirn“,

schreibt Christiane Lutz auf der Medienseite der Wochenendausgabe der SZ. Und weiter:

„Die Erfinderin von Karla ist die österreichisch-deutsche Autorin Elfie Donnelly. Sie sagt, sie wollte mit der Figur ein gesellschaftliches Korrektiv schaffen, jemanden, der der Politik auf die Finger schaut. Jemanden, der gute Ideen unterstützt. Wenn es zu Weihnachten eine Hilfsaktion für benachteiligte Kinder braucht, schreibt Karla die Titelseite damit voll.“

In anderen Worten: Journalisten, das sind die, die etwas gegen Seehofer und Trump haben und die die ihnen zur Verfügung stehenden Kanäle nutzen, um Dinge zu propagieren, die sie persönlich für gut und wichtig halten.

Als eine weit verbreitete Vorstellung von der Arbeit von Journalisten ist das gar nicht mal so gut.

Cumhuriyet: Ein Vorstand kommt, kritische Journalisten gehen

Ebenfalls wenig hilfreich sind fiktionale Darstellungen wie in der kroatischen, nun bei Netflix abrufbaren Serie „The Paper“. In dieser kauft ein Bauunternehmer kurzerhand die letzte unabhängige Zeitung in der Hafenstadt Riejeka auf, um unangenehme Recherchen nach einem von seiner Mutter verursachten tödlichen Unfall mit Fahrerflucht zu beenden. Später sagt er dann an, wie über die anstehenden Präsidentschaftswahlen zu berichten ist.

„All diese Verwicklungen machen den Newsroom zu einem Ort, an dem weniger über journalistische Leitlinien sinniert wird als darüber, wie man sich mit dem nächsten Artikel rächen kann“,

so Patrick Schlereth in der Frankfurter Rundschau.

Dass aktuell bei der Cumhuriyet als einer der letzten kritischen Stimmen in der Türkei ein ähnlicher Prozess im realen Leben vor sich geht, hilft, Sie ahnen es schon, des Weiteren nicht - Christiane Schlötzer heute auf der SZ-Medienseite:

„Cumhuriyet (…) gehört einer Stiftung, und deren elfköpfiger Vorstand wurde am vergangenen Freitag auf spektakuläre Weise neu zusammengesetzt. Stiftungsvorstand ist jetzt der 83-jährige Alev Coşkun, er gilt als strammer türkischer Nationalist, gleiches gilt für die meisten anderen Mitglieder des Gremiums. (…) Aydın Engin, langjähriger Kolumnist der Zeitung, ist überzeugt, dass die neuen Akteure ,nur Schauspieler auf einer Bühne’ sind. ,Hinter der Bühne geht es darum, Cumhuriyet mundtot zu machen’, sagte Engin am Sonntag der Süddeutschen Zeitung. Engin vermutet die Strippenzieher in Ankara, denn letztlich diene der Niedergang von Cumhuriyet nur der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. ,Sie feiern gewiss in Ankara.’ Engin erzählt, einer der neuen Vorstände sei direkt aus dem Krankenhaus zu der Sitzung gekommen, er habe erklärt, ,wichtige staatliche Stellen’ hätten ihm gesagt, er dürfe die Abstimmung nicht verpassen.“

Der bisherige Chefredakteur Murat Sabuncu hat sich am Samstag in Folge des Vorstands-Wechsels von der Zeitung verabschiedet; andere Kollegen folgen (weitere Informationen hat auch das Stockholm Center for Freedom, eine NGO von türkischen Exil-Journalisten). Doch der Eindruck bleibt: Zeitungen und ihre Haltung sind käuflich.

Youtube als Rattenloch des Hasses

Darüber hinaus nicht als Hilfe zu bewerten: Zum einen Algorithmen und der Wunsch von Plattformen wie Youtube, Nutzer möglichst lange im eigenen System zu halten.

„Mr. Serrato (Ray Serrato, der zu sozialen Medien, Daten und Wahlen recherchiert, Anm. AP) scraped YouTube databases for information on every Chemnitz-related video published this year. He found that the platform’s recommendation system consistently directed people toward extremist videos on the riots — then on to far-right videos on other subjects. Users searching for news on Chemnitz would be sent down a rabbit hole of misinformation and hate. And as interest in Chemnitz grew, it appears, YouTube funneled many Germans to extremist pages, whose view counts skyrocketed.“

Das berichten Max Fisher and Katrin Bennhold in der New York Times.

Und zum anderen Hans-Georg Maaßen. Indem der Chef des Verfassungsschutzes in der Bild-Zeitung die Echtheit eines laut „Tagesschau“-Faktenfinders sehr echten Videos mit Hetz-Szenen aus Chemnitz anzweifelte, bestätigte er alle Vorurteile der an Vorurteilen keinen Mangel habenden Verschwörungstheoretiker. Was zur Nebenerkenntnis führt, dass der Verfassungsschutz entweder von einem rechten Verfassungsfeind, einem Verfechter der Alu-Hut-Pflicht oder einem Wahnsinnigen geleitet wird. Oder alles drei zusammen.

Ostdeutsche Medien: zu lange auf dem rechten Auge blind

Wer fehlt noch? Richtig: Nicht-fiktionale real-time Journalisten und was sie den ganzen Tag wirklich machen - bzw. eben nicht.

„In der Vor-Pegida-Zeit wurde in den Infosendungen des MDR diese Thematik stark heruntergedimmt. Spektakuläre Vorgänge wurden nicht verschwiegen, aber auf singuläre Ereignisse wie Prügelei oder Brandstiftung begrenzt, ohne erklärenden Hintergrund. Ebenso verfuhren einige Tageszeitungen, in denke hier an die ,Leipziger Volkszeitung’ oder die ‚Mitteldeutsche Zeitung’“,

antwortet Medienwissenschaftler Michael Haller im Tagesspiegel auf die Frage von Markus Ehrenberg, ob die Medien im Osten Deutschlands in der Vergangenheit genug über Rechtsextremismus berichtet hätten. (Der Vollständigkeit halber: besser gemacht haben es laut Haller Sächsische Zeitung und Freie Presse, „allerdings oft mit dem moralischen Zeigefinger“.)

Womit wir festhalten können: Wer möchte, findet genügend Gründe, um Journalisten wahlweise als fremdgesteuerte Handlanger oder einer persönlichen Agenda folgende Propagandisten anzusehen, denen böse Algorithmen, bewusst Chaos verbreiten wollende Fake-News-Schleudern oder wahlweise der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz oder sie selbst den letzten Rest geben.

Allen, die auch in Zukunft gerne in einer funktionierenden Demokratie leben möchten, hilft das nicht.

Kompliziertere Narrative wagen

Und nun? Einen Ansatz formuliert Sophie Spelsberg aktuell in der taz:

„Die Diskussion über die Distanz der Medien von der Öffentlichkeit läuft meistens nach eben diesem Schema: Wir, die Journalisten und ,die’ da draußen. Durch diese Einteilung wächst die Kluft nur. Denn wer ständig damit beschäftigt ist, sich selbst zu finden, dem hört keiner mehr zu. Die Diskussion muss deshalb raus aus den Redaktionen und auf die Straße, genauso wie die JournalistInnen auch. Sie muss offen sein und alle Mitglieder der Gesellschaft miteinbeziehen. Die Debatte transparent zu führen, bringt Glaubwürdigkeit zurück. Und während sich Politik, Gesellschaft und Journalismus weiterentwickeln, muss auch die Diskussion vor allem eins: weitergehen.“

Das klingt vernünftig. Aber wie genau bringt man eine Diskussion auf die Straße? In den gleichen Körben, in denen die Schildbürger ihr Licht ins Rathaus schafften? Oder, anders gesehen: Haben wir nicht gerade schon eine sehr breite Debatte darüber, was Journalismus ist, kann, tun sollte - nur halt mit Ergebnissen, die uns Journalisten im Speziellen und allen Demokraten im Allgemeinen so nicht gefallen können?

Einen ganz anderen, aber im journalistischen Alltag sofort realisierbaren Ansatz habe ich gerade aus meinem Archiv ausgegraben. Er stammt aus dem Juni und von Amanda Ripley, die unter anderem für The Atlantic schreibt, veröffentlicht im Blog The Whole Story:

„The lesson for journalists (or anyone) working amidst intractable conflict: complicate the narrative. First, complexity leads to a fuller, more accurate story. Secondly, it boosts the odds that your work will matter — particularly if it is about a polarizing issue. When people encounter complexity, they become more curious and less closed off to new information. They listen, in other words. (…) Usually, reporters do the opposite. We cut the quotes that don’t fit our narrative. Or our editor cuts them for us. We look for coherence, which is tidy — and natural. The problem is that, in a time of high conflict, coherence is bad journalism, bordering on malpractice.“

Ach ja: Frohen Montag allerseits.

Altpapierkorb (Falsche Tunnel, vergessene Schulbrote, Döpfners Traum)

+++ In Malta scheinen die Behörden eher nicht am weiteren Gedenken an die ermordete Journalistin Daphne Caruana Galizia interessiert zu sein (Der Standard).

+++ Die Rheinische Post hat per Ferndiagnose von Polizeifotos Vietcong-eske Tunnelsysteme im Hambacher Forst entdeckt, die die Polizei selbst nicht gefunden haben will (Boris Rosenkranz, Übermedien).

+++ Das Positive zuerst: Dank DSGVO interessieren sich mehr Menschen für den Datenschutz und wenden sich mit Nachfragen und Beschwerden an die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern. Und nun die schlechte Nachricht: Dort fehlen Mitarbeiter, um diese Anfragen fristgerecht zu bearbeiten (Heise Online).

+++ Axel Springer als einer der weltweit führenden Digitalverlage und wovon Mathias Döpfner sonst noch träumt hat er ausführlich Peter Turi für Turi2 erzählt.

+++ Ist ja schön und gut, dass die Moderatoren von Morgen-, Nachrichten-, und Wetter-Magazinen sich bewegen wollen. Aber muss das ausgerechnet vor der Kamera sein? Fragt sich Hans Hoff in seiner DWDL-Kolumne.

+++ Zum 175. Geburtstag der Klambt Mediengruppe enthüllt Jan Hauser im Wirtschaftsteil der FAS (): „An manchen Tagen in Speyer betreut er (Klambt-Verleger Lars Joachim Rose, Anm. AP) die nächste Generation und erfährt ganz andere Sorgen. ,Morgens ein Kind für die Schule fertig zu machen gelingt nicht immer perfekt’, sagt Familienvater Rose. ,Ich vergesse dann das Schulbrot, wenn ich mich darum kümmern muss.’“

+++ „Gefangen - Der Fall K.“ heißt der Fernsehfilm, den das ZDF heute Abend zeigt. Er „orientiert sich am Fall Gustl Mollath, der von der bayrischen Justiz mehr als sieben Jahre lang zu Unrecht im Maßregelvollzug eingesperrt worden war, wie das Landgericht Regensburg in dem Wiederaufnahmeverfahren 2014 geurteilt hatte. Der komplexe reale Stoff hat viele Facetten, ist Ehe-, Finanz-, Justiz- und Psychiatrie-Drama, was der Film in Grundzügen umfassend abbilden will, weshalb manches etwas sprunghaft erscheint“, rezensiert Thomas Gehringer im Tagesspiegel.

Frisches Altpapier gibt es morgen wieder.