Technikgeschichte Das erste Handy der DDR – von einem Sachsen entwickelt
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03. April 2023, 12:07 Uhr
Vor 50 Jahren wurde in New York der erste Handy-Anruf der Welt getätigt. Was viele nicht wissen: Auch in der DDR wurden Handys entwickelt. Der gebürtige Sachse Gottfried Schuppang baute 1979 mit Kollegen aus dem Nichts das erste Handy der DDR – ein technisches Husarenstück zwischen Innovation und Hochstapelei, das Mexiko ein Telefonnetz und der DDR dringend benötigte Devisen brachte. Im Inland kam es allerdings nie zum Einsatz.
Der 83-jährige Gottfried Schuppang und seine ehemaligen Kollegen Günther Neeße und Horst-Dieter Wigankow staunen nicht schlecht, als sie noch einmal auf die Entwicklung treffen, die ihr Leben und das vieler Menschen in Mexiko verändert hat. Bernd Schmidl vom Radio-Technik-Museum Luckenwalde besitzt das wohl einzige Exemplar des DDR-Handys mit dem Namen "Blaumeise 3", das in Europa erhalten geblieben ist. Mit leuchtenden Augen nehmen die drei Ingenieure ihr "Baby" wieder in Augenschein und erinnern sich an die Entstehungsgeschichte. Der gebürtige Kamenzer Gottfried Schuppang hatte in Dresden Nachrichtentechnik studiert und wurde leitender Entwicklungsingenieur im VEB Funkwerk Köpenick, einem der modernsten Betriebe der DDR. Seine beiden Kollegen und er bekamen 1979 einen Auftrag mit weitreichenden Folgen.
3. März 1973: Erstes Handy-Gespräch der Welt
Das erste mobile Telefongespräch der Welt führte am 3. März 1953 der US-amerikanische Ingenieur Martin Cooper. Er arbeitete damals für Motorola. Sein Team, das sich in einem Wettlauf um die erfindung der ersten Mobilfunk-Technologie befand, hatte drei Monate lang getüftelt, bevor die Firma das Handy "DynaTAC 8000X" vorstellen konnte. Es wog mehr als ein Kilo und die Batterie hielt lediglich 25 Minuten – wobei man es angesichts seines hohen Gewichts ohnehin nicht allzu lang am Ohr halten konnte.
DDR soll Telefonnetz für Mexiko aufbauen
Damals, in den ausgehenden 1970er-Jahren, war die Außenpolitik der DDR nicht mehr zu bremsen: Mit der Anerkennung zweier deutscher Staaten bewegte sich auch die DDR auf dem internationalen Parkett. Nach ersten Staatsbesuchen im westlichen Ausland sollte bald Mexiko auf dem Plan stehen. Beide Staaten erhofften sich viel vom Gegenüber: die DDR Absatzmärkte und Devisen, Mexiko technisches Know-How und damit die Modernisierung der Infrastruktur.
Ein Prestigeprojekt war der Aufbau des internationalen Seefunkzentrums Nopaltepec durch das Köpenicker Funkwerk. Als bei den Verhandlungen 1979 mit dem Ministerium für Elektrotechnik und Elektronik dazu noch der Auftrag für den Aufbau eines Telefonnetzes angenommen wurde, gab es kein Zurück mehr. Die Aussicht auf mexikanische Petrodollar übertraf wohl die realistische Einschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit, denn bisher hatte man auf dem Gebiet drahtloser Telefonnetze nicht die geringste praktische Erfahrung.
Mobiles Telefonieren
Gottfried Schuppang und seine Männer erhielten den schier unmöglichen Auftrag, ein Angebot für die Mexikaner zu entwickeln. Aus dem Nichts projektierte Schuppang in wenigen Wochen ein Funknetz. Eigentlich, so sagt er heute, war es Hochstapelei, die auf dem Vertrauen in die Leistungsfähigkeit seiner Kollegen im Funkwerk beruhte. Sein Angebot für ein Pilotnetz im mexikanischen Bundesstaat Guerrero erhielt tatsächlich den Zuschlag. Damit hängte er internationale Konzerne wie Motorola aus den USA, Telettra aus Italien oder CSF-Thomsen aus Frankreich ab.
Ich konnte bei der Neuentwicklung alle Wünsche der Mexikaner erfüllen, während die Konkurrenten fertige Produkte anboten, die nicht alle Wünsche erfüllten.
Honecker will Mobilfunknetz vorstellen
Die Funkwerker um Gottfried Schuppang fingen sofort mit der Entwicklung an, denn binnen 18 Monaten sollten Entwicklung und Installation abgeschlossen sein. Als bekannt wurde, dass das fertige System zum Staatsbesuch Erich Honeckers in Mexiko fertig sein sollte, erhöhte sich der Druck auf die Ingenieure.
Dann wurden die ersten Modelle zusammengebaut, mit größeren Problemen. Um Zeit zu sparen, haben wir den Kollegen die Telefone mit nach Hause gegeben und nach Feierabend durch praktische Telefonieübungen die Fehler rausgesucht.
Der Druck hatte allerdings auch seine guten Seiten: Schuppang und seine Kollegen arbeiteten nun an einem Projekt erster Priorität, was ihnen einige Möglichkeiten bescherte: "Es war plötzlich möglich, dass man West-Bauelemente sofort importiert bekam und das niemand über den Auslandseinsatz meiner Kollegen bestimmen konnte außer ich", erinnert sich der Ingenieur.
Es war längst nicht mehr die Planerfüllung, die die Funkwerker zu Höchstleistungen antrieb. Der eigene Anspruch, aber auch die Aussicht auf den Auslandseinsatz in Mexiko, auf ein paar Wochen im fernen Acapulco, lockten die Ingenieure.
Deal zwischen DDR und Mexiko
Und dann hatten es die Ingenieure aus Köpenick geschafft: Mit dem eigens entwickelten URTES-Netz (UHF-Radio-Telefonie-System) und mehreren sogenannten Teilnehmerstationen traten sie die Reise ins entfernte Mexiko an – im Gepäck das erste in der DDR entwickelte Netz für mobiles Telefonieren. Doch dort tauchen unerwartete Schwierigkeiten auf.
Wir waren vorbereitet, unsere Anlagen an Häuser anzubauen. Als wir dahin kamen, fanden wir Lehmhütten vor, wo keine Schraube hielt. Es gab keine festen Straßen zu den einzelnen Dörfern, manchmal mussten wir auf Trampelpfaden mit Jeeps entlang fahren, manchmal mussten wir unser Material mit Eseln transportieren.
Die Geräte selbst hatten ein Gewicht von zehn Kilogramm, eine Sendeleistung von zehn Watt und eine Reichweite von 40 Kilometern. Da aber nur 120 dieser Stationen in einem Netz arbeiten konnten, wurden sie meist bei den Bürgermeistern der Dörfer installiert. Privatanschlüsse waren ohnehin nicht vorgesehen, sie sollten vor allem in Notfällen eingesetzt werden. Eine Basisstation wurde zentral auf einem Berg eingerichtet, von dem aus die Telefonate per Richtfunk in das normale Telefonnetz eingespeist wurden. So wurden Telefonate aus den entlegensten Winkeln, ohne jeden Qualitätsverlust möglich, doch die Begeisterung der Landbevölkerung hielt sich in Grenzen.
Die Menschen lebten ja fast wie in der Steinzeit und wurden nun konfrontiert mit High-Tech-Anlagen, Telefon, Solarstromversorgung, die haben gestaunt. Und sie haben mit dem Kopf geschüttelt. Sie wollten lieber Wasser und Straßen haben.
Das Netz und die Geräte wurden erfolgreich in Betrieb genommen, sodass die Ingenieure um Gottfried Schuppang bis es zum Staatsbesuch von Erich Honecker ein paar Tage in Acapulco verbringen konnten. Als am Rande des Aufenthalts ein mexikanischer Gouverneur fragte, ob er auch ein mobiles Gerät für das Auto haben könnte, wurde sozusagen nebenbei das erste Mobiltelefon aus der DDR geboren.
Erstes Handy der DDR: "Blaumeise 3"
Die Vorstellung während des Staatsbesuches war ein Erfolg. Sofort kauften weitere Bundesstaaten das System. Exportiert wurden das URTES-Netz und "Blaumeise 3" aber auch nach Algerien und Mosambik. Die harte Arbeit von Gottfried Schuppang und seinen Männern hatte sich gelohnt:
Wir sind stolz auf das Ergebnis unserer Arbeit, ich glaube, wir haben gezeigt, dass es in der DDR auch innovative Ingenieure gab.
Schuppangs bahnbrechende Entwicklung sollte jedoch in der DDR, dem Land mit einer chronischen Unterversorgung an Telefonanschlüssen, vorerst nicht eingesetzt werden. Zu groß schätzte man den Aufwand ein, den man für die Überwachung der Netze hätte betreiben müssen. Erst nach der Wende durften die Funkwerker aus Köpenick ihr Netz auch nochmal in Berlin zum Einsatz bringen, als man mit der Installation von Anschlüssen für Gewerbetreibende nicht mehr hinterher kam.
Dieser Artikel wurde erstmals 2011 veröffentlicht und im März 2023 aktualisiert.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Kalenderblatt | 03. April 2023 | 10:54 Uhr