Ernst (Johannes Fritz) Thälmann
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Ernst Thälmann: Der Mann, den sie Teddy nannten

11. August 2022, 04:26 Uhr

Als heldenmütiger Kämpfer gegen den Faschismus wurde er in der DDR verehrt, als Stalinisten geißelten ihn seine Kritiker - den KPD-Führer Ernst Thälmann. Am 18. August 1944 wurde er im KZ Buchenwald hingerichtet.

Ernst Thälmann wird am 16. April 1886 in Hamburg geboren. Die Metropole an der Elbmündung ist Deutschlands Tor zur Welt. Hamburgs Werften sind Motoren des Industriezeitalters. Arm und Reich leben dicht beieinander in der zweitgrößten Stadt des Kaiserreichs. Nach sieben Jahren Volksschule arbeitet Thälmann im elterlichen Gemischtwarenladen mit angeschlossenem Fuhrgeschäft, er schlägt sich mit Gelegenheitsjobs als Hafenarbeiter, Heizer und Kutscher durch. Dabei wäre der gute und lerneifrige Schüler gerne Handwerker oder gar Lehrer geworden, eine derartige Ausbildung wollen die Eltern ihm jedoch nicht finanzieren. Darüber kommt es zu Auseinandersetzungen in der Familie. Anfang 1902 verlässt Thälmann mit gerade 16 das Elterhaus, kommt zunächst im Obdachlosenasyl unter, später in einer Kellerwohnung. Trotz aller Streiterein wird er den Kontakt zum Vater zeitlebens aufrecht erhalten.

Vom Gewerkschafter zum Streiter für die Revolution

Schon mit 17 tritt Ernst Thälmann in die SPD ein und macht sich bald als Gewerkschafter bei den Hamburger Hafenarbeitern einen Namen. Während des Ersten Weltkriegs kämpft er als Soldat an der Westfront. Einen Tag vor seiner Einberufung heiratet er am 13. Januar 1915 Rosa Koch. Sie arbeitet als Plätterin in der Hamburger Großwäscherei, für die er als Kutscher unterwegs gewesen ist. Vier Jahre später wird Tochter Irma geboren.

Als Thälmann nach seinem Kriegseinsatz im November 1918 wieder nach Hamburg kommt, ist die Stadt in der Hand von Arbeiter- und Soldatenräten. Er selbst kämpft nicht auf der Straße, doch das Feuer der Rebellion erfasst auch ihn. Er wechselt die Partei, hin zur USPD, sie geht hervor aus einer Gruppe von SPD-Abgeordneten im Reichstag, die sich bereits seit dem 4. August 1914 gegen die Unterstützung des Ersten Weltkriegs und die Burgfriedenspolitik der SPD aussprechen. Für die Unabhängigen Sozialdemokraten zieht Thälmann ins Hamburger Stadtparlament. Seinen Lebensunterhalt verdient er beim Arbeitsamt, eine Anstellung, die er später wegen seiner politischen Aktivitäten verlieren wird.

Im Oktober 1920 trifft sich die USPD im Volkshaus von Halle zum Parteitag. Die Stimmung ist geladen, die Partei in verfeindete Lager gespalten. Thälmann ist begeistert vom Sieg der Revolution in Russland. Er und andere fordern den Anschluss an die Komintern, die Kommunistische Internationale, den Weltverband aller kommunistischen Parteien mit Sitz in Moskau. Nicht alle in der USPD wollen das. Doch Thälmanns Fraktion gewinnt die Abstimmung und die Partei zerbricht. Wenige Wochen später schließen sich Thälmann und seine Unterstützer in Berlin der KPD und damit auch der Komintern an. Für die Kommunisten ein riesiger Gewinn, denn mit Thälmann kommen 350.000 neue Genossen aus der USDP. Erst jetzt wird die KPD von einer politischen Randgruppe zur Massenpartei. Thälmann wird mit inzwischen 34 Jahren zunächst Chef der Ortsguppe in Hamburg. Sein politischer Aufstieg beginnt - anfänglich noch im Bunde mit Ruth Fischer. Die Intellektuelle formuliert brillant, was er denkt.

Soziale Spannungen im Land

Inflation, Arbeitslosigkeit und Hunger als Folge des Ersten Weltkrieges und der damit für Deutschland verbundenen Reparationsleistungen sorgen für große soziale Spannungen im Land. Im Auftrag der KPD reisen Ernst Thälmann und Ruth Fischer im Mai 1923 nach Moskau, um den Beginn der Revolution mit den Genossen abzustimmen. Thälmann beeindruckt die Führung der Bolschewiki mit seinen Auftritten in der Öffentlichkeit - und das, obwohl er kein Wort Russisch spricht. Besonders Josef Stalin interessiert sich für den neuen Star der KPD.

Thälmann wurde als 'Gold der Arbeiterklasse' betrachtet. (Er) verkörperte genau den neuen Typ eines Bolschewiken, den man sich in Moskau wünschte: Er war ein radikaler Arbeiter und wollte dazugehören zum neuen Sowjetrussland und der internationalen kommunistischen Bewegung.

Dr. Norman LaPorte, Historiker

Aufstieg zum Chef der KPD

Kaum nach Hamburg zurückgekehrt will Thälmann im Oktober 1923 den bewaffneten Aufstand - gegen einen Beschluss der KPD - auf eigene Faust ins Volk tragen. Militante Kommunisten überfallen Polizeiwachen, versorgen sich mit Waffen und errichten Barrikaden. Thälmann selbst begleitet die Aktionen aus sicherer Entfernung. Sein Deckname ist "Teddy". Nach drei Tagen wird der schlecht organisierte Putsch von Polizei und Reichsmarine niedergeschlagen. Auf dem nächsten Parteitag macht der "Held der Barrikaden" die KPD-Führung für das Scheitern des Aufstandes verantwortlich.

Der Coup gelingt: 1925 steigt Ernst Thälmann noch im Bündnis mit Ruth Fischer zum Vorsitzenden der KPD auf. Das verdankt er nicht zuletzt seiner Verbundenheit mit Stalin, dem neuen starken Mann in Moskau. Nach dem Tod von Reichspräsident Friedrich Ebert 1925 macht er als Präsidentschaftskandidat der KPD Wahlkampf und wird deutschlandweit bekannt. Er übernimmt zudem den Vorsitz im Roten Frontkämpferbund. Die Kampftruppe der KPD zieht gegen das Reichsbanner der SPD, den "Stahlhelm" und die SA zu Felde. Anfangs eine kleine Truppe zieht der RFB bald Tausende in seinen Bann. Markig und mit erhobener Faust nimmt Thälmann die Paraden seiner Kämpfer ab. Wie um Hitler, wird auch um Thälmann ein Führerkult aufgebaut. Den nutzt der inzwischen machtbewusste Funktionär auch aus, um sich von einstigen Verbündeten zu trennen, beispielsweise von Ruth Fischer. Die plädiert inzwischen für einen unabhängigeren Kurs von Moskau. Dafür wird sie von der Komintern angegriffen. Thälmann serviert sie als "ultralinke Abweichlerin" gänzlich ab, sie wird aus der Partei ausgeschlossen.

Der Wittorf-Skandal - Stalin rettet Thälmanns Karriere

Nicht alle Genossen befürworten den moskautreuen Kurs. Clara Zetkin, die erst geholfen hat, Thälmann gegen Ruth Fischer in die Spitzenposition zu bringen, kritisiert später, er sei zu schlicht und ungebildet, außerdem zu größenwahnsinnig, um eine Partei führen zu können. Im September 1928 liefert der Wittorf-Skandal Thälmanns Gegnern Zündstoff. Es wird bekannt, dass der Hamburger Parteisekretär John Wittorf Parteigelder unterschlagen hat. Sein enger Freund Ernst Thälmann soll ihn gedeckt haben. Aus der Mauschelei Wittorfs wird ein Skandal für Thälmann. Am 26. September 1928 beschließt das Zentralkomitee einstimmig, Thälmann von all seinen Parteiämtern zu entbinden.

Es gibt Berichte darüber, dass er weinte, dass er um Vergebung bat. Thälmann wollte nicht aus der Partei ausgeschlossen werden. Seine gesamte Identität beruhte auf der KPD.

Dr. Norman LaPorte, Historiker

Doch Stalin eilt seinem wichtigsten deutschen Gefolgsmann zu Hilfe. Nur zehn Tage nach dem Fall ist Thälmann dank dessen Fürsprache wieder Vorsitzender der KPD - und verfolgt nun noch ergebener die Weisungen aus Moskau. In Zeiten der Weltwirtschaftskrise und der aufsteigenden NSDAP setzt er auf Geheiß Moskaus etwa den "Sozialfaschismus"-Kurs gnadenlos um. Danach gelten die Sozialdemokraten als Hauptfeind der Kommunisten, da sie die Arbeiterklasse im November 1918 verraten hätten. So wird der politische Kampf gegen die SPD geführt, während Hitler mehr und mehr Anhänger um sich schart.

Machtergreifung und Verhaftung

Für ein Umschwenken auf eine "Antifaschistische Aktion" oder eine Volksfront aller linken und liberalen Parteien - wie auf einer ZK-Tagung in Ziegenhals bei Berlin am 7. Februar 1933 beschlossen - ist es nach dem Machtantritt der NSDAP am 30. Januar 1933 endgültig zu spät. Unmittelbar nach dem Reichstagsbrand in der Nacht zum 28. Februar, den Hitler den Kommunisten in die Schuhe schiebt, und nur zwei Tage vor den Reichstagswahlen, in denen der KPD-Führer gegen Hitler antreten wollte, werden Tausende Kommunisten verhaftet. Seine engsten Mitarbeiter drängen ihn, endlich unterzutauchen. Am 3. März 1933 ist es dafür zu spät, Ernst Thälmann wird in seiner Berliner Wohnung verhaftet.

Moskau ignoriert die Hilferufe

Der KPD-Vorsitzende kommt zunächst ins Untersuchungsgefängnis nach Berlin-Moabit und von dort mehrfach in die Gestapozentrale zur "Sonderbehandlung". Als öffentlich wird, dass man den prominenten Staatsgefangenen misshandelt, lässt Hitler die Folter abbrechen. Der Prozess, den Thälmann Selbstzeugnissen zufolge als Möglichkeit zu einer Verteidigungsrede vor der gesamten Weltöffentlichkeit herbeisehnt, wird nie eröffnet. Ohne verurteilt worden zu sein, kommt der KPD-Führer im November 1935 in so genannte Schutzhaft der Gestapo. Im selben Jahr wird Wilhelm Pieck mit Zustimmung Stalins auf einem Parteitag in Moskau zum neuen KPD-Chef gewählt. Von seinem einstigen Ziehvater kann Thälmann nichts mehr erwarten. Der schließt 1939 einen deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes (Hitler-Stalin-Pakt) mit dem einstigen Erzfeind Hitler. Die Gelegenheit, seinem Ziehsohn jetzt zu Hilfe zu eilen, ergreift Stalin nicht.

Für Stalin war jemand, der in die Hände des Gegners gefallen ist, ein Toter, der nicht mehr existierte. Eine Person, die ... als ein Feind galt, als ein Verräter eigentlich.

Dr. Ronald Sassning, Historiker
Ernst-Thälmann-Büste auf einer kubanischen Insel 1 min
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"Thälmann. Ist zu exekutieren"

Elf Jahre wird Thälmann Hitlers persönlicher Gefangener bleiben, erst in Berlin, ab 1937 in Hannover, ab 1943 in Bautzen. Seine internationale Popularität bewahrt Thälmann lange davor, hingerichtet zu werden. Doch nach dem Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 und angesichts des Kriegsverlaufes überschlagen sich die Ereignisse. Am 14. August 1944 tritt Heinrich Himmler im ostpreußischen Hauptquartier in der Wolfsschanze beim Führer zum Rapport an. Unter Punkt 12 schreibt er fein säuberlich auf seinen Notizzettel: "Thälmann. Ist zu exekutieren". Das Schriftstück liegt heute im Berliner Bundesarchiv.

In den Tagen danach verlieren sich die Spuren Thälmanns. Während die Nazis behaupten, der Kommunistenführer sei bei einem Bombenangriff der Alliierten auf das KZ Buchenwald Ende August ums Leben gekommen, sagt der polnische KZ-Häftling Marian Zgoda nach dem Krieg aus, er habe von der Erschießung Thälmanns am frühen Morgen des 18. Oktober gehört.

Nach dem Sieg der Roten Armee kommen Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht, Stalins neue Günstlinge, aus dem Moskauer Exil zurück nach Deutschland. Als selbsternannte Vollstrecker von Thälmanns Vermächtnis legitimieren sie ihren eigenen Führungsanspruch und den der KPD-Nachfolgepartei SED. Aus Thälmann wird "Teddy", "Stimme und Faust der Nation", wie es in einem Lied, das alle Schulkinder in der DDR später lernen, heißt.

Rosa Thälmann Rosa Koch stammt aus einer bettelarmen, kinderreichen, norddeutschen Familie. Sie heiratet Ernst Thälmann am 13. Januar 1915. Vier Jahre später wird die gemeinsame Tochter Irma geboren.

In den Jahren der Haft stärkt sie ihm mit ihren Besuchen den Rücken, sie nimmt Thälmanns alten Vater bei sich auf, hält den Kontakt zur Partei und bittet in der sowjetischen Botschaft um Fürsprache Stalins für ihren Mann. Die Affäre mit Martha Kluczynski hat sie ihm wohl nie zum Vorwurf gemacht.

1944 werden Rosa und Irma Thälmann verhaftet und ins KZ Ravensbrück gebracht. Sie überleben.

Nach Kriegsende betätigt sich Rosa als Sachwalterin von Thälmanns Vermächtnis. Sie stirbt 1962, hoch geehrt aber einsam, mit 72 Jahren in Berlin. Tochter Irma erlebt das Ende der DDR und den Sturz der väterlichen Ikone. Sie stirbt im Jahr 2000 im Alter von 81 Jahren.

Martha Kluczynski Martha Kluczynski ist seit 1924 die Geliebte Ernst Thälmanns. Die gelernte Kindergärtnerin ist ebenfalls Mitglied der KPD. Thälmann wohnt vermutlich seit 1923 bei ihr zur Untermiete und wird dort am 03.03.1933 von der Schutzpolizei festgenommen.

Ruth Fischer Ganz anders als Thälmann ist Ruth Fischer eine Intellektuelle. Sie ist die Tochter des österreichischen Philosophen und Privatgelehrten Rudolf Eisler, die Schwester des Komponisten Hanns Eisler und des Journalisten und Kommunisten Gerhart Eisler.

Zusammen mit Arkadi Maslow führt Ruth Fischer die KPD bis 1925. Lange Zeit befindet sie sich als Kampfgefährtin an Thälmanns Seite.

Nachdem sie in die Kritik der Moskauer Parteiführung gerät, nimmt er Abstand von ihr. In Moskau gegen ihren Willen festgehalten, entkommt sie Stalins Fängen und stirbt 1961 in Paris.

Über dieses Thema berichtete der MDR im TV in "MDR Zeitreise" 18.04.2019 | 22.25 Uhr

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