Flüchtlingskonvention: Verbindlichkeit im Westen, Ablehnung im Osten
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28. Juli 2021, 05:00 Uhr
Mehr als 82 Millionen Menschen waren Ende 2020 laut Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) weltweit auf der Flucht - ein neuer Höchstwert. Wer als geflüchtete Person gilt und welche Rechte damit verbunden sind, regelt seit 1951 die Genfer Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen. Die Konvention entstand 1951 infolge der großen Fluchtbewegungen in Europa nach Ende des Zweiten Weltkrieges.
Nach dem Zweiten Weltkrieg fliehen insgesamt bis zu 14 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene in die vier Besatzungszonen und später in die Bundesrepublik und die DDR. Sie kommen u.a. aus Ostpreußen, Schlesien oder dem Sudetenland. Unter ihnen sind auch Millionen von Displaced Persons - Zivilisten, die gezwungen waren, in den deutschen Besatzungsgebieten Zwangsarbeit zu leisten.
Fluchtchaos und überfüllte Städte
Um die Folgen der Fluchtbewegungen einzudämmen, beschließen die vier Siegermächte auf der Potsdamer Konferenz im Sommer 1945, dass die "Überführung der Deutschen" aus polnischen, tschechoslowakischen und ungarischen Gebieten "geordnet und human" vonstatten gehen soll.
Doch die Realität ist alles andere als "geordnet" oder "human". Die Folgen der Flüchtlingsströme sind mancherorts verheerend. Vor allem Orte in der Sowjetischen Besatzungszone sind betroffen, bis 1950 flüchten 4,1 Millionen Menschen dorthin. Allein 1945 kommen 60.000 Flüchtlinge nach Görlitz. Die kleine Stadt kann dieser Zahl nicht Herr werden. Weder gibt es genügend Wohnungen, noch ausreichend Lebensmittel, um alle Flüchtlinge zu versorgen. Hungersnöte drohen. Zur selben Zeit kommen circa 250.000 Deutsche in Dänemark an, wo ähnliche Zustände herrschen.
"Geflüchtete": Definition, Rechte und Pflichten
Um die damalige Flüchtlingssituation in Europa in den Griff zu bekommen und um Geflüchteten den nötigen Schutz zu gewähren, verabschieden die Vereinten Nationen am 28. Juli 1951 die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK). Sie ist bis heute das wichtigste Rahmenwerk, das international verbindliche Rechte für geflüchtete Personen festlegt. Darüber hinaus definiert die GFK auch, wer überhaupt als Flüchtling gilt:
Im Sinne dieses Abkommens findet der Ausdruck 'Flüchtling' auf jede Person Anwendung (…), die (...) aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, (...) oder die sich als staatenlose infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte (...).
Nur den Personen, die dieser Definition entsprechen, stehen im Aufnahmeland bestimmte Rechte zu. So darf die oder der Geflüchtete nicht wieder in das Land zurückgeschickt werden, wo ihr oder ihm Verfolgung drohen. Zudem muss das Aufnahmeland dem Geflüchteten einen Pass oder Reiseausweis ausstellen und Schutz vor Diskriminierung gewähren.
Um sicherzustellen, dass Geflüchtete diese Rechte erhalten, wird bereits 1950 das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen eingerichtet. James Read, der erste Stellvertreter des Hochkommissars, bezeichnet die GFK 1951 gar als "Magna Carta für Flüchtlinge". Am 22. April 1954 tritt die GFK in Kraft, bis zu diesem Zeitpunkt haben sie 26 Staaten unterzeichnet.
Sozialistische Staaten lehnen die Flüchtlingskonvention ab
Unter jenen Ländern, die die Konvention ablehnen, sind auch die Sowjetunion, die DDR und die übrigen Staaten des "Ostblocks". Der Grund: Die GFK sei "politisch motiviert". Auch wenn die DDR nicht unterzeichnet, legt die Verfassung ab 1968 einen eigenen Anspruch auf Asyl fest:
Die Deutsche Demokratische Republik kann Bürgern anderer Staaten oder Staatenlosen Asyl gewähren, wenn sie wegen politischer, wissenschaftlicher oder kultureller Tätigkeit zur Verteidigung des Friedens, der Demokratie, der Interessen des werktätigen Volkes oder wegen ihrer Teilnahme am sozialen und nationalen Befreiungskampf verfolgt werden.
Wer Anspruch auf Asyl hat, das entscheidet ausschließlich der Ministerrat der DDR. Bis 1989 bleibt die Zahl der Asylsuchenden in der DDR sehr gering im Vergleich zur Bundesrepublik. So kommen beispielsweise mehrere hundert Nachfahren von Kommunisten oder früheren Partisanen aus Griechenland in die DDR. Und nach dem Sturz des sozialistischen Präsidenten Salvador Allende kommen rund 2.000 Geflüchtete aus Chile in die DDR, von denen sich bis zur Wende 334 dauerhaft in der DDR niederlassen. Noch 1990 verkündet zudem Sabine Bergmann-Pohl, die Präsidentin der ersten frei gewählten Volkskammmer: "Wir treten dafür ein, verfolgten Juden in der DDR Asyl zu gewähren." Damit ebnet die DDR den Weg für die Einwanderung von Juden aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion.
DDR geht gegen Flüchtlinge vor
Gleichzeitig geht die DDR-Strafverfolgung rigoros gegen politische Oppositionelle, vor allem "Republikflüchtlinge", vor. Ab 1979 drohen diesen "Flüchtlingen" Haftstrafen von bis zu acht Jahren. Bis zum Mauerbau verlassen bis zu 3,6 Millionen Bürgerinnen und Bürger die DDR und finden in der Bundesrepublik Asyl. Danach gelingt dies noch mehr als 600.000 Flüchtlingen. Oft flüchten sie unter Lebensgefahr, denn die Grenzanlagen der DDR sind vermint oder mit Selbstschussanlagen ausgestattet.
1989: Volksrepublik Ungarn erkennt Rechte der Flüchtlinge an
Als erster sozialistische Staat entschließt sich im März 1989 die Volksrepublik Ungarn, die Genfer Flüchtlingskonvention zu unterzeichnen. Zum 12. Juni wird Ungarn Mitglied der GFK. Zuvor sind Zehntausende Rumänen mit ungarischer Herkunft aus Angst vor Vertreibung nach Ungarn geflohen. Ungarn beginnt im Sommer 1989 mit dem Abbau seiner Grenzsicherungsanlagen und verkündet Anfang Oktober, dass DDR-Bürger hier einen Antrag auf politisches Asyl stellen können.
Das internationale Flüchtlingsrecht wird damit für die DDR und für andere Staaten des Warschauer Paktes relevant. Im selben Jahr flüchten zudem knapp 10.000 Menschen aus der DDR über die Botschaft der Bundesrepublik in Prag. Ausreisewellen wie diese läuten das Ende der DDR ein.
Die Flüchtlingskonvention: heute aktueller denn je
Bis heute haben 149 Staaten der Erde die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet. Nicht nur die große "Flüchtlingswelle" nach Europa 2015 hat die internationale Flüchtlingspolitik wieder in die öffentliche Diskussion gerückt. 2020 noch waren laut Angabe des UNHCR mehr als 82 Millionen Menschen auf der Flucht - ein neuer Höchststand. Prognosen gehen davon aus, dass diese Zahlen in den nächsten Jahren noch steigen werden, beispielsweise aufgrund der Folgen des Klimawandels. Deutschland wird in dieser Hinsicht weltweit eine zentrale Rolle spielen. Nach Angaben der Vereinten Nationen ist Deutschland eines der fünf wichtigsten Aufnahmeländer für Flüchtlinge.
Über dieses Thema berichtete der MDR im TV: MDR AKTUELL 17.45 Uhr | 16.07.2021 | 17:45 Uhr