Bulgarische Tanzgruppe während der feierlichen Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft im Janaur 2018.
In traditioneller Kleidung tanzen Frauen und Männer bei der Feierlichkeit anläßlich der Übernahme des EU-Ratspräsidentschaft durch Bulgarien Anfang Januar 2018. Bildrechte: MDR/Frank Stier

Bulgarien lehnt Frauenrechts-Konvention ab

01. Februar 2018, 16:53 Uhr

Heute tritt in Deutschland die internationale Istanbulkonvention in Kraft, die Frauen vor Gewalt schützen soll. In Bulgarien wurde diese kurzfristig gestoppt. Ihre Gegner kritisieren besonders die Geschlechterdefinition.

Ein Gespenst geht um in Bulgarien: das Gespenst des Dritten Geschlechts. Diejenigen, die sich vor ihm fürchten, sehen es im Text der "Istanbulkonvention" herumspuken, die offiziell "Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt" heißt.

Ängste vor "Gender-Ideologie"

Viele Bulgaren argwöhnen, nach der Ratifizierung dieses Völkerrechtsvertrags durch die bulgarische Volksversammlung werde eine "ultraliberale kosmopolitische Gender-Ideologie" bulgarische Traditionen und Werte untergraben. Dann dürften Männer, die sich als weiblich identifizieren, auf Damentoiletten. Außerdem müsste die bulgarische Verfassung geändert werden, um die gleichgeschlechtliche Ehe zu legalisieren. Und Kleinkinder würden künftig bereits in der Vorschule lernen, sie könnten ihre Geschlechtsidentität frei wählen, so die Schreckensszenarien.

Nichts dergleichen werde geschehen, entgegnen die Befürworter der Istanbulkonvention wie Bulgariens Justizministerin Tsetska Tsatschewa. Das multinationale Vertragswerk stärke lediglich die Gleichstellung von Frauen und Männern in Europa, schütze Frauen und Schwache vor Gewalt und führe Gewalttäter ihrer gerechten Strafe zu. Die Homoehe und ein drittes Geschlecht würden in dem Vertragstext mit keinem Wort erwähnt.

Diskussion überschattet wichtige Themen

So konträr und eindeutig die Positionen, so wirr und verstörend verläuft die öffentliche Debatte zu dem Völkerrechtsvertrag. "Ich bin enttäuscht, wie die Debatte geführt wird und die Leute mit ihrer Furcht vor einem dritten Geschlecht manipuliert werden", klagt die auf Frauengeschichte spezialisierte Pädagogik-Professorin Neli Petrowa.

Selbst der Beginn von Bulgariens EU-Ratspräsidentschaft wurden von einer öffentlichen Diskussion zur Istanbulkonvention überschattet. Auch das Misstrauensvotum, das die oppositionellen Sozialisten gegen die rechtsnationalistische Koalitionsregierung von Ministerpräsident Boiko Borissow wegen ausbleibender Erfolge in der Korruptionsbekämpfung anstrengten, wurde so zur Nebensache.

Konvention mit langem Vorlauf

Am 11. Mai 2011 unterzeichneten dreizehn Staaten des Europarates in Istanbul das "Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt", darunter auch Deutschland. Jedoch hat es die Konvention erst am 12. Oktober 2017 ratifiziert, am 1. Februar 2018 tritt sie in Kraft. Bis heute haben 45 europäische Staaten die Istanbulkonvention unterzeichnet, 27 haben sie bereits ratifiziert. Darunter sind auch Staaten wie Albanien, Bosnien und Herzegowina, Polen und die Türkei.

Bulgarien sieht sich selbst mit Verweis auf die Rettung seiner Juden vor deren Ermordung im Zweiten Weltkrieg als Hort der Toleranz. Dennoch ist die Diskussion um den völkerrechtlichen Vertrag völlig entgleist, was kein gutes Licht wirft auf das öffentliche Klima in dem Balkanland. Daraus spielt auch der bekannte bulgarische Jurist Wladimir Scheitanow an, der gut einem Jahrzehnt als Anwalt bulgarischer Krankenschwestern bekannt wurde, die in Lybien wegen angeblicher HIV-Verbreitung in Haft saßen.

Bulgariens bekanntester Kritiker

Heute ist Scheitanow einer der schärfsten Kritikern der Istanbulkonvention. "Die Situation beginnt der Rettung der bulgarischen Juden im Zweiten Weltkrieg zu ähneln. Wie damals wird auf Bulgarien starker internationaler Druck ausgeübt", sagte er etwa bei einer aufgeheizten öffentlichen Aussprache in der Aula der Sofioter Universität "Kliment Ohridski".

Anfang Januar legte Scheitanow in einem Text nach: "Hinter der Sorge um den Schutz der Frau und der Familie vor Gewalt versteckt sich das Ziel der internationalen Legalisierung von Menschen mit nicht-traditioneller sexueller Orientierung als Subjekte im Familienrecht". Am selben Tag entschied Borissows Koalitionsregierung mit hauchdünner Ministermehrheit, die Istanbuler Konvention dem Parlament zur Ratifizierung vorzulegen.

Vor allem die Definition des englischen Begriffes "Gender" entzweit die Bulgaren. Der englische Originaltext unterscheidet eindeutig zwischen biologischem Geschlecht ("sex") und sozialer Geschlechterrolle ("gender"). Das Bulgarische kennt jedoch nur den Begriff "Pol" ("Geschlecht"). Außer dem biologischen Geschlecht von Mann und Frau akzeptieren die Konventionsgegner kein weiteres. Die Idee eines sozialen Geschlecht verstehen sie als Versuch, den Bulgaren ein "drittes Geschlecht" unterzujubeln. Darunter subsumieren sie wahlweise Homosexuelle, Transsexuelle und alle weiteren Variationen der "Gender-Ideologie".

Innenpolitische Scharmützel um Konvention

Bundeskanzlerin Angela Merkel steht neben dem bulgarischen Ministerpräsidenten Boyko Borissov
Ministerpräsident in der Bredouille: Bulgariens Boiko Borissow, hier Mitte 2017 mit Bundeskanzlerin Merkel in Berlin. Bildrechte: picture alliance/dpa | Michael Kappeler

"Eine internationale Lobby drängt Bulgarien, das dritte Geschlecht zu legalisieren": mit dieser Aussage trat die nationalistische Partei VMRO Ende 2017 die Debatte um die Istanbulkonvention los. Als Teil der "Vereinigten Patrioten" (VP) ist die VMRO Juniorpartner in der Koalition mit Borissows Partei "Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens" (GERB).

Die Ratifizierung der Konvention verpflichte Bulgarien, jedem Ausländer mit "besonderem Geschlecht" den Flüchtlingsstatus zu verleihen, behauptete die VMRO. Jeder Transvestit im Iran kann bei uns den Status des Flüchtlings erhalten, weil er in seinem Heimatland verfolgt wird", heißt es in ihrer Erklärung.

Die Nationalisten der VP begreifen die Istanbulkonvention als Gelegenheit, den vermeintlichen Sittenverfall im "neoliberalen Westen" anzuprangern und so ihr nationalistisches Profil zu schärfen. Dieses hat in den Augen vieler ihrer Anhänger gelitten, da die Regierungsbeteiligung ständig euro-atlantische Bekenntnisse erfordert. Die VP-Parlamentsfraktion will nicht für die Ratifizierung der Konvention stimmen. Das hat auch die Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) angekündigt, die den Schutz von Frauenrechten häufig als ureigenes Anliegen darstellt.

"Sollen wir unsere Frauen schlagen oder nicht?"

Die BSP-Vorsitzende Kornelia Ninowa sieht in der Istanbulkonvention aber offenbar einen geeigneten Schauplatz für den politischen Kampf gegen Borissows GERB. Selbst von ihrem Amtsvorgänger, dem Ex-Ministerpräsident Sergej Stanischew, lässt sie sich davon nicht abbringen. Stanischew ist inzwischen Chef der Partei Europäischer Sozialisten (PES). Zuletzt drohte er der BSP vergeblich mit dem Ausschluss aus der EU-Fraktion, sollte sie sich der Ratifizierung des Übereinkommens verweigern. Ninowa fordert nun eine Volksbefragung.

63 Prozent der Bulgaren lehnen einer aktuellen Umfrage zufolge die Istanbulkonvention ab. Die Zerrbild von Männern in Damentoiletten, Geschlechtsidentität wählenden Schülern, iranischen Transvestiten und "dritten Geschlecht" haben so den Ministerpräsidenten Borissow so zum vorläufigen Rückzug genötigt. Mehr als 100 Professoren haben die bulgarische Volksversammlung nun aufgefordert, das "Übereinkommen zum Schutz der Frau vor Gewalt und häuslicher Gewalt" trotzdem unverzüglich zu ratifizieren. Ob und wann sie das tun wird ist vollkommen unklar.

Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im: Radio | 06.01.2018 | 13:22 Uhr