Porträt Dresdens Musikfotograf Matthias Creutziger: Mit Miles Davis in die Hall of Fame

02. Mai 2023, 04:00 Uhr

Der Dresdner Musikfotograf Matthias Creutziger hat Jazz-Ikonen wie Miles Davis, Michel Petrucciani oder Günter Baby Sommer in edlen Schwarz-Weiß-Porträts verewigt. Nicht in Pose, sondern versunken ins Spiel. Gelobt wird sein Gespür für den besonderen Moment und die Intensität der Bilder, die Konzertereignisse der letzten Jahrzehnte in Warschau, Dresden und Meißen oder Salzburg zeigen. Nun hat der 72-Jährige, der zur Hall of Fame der deutschen Fotografie gehört und lange auch Hausfotograf der Sächsischen Staatskapelle war, seinen Vorlass an die Deutsche Fotothek in Dresden übergeben.

Matthias Creutziger ist nicht nur ein außerordentlich präziser Fotograf, er ist ein großer Musikliebhaber und Geschichtenerzähler. Zu jedem Foto und jedem Konzert, mag es auch schon 50 Jahre her sein, hat er eine Story parat, wie die von der Jazz-Ikone Miles Davis.

Der erste Coup: Miles Davis in Warschau

Den Trompeter erlebte er 1983 bei einem Konzert in Warschau. Eine ganze Woche sei er mit Freunden dort gewesen, sie hätten kaum geschlafen, erzählt Matthias Creutziger. Aber sie waren jung und hatten das große Glück, Miles Davis auf der Bühne erleben zu können. Die ganze Stadt sei in Aufruhr gewesen, erinnert sich der Fotograf:

"Überall hingen Plakate: 'We want Miles', klasse. Dann kam Miles. Wir hatten nur fünf Minuten zum Fotografieren. Er spielte die ganze Zeit mit dem Rücken zum Publikum. Und einmal in diesen ersten fünf Minuten kommt er direkt an die Bühnenkante! Und ich hatte einen Platz auf der ersten Reihe in der Mitte und er kam direkt auf mich zu, da habe ich zweimal draufgedrückt, und das ist es."

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Jazz-Ikonen wie Miles Davis oder Baby Sommer, aber auch die Sächsische Staatskapelle hat er in besonderen Momenten eingefangen. Wolfram Nagel hat mit dem 72-jährigen auf sein Lebenswerk und Bilder-Geschichten geblickt.

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Damals fotografierte er mit einer Pentacon SIX Rollfilmkamera. Zusammen mit dem 180-Millimeter-Objektiv kamen einige Kilo Gewicht zusammen, die er die ganze Zeit mit sich herumschleppen musste.

Er spielte die ganze Zeit mit dem Rücken zum Publikum und dann kam Miles direkt an die Bühnenkante, direkt auf mich zu!

Matthias Creutziger Musikfotograf

Zum Bauingenieurs-Studium nach Dresden und in die Klubs

Creutziger, geboren 1951 in Härtensdorf bei Zwickau, bekam seine erste Kamera mit 12 Jahren vom Vater geschenkt, eine kleine Certo. Damit knipste er Urlaubsbilder. Er hatte jedoch nicht vor, Fotograf zu werden. Vielmehr studierte er nach dem Abitur an der Volkshochschule Zwickau Bauingenieurwesen, arbeitete bis 1983 in Dresden als Projektant. Doch schon seit Schulzeiten spielte er in verschiedenen Bands. Und Dresden entwickelte sich damals zu einem Zentrum zeitgenössischer Musik. Die Konzerte fanden zunächst meist in Hörsälen der Technischen Universität statt oder im Parkhotel. Bis dann in den 1980er-Jahren der Jazz-Club Tonne in den Gewölben des kriegszerstörten Kurländer Palais' gegründet wurde, gleich neben dem Albertinum.

Karl Kraus hat gesagt: 'Der Zufall hat mich noch nie im Stich gelassen.'

Matthias Creutziger Musikfotograf über sein Motto

Wegbegleiter von Jazz-Schlagzeuger Günter Baby Sommer

Seit dieser Zeit ist Matthias Creutziger auch mit Musikern wie Günter Baby Sommer befreundet, der bei einer Podiumsdiskussion zur Ausstellung "Gültigkeit des Augenblicks" in der Sächsische Landesbibliothek (SLUB) über den Fotografen sagte: "Ich bin nun seit gut 60 Jahren für die Sache der Jazzmusik aktiv unterwegs, mittlerweile auch ziemlich weltumtriebig unterwegs, und von diesen 60 Jahren, kann ich sagen, hat Matthias Creutziger mich gut 50 Jahre begleitet."

Stichwort: SLUB - Deutsche Fotothek

Die 1924 gegründete Deutsche Fotothek befindet sich heute unter dem Dach der Sächsischen Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB). Sie gilt als ein kulturgeschichtliches Universalarchiv mit einem Gesamtbestand von mehr als sechs Millionen Bilddokumenten. In einer Online-Bilddatenbank sind derzeit rund 2.230.000 Bilder abrufbar.

Bereits in den 1980er-Jahren erwarb die Deutsche Fotothek ein größeres Konvolut an Abzügen von Matthias Creutziger, es folgte die Übernahme von Prints in die Musikabteilung der Landesbibliothek. Mit der Aufnahme seiner Werke in das "Archiv der Fotografen" soll der rund 1.200 Arbeiten umfassende Bestand weiter ergänzt werden. Knapp 600 Arbeiten des sächsischen Foto-Künstlers Matthias Creutziger sind laut SLUB bereits online zugänglich.

Beginn als Konzertkritiker, der sich über Pressefotos ärgert

Seit 1976 schrieb Matthias Creutziger Artikel über Jazz-Konzerte für "DIE UNION", eine von der DDR-Blockpartei CDU herausgegebene Tageszeitung mit einem beliebten Kulturteil. Doch sei er damals immer unzufrieden gewesen mit den zugelieferten Bildern der Pressefotografen gewesen, erzählt er. "Meistens kam da irgendwas an, das mit dem Konzert nichts zu tun hatte." So besann er sich auf seine eigene Kamera und begann ab 1979 zu fotografieren, um seine Rezensionen mit den eigenen Bilder zu publizieren. "Damals war das noch eine Praktika mit 180-Millimeter-Objektiv. Und das hat auf Anhieb geklappt", sagt er. 

Bereits in den 1980er-Jahren kaufte die Deutsche Fotothek ein größeres Konvolut seiner Schwarz-Weiß-Abzüge an. Großes Interesse hatte auch die Musikabteilung, die sich ebenfalls unter dem Dach der Sächsischen Landesbibliothek befand. Für den Autodidakten war das nicht nur eine Geste besonderer Wertschätzung, sondern ein wichtiges Zubrot:

 Das war für mich wichtig, weil ich ein armer Sack war. Ich musste von irgendwas leben.

Matthias Creutziger Musikfotograf

DDR-Ausreise und Rückkehr nach Dresden

Matthias Creutziger kehrte seinem Beruf den Rücken, um sich der Musikfotografie zu widmen. Er gab den DDR-Jazzkalender heraus, gestaltete Theaterplakate, fotografierte auch in der Oper. 1988 verließ er mit seiner Familie die DDR. Über die Gründe sagt er lakonisch: "Ja, das war dann nicht mehr ganz so lustig in der DDR für mich und vor allem für meine Familie." Im Westen fing er wieder an, freiberuflich als Fotograf und als Texter zu arbeiten. Der Konkurrenzdruck war groß. Doch zeichneten sich Creutzigers Arbeiten durch eine besondere Handschrift aus. Betrachtet man Fotos wie das von Glenn Arthur Ferris, dann hört man fast seine Musik, abgesehen von der klaren Komposition oder dem Hell-Dunkel-Kontrast.

Auch mit der digitalen Kamera fotografiert Matthias Creutziger heute noch so, als müsste er Film sparen. Er wartet auf den Augenblick, wie bei dem Posaunisten Glenn Ferris: "Da hat es der Zufall gut mit mir gemeint. Das Foto ist in Karlsruhe entstanden, da war ein Festival, das fand im Zirkuszelt statt, deswegen die Sterne im Hintergrund, das ist nicht einkopiert, das ist echt!"

Jazz-, Klassik- und Reisefotografie

Nicht nur Musiker hat Matthias Creutziger porträtiert, auch Maler wie Veit Hofmann oder den Dresdner Avantgardisten Hermann Glöckner, aber auch Dichter wie Bert Papenfuß oder Richard Pietraß. Porträtiert hat er außerdem zahlreiche Musikerinnen, etwa die portugiesische Sängerin Maria João, die er 1995 in Leipzig traf.

Dazu kommen Aufnahmen von den Salzburger Festspielen oder der Sächsischen Staatskapelle, für die er viele Jahre als Hausfotograf gearbeitet hat. 2003 war er deshalb nach Dresden zurückgekehrt, fuhr mit der Kapelle durch die Welt, etwa nach Japan. Ansonsten unternahm er auch privat Reisen, beispielsweise nach Kuba, und immer brachte er Bilder mit.

1.200 Werke von Matthias Creutziger für die Deutsche Fotothek

Etwa 1.200 Abzüge hat die Deutsche Fotothek in Dresden bisher übernommen und zum großen Teil, rund 600, bereits digitalisiert. So ein Vorlass sei vor allem deshalb wichtig, weil der Fotograf selbst noch etwas über seine Bilder erzählen kann, erklärt dazu Kuratorin Agnes Matthias: "Die Inhalte spielen schließlich eine wichtige Rolle. Die Entstehungszusammenhänge können wir so wirklich noch aus erster Hand erfahren." Ein Beispiel ist das Bild des Cellisten Günter Christmann. Es sieht aus, als ob er unter seinem Instrument liegen würde und das Cello nach oben hält. Kunsthistorikerin Agnes Matthias, die Creutzigers Fotos als Kuratorin der Sammlung betreut, hat es beim Herausnehmen aus dem Karton zunächst falsch herum gehalten, weil eben der Anblick so ungewöhnlich ist. Der Fotograf hat sie korrigiert, was ja für eine Ausstellung oder eine Buchpublikation wichtig ist, aber auch für die Präsentation auf der Web-Site der SLUB.

"Also er sitzt auf seinem Stuhl und schaut auf seine Noten, aber das ist grafisch so 'rund'. Das Foto von Günter Christmann, einem Cellisten aus Hannover, habe ich zu DDR-Zeiten, in den 80er-Jahren in Leipzig gemacht. Als er das Foto gesehen hat, meinte er, das sei das Beste, was je von ihm in Konzerten gemacht worden sei. 'Da hast du mich voll erwischt'", erzählt Matthias Creutziger.

"Hall of Fame"-Fotograf träumt vom Buch

Dass er mit seinem in ca. 50 Jahren entstandenen Werk in die "Hall of Fame", ins Archiv der Fotografen der Deutschen Fotothek aufgenommen wurde, sei eine große Ehre gewesen, sagt Creutziger. "Und das Beste, was mir passieren konnte", meint er, sei der Vorlass für die Deutsche Fotothek. Weitere Übergaben würden folgen. Vielleicht, so hofft er, könnte es einmal einen Bildband mit seinen Geschichten zu den Fotos geben.